Akteneinsicht ohne Anwalt – wo kommen wir da hin?

Vorhin saß mal wieder ein Mandant bei mir im Büro, der sich den Gang zum Anwalt und die damit verbundenen Kosten eigentlich sparen wollte. Es geht um einen Streit mit seinem Nachbarn, der in Tätlichkeiten eskaliert sein soll. Doch statt brav einer Vorladung der Polizei zu einer Beschuldigtenvernehmung Folge zu leisten, besann sich der Mandant auf das, was wir Anwälte ja (fast) immer raten: Erst mal braucht man Akteneinsicht, dann sagt man womöglich was zur Sache.

Ganz so einfach war das mit der Akteneinsicht nicht. Der Polizeibeamte schrieb immerhin zurück, er leite den „Wunsch“ meines Mandanten an die Staatsanwaltschaft weiter. „Von dort kriegen Sie dann nähere Nachricht.“ Knapp zwei Wochen später meldete sich dann wirklich ein Staatsanwalt mit einem trockenen Bescheid:

Akteneinsicht wird grundsätzlich nur über einen Verteidiger gewährt.

Äh, wie bitte? Das klingt zwar sehr entschieden, hat mit der gültigen Rechtslage aber schon seit vielen Jahren nichts zu tun. Aktuell ist das eigene Akteneinsichtsrecht des Beschuldigten zum Jahresbeginn sogar noch ausgeweitet worden. § 147 Abs. 4 StPO sieht in seiner brandneuen Fassung ausdrücklich folgendes vor:

Der Beschuldigte, der keinen Verteidiger hat, ist in entsprechender Anwendung der Absätze 1 bis 3 befugt, die Akten einzusehen und unter Aufsicht amtlich verwahrte Beweisstücke zu besichtigen, soweit der Untersuchungszweck auch in einem anderen Strafverfahren nicht gefährdet werden kann und überwiegende schutzwürdige Interessen Dritter nicht entgegenstehen. Werden die Akten nicht elektronisch geführt, können ihm an Stelle der Einsichtnahme in die Akten Kopien aus den Akten bereitgestellt werden.

Auch die bisherige Gesetzesfassung ließ keinen Zweifel zu, dass ein Beschuldigter im Regelfall selbst Akteneinsicht zu erhalten hat. Einfach so abwimmeln geht also auf keinem Fall. Ich habe dem Mandanten einen kleinen Brief vorformuliert, mit dem er dem offensichtlich unwilligen Staatsanwalt mal so ein bisschen auf den Geist gehen kann.

Schauen wir mal, ob und wann dieser seine „Grundsätze“ über Bord wirft und sich gesetzeskonform verhält.

Verstrickungs, bitte was, bruch

Dass ein Beschuldigter im Strafverfahren die gegen ihn vorliegenden Beweismittel mampft, klingt eher nach dem Drehbuch eines Krimis. Doch es passiert auch im wirklichen Leben, wie jetzt ein Fall am Amtsgericht München zeigt.

Im Wagen eines möglichen Drogenkonsumenten hatte die Polizei eine kleine Verpackung gefunden, deren Inhalt nach Marihuana roch. Während die Beamten vor Ort den Ablageort der Drogen fotografierten und ansonsten den in so einem Fall üblichen Dienstgeschäften nachgingen, nutzte der Betroffene die Gunst der Minute – nachdem er aber angeblich vorher zugegeben hatte, dass der Stoff ihm gehöre. Ein Polizist schilderte vor Gericht die Abläufe:

Dann hat sich der Herr … in einem guten Moment, wo keiner von uns irgendwie drauf achtete, die Alufolie von der Motorhaube gepackt. Ich sah nur noch, wie er es in den Mund steckte. Dann lief er Haken. … Ich konnte ihn nicht mehr erreichen. Er war dann auch weg. Ja, er wollte es eigentlich am Anfang über die Hecke werfen, glaube ich, hat sich aber dann wohl gedacht, dass wenn er das macht, wir da rüber gehen und es wieder holen.

Die Vernichtung der Beweismittel quittierte das Gericht nicht nur mit einer Verurteilung wegen Besitzes von Betäubungsmitteln. Die Richterin sah auch einen eher selten gezogenen Paragrafen als erfüllt, nämlich den „Verstrickungsbruch“ nach § 136 StGB; das heißt die Vernichtung einer bereits beschlagnahmten Sache.

Trotz des Stunts, den der Angeklagte hinlegte, fiel das Urteil mit 50 Tagessätzen trotzdem eher noch milde aus. Kann also sein, dass er sich vielleicht nicht besonders geschickt, aber aus seiner Sicht trotzdem schlau verhalten hat.

Details stehen in der Pressemitteilung des Amtsgerichts München

Der Sitzenbleiber

Es ist immer wieder interessant, wenn man im Strafprozess nicht der einzige Anwalt im Saal ist. Auf der einen Seite kann man oft was daraus lernen, wie die Kollegen agieren. Und reagieren. Das geht über konventionelle Verteidigungstaktik und juristische Fachfragen hinaus, jedenfalls in einem aktuellen Fall.

Da sitze ich mit etlichen Anwälten unterschiedlichsten Temperaments und den verschiedensten Grundhaltungen in einer Hauptverhandlung. Die wird noch einige Zeit dauern und ist einer der Gründe, warum es momentan mitunter etwas ruhig im law blog ist. Im Gericht gibt es aber genug Zeit für Feldstudien. Ein Kollege, das Gericht würde wahrscheinlich von einem „Konfliktverteidiger“ sprechen, legt zum Beispiel immer mal wieder geschickt Stöckchen aus. In der Hoffnung, dass das Gericht darüber springt.

Sein jüngster „Coup“: Er erhob sich nach der Mittagspause nicht, als das Gericht wieder den Saal betrat. Keine große Sache, sollte man meinen. Aber halt nicht bei einem Gericht, das erkennbar Wert auf solche Respektsbezeugungen legt. Kaum blieb der Anwaltskollege demonstrativ sitzen, machte sich auf der Richterbank deutliche Empörung breit. Diese mündete in der Anordnung, das Verhalten des mutmaßlich unbotmäßigen Anwalts im Klassenbuch, bei Gericht spricht man vom Protokoll, zu vermerken.

Da fragt man sich nur, warum so was ins Verhandlungsprotokoll gehören sollte. Natürlich nicht, um später Fleißkärtchen zu verteilen. Sondern es geht hier offenbar darum, die Grundlage für eine spätere Disziplinierung des Verteidigers zu schaffen.

Dumm halt nur, dass der Anwalt gar nichts Falsches gemacht hat. Mittlerweile ist juristisch nämlich ziemlich eindeutig geklärt, dass es eine Pflicht zum Aufstehen nur gibt, wenn die Sitzung beginnt, Zeugen oder Sachverständige vereidigt werden oder wenn ein Urteil verkündet wird. Mit dem „Sitzungsbeginn“ ist immer der Beginn des betreffenden Verhandlungstages gemeint. Es genügt also 1 x Aufstehen pro Tag.

Ein Anwalt, der sich nach der Mittagspause nicht erhebt, verhält sich also nicht ungebührlich gegenüber dem Gericht. Auch nicht, wenn er ausdrücklich zum Aufstehen aufgefordert wird. Denn das ist ja dann nur eine höfliche Bitte, weil es keine juristische Grundlage für eine solche neuerliche Geste nach Beginn der Sitzung gibt.

Klar, man kann das Verhalten des Anwalts als kindisch empfinden. Ich persönlich habe normalerweise keine Probleme damit, beim wiederholten Einzug von Richtern aufzustehen, wenn diese erkennbar Wert darauf legen. So lange auf meine Marotten fair Rücksicht genommen wird oder zumindest das Verhandlungsklima nicht durch das Gericht vergiftet wird, kann ich auch mal solchen Befindlichkeiten auf der Richterbank genügen. Einen Einfluss auf die Rechtsfindung hat das ja ohnehin ebenso wenig wie die Frage, ob Gericht, Staatsanwalt und Anwälte sich allmorgendlich in schwarze Kutten hüllen.

Eher witzig bleibt am Ende der Umstand, dass letztlich das Gericht selbst ist, welches dem Anwaltskollegen zu seinem kleinen Triumph verhilft. Statt über das (juristisch zulässige) Sitzenbleiben des Anwalts hinwegzusehen, wird dessen Verhalten im Hauptverhandlungsprotokoll festgehalten. Dadurch agiert das Gericht unsouverän und gibt sich eine deutlich sichtbare Blöße. Und genau darum geht es ja den Kollegen, die auch mal ohne begründeten Anlass den Konflikt mit dem Gericht suchen. Ein Gericht, das sich provozieren lässt, handelt halt auch in irgendeiner Form unbedacht. Bis zu einem Befangenheitsantrag ist es dann möglicherweise nicht mehr weit.

Also: Mission accomplished. Ob’s am Ende wirklich was hilft, gerade dem Angeklagten, ist natürlich eine ganz andere Frage.

Finger auf den Sensor

Heute hat mir ein Mandant – glaubhaft – berichtet, dass er auf Wunsch eines Polizeibeamten sein Smartphone entsperren sollte. Als er sich – unter Berufung auf seine Stellung als Beschuldigter – weigerte, drohte ihm der Polizist „unmittelbaren Zwang“ an mit dem Ziel, dass der Finger auf den Fingerabdrucksensor kommt.

Von der geltenden Rechtslage ist so ein Vorgehen nicht gedeckt. Der Beschuldigte ist nicht verpflichtet, an seiner eigenen Überführung mitzuwirken. Davon gibt es nur ganz enge Ausnahmen. Zum Beispiel die Blutprobe, das Anfertigen von Lichtbildern, die Abnahme von Fingerabdrücken.

Nirgends im Gesetz steht aber, dass man auf Verlangen der Polizei sein Smartphone entsperren muss. Ich bin nun wirklich auf die Akteneinsicht gespannt und darauf, wie die Polizei die Maßnahme rechtfertigt.

An Unglücksstellen besser nicht fotografieren

In Schwabach (Bayern) hat ein Passant aus etwa fünf Metern Entfernung eine verunglückte Frau fotografiert, während sich Rettungskräfte um sie kümmerten. Der Mann soll sogar dann nicht mit dem Fotografieren aufgehört haben, als ihn Polizisten dazu aufforderten. Einzelheiten stehen bei Spiegel Online.

Früher wäre so ein Verhalten kaum zu ahnden gewesen. Mittlerweile gibt es hierfür aber einen eigenen Straftatbestand, nämlich § 201a Abs. 1 Ziff. 2 StGB. Danach darf man eine hilflose Person jedenfalls nicht in der Weise fotografieren, dass dadurch ihre Hilflosigkeit zur Schau gestellt wird. Ein Verstoß kann mit Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren geahndet werden.

Wer die Vorschrift aufmerksam liest, wird ein weiteres Tatbestandsmerkmal sehen. Die Tat muss den „höchstpersönlichen Lebensbereich“ des Opfers verletzen. Der Begriff ist wohl aber nicht so gemeint, dass sich die Tat zu Hause bei dem Opfer zugetragen hat. Vielmehr tragen wir alle wohl unseren höchstpersönlichen Lebensbereich, so jedenfalls die Kommentierungen des noch ziemlich neuen Gesetzes, irgendwie mit uns herum. So können wir im Falle unserer Hilflosigkeit an jedem Ort taugliches Opfer sein.

Jedenfalls ist das Fotografieren hilfloser Menschen aktuell sehr schnell strafbar. Dabei spielt es auch überhaupt keine Rolle, ob Rettungs- oder sonstige Einsatzkräfte behindert wurden.

Die gute Tat für heute

Post vom Insolvenzverwalter. Diesmal hat eine frühere Mandantin den Gang ins Insolvenzverfahren angetreten. Natürlich auch wieder eine jener Personen, bei denen man an sich nie denken würde, dass die finanziellen Möglichkeiten nicht mehr für die bescheidenen Gebühren eines Rechtsvertreters reichen.

Bevor ich mich mit den Formularen des Insolvenzverwalters rumärgere und kurz vor meiner Rente in etlichen Jahren dann mal 3,87 Euro bezahlt werden, von denen ich dann schon gar nicht mehr weiß, in welche Akte sie eigentlich gehören, schreibe ich das Honorar halt ab. Sozusagen eine ebenso freiwillige wie vorweggenommene Restschuldbefreiung. Meine gute Tat für heute.

Wer mich nach ernsthafter juristischer Unterstützung ohne Vorkasse fragen möchte, sollte jetzt aber besser zwei oder drei Monate warten. Dann habe ich den aktuellen Reinfall wahrscheinlich so verdrängt, dass ich vielleicht auch mal wieder schwach werde.

„Kunde“ meint Männer und Frauen

Die Anrede „Lieber Kunde“ oder die Bezeichnung „Kontoinhaber“ erfasst Frauen und Männer gleichermaßen. Jedenfalls hat eine Frau keinen Anspruch darauf, im Geschäftsverkehr ausschließlich in der weiblichen Form angesprochen zu werden. Die Kundin einer Sparkasse hatte geklagt, weil sich sich als Frau bei Formbriefen und Formularen der Bank benachteiligt sieht, in denen lediglich die „männliche“ Form verwendet wird.

Der Bundesgerichtshof hat die Klage abgewiesen, die im wesentlichen auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz gestützt wurde. Die Klägerin werde nicht im Sinne des Gesetzes „benachteiligt“. Als Maßstab, so der BGH, gelte hierbei nicht das persönliche Empfinden des Betroffenen, sondern die objektive Sicht eines verständigen Dritten.

Dieser verständige Dritte – letztlich also das Gericht – erkennt aber keine Benachteiligung. Die Richter weisen darauf hin, dass der allgemeine Sprachgebrauch seit jeher bei männlichen Personenbezeichnungen auch Personen umfasst, deren natürliches Geschlecht nicht männlich ist („generisches Maskulinum“). Dieser Sprachgebrauch bringe keine Geringschätzung gegenüber Personen zum Ausdruck, die nicht männlichen Geschlechts seien.

Der BGH verweist auf Gesetze, in denen ebenfalls nur die männliche Form verwendet wird („Kontoinhaber“, „Darlehensnehmer“). Zwar habe die Debatte um eine geschlechterspezifische Benachteiligung durch Sprache dazu geführt, dass auch in der Gesetzgebung und Verwaltung verstärkt neutrale Formen verwendet werden. Doch sei der bisherige Sprachgebrauch des Gesetzgebers zugleich prägend wie kennzeichnend für den allgemeinen Sprachgebrauch und das sich daraus ergebende Sprachverständnis.

Nach Meinung des Gerichts ist auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin nicht verletzt. Die Sparkasse verwende nämlich in persönlichen Gesprächen und individuellen Schreiben an die Kundin die Anrede „Frau …“. Schon die Vorinstanzen hatten die Klage abgewiesen (Aktenzeichen VI ZR 143/17).

„Bis spätestens…“

Telefonnotiz aus dem Sekretariat:

Frau S. bittet erneut um Rückruf. Sie beklagt sich darüber, dass Sie entgegen ihrem ausdrücklichen Wunsch von heute morgen nicht bis spätestens 13.45 Uhr zurückgerufen haben.

Sie möchte herausfinden ob Sie der richtige Anwalt für sie sind, dann würde sie auch weitere Daten angeben.

Ich will ja nicht überempfindlich wirken. Aber so eine Art der Kontaktaufnahme motiviert mich jetzt nicht unbedingt, aus dem Gerichtssaal zu rennen und übers Handy ganz schnell Frau S. zurückzurufen.

Es kann natürlich sein, dass mir jetzt ein superduper Mandat durch die Lappen geht. Meine nun weit über 20-jährige Erfahrung als Anwalt spricht allerdings etwas dagegen…

Ex-DFB-Präsident scheitert mit Klage

Der ehemalige DFB-Präsident Theo Zwanziger ist mit einer Klage gegen das Land Hessen gescheitert. Zwanziger wollte 25.000 Euro Schmerzensgeld, weil gegen ihn wegen einer Millionenzahlung für eine Gala, die nie stattgefunden hat, ein Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung eingeleitet wurde.

Wie schon das Landgericht Frankfurt am Main hält auch das Oberlandesgericht Zwanzigers Klage für unbegründet. Gegen Zwanziger war seit Ende 2015 ermittelt worden. Unter anderem wurde die Wohnung des ehemaligen DFB-Präsidenten durchsucht.

In der Sache ging es um eine Überweisung in Höhe von 6,7 Milionen Euro an die FIFA, welche Zwanziger für das Organissationskomitee der WM freigegeben hatte. Der Verwendungszweck dieser Zahlung bezog sich auf eine „FIFA-Gala“. Diese Gala fand aber nie statt. Was Grund für die Zahlung war, ist bis heute nicht abschließend geklärt. Der Betrag wurde im Jahr 2006 vom DFB als Betriebsausgabe gebucht und steuermindernd geltend gemacht.

Nach Auffassung des Oberlandesgerichts stellt die Einleitung und Fortführung des Ermittlungsverfahrens keine Amtspflichtverletzung dar. Staatsanwaltschaftliche Ermittlungsmaßnahmen seien im Amtshaftungsprozess nur darauf überprüfbar, ob sie „vertretbar“ erschienen. Unvertretbar seien sie nur, wenn bei Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege das staatsanwaltschaftliche Verhalten nicht mehr verständlich erscheine.

Dies könne hier nicht festgestellt werden.

Vielmehr sei es nach kriminalistischer Erfahrung vertretbar, aus der Betriebsausgabe für die nicht stattgefundene Gala einen Anfangsverdacht abzuleiten. Auch aus der Durchsuchung könne keine Amtspflichtverletzung hergeleitet werden. Sie habe dem Auffinden von Beweismitteln gedient und stehe nicht außer Verhältnis zu dem Tatvorwurf.

Zwanziger erhält auch keine Entschädigung dafür, dass ein Boulevardblatt Internas aus dem Ermittlungsverfahren berichtet hatte. Der Artikel hat sich laut dem OLG nur am Rande mit Zwanziger befasst und lediglich mitgeteilt, dass gegen den Funktionär ermittelt wird. Das sei zu dem Zeitpunkt jedoch schon öffentlich bekannt gewesen (Aktenzeichen 204 O 328/16).

Schwarzfahren soll keine Straftat mehr sein

Wieso muss Schwarzfahren eigentlich eine Straftat sein? Diese Frage habe ich hier im law blog auch schon das eine oder andere Mal aufgeworfen; jetzt nimmt sich die Fraktion „Die Linke“ im Bundestag der Sache an.

Die Linke legt einen Gesetzentwurf vor, wonach das Fahren ohne Fahrschein keine Straftat mehr sein soll. Entsprechend soll § 265a StGB geändert werden. Der bisherige Zustand sei ungerecht, heißt es in dem Entwurf.

So kann man das wohl zusammenfassen. Über Jahrzehnte haben Verkehrsbetriebe ihre Fahrscheinkontrollen in der Gewissheit immer weiter abgebaut, dass Schwarzfahrer schon von der bloßen Strafbarkeit nach geltender Rechtslage abgeschreckt werden. Faktisch wurden so die Zugangskontrollen kostenmäßig auf die Justiz und damit auf den Steuerzahler abgewälzt.

Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte sind zu einem erheblichen Teil mit Beförderungserschleichung belastet. Ganz zu schweigen von den vielen Schwarzfahrern, die ihre Geldstrafen nicht bezahlen und diese im Gefängnis absitzen.

Als Alternative nennen die Abgeordneten die Herabstufung des Schwarzfahrens zu einer Ordnungswidrigkeit, was aus ihrer Sicht aber unnötig ist. Jedenfalls rechnet Die Linke mit einer erheblichen Entlastung der öffentlichen Haushalte.

Die Verkehrsbetriebe würden auf keinen Fall rechtlos gestellt. Sie müssten nur wirksame Ticketkontrollen einführen, wie es sie in vielen anderen Ländern schon lange gibt.

Zum Gesetzentwurf

Alles zum Internetrecht – gratis

Wer eine Frage zum Internetrecht hat und nicht gleich viel Geld in Fachbücher oder kostenpflichtige Aufsätze investieren will, für den gibt es seit vielen Jahren eine super Quelle: das Skript „Internetrecht“ des Münsteraner Professors Thomas Hoeren.

Das Handbuch ist jetzt in einer Neuauflage erschienen und somit auf dem aktuellsten Stand. Ich gucke selbst sehr gern rein und kann das Skript Internetrecht sehr empfehlen.

Hier geht es zum Download.

„Es stimmt, ich war zu schnell“

Wer wegen eines Verkehrsverstoßes angehalten wird, kennt vielleicht die Situation. Der Polizeibeamte nimmt nach einem lockeren Gespräch die Personalien auf. Und später liest man als Betroffener dann in den Unterlagen, dass man den Tatvorwurf eingeräumt hat. Standardformulierung: „Es stimmt, ich war zu schnell.“

Genau hiermit sollte auch ein mutmaßlicher Temposünder überführt werden. Der zuständige Polizeibeamte konnte dem Richter allerdings gar keine konkreten Informationen liefern, um wie viel der Betroffene tatsächlich zu schnell durch eine Tempo-30-Zone gefahren sein soll. Insbesondere blieb der Polizist eine Erklärung schuldig, nach welchem Maßstab er von einer Geschwindigkeitsüberschreitung ausging.

Blieb letztlich nur das vermeintliche Geständnis im Rahmen der Anhörung zum Tatvorwurf. Seine mündlichen Angaben muss der Betroffene in solchen Fällen nicht durch Unterschrift bestätigen. Der Polizeibeamte sagt einem in der Regel auch nicht, wie er einen zu zitieren gedenkt.

Vor diesem Hintergrund will sich der Richter in dem entschiedenen Fall aber nicht alleine auf das angebliche Geständnis verlassen. Ohne nachvollziehbare Fakten, die ihm eine eigene Überprüfung möglich machen, könne er sich nicht auf das Geständnis stützen. Die Pflicht des Gerichts, den Verkehrsverstoß mit den vorliegenden Beweismitteln selbst zu überprüfen, werde durch ein angebliches Geständnis nicht außer Kraft gesetzt.

Überdies hatte der Betroffene in der Hauptverhandlung natürlich auch darauf hingewiesen, dass er den ihm in den Mund gelegten Satz so nicht gesagt hat.

Link zum Beschluss des AG Dortmund

Telemedizin soll Inhaftierten helfen

Die Telemedizin ist ja groß im Kommen. Derzeit ändern die Ärzte ihre Standesregeln für die Fernbehandlung von Patienten, und jetzt entdeckt auch die baden-würrtembergische Justiz den möglichen Nutzen für den Strafvollzug. Im Rahmen eines Modellprojekts sollen dort künftig Gefangene Fachärzte online konsultieren können.

Einzelheiten stehen in diesem Bericht. Interessant ist auch das Argument, dass die Telemedizin die Fluchtgefahr mindern dürfte. In der Tat, das darf ich hoffentlich sagen, sind gerade Ausführungen zu Ärzten oft eine günstige Gelegenheit, wenn sich ein Gefangener aus dem Staub machen will. Aber die Regel ist das natürlich nicht.

Ich persönlich denke in diesem Zusammenhang gern an einen schwer zuckerkranken und auch überdies sehr angeschlagenen Mandanten, der sich auch mal selbst aus der Haft entließ. Aber nur, um im Knast „nicht zu krepieren“, wie er es formulierte. Den Aufenthalt in einer Privatklinik hat ihm seinerzeit sein Bruder finanziert. Nach knapp drei Wochen ging der Mandant dann freiwillig zurück und saß brav seine Reststrafe ab.

Mehr Rechte für Flugreisende

Der Europäische Gerichtshof stärkt die Rechte von Flugreisenden. Bei verspäteten Umsteigeflügen können die Reisenden sowohl am Abflugs- als auch am Zielort die vorgeschriebene Entschädigung einklagen.

Dieses Recht auf Wahl des Gerichtsstandes gilt der Entscheidung zufolge, wenn die verschiedenen Flüge für eine Reise einheitlich gebucht wurden „und die große Verspätung bei Ankunft am Endziel auf eine Störung zurückzuführen ist, die sich auf dem ersten Flug ereignet hat“.

Konkret bedeutet die Klarstellung durch das Gericht, dass sich ausländische Airlines, die eine Teilstrecke bedient haben, nicht auf einen Gerichtsstand in ihrem Heimatland berufen dürfen. Vielmehr können sie auch sowohl an Start und Ziel des Reisenden verklagt werden. In dem entschiedenen Fall musste sich die spanische Air Nostrum, die den ersten Teilflug innerhalb von Spaniens durchgeführt hatte, nun dem Prozess in Düsseldorf stellen. Dort war das Endziel der Reise, deren letzte Etappe Air Berlin ausgeführt hatte.

Das Grundsatzurteil gilt für alle Airlines, die ihren Sitz in der EU haben (Aktenzeichen C-274/16, C-447/16, C-448/16).

Mehr Penisbilder

Wenn es nach dem Verwaltungsgericht Cottbus geht, dürfte die Fahndungskartei der Polizei künftig um eine Rubrik reicher werden. Penisbilder. Das Gericht hält es für zulässig, wenn zur Verbrechensvorbeugung bei Sexualdelikten auch das Geschlechtsteil des Beschuldigten fotografiert wird.

Ein Beschuldigter, selbst Polizist, hatte sich gegen die Anordnung gewehrt, im Rahmen einer erkennungsdienstlichen Behandlung auch seinen Schniedel ablichten zu lassen. Dem Polizisten, der wegen der angeblichen Tat bislang noch nicht verurteilt ist, wird sexueller Missbrauch eines Kindes vorgeworfen. Der Beamte soll über seinen Dienstrechner länger mit einem Kind erotische Chats geführt haben.

Von sich selbst hat der Beamte allerdings nur Bilder verschickt, die ihn mit unbekleidetem Oberkörper zeigen. Dennoch halten es die Richter für erforderlich, dass bei künftigen Ermittlungen auch ein Bild seines Geschlechtsteils zur Verfügung steht. Immerhin sei es nicht unüblich, dass im Internet auch Intimbilder ausgetauscht werden. Von daher liege die Vermutung nahe, dass der Betroffene auch zum Austausch von Nacktbildern bereit sei. Wenn eine Aufnahme seines Geschlechtsteils vorliege, sei es in ähnlichen Fällen schneller möglich, ihn als Täter zu ermitteln. Oder ihn auszuschließen.

Dieser Beschluss dürfte keine lange Haltbarkeit haben. Die Menschenwürde gilt auch für Verdächtige einer Straftat, und zwar uneingeschränkt. Fotos des Geschlechtsteils, schon gar nicht im erigierten Zustand, können nach meiner bescheidenen Meinung nicht erzwungen werden – wenn man eben diese Menschenwürde nicht völlig über Bord wirft. Fotos des nicht erigierten Penisses, die man vielleicht noch irgendwie als zulässig betrachten könnte, sind aber als solche kaum für die Zwecke des Erkennungsdienstes „erforderlich“, wie es § 81b StPO ausdrücklich verlangt. Und zwar schon ganz einfach deswegen, weil die Versender der Bilder in 99,9 % der Fälle ganz sicher nicht als Schlappschwanz dastehen wollen. Mir sind aber schon Gerüchte zu Ohren gekommen, dass nicht erigierte Penisse eher überhaupt keinen Rückschluss darauf zulassen, wie sie im erregten Zustand aussehen. Von daher wäre die Penisbilderkartei nur eins: schlicht nutzlos und somit gesetzeswidrig.

Aber nun ja, vielleicht gibt es ja zumindest in anderen Polizeipräsidien kluge Köpfe, die solche Praktiken in unserem Land dann doch eher auch nicht wollen (Aktenzeichen 3 L 95/18).