„Jegliche andere Sichtweise würde dem Denunziantentum Tür und Tor öffnen“

Tag für Tag gehen bei den Strafverfolgungsbehörden anonyme Anzeigen ein. Wie ist damit umzugehen? Das Landgericht Augsburg vertritt eine klare Meinung: Eine substanzarme, anonyme Anzeige reicht grundsätzlich nicht aus, um einen Anfangsverdacht zu rechtfertigen. Dementsprechend lehnt das Gericht die von der Staatsanwaltschaft beantragte Durchsuchung eines Wohnhauses ab.

Bei der Polizei war eine anonyme Anzeige eingegangen. Darin hieß es:

Die Pädophilen sind überall. So ist mir bekannt, dass auch in D. die Pädophilen ihr Unwesen treiben. Besonders Herr … und sein Sohn vertreiben Kinderpornographie der übelsten Art. Der Computer ist im Keller versteckt.

Die Staatsanwaltschaft beharrte darauf, dass an der genannten Adresse durchsucht wird.

Dazu findet das Landgericht Augsburg deutliche Worte. Ich zitiere aus der Entscheidung:

Im Einklang mit der eindeutigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 14.07.2017, 2 BvR 274/14) bedeutet dies, dass eine anonyme Anzeige grundsätzlich nicht ausreicht einen Anfangsverdacht zu begründen.

Jegliche andere Sichtweise würde dem Denunziantentum Tür und Tor öffnen.

Es ist mit der Rechtsordnung und dem Wertesystem der Bundesrepublik Deutschland nicht vereinbar, wenn allein aufgrund einer anonymen Behauptung Durchsuchungen bei bislang völlig unbescholtenen Bürgern erfolgen. Insoweit hat die Staatsanwaltschaft auch die Unschuldsvermutung zu beachten.

Soweit die Staatsanwaltschaft die anonyme Anzeige rechtsirrig für nicht pauschal erachtet, weil eine Adresse angegeben wurde und als Standort eines Computers der Keller genannt wurde, verkennt sie, dass sich aus derart nichtssagenden Angaben bei objektiver Betrachtung keinerlei Erkenntnisse ergeben, die einen Verdacht begründen oder erhärten können.

Daraus, dass ein Haus einen Keller hat, lässt sich jedenfalls kein Schluss darauf ziehen, dass kinderpornographische Schriften vertrieben werden. Und die Behauptung, dort sei ein Computer, ist genauso pauschal gehalten, wie die Beschuldigung selbst. Rückschlüsse auf den Wahrheitsgehalt der anonymen Anzeige lassen sich hieraus nicht ziehen.

Anders als bei namentlich gekennzeichneten Anzeigen setzt sich ein anonymer Anzeigeerstatter nicht der Strafverfolgung wegen falscher Verdächtigung und übler Nachrede aus. Weder die Glaubwürdigkeit des Anzeigeerstatters noch die Glaubhaftigkeit seiner Angaben ist für die Ermittlungsbehörden einschätzbar. Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb im bereits zitierten Beschluss ausführlich und zu Recht dargelegt, dass eine anonyme Anzeige nur genügen kann, „wenn sie von beträchtlicher sachlicher Qualität ist oder mit ihr zusammen schlüssiges Tatsachenmaterial vorgelegt wird.“

Beides ist im vorliegenden Fall so offensichtlich nicht gegeben, dass sich die Frage stellt, ob die Einleitung eines förmlichen Ermittlungsverfahrens im vorliegenden Fall überhaupt zulässig war, zumal bereits Form und Diktion der Anzeige im vorliegenden Fall die Glaubhaftigkeit der Behauptungen nicht unterstreichen.

Dem ist nichts hinzuzufügen. Außer, dass es wünschenswert wäre, wenn diese Vorgaben in der täglichen Praxis auch anderswo öfter beachtet würden (Aktenzeichen 1 Qs 339/17).

PayPal-Käuferschutz ersetzt kein Gerichtsurteil

Der Bundesgerichtshof hat sich erstmals mit dem Käuferschutz von PayPal befasst. Es ging in zwei Fällen um die Frage, ob Verkäufer trotzdem noch den Kaufpreis verlangen können, wenn PayPal den Käuferschutz bejaht und den Kaufpreis an den Käufer zurückgebucht hat.

Laut dem Grundsatzurteil ändert eine erfolgte Rückabwicklung über den Käuferschutz nichts an den wechselseitigen Ansprüchen von Käufer und Verkäufer. Das heißt: Selbst wenn der Käuferschutz gegriffen hat, muss der Verkäufer sich damit nicht abfinden. Er kann den Kaufpreis ganz normal vor Gericht einklagen – wenn er sich unrichtig behandelt fühlt.

Auf Käuferseite war das bisher ohnehin schon klar. Wenn ein Käufer, der entweder keine oder die falsche Ware erhalten hat, erfolglos um Käuferschutz bittet, ist ihm der Rechtsweg ganz eindeutig nicht abgeschnitten. Das muss dann aber, so das Gericht, umgekehrt auch für den Verkäufer gelten, wenn er im Streitfall den bereits erhaltenen Kaufpreis von PayPal wieder abgezogen erhält.

Problematisch wird das Ganze allerdings aus akademischen Gründen: Die Kaufpreisforderung war ja mit der Zahlung juristisch erfüllt und somit erloschen. Es fragt sich also, wie sie nach der Rückbuchung durch PayPal wieder aufleben kann. Der Bundesgerichtshof wählt den Weg der ergänzenden Vertragsauslegung. Er nimmt eine stillschweigende Abrede zwischen den Vertragsparteien an, dass der Streitfall nicht abschließend durch PayPal geregelt werden kann. Immerhin, so das Gericht, prüfe PayPal den Sachverhalt nur „vereinfacht“.

Als enttäuschter Käufer darf man sich also darüber freuen, dass man über den Käuferschutz das Geld zurückbekommen hat. Das letzte Wort sprechen aber die Gerichte, wenn sich der Verkäufer damit nicht abfinden will (Aktenzeichen VIII ZR 83/16).

Kleine Parteien behalten Chancen in NRW-Stadträten

In Nordrhein-Westfalen gibt es auch weiterhin keine Sperrklausel bei Kommunalwahlen. Der Verfassungsgerichtshof kippte ein Landesgesetz, mit dem jüngst eine Sperrklausel von 2,5 Prozent eingeführt worden ist. Die Richter sehen die Gleichheit der Wahl verletzt, wenn Stimmen für die Kommunalwahlen durch die Sperrklausel unter den Tisch fallen.

Die Landtagsmehrheit hatte das Gesetz mit der Begründung beschlossen, durch das vermehrte Aufkommen kleinerer Parteien drohe eine Zersplitterung der Parlamente. Das hält auch das Verfassungsgericht nicht für ausgeschlossen. Jedoch müsse anhand genauer empirischer Zahlen dargelegt werden, dass dies der Fall ist oder konkret droht. Insoweit vermissen die Richter eine hinreichende Begründung für das Gesetz.

Bestand hat die neue Sperrklausel aber bei den Wahlen der Bezirksvertretungen und der Regionalsversammlung Ruhr. Hier gälten aufgrund der Landesverfassung weniger strenge Maßstäbe und der Gesetzgeber habe einen größeren Spielraum.

Geklagt hatten diverse kleinere Parteien, darunter die Piratenpartei, Die Linke, die Partei, der ÖDP, die Tierschutzpartei sowie die NPD und PRO NRW (Aktenzeichen VerfGH 9/16, 11/16, 15/16, 16/16, 17/16, 18/16 und 21/16).

Airline haftet für Sicherheit beim Ein- und Ausstieg

Fluggesellschaften haften auch, wenn sich ein Passagier beim Ein- oder Aussteigen auf der Fluggastbrücke verletzt. Dies hat der Bundesgerichtshof entschieden. Die Vorinstanzen hatte die Klage eines Reisenden noch abgewiesen. Der Mann war beim Einstieg ins Flugzeug in Düsseldorf auf einer durch Kondenswasser feuchten Stelle ausgerutscht und hatte sich die Kniescheibe gebrochen.

Die Schutzvorschriften über den Flugverkehr (Montrealer Übereinkommen) gelten laut dem Urteil für den kompletten Einsteigevorgang. Dieser umfasse jedenfalls das Besteigen einer Flugzeugtreppe oder das Gehen über eine Fluggastbrücke. Die Fluggastbrücke berge wegen des konstruktionsbedingt fehlenden Handlaufs, des von der Höhe und Lage des Flugzeuges abhängigen Gefälles und der durch die Temperaturunterschiede höheren Gefahr von Kondenswasser besondere Risiken. Vor diesen Risiken solle der Reisende umfassend geschützt werde (Aktenzeichen X ZR 30/15).

Beim Online-Shopping sollen virtuelle Grenzen fallen

Die EU möchte Geoblocking im Online-Handel weitgehend unterbinden. Ab dem Herbst nächsten Jahres sollen Verbraucher beliebige Waren und Dienstleistungen innerhalb der ganzen EU ebenso online einkaufen können wie zu Hause. Die Verbraucher dürfen nicht länger auf Webseiten mit nationalen Angeboten umgelenkt oder mit ungerechtfertigten Hindernissen konfrontiert werden.

So ist es künftig untersagt, dass Online-Händler ihre Kunden auffordern, mit einer in einem anderen Land ausgestellten Kreditkarte zu zahlen. Weitere Konstellationen führt die EU-Kommission auf:

1. Der Verkauf von Waren ohne physische Lieferung

Beispiel: Ein belgischer Kunde möchte einen Kühlschrank kaufen und findet das beste Angebot auf einer deutschen Website. Der Kunde ist berechtigt, die Ware zu bestellen und beim Händler abzuholen oder die Lieferung selbst zu organisieren.

2. Verkauf von elektronisch erbrachten Dienstleistungen

Beispiel: Eine bulgarische Kundin möchte Hosting-Services für ihre Website von einem spanischen Unternehmen kaufen. Sie wird nun Zugang zu diesem Service haben, sich registrieren und diesen Service kaufen können, ohne zusätzliche Gebühren im Vergleich zu einem spanischen Verbraucher bezahlen zu müssen.

3. Der Verkauf von Dienstleistungen, die an einem bestimmten physischen Ort erbracht werden

Beispiel: Eine italienische Familie kann eine Reise direkt zu einem Vergnügungspark in Frankreich kaufen, ohne auf eine italienische Website weitergeleitet zu werden.

Die Regelungen treten in neun Monaten in Kraft. Die Übergangsfrist soll es Händlern ermöglichen, ihre Angebote anzupassen.

Zwei Versicherungen müssen nur einmal zahlen

Wenn man „zufällig“ zwei Versicherungen hat, kann man dann auch bei einem Schaden doppelt abrechnen? Was nach einem schlauen Plan klingt, ist in Wirklichkeit keine gute Idee. In einem aktuellen Fall wies das Oberlandesgericht Oldenburg jetzt die Forderung eines Mannes ab, der einen Brandschaden von 40.000 Euro doppelt erstattet haben wollte.

Der Kläger hatte zwei Hausratspolicen. Dementsprechend wollte er seinen Schaden auch von beiden Versicherungen erstattet haben. Allerdings kam die Doppelversicherung durch einen Zufall heraus. Ebenso, dass der Mann schon mehrere Schäden gemeldet hatte. Den Versicherungen hatte er aber in diesen Fällen bestätigt, dass es keine weitere Versicherung gibt.

Nun durften beide Versicherungen die Leistung komplett verweigern, dann nach Meinung der Richter spricht vieles für eine gezielte Täuschung. Aber auch wenn keine Täuschung beabsichtigt sei, müsse stets nur der tatsächlich eingetretene Schaden erstattet werden. Entweder von einer Versicherung oder anteilig durch beide. Keinesfalls könne ein Versicherter mit der Zahl seiner Policen auch seine Ersatzansprüche vervielfachen (Aktenzeichen 5 U 18/17).

Anwaltskalender 2018: die Gewinner

Ich mache es kurz und schmerzlos. Hier sind die soeben ermittelten Gewinner der Verlosung des Anwaltskalenders 2018:

Ben Zucker
Valentin
Oliver Kranz
Gerwers
Zaiki
Vanessa
Pia
Grep
Axel
DonQ
Lukas
Someone
Felix
Handschuh
K.

Die Gewinner wurden per Mail benachrichtigt.

Bei allen Lesern bedanke ich mich für die Teilnahme am Gewinnspiel, das Interesse am law blog und auch am Anwaltskalender 2018 des Karikaturisten Wulkan.

Anwaltskalender 2018: letzter Aufruf

Eigentlich wollte ich am Wochenende noch mal auf die laufende Verlosung im law blog hinweisen. Es gibt insgesamt 15 Anwaltskalender des Karikaturisten wulkan zu gewinnen. Einzelheiten siehe hier.

Leider bin ich dann doch nicht dazu gekommen, so dass ich hiermit kurzerhand die Teilnahmefrist verlängere (das Verlängern von Fristen ist ohnehin eine anwaltliche Paradedisziplin). In diesem Fall bis morgen, Dienstag, im Laufe des Tages. Dann werden die Gewinner ermittelt.

Wer also schnell noch mitmachen will, hier ist die Gelegenheit. Es genügt ein Kommentar zu diesem oder dem früheren Beitrag.

Wer sich nicht auf sein Glück verlassen will, kann auch bei wulkan einen Kalender ordern. Der Kalender eignet sich auch als Weihnachtsgeschenk für entfernt lebende Freunde, Familie oder Geschäftspartner. Er wird nämlich auch gern an eine Wunschadresse des Bestellers geschickt. Es handelt sich übrigens um die Jubliäumsausgabe; der Anwaltskalender erscheint dieses Jahr zum 20. Mal.

Der Kalender kostet 20,95 Euro zzgl. 5,00 Euro Versandkostenpauschale. Bestellungen sind möglich unter wulkan@arcor.de oder telefonisch unter 0172-200 35 70. Über den Buchhandel ist der Anwaltskalender nicht erhältlich.

Beim Plädoyer hören die anderen zu

Anwälte fordern einen Maulkorb für andere Anwälte. Und werben damit indirekt für die Beschränkung eigener Rechte. Das gibt es selten. Aber der NSU-Prozess war schon immer für Überraschungen gut, warum auch für eine in diese unerfreuliche Richtung?

Gestern versuchte Wolfgang Stahl, ein Pflichtverteidiger der Angeklagten Beate Zschäpe, einen Nebenklägeranwalt zum Schweigen zu bringen. Nicht in irgendeiner Phase des Prozesses. Sondern während des Schlussplädoyers, für das dem Nebenklägeranwalt das Wort erteilt worden war. Eher allgemeine (Vor-)Bemerkungen des Anwalts zum Thema Rassismus (man kann sie hier nachlesen) brandmarkte Stahl als „politische Rede“, die im Gerichtssaal nichts verloren habe und die er untersagt haben wollte.

Zu einem Schlussvortrag im Strafprozess haben nicht nur die Anklage und die Verteidigung das Recht. Sondern auch die Vertreter der Nebenkläger. Das Plädoyer ist so was wie ein geschützter Raum. So lange er spricht, hat der Plädierende das Wort. Und die anderen hören zu. Ich persönlich habe erzwungene Unterbrechungen bei einem Plädoyer bislang nur in wenigen Fällen erlebt. Die weitaus meisten ergaben sich daraus, dass ein Verfahrensbeteiligter eine Pinkelpause brauchte. Einmal erlitt ein Schöffe einen Herzinfarkt, das war weniger erheiternd.

Wenn der Vorsitzende so was mit Wolfgang Stahl oder einem der anderen Verteidiger veranstaltet hätte, wäre deren Proteststurm mehr als einer im Wasserglas gewesen. Und das völlig zu Recht, denn offensichtlich hat der Nebenklägeranwalt ja nicht die Lottozahlen der letzten 15 Jahre verlesen (was mangels jedes Sachbezugs womöglich tatsächlich unzulässig wäre). Und wo führte es denn hin, wenn Gerichte den Schlussvortrag gerade auch des Angeklagten mit der Austaste fürs Mikrofon steuern dürften? Jedenfalls keinen Schritt in Richtung eines rechtsstaatlichen Verfahrens.

Das Gericht hat in der Situation völlig richtig und souverän reagiert. Beim Plädoyer im Strafprozess gelte ein „größtmöglicher Freiraum“, deshalb durfte der Nebenklägeranwalt weiter reden. Eigentlich schade, dass ein Gericht ausgerechnet einen Anwalt hierüber belehren muss.

„Unwürdig“ für den Anwaltsberuf?

Die Beleidigung eines Ausbilders sowie einer Staatsanwältin, die wegen der Beleidigung ermittelte, sollten einer jungen Volljuristin dauerhaft den Zugang zum Anwaltsberuf verschließen. So zumindest die Auffassung der Anwaltskammer Hamm, der Anwaltsgerichte und des Bundesgerichtshofs. Nun greift das Bundesverfassungsgericht ein und bremst den Eifer, mit dem die Juristin als „unwürdig“ für den Anwaltsberuf eingestuft wurde.

Weil sie von ihrem Ausbilder nur ein „befriedigend“ erhielt, war die damalige Rechtsreferendarin tatsächlich ausgetickt. In einer E-Mail belegte sie den zuständigen Staatsanwalt in einer regelrechten Tirade mit etlichen unschönen Worten. Später äußerte sie in einer weiteren E-Mail Zweifel an der Rechtstreue und den intellektuellen Fähigkeiten der Staatsanwältin, die in ihrem Fall ermittelte. Wegen der Beleidigung des Ausbilders wurde die Frau zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt.

Die Rechtsanwaltskammer Hamm griff ganz tief in die Kiste ihrer Möglichkeiten, um die Frau nicht in den Kollegenkreis aufnehmen zu müssen. Im Ergebnis sei diese charakterlich ungeeignet, um als Anwältin zu arbeiten. Sie sei als so „unwürdig“ anzusehen, dass sie nicht geeignet sei, den Beruf einer Rechtsanwältin „ordnungsgemäß“ auszuüben.

So einfach geht es nicht, sagt das Verfassungsgericht. Zwar stehe außer Frage, dass die Frau sich falsch verhalten habe und auch Zweifel an ihrer Eignung als Rechtsanwältin durchaus angebracht waren. Allerdings schütze das Grundrecht der Berufsfreiheit auch angehende Rechtsanwälte. Insofern müsse, so das Gericht, sehr genau abgewogen werden, ob ein tatsächliches öffentliches Interesse daran überwiegt, der Juristin den Weg in den Anwaltberuf zu verstellen.

Hier vermisst das Verfassungsgericht eine konkrete Prognose, warum aus dem Fehlverhalten der Frau abzuleiten ist, dass diese auch künftig in einer Art und Weise auftreten könnte, die mit dem Vertrauen in die Integrität der Rechtsanwaltschaft nicht vereinbar und dies die „funktionierende Rechtspflege“ bedroht. Die Berufsfreiheit dürfe nur eingeschränkt werden, wenn ein „besonders wichtiges“ Gemeinschaftsgut bedroht sei. Es klingen deutliche Zweifel an, dass der doch recht überschaubare Sachverhalt tatsächlich zu einer Bedrohung für die Rechtspflege aufgeblasen werden durfte. Letztlich mahnen die Richter auch eine „strikte Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit“ an.

Der Anwaltsgerichtshof Hamm muss die Sache jetzt neu entscheiden. Mit etwas mehr Augenmaß hätte man sich dort das Debakel offensichtlich ersparen können (Aktenzeichen 1 BvR 1822/16).

Verfassungsfeindlich tätowiert

Ein Berliner Polizeikommissar verliert endgültig seinen Job, weil ihm fehlende Verfassungstreue attestiert wird. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigt die Entlassung des Beamten, der seit 2007 keinen Dienst mehr macht, aber wegen der laufenden Verfahren weiter bezahlt wurde. Das Besondere an dem Fall: Das Gericht beantwortet die Frage, ob auch Tätowierungen eines Beamten ein Beleg für dessen innere Einstellung sein können.

Der Polizist hat Tätowierungen von Runenzeichen und Emblemen rechtsextremistischer, rassistischer Musikgruppen auf seinem Körper. Eine Tätowierung sei, so das Gericht, „zunächst nur eine Körperdekorierung“. Allerdings werde der Körper dadurch auch bewusst als Kommunikationsmedium eingesetzt. Schon wegen ihrer Dauerhaftigkeit ließen einschlägige Tätowierungen auf ein besonders intensives Bekenntnis zu den Organisationen und Ideologien schließen. Der Beamte ziehe also „außenwirksame Folgerungen aus seiner Überzeugung und bringt eine die verfassungsmäßige Ordnung ablehnende Einstellung zum Ausdruck“.

Die Richter sehen außerdem weitere Belege dafür, dass der Beamte nicht hinter dem Grundgesetz steht. So habe er wiederholt den Hitlergruß gezeigt, mit einer Hakenkreuzflagge posiert und NS-Devotionalien in seiner Wohnung aufbewahrt. Bei einer Gesamtbetrachtung sei „sein durch die Tätowierungen dokumentiertes Bekenntnis als grundsätzliche und dauerhafte Abkehr von den Prinzipien der Verfassungsordnung zu werten, die zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis führt“. Strafrechtlich ist der Polizist mehrfach freigesprochen worden (Aktenzeichen 2 C 25.17).

Die Riester-Rente ist „sicher“

Die vielgescholtene Riester-Rente hat zumindest einen greifbaren Vorteil: Beiträge, die in einen Riester-Vertrag eingezahlt wurden, sind nicht pfändbar. Dies hat der Bundesgerichtshof entschieden.

In dem Fall ging es um ein Riester-Guthaben von 333 Euro. Diese Summe bzw. den Rückkaufswert wollte der Insolvenzverwalter loseisen, der das Vermögen einer zahlungsunfähigen Frau verwaltete. Doch der Insolvenzverwalter hat nach dem Richterspruch keinen Zugriff auf den Riester-Vertrag. Das Guthaben stuft der Bundesgerichtshof nämlich als unpfändbar ein.

Voraussetzungen für den Pfändungsschutz sind nach dem Urteil, dass die Sparleistungen auch tatsächlich staatlich gefördert wurden. Außerdem darf der Höchstbetrag nicht überschritten werden (Aktenzeichen IX ZR 21/17).

Alle Jahre wieder: Die Anwaltskalender-Verlosung

Das Jahr neigt sich langsam dem Ende zu, und hier im law blog gibt es wie in jedem Herbst was zu gewinnen: den beliebten Anwaltskalender des Karikaturisten wulkan. Die Jubiläumsausgabe 2018 – der Kalender erscheint zum 20. Mal – ist druckfrisch erhältlich. Wir verlosen ab heute unter allen Lesern 15 Exemplare des Werks.

Der Kalender enthält 12 humorvolle Juristenmotive im DIN-A-3-Format, alles in klassischem schwarz-weiß und hochwertiger Spiralbindung.

Wie immer machen wir es einfach. Wer einen der Juristenkalender 2018 gewinnen will, schreibt bitte bis zum Sonntag, 19. November 2017, einen Kommentar zu diesem Beitrag. Bitte eine gültige E-Mail-Adresse hinterlassen. Die Gewinner werden ausschließlich über diese E-Mail-Adresse kontaktiert. Die E-Mail-Adressen geben wir nicht weiter und verwenden sie auch nicht für andere Zwecke. Unter allen Teilnehmern entscheidet das Los.

Fünf Kalender spendiert Karikaturist wulkan, zehn Kalender spendiert das law blog. Der Kalender wird den Gewinnern noch vor Weihnachten frei Haus geschickt.

Wer sich nicht auf sein Glück verlassen will, kann natürlich auch sehr gerne bei wulkan einen Kalender ordern. Der Kalender kann auch direkt an eine Wunschadresse gesandt werden; er eignet sich also auch als Weihnachtsgeschenk für entfernt lebende Freunde, Familie oder Geschäftspartner.

Der Preis beträgt 20,95 Euro zzgl. 5,00 Euro Versandkostenpauschale. Bestellungen sind schnell und unkompliziert möglich unter wulkan@arcor.de oder telefonisch unter 0172-200 35 70. Über den Buchhandel ist der Anwaltskalender nicht erhältlich.

Allen Teilnehmern wünschen wir viel Glück und allen Bestellern viel Freude mit dem Anwaltskalender.

Probieren wir es mal

„Ach, wir probieren es einfach mal mit der Verhandlung.“ Sprach die Richterin in einem Prozess, in dem sich mein Mandant wegen Körperverletzung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte verantworten muss.

Ich hatte am Telefon vorsichtig darauf hingewiesen, dass sich bei meinem Mandanten die Frage nach der Schuldfähigkeit stellt. Was sich wiederum aus der – dünnen – Gerichtsakte in dieser Sache nicht ohne weiteres erschließt. Ich zitiere aus einem aktuellen Arztbericht:

– Somatisierungsstörung
– Panikstörung
– Rezividierende Depression
– Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung
– Zwangsneurosen
– Posttraumatische Belastungsstörungen
– Dissoziative Störung
– Kombinierte Persönlichkeitsstörung

Insofern gehe ich jetzt erstmal gern in die Verhandlung. Denn bei dieser heftigen Diagnose bleibt als Ergebnis ernsthaft nichts anderes als ein Freispruch oder eine Einstellung des Verfahrens – jedenfalls so lange kein Sachverständigengutachten zur Schuldfähigkeit vorliegt. Im ersten Termin kann also kaum was Negatives herauskommen, und mit einer Einstellung könnte mein Mandant sehr gut leben.

Probieren wir es einfach mal…

Die 25-Euro-Grenze

Wer zu Unrecht „Opfer“ einer Ermittlungsmaßnahme wird, hat Anspruch auf Entschädigung. Dafür gibt es ein eigenes Gesetz. Mit dem Kleinvieh wollte sich der Staat aber anscheinend nicht beschäftigen, denn in § 7 StrEG heißt es:

Entschädigung für Vermögensschaden wird nur geleistet, wenn der nachgewiesene Schaden den Betrag von fünfundzwanzig Euro übersteigt.

Auf einem Schaden unter 25 Euro bleibt man als Bürger also in jedem Fall sitzen. Das ist jedenfalls eine interessante und doch eher großzügige Bagatellgrenze. Wäre vielleicht ganz nett, wenn die öffentliche Hand, die ja schon mal für Centbeträge gerne mahnt und vollstreckt, so eine Grenze für sich ebenfalls einführt.

Aber wie auch immer, mit der gesetzlichen Regelung musste ich mich jetzt beschäftigen, weil mein Mandant nach einer unrechtmäßigen Hausdurchsuchung die Reparaturkosten für eine verkratzte Wohnungstür haben wollte.

Bei der Türöffnung hatte der Schlüsseldienst das Türblatt verkratzt. Keine große Sache, die Reparatur kostete 28,01 Euro. Dass der Schaden entstanden ist, stellte der zuständige Staatsanwalt auch gar nicht in Frage. Wohl aber die Ersatzpflicht, denn nach seiner Rechnung betrug der Schaden nur 23,54 Euro.

Die Umsatzsteuer auf den Rechnungsbetrag müsse rausgerechnet werden, so sein Argument. Die Umsatzsteuer sei ja eine Steuer und könne somit kein Schaden sein. So jedenfalls habe ich die Argumentation verstanden. Es gingen dann einige Briefe hin und her. Schließlich gab der Staatsanwalt klein bei und sah ein, dass bei Privatpersonen, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, der Schaden doch die Umsatzsteuer umfasst.

Letztlich kriegte der Mandant also sein Geld. Und wir denken an diesen Fall, wenn mal wieder die Überlastung der Justiz lautstark beklagt wird.