Handsignierte „Juristen“ zu gewinnen

Wer noch ein Weihnachtsgeschenk für einen Juristen (oder auch einen bekehrungswürdigen Juristen-Hasser) sucht, sollte unbedingt weiterlesen. Rechtzeitig zur heißen Phase der Vorweihnachtszeit startet heute noch mal eine kleine Verlosung im law blog. Diesmal sind zehn aktuelle Bücher des Cartoonisten Tim Oliver Feicke zu gewinnen.

Im Band „Juristen“ nimmt Tim Oliver Feicke den Berufsstand pointiert aufs Korn. Dafür ist er auch hoch qualifiziert. Tagsüber arbeitet Feicke nämlich selbst als Richter in Schleswig-Holstein. Er veröffentlicht seine Cartoons in Tageszeitungen und Anthologien sowie im Eulenspiegel. Seine Juristencartoons erscheinen monatlich in den Fachblättern Deutsche Richterzeitung und RENOPraxis.

Jeden der zehn Bände, die es zu gewinnen gibt, hat der Autor handsigniert. Wer mitmachen möchte, schreibt bitte bis zum 14. Dezember einen Kommentar zu diesem Beitrag. Die Gewinner werden ausgelost und erhalten das Buch noch vor Weihnachten zugeschickt, gerne auch an eine Wunschadresse. Bei der Teilnahme bitte eine gültige E-Mail-Adresse angeben, da die Gewinner nur über die E-Mail-Adresse kontaktiert werden.

Wer sich nicht auf sein Glück verlassen könnte, kann „Juristen“ auch einfach bei Amazon (Direktlink) oder über den Buchhandel bestellen. Das Buch kostet 9,99 Euro.

Es gibt auch noch weitere Cartoon-Bände von Tim Oliver Feicke. Näheres auf seiner Homepage.

Der Cartoonist und das law blog bedanken sich beim Lappan Verlag, der die zehn Bände spendiert.

Gesunde Füße, eine lange Zeit

Aus einer Strafanzeige der Polizei:

Die bislang unbekannten Täter hebelten in den Nachtstunden zum 01.12.2017 den Lagerzugang zur Firma P. auf. Es handelt sich um einen Vertrieb für Pharma- und Drogerieartikel. Wegen krankheitsbedingt derzeit geringer Lagerbestände wurden nach Sichtung durch den Geschäftsführer P. folgende Gegenstände entwendet:

– ca. 2.050 Topfschwämme der Firma „aqualine“ (je 3 Stück, bunte Sortierung)

– ca. 1.300 Packungen Hühneraugenpflaster (Produktnummern etc. werden nachgereicht).

Ihr wisst also Bescheid, sofern euch jemand auf der Straße ein unwiderstehliches Angebot macht.

Anwälte dürfen auch mal auf Tische steigen

Der Koblenzer Mammutprozess gegen mutmaßliche Rechtsradikale vom „Aktionsbüro Mittelrhein“ muss fortgesetzt werden. Nach fast fünf Jahren Prozessdauer und 337 Verhandlungstagen hatte die Staatsschutzkammer des Landgerichts im Mai das Verfahren eingestellt, weil der Vorsitzende Richter in Rente ging und ein Ersatzrichter nicht zur Verfügung stand. Das Oberlandesgericht Koblenz sieht jedoch keinen Grund, dass der Prozess gegen ursprünglich 26, zuletzt 17 Angeklagte einfach so endet. Das Verfahren sei vor einer anderen Strafkammer fortzusetzen, ordnen die Richter in einem heute bekanntgegebenen Beschluss an.

Die Koblenzer Staatschutzkammer hatte die endgültige Einstellung vorrangig mit „überlanger Verfahrensdauer“ begründet. Verbunden damit waren schwere Vorwürfe gegen die Verteidiger. Diese hätten das Gericht mit 500 Befangenheitsanträgen, mehr als 240 Beweisanträgen und 400 Anträgen zum Verfahrensablauf bombardiert. Die Richter am Oberlandesgericht Koblenz sehen darin jedoch kein Fehlverhalten. Es gehöre zu den Rechten von Angeklagten und Verteidigern, „strafprozessuale Rechte besonders häufig oder in großem Umfang in Anspruch zu nehmen“. Die anwaltliche Berufsausübung unterliege grundsätzlich „der freien und unreglementierten Selbstbestimmung des Einzelnen“.

Insoweit attestiert das Gericht der Staatschutzkammer einen grundsätzlichen Denkfehler. Eine überlange Verfahrensdauer könne nur dann zu einer Einstellung des Verfahrens führen, wenn der Zeitverlust auf Versäumnissen der Justiz beruhe, etwa bei schleppenden Ermittlungen, vertrödeltem Verhandlungsbeginn und zu wenigen Verhandlungstagen in der Woche. Hier sei die monierte Verzögerung aber durch die legitime Verteidigungsstrategie der Angeklagten entstanden und somit nicht im Einflussbereich der Justiz.

Das Landgericht hatte auch moniert, dass einige Verteidiger mitunter skurrile Auftritte hinlegten. So bestieg ein Anwalt einmal einen Tisch, um von dort aus zu sprechen. Abgesehen davon, dass sich die zeitliche Verzögerung hieraus in Grenzen gehalten hat, erlaubt der „Kampf ums Recht“ nach Meinung des OLG Koblenz einem Verteidiger nicht nur die Benutzung starker, eindringlicher Ausdrücke, sondern auch ein Verhalten, das von anderen Verfahrensbeteiligten als stilwidrig, ungehörig oder als Verstoß gegen den „guten Ton“ und das Takt- und Anstandsgefühl empfunden werde.

Es sei auch kein Versäumnis der Justizbehörden, dass der Vorsitzende Richter die Altersgrenze erreicht habe. Das Rentenalter sei in Rheinland-Pfalz gesetzlich geregelt und somit bindend. Während ich den vorstehenden Begründungen als Anwalt wenig überraschend zustimme, ist die Argumentation des Oberlandesgerichts in diesem Punkt doch dürftig.

Zu Beginn des Verfahren im Jahre 2012 war schon abzusehen, dass der Prozess mit 26 Angeklagten und 52 Verteidigern sowie einer mehr als tausendseitigen Anklageschrift Jahre dauern würde. Es wurde aber nur ein Ersatzrichter hinzugezogen, und das, obwohl der Vorsitzende Richter gar nicht der erste Rentenanwärter war. Vielmehr ging schon ein beisitzender Richter knapp zwei Jahre nach Prozessbeginn in den Ruhestand. Der einzige Ersatzrichter war also schon frühzeitig fest „verplant“.

Es wäre also von vornherein erforderlich gewesen, zumindest zwei Ersatzrichter einzusetzen, zumal Richter ja nicht nur in Rente gehen, sondern auch mal erkranken oder gar sterben können. Genau darin ist nach meiner Meinung ein greifbares Versäumnis der Justiz zu sehen. Die mangelhafte Prozessplanung führt aber nun dazu, dass fünf Jahre lang ohne Ergebnis verhandelt wurde, obwohl sich die Beweisaufnahme in dem Verfahren an sich dem Ende zuneigte. Man könnte darin also schon einen Verstoß gegen den Anspruch jedes Beschuldigten auf ein zügiges Verfahren sehen.

Es wird sicher interessant, wie das nun zuständige Gericht das Verfahren angeht. Dass die Ehrenrunde so umfangreich ausfällt wie der erste Durchlauf, ist insbesondere auch dem Steuerzahler nicht zu wünschen. 20 bis 25 Millionen Euro dürfte das Verfahren schon bisher gekostet haben. Ein Aberwitz vor dem Hintergrund, dass den Angeklagten fast durchgehend nur kleinere Straftaten zur Last gelegt werden, über die normalerweise das Amtsgericht an einem Verhandlungstag entscheiden würde.

Grotesk aufgeblasen wurde das Verfahren letztlich nur, weil interessierte Kreise im Aktionsbüro Mittelrhein partout eine kriminelle Vereinigung sehen wollten. Das war nach meiner Meinung weniger der Faktenlage geschuldet, sondern mehr dem Umstand, dass die Innenbehörden des Bundes und der Länder im Jahr 2012 dringend Fahndungserfolge präsentieren wollten – um vom eigenen Versagen im NSU-Komplex abzulenken (Aktenzeichen 2 Ws 406 – 419/17).

Freiheit gegen Geld?

Von mit gibt es mal wieder eine neue ARAG-Kolumne. Diesmal zum Thema „Freiheit gegen Geld“. In dem Beitrag erkläre ich, wie das mit der Strafkaution in Deutschland funktioniert und warum diese bei uns eher ein juristisches Schattendasein führt. Auch die Situation bei Auslandsreisen wird beleuchtet.

Viel Spaß beim Lesen.

Stromrechnung schließt Nachforderungen nicht aus

Die Endabrechnung eines Stromanbieters schließt Nachforderungen nicht aus. Dies hat das Amtsgericht München entschieden.

In dem Fall hatte der Energielieferant für ein knappes Jahr eine Schlussrechnung von 12,85 Euro zugesandt (nach Verrechnung der Abschlagszahlungen). Diese Rechnung enthielt keinen Vorbehalt. Später teilte der Kunde dem Unternehmen selbst einen viel höheren Zählerstand mit. Es ergab sich eine Nachforderung von knapp 868,50 Euro, die der Anbieter zwei Jahre und zwei Monate nach der ersten Rechnung geltend machte.

Der Stromkunde stellte sich auf den Standpunkt, er müsse nicht zahlen. Anders das Amtsgericht: Eine Rechnung sei eine „Willenserklärung ohne rechtsgeschäftlichen Erklärungswert“. Die Rechnung könne nicht dahingehend ausgelegt werden, dass der Lieferant auf Nachforderungen verzichtet, wenn sich Fehler in der Rechnung ergäben.

Der Anspruch sei auch nicht nach § 242 BGB (Treu und Glauben) verwirkt. Der Zeitraum von etwas mehr als zwei Jahren sei noch nicht so erheblich, dass ein Kunde nicht mehr mit Nachforderungen rechnen müsse. Innerhalb der üblichen Verjährungsfrist von drei Jahren müsse jeder Schuldner damit rechnen, dass er noch in Anspruch genommen wird. Auch habe der Anbieter nicht von sich aus den Eindruck erweckt, dass jede Nachforderung ausgeschlossen ist (Aktenzeichen 264 C 3597/17).

Zu schnell abgeschleppt

Wenn ein noch angemeldetes, aber von Amts wegen stillgelegtes Fahrzeug abgeschleppt werden soll, dürfen Kommunen in NRW es nicht bei einem roten Zettel an der Windschutzscheibe belassen. Das Oberverwaltungsgericht Münster kassiert mit einer Entscheidung die Düsseldorfer Praxis, dem Halter das Abschleppen nur mit einem Aufkleber anzudrohen.

Geklagt hatte ein Mann, der 175 Euro bezahlen sollte, weil sein zwangsabgemeldetes Fahrzeug in Düsseldorf noch am Straßenrand stand. Die Polizei hatte die Kennzeichen entwertet und die Stadt informiert, die dem Halter mittels des Zettels eine mehrtägige Frist setzte, um sein Auto zu entfernen.

Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Münster lagen die Voraussetzungen für einen „Sofortvollzug“ nicht vor. Der Sofortvollzug sei nur in gesetzlichen Fällen außergewöhnlicher Dringlichkeit zulässig. Dass die Stadt alle zwangsabgemeldeten Fahrzeuge in der Form abschleppen lasse, verkehre das Regel-Ausnahme-Prinzip in sein Gegenteil. Es gebe insbesondere auch keine Vermutung, dass der Autobesitzer nicht gehandelt hätte, wenn er von der Androhung gewusst hätte.

An dem Auto waren wie gesagt noch die Schilder. Der Stadt wäre es also möglich gewesen, den Halter problemlos zu ermitteln und ihn anzuschreiben, so das Gericht. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hatte in der Sache vorher schon ebenso entschieden (Aktenzeichen 5 A 1467/16).

Deutsche Treibhausgase verantwortlich für Schäden in Peru?

Die Geschichte klingt stark nach David gegen Goliath. Der moderne David heißt Saul Lliuya und ist Bauer in Peru. Vom deutschen RWE-Konzern verlangt Lliuya Geld, weil die RWE-Kraftwerke in Deutschland CO2 in die Atmosphäre pusten und so den Klimawandel vorantreiben. Vom Klimawandel ist der Landwirt in Peru akut betroffen. In der Nähe seines Hauses schmilzt nach seiner Darstellung ein Gletscher. Die Kosten für den Hochwasserschutz möchte LLiuya nun anteilig vom deutschen RWE-Konzern erstattet erhalten – und das Oberlandesgericht Hamm ebnet ihm hierzu derzeit den juristischen Weg.

Exakt 0,47 Prozent der weltweiten Treibhausgase stammen vom RWE, haben LLiuya bzw. seine Unterstützer von der Umweltorganisation Germanwatch errechnet. Das sei ein so beträchtlicher Anteil, dass das RWE greifbare Mitverantwortung für die klimabedingten Schäden trage – auch in Peru. Das RWE dagegen argumentiert, die weltweiten Treibhausgase hätten eine Vielzahl von Verursachern. Sie könnten nicht einem einzelnen Emittenten zugerechnet werden.

Diese schlichte Begründung scheint das Oberlandesgericht Hamm aber nicht zu überzeugen. Die Richter weisen darauf hin, auch rechtmäßiges Handeln verpflichte nach deutschem Recht zu Schadensersatz, wenn es das Eigentumsrecht eines anderen beeinträchtige. Die Klage sei auch schlüssig, weil der Kläger vom RWE nur anteiligen Schadensersatz verlange.

Dementsprechend ordnet das Oberlandesgericht nun eine Beweisaufnahme an. Ein Sachverständiger soll unter anderem klären, ob der Gletscher abschmilzt und das Haus des Bauern bedroht, ob hierfür tatsächlich der Klimawandel ursächlich ist und ob der Anteil von RWE an der „Verursachungskette“ bei 0,47 Prozent oder eventuell bei einem anderen Satz liegt.

Sollte sich all dies bestätigen, müsste das RWE mit einer Verurteilung rechnen. Es liegt auf der Hand, welche Signalwirkung ein Sieg von Saul Lliuya hätte. Deutsche CO2-Emittenten hätten dann mit Klagen aus der ganzen Welt zu rechnen. Allerdings ist mit der angeordneten Beweisaufnahme natürlich noch nicht gesagt, dass die Sachverständigen am Ende Lliuyas Sicht der Dinge bestätigen. Der Bauer gibt sich aber kämpferisch: „Das wird noch ein langer weg. Aber als Bergsteiger bin ich steinige Wege gewohnt“ (Aktenzeichen 5 U 15/17).

TK-Anbieter müssen in der Rechnung über Kündigungsfristen informieren

Hand aufs Herz: Wer kennt schon die genaue Kündigungsfrist für seinen Handy-, Telefon- oder Internetvertrag? Besonders ärgerlich kann das bei Anbietern werden, die eine Kündigung drei Monate vor Vertragsablauf verlangen. Ist die Frist verpasst, läuft der abgeschlossene Vertrag erst mal ein oder zwei Jahre weiter.

Dieses Problem ist ab morgen Vergangenheit. Telefon- und Internetanbieter sind nämlich ab dem 1. Dezember 2017 verpflichtet, auf jeder Monatsrechnung festzuhalten, bis wann der Vertrag läuft und – noch wichtiger – bis zu welchem Tag er spätestens gekündigt werden muss, um eine Verlängerung zu verhindern. Außerdem muss auf der Rechnung das Datum des Vertragsbeginns stehen.

Künftig genügt für den Verbraucher also ein Blick auf die monatliche Abrechnung, um den Stichtag für eine Kündigung im Auge zu behalten. Auch Gewerbetreibende oder Selbständige können darauf bestehen, dass der Telekommunikationsanbieter sie entsprechend informiert. Allerdings müssen sie den Anbieter hierzu auffordern.

Telekommunikationsanbietern, welche die neuen Transparenzangaben unterlassen, droht ein Bußgeld. Diese und andere durchaus verbraucherfreundliche Regelungen finden sich in der TK-Transparenzverordnung.

96-Jähriger soll vierjährige Haftstrafe antreten

Das OLG Celle hat entschieden, dass der ehemalige SS-Buchhalter Oskar Gröning, der wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen zu vier Jahren Haft verurteilt worden ist, seine Haftstrafe antreten muss.

Der 96-jährige Oskar Gröning war am 15.07.2015 vom Landgericht Lüneburg wegen Beihilfe zum Mord in dreihunderttausend Fällen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt worden. Das Urteil ist rechtskräftig. Gröning beantragte wegen seines Gesundheitszustandes Vollstreckungsaufschub, scheiterte jetzt aber in letzter Instanz vor dem Oberlandesgericht.

Das Gericht geht auf der Basis eingeholter Sachverständigengutachten davon aus, dass der Verurteilte trotz seines hohen Alters vollzugstauglich ist. Es verstoße auch nicht gegen Grundrechte des Verurteilten, ihn in den Strafvollzug aufzunehmen. Bei Abwägung der Rechte des Verurteilten mit dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, überwiege letzteres. Es sei die Pflicht des Staates, die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger und deren Vertrauen in die Funktionsfähigkeit staatlicher Institutionen zu schützen und die Gleichbehandlung aller in Strafverfahren rechtskräftig Verurteilten zu gewährleisten. Den besonderen Bedürfnissen des Verurteilten aufgrund seines hohen Alters könne durch entsprechende Vorsorge im Vollzug Rechnung getragen werden, heißt es in dem Beschluss.

Was die Aufarbeitung der KZ-Greuel und des gesamten NS-Erbes anbetrifft, haben sich die erwähnten „staatlichen Institutionen“ seit Gründung der Bundesrepublik nicht gerade durch übertriebenen Eifer hervorgetan. Es ist wohl kaum zu bestreiten, dass über Jahrzehnte hinweg gerade keine ernsthaften Versuche unternommen wurden, das damalige Unrecht konsequent aufzuarbeiten. Die weitaus meisten (Haupt-)Täter sind wohlversorgt verstorben, viele blickten noch auf eine schöne Karriere im öffentlichen Dienst zurück.

Ich persönlich empfinde es vor dem Hintergrund dieser offenkundigen Versäumnisse verfehlt, das damalige Wegschauen nun durch übertriebene Härte gegenüber einem fast Hundertjährigen zu kompensieren. Das Vertrauen in den Rechtsstaat lebt auch davon, dass der Staat Augenmaß zeigt, nicht in Extreme verfällt und damit sein menschliches Antlitz verliert.

Angeblich, so das Gericht schneidig, muss mit der Vollstreckung das „Vertrauen in die Gleichbehandlung aller in Strafverfahren rechtskräftig Verurteilten“ geschützt werden. So eine Aussage empfinde ich als heuchlerisch. Jeder andere kranke 96-Jährige hätte gute Aussichten, dass er eine vierjährige Haftstrafe nicht antreten muss – wenn es es sich nicht um eine mit Konzentrationslagern konnotierte Straftat handelte. Gerade auch deswegen, weil die Tat mehr als ein dreiviertel Jahrhundert zurückliegt. Das weiß jeder Richter, Staatsanwalt und Anwalt, der auch nur ab und zu mit solchen Fällen betraut ist. Aber auch Nichtjuristen wissen zu deuten, welche Signale der Staat aussendet. Hier ist es definitiv das Falsche (Aktenzeichen 3 Ws 491/17).

Keine Mondpreise für Telefonate in der Haft

Haftanstalten dürfen den Gefangenen keine Mondpreise für Telefonate berechnen. Auch nicht über Drittfirmen. Dies stellt das Bundesverfassungsgericht in einem heute veröffentlichen Beschluss klar. Die Richter geben einem Inhaftierten aus Schleswig-Holstein recht, der nach einem von einem privaten Exklusivanbieter vollzogenen Tarifwechsel plötzlich doppelt so viel für Telefonate nach draußen zahlen sollte.

Laut dem Gericht haben Gefangene zwar keinen Anspruch auf Gratisgespräche. Aber die Telefonkosten müssen ungefähr denen in der Freiheit entsprechen. Aufschläge seien nur zulässig, sofern sie sich aus speziellen „verteuernden Bedingungen und Erfordernissen“ des Strafvollzugs ergeben. Dies resultiere aus der Fürsorgepflicht der Haftanstalt für das Vermögen der Gefangenen, dem Resozialisierungsgebot und aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Letzteren definiert das Gericht sehr einprägsam dahingehend, Strafe dürfe bei uns nur „ein in seinen negativen Auswirkungen auf die Persönlichkeit des Betroffenen nach Möglichkeit zu minimierendes Übel“ sein.

Die Haftanstalt hatte sich vertraglich 15 Jahre an den Anbieter gebunden und berief sich darauf, dass sie in der Vertragslaufzeit keinen Einfluss auf die Entgelte habe. Das Outsourcing rechtfertigt laut dem Richterspruch aber keine Abkopplung von den marktüblichen Tarifen. Wenn die Haftanstalt ungünstige und nicht zeitgemäße Verträge abschließe, sei das ihr Problem und dürfe das nicht auf den Gefangenen abgewälzt werden.

Die Entscheidung hat für viele Vollzugsanstalten Bedeutung. Denn nicht überall, aber doch weit verbreitet, müssen Gefangene selbst für Telefonate ins deutsche Festnetz Sätze zahlen, die man draußen höchstens bei Telefonaten nach Übersee kennt (Aktenzeichen 2 BvR 222/16).

Auch absoluter Schutz ist relativ

Die Kommunikation zwischen einem Verteidiger und seinem Mandanten ist besonders sensibel. Deshalb gibt es einschlägige Vorschriften, und auch das Bundesverfassungsgericht hat schon diverse Machtworte gesprochen. Die entsprechenden Paragrafen sind sehr kompliziert formuliert, deshalb zitiere ich das, was ein Kommentar zur Strafprozessordnung schön zusammenfasst:

Die Kommunikation des Beschuldigten mit seinem Verteidiger ist nahezu absolut geschützt.

Da ist man als Verteidiger natürlich nicht sehr erfreut, wenn man beim Durchblättern der Ermittlungsakte auf Mails stößt, die einem vertraut vorkommen. Weil man sie selbst mit dem Mandanten gewechselt hat. Gut, könnte man sagen, die Polizei hat halt einen Beschlagnahmebeschluss des Gerichts ausgeführt und sich vom E-Mail-Provider den gesamten Inhalt des Postfachs des Beschuldigten zusenden lassen. Woher sollten die denn auch vorher wissen, was sich im Postfach findet?

Angesichts der eingangs dargelegten Rechtslage wird es aber schon etwas bizarr, wenn die zuständige Polizeibeamtin dann gezielt nur die Mails zwischen Anwalt und Verteidiger raussucht (weil es darin ja auch um die betreffende Sache geht) – und diese Mails dann stolz als „Ermittlungsergebnis“ an die Staatsanwaltschaft übersendet. Nach dem Motto: Wir haben zwar keine Beweise, aber die Mails sind ja auch eine Art Geständnis.

Sind sie schon inhaltlich nicht, aber darauf kommt es gar nicht an. Als Verteidiger bleibt man notgedrungen Optimist. Wenn sich die Polizei nicht für die Rechtslage interessiert, dann wird es doch wenigstens der zuständige Staatsanwalt tun. An sich hätte dieser sämtliche Mails aus der Akte nehmen, die dazu gehörigen Dateien löschen und dokumentieren müssen, wie dies genau geschehen ist.

Passiert ist nichts von alledem. Stattdessen kriege ich als Verteidiger die Akte mit der Mandantenpost zur Einsicht zugesendet, obwohl sich aus Unterlagen ergibt, dass der Staatsanwalt noch diverse Male in die Unterlagen geguckt haben muss. Unbekannt waren ihm die Verteidigungsunterlagen also definitiv nicht. Getriggert hat’s bei ihm aber nicht.

Ich werde mal nachhelfen und den telefonisch fragen, ob er die fraglichen „Ermittlungsergebnisse“ nicht wenigstens jetzt noch aus der Akte nehmen will. Ich bin eigentlich guter Dinge, dass dies ohne großen Stress klappen wird. Wie gesagt, die betreffenden Paragrafen sind schon sehr kompliziert…

Mich selbst ziehe ich kräftig an den Ohren und nehme mir vor, Mandanten noch eingehender auf die Möglichkeit hinzuweisen, verschlüsselte Mails zu wechseln.

Großartig: Dienstleister druckt mir die E-Mails aus

Die Vorfreude auf das „besondere elektronische Anwaltspostfach“ (beA) entspricht ungefähr der Meinung über das heutige Wetter. Brrrrr. Jedenfalls unter den Anwälten, mit denen ich schon mal darüber spreche. Ab 1.1.2018 wird aber wohl oder übel eine Art passiver Nutzungspflicht eingeführt. Das heißt, über das beA zugesandte Nachrichten gelten möglicherweise als zugestellt, auch wenn man als Anwalt gar nicht in sein beA-Postfach guckt.

Für beA-Muffel, die sich das sperrige IT-Gedöns nicht antun, aber trotzdem keine Risiken eingehen wollen, zeigt sich jetzt ein wenig Licht am Horizont. Ein Dienstleister bietet nämlich einen beA-Service, der gleichermaßen simpel wie clever ist. Die Firma Soldan (jedem Anwalt bekannt als Lieferant von Aktenbögen, Vollmachten und den sonstigen Bürobedarf) nimmt ihren Anwalts-Kunden die leidige Aufgabe ab, selbst ins beA zu schauen oder mit einem mulmigen Gefühl zu leben.

Sollte sich nämlich wider Erwarten doch mal eine Nachricht in ein nur passiv genutztes Postfach verirren, druckt Soldan die Mail aus und schickt sie dem Anwalt per Briefpost zu. Das Ganze kostet 20 Euro im Monat, zuzüglich dem Porto für die einzelnen Nachrichten.

Es gibt ja ohnehin Stimmen, die dem beA das gleiche Schicksal prophezeien wie De-Mail oder der Gesundheitskarte. Der Abruf- und Ausdruckservice könnte also eine nervenschonende Alternative sein. Wenn das beA dann für tot erklärt wird, kann man ja wieder kündigen.

Kalte Frikadellen mit Salzgurken

In Baden-Württemberg dürfen kleinere Gaststätten ihren Gästen das Rauchen erlauben, wenn in dem Lokal nur „kalte Speisen einfacher Art zum Verzehr an Ort und Stelle verabreicht“ werden. Was aber ist, wenn sich Gäste die Pizza von einem Lieferdienst in die Kneipe bringen lassen? Diese Frage hat jetzt das Oberlandesgericht Karlsruhe ganz im Sinne hungriger Gaststättenbesucher beantwortet – und eröffnet so womöglich ein Schlupfloch im ewigen Streit zwischen Rauchern und Nichtrauchern.

Im entschiedenen Fall hatten sich mindestens vier Gäste „Pizzen mit Salatbeilage“ ins Lokal liefern lassen. Der Gastwirt stellte ihnen auf Wunsch Essbesteck zur Verfügung. Für die Ordnungsbehörde ein klarer Verstoss gegen den Nichtraucherschutz, der mit einem Bußgeld zu ahnden ist. Das Oberlandesgericht Karlsruhe zieht jedoch wirklich alle Register für eine saubere juristische Begründung des Gegenteils.

Zunächst stellt sich die Frage, ob eine Pizza nicht möglicherweise eine „kalte Speise einfacher Art“ ist. Diese kalte Speise wäre auch in einer Raucherkneipe erlaubt. Dazu erklären die Richter erst mal, was man unter einer kalten Speise einfacher Art verstehen darf:

Belegtes Brot oder Brötchen, Sandwiches, Butterbrezeln, kalte Frikadellen mit Salzgurken, kalte Kasseler, Sülzen mit Senf, Dauerwurst und andere kalte Räucherwaren, (Wurst- oder Käse-)Salate, Käse, kalte gekochte Eier, einfaches kaltes Gemüse, kalte Backwaren, Konserven, Konfitüren, Salzgebäck, Kekse und ähnliches.

Der Salat fällt da noch drunter, sagen die Richter. Bei der Pizza tun sich die Juristen allerdings schwer. Sicherheitshalber erklären sie aber vorab, was eine Pizza ist:

(Bei einer Pizza) handelt es sich um eine – meist heiß servierte – aus dünn ausgerolltem und mit Tomatenscheiben, Käse u.a. belegtem Hefeteig gebackene pikante italienische Spezialität (Duden, Stichwort „Pizza“). Mangels gegenteiliger Feststellungen ist davon auszugehen, dass die Pizzen entsprechend den ganz üblichen Liefer- und Verzehrgewohnheiten jedenfalls noch im warmen Zustand angeliefert worden waren, sodass es sich bei diesen nicht um eine „kalte“ Speise gehandelt hat.

Damit war der Wirt aber noch nicht überführt. Das Gaststättengesetz fordert nämlich, dass er die Speisen „verabreicht“. Das Gericht betreibt hier intensive Sprachkunde:

Der Begriff des „Verabreichens“ bedeutet als transitives Verb „jemandem etwas (eine Substanz) zu essen, zu trinken, zum Einnehmen o. Ä. geben, damit dieser es einnimmt“ (Duden, Stichwort „verabreichen“; www.wortbedeutung.info, Stichwort „verabreichen“). Der Wortsinn ist daher enger als der – übergeordnete – allgemeinere Begriff „geben“ (www.wortbedeutung.info aaO). Dies zeigt sich auch an den Synonymen zu dem Verb „verabreichen“, bei denen es sich um „einflößen“, „(ein)geben“, (Medizin) „applizieren“ und „verabfolgen“ handelt (Duden aaO). Angesichts dessen wurde durch die bloße Übergabe des Bestecks an die Gäste, das lediglich als „Esshilfe“ Verwendung finden sollte, keine (warme) Speise verabreicht.

Und weiter:

Der Fall ist vergleichbar mit der Abgabe heißen Wassers durch den Wirt an einen Gast, welcher sich sodann unter Verwendung von ihm selbst mitgebrachter Teebeutel oder mitgebrachten Kaffeepulvers ein heißes Getränk zubereitet; hierdurch wird kein Getränk „verabreicht“, weil der Gast die Art des Getränkes bestimmt und nicht der Wirt (Erbs/Kohlhaas/Ambs, GastG, 215. EL Juni 2017, § 1 Rn. 13).

Also hat der Wirt die Fremdesser in seinem Lokal geduldet, aber gleichwohl nichts im Sinne des Gesetzes verabreicht. Zumal das Gericht ergänzend darauf hinweist, dass das Besteck möglicherweise nur erbeten wurde, um den Salat essen zu können. Auch hier verweisen die Richter, offensichtlich gestählt durch eigene Sachkunde, auf die einschlägigen Gepflogenheiten bei Bringdiensten:

Durch Pizzalieferdienste überbrachte Pizzen (sind) üblicherweise bereits vorgeschnitten, so dass man bei diesen zum Verzehr nicht auf Besteck angewiesen ist.

Der Wirt freut sich über einen Freispruch (Aktenzeichen 2 Rb 8 Ss 606/17).

Überzogenes Hausverbot im Jobcenter

Etwas über das Ziel hinausgeschossen ist das Jobcenter Märkischer Kreis. Dessen Chef hatte einem Leistungsbezieher, der gleichzeitig als Beistand im Verein aufRECHT in Iserlohn tätig ist, ein 18-monatiges Hausverbot erteilt. Der Mann hatte im Juni im Wartebereich des Jobcenters ein Foto von einem Vordruck der Behörde gemacht.

Mit dem Bild verstieß der Mann zwar gegen das Fotografierverbot in den Räumen des Jobcenters. Allerdings rechtfertigt der Verstoß gegen die Hausordnung nach Auffassung des Sozialgerichts Dortmund keine derart harte Maßnahme. Die Aufnahme habe nicht zu einer „massiven oder nachhaltigen Störung des Geschäftsbetriebs“ geführt. Daher hätte es auch gereicht, das Hausverbot anzudrohen.

Auch die Dauer des Hausverbots bis zum 31.12.2018 hält das Gericht für unverhältnismäßig lang. Eine einmalige „Störung des Dienstbetriebs“ rechtfertige es keinesfalls, den Antragsteller für rund anderthalb Jahre von einer Tätigkeit als Beistand von Leistungsbeziehern auszuschließen.

§ 13 SGB X gibt jedem Leistungsbezieher unter anderem das Recht, bei Behördenterminen mit einem Beistand zu erscheinen (Aktenzeichen S 30 AS 5263/17 ER).

Ein alter Paragraf, bislang keine Urteile

Weil sie auf ihrer Webseite als Leistung unter anderem Schwangerschaftsabbrüche erwähnte und auch Informationsmaterial zur Verfügung stellte, ist eine Ärztin in Gießen zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Das Amtsgericht Gießen sieht hierin eine unerlaubte Werbung für Schwangerschaftsabbrüche nach § 219a StGB.

Wohlgemerkt, die Medizinerin darf Schwangerschaften abbrechen, wenn ihre Patientinnen eine Bescheinigung über die gesetzlich vorgeschriebene Beratung haben. Sie darf aber nicht öffentlich erwähnen, dass sie Schwangerschaften abbricht. „Der Gesetzgeber möchte nicht, dass über den Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit diskutiert wird als sei es eine normale Sache“, zitiert die Süddeutsche Zeitung die Richterin.

Egal, ob man das im Ergebnis richtig oder falsch findet, genau so wird der einschlägige Paragraf bislang verstanden. Alle Strafrechtskommentare weisen darauf hin, dass es wohl reicht, wenn ein Arzt auf seine Bereitschaft für eine entsprechende Behandlung hinweist, möglicherweise sogar zwischen den Zeilen. So wollte es wohl auch der damalige Gesetzgeber. Weitere Voraussetzung ist dann nur, dass der Arzt wegen eines Vermögenvorteils handelt. Aber auch das ist natürlich keine große Hürde, denn auch die Gießener Ärztin arbeitet natürlich nicht umsonst.

Bleibt als Rückzugsmöglichkeit nur das, was die Verteidigerin der Angeklagten vorbringt. Dass es sich nämlich noch gar nicht um ein „Angebot“ handelt, sondern lediglich um eine sachliche Information. Wichtig ist ja, dass die Überschrift des § 219a StGB ausdrücklich lautet:

Werbung für den Abbruch der Schangerschaft

Alles, was nach dem Oberbegriff also gar keine „Werbung“ ist, wäre somit vielleicht doch nicht von der Regelung erfasst. Überdies ist bei fehlendem eigenem Erwerbsinteresse ansonsten auch nur das „grob anstößige“ Handeln untersagt. Das bedeutet, dass Personen und Institutionen, die kein eigenes Erwerbsinteresse haben, jedenfalls sachlich über Schwangerschaftsabbrüche informieren dürfen. Wieso das dann einer Ärztin untersagt werden muss, ist dann wirklich eine Frage. Das Isso vom Amtsgericht Gießen hilft jedenfalls kaum weiter, wenn man nach Sinn und Unsinn der Vorschrift fragt.

Immerhin scheint die deutsche Justiz auch gewisse Probleme mit der Vorschrift zu haben. Bis nun die Gießener Strafverfolger tätig wurden, gab es wohl immer mal wieder Strafanzeigen gegen Abtreibungsärzte, die öffentlich über ihre Tätigkeit informierten. Die Verfahren wurden aber anscheinend alle eingestellt.

Jedenfalls ist der § 219a StGB einer der wenigen Paragrafen, für den die Urteilsdatenbanken kein einziges Strafurteil auswerfen. Also ist es keineswegs ausgeschlossen, dass die nächsten Instanzen und letztlich das Bundesverfassungsgericht die Schwelle zur verbotenen Werbung doch etwas höher hängen als das Gießener Amtsgericht. Am Ende könnte da auch der Zeitgeist eine Rolle spielen. Der dürfte sich seit den Siebzigern doch etwas gewandelt haben.