Etwaige Folgen der Außerachtlassung dieser Bedingung

Es begab sich vor vielen, vielen Jahren, dass bei den Duisburger Verkehrsbetrieben ein Direktor an die Tür des Hausjuristen klopfte. „Wir hatten doch neulich diesen Fall, wo ein Fahrgast Schmerzensgeld wollte, weil er in einer Bahn gestürzt ist.“ Der Herr Assessor erinnerte sich. „Der ältere Herr, der sich nicht festgehalten hat?“ „Genau. Wir bräuchten mal ein vernünftiges Schild, damit wir künftig abgesichert sind. So rein rechtlich.“

Kein Problem, sagte der Hausjurist. Er vergab den Auftrag an einen Rechtsreferendar, der gerade seinen Vorbereitungsdienst im Unternehmen absolvierte. Möglicherweise war es auch ein Praktikant, so genau weiß das keiner mehr. Genau so wenig, wie ich weiß, ob es sich tatsächlich so zugetragen hat. Aber gut denkbar ist es, denn seitdem es in Düsseldorf die U-Bahn-Linie 79 zwischen Düsseldorf und Duisburg gibt – also schon mehrere Jahrzehnte – , hängt in allen Wagen der Duisburger Verkehrsgesellschaft (DVG) dieses schöne Schild:

Ebenso lange fahre ich U-Bahn. Jedes Mal, wenn ich das Schild sehe, nehme ich meine gesamten juristischen Kenntnisse zusammen und versuche, die Aussage, inhaltlich wirklich zu durchdringen. Bislang erfolglos. Wenn man die Botschaft des Schildes in einer Anfängerübung zum Zivilrecht analysieren ließe, kämen die Studenten wahrscheinlich fluchend aus dem Klausursaal – obwohl sie wochenlang alles zur Haftung bei Vorsatz, (grober) Fahrlässigkeit und höherer Gewalt gepaukt haben.

Ich will jetzt gar nicht werten, was juristisch nicht angehauchte Fahrgäste wohl mit dem Aushang anfangen können. Zum Beispiel die zahlreichen Freunde des gedruckten Wortes unter den Pendlern, die vielleicht mal von ihrem Kindle aufschauen und sich fragen: Wo bleibt hier eigentlich die Sprachpolizei?

Könnten sich die Duisburger Verkehrsbetriebe auch mal fragen. Der Rechtsreferendar vom Dienst hätte sicher Spaß an der Aufgabe.

Neuer beA-Ärger: Anwälte klagen wegen Pseudo-Verschlüsselung

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hat eine Klage für ein sicheres „besonderes elektronisches Anwaltspostfach” (beA) koordiniert. Die Klage gegen die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) wurde am 15. Juni 2018 beim Berliner Anwaltsgerichtshof eingereicht und hat zum Ziel, das beA mit Ende-zuEnde-Verschlüsselung so nachrüsten zu lassen, dass allein die vorgesehenen Empfänger einer Nachricht diese entschlüsseln können.

Die von der BRAK verwendete Verschlüsselungstechnik gewährleistet das nicht, weil sie mit dem so genannten HSM eine „Sollbruchstelle“ aufweist. Die derzeitige Konzeption des beA ist laut GFF eine Gefahr für das Mandatsgeheimnis, weil die Nachrichten unterwegs auf einem Server der BRAK mit einem so genannten HSM „umgeschlüsselt“ werden. Nicht der Absender, sondern dieser zentrale Server steuere damit, wer die Nachrichten lesen kann.

Aufgrund dieser „Schlüsselrolle“ der BRAK sei das beA ein besonders attraktives Ziel für Angriffe durch Kriminelle oder staatliche Stellen des In- und Auslands – ein wesentlicher Unterschied zu Brief oder Fax. Vor dem Hintergrund, dass einfache technische Lösungen für eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung längst verfügbar sind, hält die GFF das Anwaltspostfache in der jetzigen Form nicht für hinnehmbar.

„Es ist nicht nachvollziehbar, warum Rechtssuchende schlechter stehen sollen als jeder normale Nutzer von Messengerdiensten wie Signal, Telegram oder WhatsApp, bei denen die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung längst Standard ist“, sagt der GFF-Vorsitzende Ulf Buermeyer. Mit Unterstützung der GFF klagen nun mehrere Rechtsanwälte.

Ungezählte Druckverschlusstüten

Die Anklageschrift in einem Betäubungsmittelverfahren zählt unter anderem folgende Beweismittel auf:

1 Grow-Zelt nebst Gestänge
ungezählte Druckverschlusstüten
1 Dünger-Anleitung
ungezählte Gelbtafeln
1 Mülleimer

Ich überlege noch, wie ich die ungezählten – vielleicht sind ja auch unzählige gemeint – Gegenstände juristisch instrumentalisieren kann. Wenn ich reichlich formalistisch mit Zwangs-Zählerei drohe, gibt’s nach späterem Verzicht am Ende ja vielleicht einen kleinen Strafrabatt.

Über den Mülleimer denke ich dann morgen nach…

Kein Pflichtverteidiger für Ali B.? So simpel ist das alles nicht

Der Fall um den mutmaßlichen Mörder Ali B. hat ja schon einige interessante juristische Facetten hervorgebracht. Die denkwürdige „Rückführung“ aus dem Irak, die eindeutig ohne Zustimmung der zuständigen Regierung in Bagdad erfolgte, scheint nur der Auftakt gewesen zu sein. Jetzt wird bekannt, dass Ali B. weder bei seiner Vernehmung bei der Polizei noch bei seiner Vorführung vor der Haftrichterin einen Verteidiger hatte.

Die Behörden sagen dazu: Wir haben Ali B. über seine Rechte belehrt. Aber er wollte ja keinen Anwalt (Bericht auf Spiegel Online). Das kann man natürlich glauben. Man kann aber auch mal fragen, in was für einer Situation sich Ali B. befunden haben mag. Er wurde auf dubiose Art und Weise im Irak abgeholt, nach Deutschland geflogen, vom SEK vollversorgt – martialische Bilder gibt es hierzu ja einige.

Sicher war Ali B. in der Situation ausgeschlafen, entspannt und in jedem Augenblick in der Lage, die Tragweite der Belehrungen zu verstehen und sich wirklich frei zu entscheiden. Das kann man natürlich glauben. Wer dies tut, braucht eigentlich nicht weiter zu lesen, denn es ist ja alles ganz klar.

Ist es keineswegs. Zunächst mal scheint bei der Erklärung, wieso Ali B. keinen Anwalt beigeordnet erhielt, den Behörden ein kleiner Fehler unterlaufen zu sein. Sie sagen, einen Pflichverteidiger sehe das Gesetz erst ab „Vollzug der Untersuchungshaft“ vor, das heißt nach der Entscheidung der Haftrichterin (seine Aussagen bei der Polizei und der Richterin hat Ali B. natürlich vorher gemacht).

Ja, so war das auch mal, sogar viele Jahrzehnte. Richtig ist aber auch: Das Verfahrensrecht wird quasi im Jahrestakt im Interesse der Verfahrensoptimierung verschärft. Aber zu sehr sollte man sich nicht darauf verlassen, dass alles nur heftiger wird, denn mitunter finden auch sinnvolle Regelungen Eingang ins Gesetz, welche – man glaubt es kaum – die Rechtslage des Beschuldigten verbessern. Die Vorschrift, die uns hier interessiert, ist seit letztem Sommer in Kraft. § 141 Abs. 3 S. 4 StPO lautet nun:

Das Gericht, bei dem eine richterliche Vernehmung durchzuführen ist, bestellt dem Beschuldigten einen Verteidiger, wenn die Staatsanwaltschaft dies beantragt oder wenn die Mitwirkung eines Verteidigers aufgrund der Bedeutung der Vernehmung zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten geboten erscheint.

Das ist ganz neu – und anscheinend noch nicht so richtig bekannt. Früher lag die Beiordnung eines Pflichtverteidigers weitgehend im Ermessen der Staatsanwaltschaft. Stellte diese keinen Antrag (wozu sie natürlich in der Regel keine Lust hat), gab es frühestens mit Beginn der Untersuchungshaft einen Pflichtverteidiger. Nun muss das Gericht aber selbst eine Prüfung vornehmen, wenn die richterliche Vernehmung ansteht. Das heißt, der Ermittlungsrichter muss prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Beiordnung gegeben sind – bevor er mit dem Beschuldigten spricht.

Die einzige Frage, die sich gemäß dem Gesetzeswortlaut bei der Vorführung Ali B.s stellte, war folgende: Ist die Mitwirkung eines Verteidigers aufgrund der Bedeutung der Vernehmung zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten geboten?

Der Tatvorwurf lautete auf Mord. Mehr geht ja kaum. Dazu die Art und Weise, wie die deutschen Behörden Ali B.s habhaft geworden sind. Der mediale Druck. Seine offensichtliche Isolation in Deutschland (die Familie soll ja nach wie vor im Irak sein). Wie will man ernsthaft sagen, hier bedurfte es keines Verteidigers?

Aber angeblich hat Ali B. ja total freiwillig auf einen Anwalt verzichtet. Die Frage ist nicht nur, ob das so stimmt, sondern auch, ob das überhaupt eine Rolle spielt. Laut der neuen Vorschrift muss der Richter eigenständig objektiv bewerten, ob die Mitwirkung eines Verteidigers geboten ist. Er muss dem Beschuldigten dann im Zweifel einen Anwalt beiordnen – möglicherweise sogar gegen dessen Willen.

Ganz so simpel, wie sie in der Presse dargestellt wird, ist die Sache also nicht. Richtig aussagekräftige Entscheidungen zu der neuen Rechtslage gibt es allerdings auch noch nicht. Mein Kollege Detlef Burhoff meint in seinem Blog, der Fall Ali B. werde die Gerichte noch lange beschäftigen. Mit dem Risiko, dass die Sache am Ende „hoch geht“.

Ich stimme zu und ergänze: Das juristische Risiko hätte man sich sparen können, wenn Ali B. sofort einen Verteidiger bekommen hätte. Und aus rechtsstaatlicher Sicht hätte es auch deutlich besser gewirkt.

Sie müssen Angaben machen – wirklich?

Wenn es um einen kleineren Tatvorwurf geht, versenden Polizei und Staatsanwaltschaften gern Anhörungsbögen. Als Beschuldigter hat man natürlich ebenso ein Schweigerecht wie in einer persönlichen Vernehmung. Aber in der Regel liegt den Unterlagen auch ein Bogen bei, auf dem der Adressat Fragen zur Person beantworten soll.

Nehmen wir das Formular, welches die Staatsanwaltschaft Düsseldorf aktuell verwendet:

Die Belehrung erweckt den Eindruck, als müssten „Fragen zur Person“ so beantwortet werden, wie sie im Fragebogen formuliert sind – auch wenn man die Aussage verweigern will. Dabei ist das Formular selbst schon mal in einigen Punkten unzutreffend:

– Bei der Frage nach den Vornamen sind zwar alle Vornamen anzugeben. Es gibt aber keine Pflicht, den Rufnamen zu unterstreichen;

– beim Familienstand muss man nur angeben, ob man ledig, veheiratet, geschieden oder verwitwet ist. Die Angabe „getrennt lebend“ ist gesetzlich nicht vorgesehen;

– bei der Frage nach dem Beruf kommt es regelmäßig nur auf die momentan ausgeübte Tätigkeit an, mit der man seinen Lebensunterhalt verdient. Wenn man arbeitslos ist, muss man dies übrigens nicht angeben. Arbeitslosigkeit ist nämlich kein Beruf;

– bei der Frage nach dem Wohnort muss man die Postleitzahl nicht angeben. Gefragt werden kann auch nur nach dem aktuellen regelmäßigen Aufenthaltsort. Den „letzten Aufenthalt“, der nicht mehr aktuell ist, muss man aber nicht angeben. Wenn man keinen regelmäßigen Aufenthaltsort hat, ist man höchstens verpflichtet, den Ort zu nennen, an dem man das Formular ausfüllt.

Abseits von diesen Punkten erweckt das Formular auch den Eindruck, die Angaben müssten stets gemacht werden, und zwar unabhängig von dem konkreten Verfahren. Auch das ist falsch. Der im Formular erwähnte § 111 OWiG begründet nämlich gar keine Auskunftspflicht. Der Paragraf setzt vielmehr eine Auskunftspflicht voraus. Diese muss sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben. Außerdem gilt der Grundsatz, dass eine Weigerung nur ordnungswidrig sein kann, wenn die verweigerte Information tatsächlich im Verfahren benötigt wird.

Beispiele:

– Zeugen müssen normalerweise den Geburtsort oder ihr Geburtsdatum nicht angeben, wenn ihre Identität ohne vernünftigen Zweifel nicht zweifelhaft ist;

– nach dem Familienstand darf nur gefragt werden, wenn der Familienstand eine Bedeutung für die Prüfung des Falles hat. Bei einem Verkehrsunfall, einem angeblichen Ladendiebstahl etc. spielen solche Informationen aber keine Rolle.

– Angaben zum Beruf haben sehr häufig etwas mit dem Tatvorwurf zu tun. Man darf also zum Beruf schweigen, wenn das für den Fall von Bedeutung sein kann. Insoweit geht das allgemeine Schweigerecht vor.

– Die Angabe der Staatsangehörigkeit ist nur ausnahmsweise erforderlich. Denn zur Identifikation einer Person reichen normalerweise Name, Geburtsdatum, Geburtsort und aktuelle Adresse. Es bleiben also im Regelfall Verfahren mit Bezug zum Asyl- und Aufenthaltsrecht.

Wie sich an diesen Beispielen zeigt, ist es also gerade nicht so, dass der Empfänger immer alle Angaben machen muss. Leider ergibt sich gerade das aus den Formularen nicht, siehe unser Beispiel. Vielmehr wird der Eindruck erweckt, alle Fragen müssten komplett beantwortet werden. An sich eine juristische Irreführung. Was sich meiner Meinung nach gerade bei Behörden nicht gut macht, die den lieben langen Tag nur die Einhaltung der Gesetze überwachen.

Aber vielleicht bin ich in solchen Dingen auch nur zu empfindlich.

Die Reifen sind eingeschlagen

Heute mal eine Geschichte, die auf einem Park & Ride Parkplatz an einem Haltepunkt der S-Bahn spielt.

Herr N. fährt einen weißen Golf. Diesen stellt er nach eigenen Angaben am 25.04.2018 um 5.45 Uhr auf dem Parkplatz ab. Er fährt mit der S-Bahn weg. Er kommt am 26.04. um ca. 14.55 Uhr zurück. Bei seiner Rückkehr stellt er an der linken Seite seines Autos einen Kratzer und silberfarbene Lackspuren fest. In der Parkbucht daneben parkt ein silberner BMW.

Herr N. ruft die Polizei. Diese stellt tatsächlich silberfarbene Lackspuren am Golf fest. Am silbernen BMW lässt sich allerdings offensichtlich nichts entdecken, was zum Schadensbild passt. Die Beamten dokumentieren lediglich einen Wischschaden, der deutlich tiefer liegt und den sie als „Altschaden“ einstufen.

Aber jetzt entdecken die Polizisten einen schlagenden Beweis. Ich zitiere:

Der BMW ist vorwärts eingeparkt und steht innerhalb der Parkboxmarkierung nach links versetzt und leicht schräg. Die Vorderreifen sind nach links eingeschlagen. …

Da die Reifen des BMW nach links eingeschlagen waren, ist zu vermuten, dass der Einparkvorgang mehrere Züge benötigt hat und der Golf bei einem der vorangegangen Züge beschädigt wurde.

Aus dem Umstand, dass bei einem geparkten Auto die Reifen nach links eingeschlagen sind, lässt sich also der Einparkvorgang dahingehend rekonstruieren, dass der Einparkvorgang „mehrere Züge“ benötigte, bei denen das daneben geparkte Auto beschädigt worden ist. Dabei spielt es dann auch gar keine Rolle mehr, dass an dem Pkw des vermeintlichen Schädigers gar kein korrespondierender Lackschaden vorhanden ist.

Die Möglichkeit, dass in den anderthalb Tagen, in denen der Golf auf dem Park & Ride Parkplatz stand, vielleicht ein anderes silberfarbenes Auto den Schaden verursacht haben könnte, kommt den Polizisten anscheinend nicht in den Sinn. Jedenfalls findet sich darüber kein Wort. Dabei ist silber nun bekanntermaßen keine seltene Autofarbe. Ich habe mal ein paar Statistiken gegoogelt. Rund 15 Prozent aller neu zugelassenen Wagen sind silber. Wenn man ähnliche Grautöne dazu rechnet, reden wir über fast jedes dritte Auto.

Ich nehme an, die fehlenden Erwägungen der Polizei sind reine Freundlichkeit, um dem Staatsanwalt den Vortritt zu lassen und ihm ein Erfolgsgefühl zu vermitteln – wenn er 15 Sekunden nachdenkt und dann das Verfahren gegen die mutmaßliche Fahrerin des BMW mangels Tatverdachts einstellt.

Angeklagter und Zeuge – im selben Verfahren

Von guter deutscher Qualitätsarbeit möchte ich nicht sprechen bei einer Anklageschrift, die ich heute lesen durfte / musste.

Angeklagt werden insgesamt vier Personen – wegen gemeinschaftlicher schwerer Körperverletzung. Interessant ist vor allem, wie der Staatsanwalt mit dem vierten Angeklagten umgeht. Nennen wir ihn Martin.

Martin soll sich laut Anklage an Schlägen und Tritten gegenüber dem Opfer beteiligt haben. In der Konkretisierung der Tat heißt es dann allerdings: „wobei sich der Zeuge Martin nicht am Geschehen beteiligte“. Ansonsten kommt der Angeklagte Martin nicht mehr vor.

Außer in der Rubrik „Beweismittel“ der Anklageschrift. Dort ist er als Zeuge angeführt.

Ein Angeklagter, der laut Anklage nichts gemacht hat, und der gleichzeitig Zeuge ist. Das Ganze wäre ja fast lustig, wenn die Anklage nicht sogar an das Schöffengericht gerichtet wäre. Das passiert nur, wenn mit einer Freiheitsstrafe deutlich über einem Jahr zu rechnen ist. Also keine Bagatelle.

Das Amtsgericht hat die Anklage übrigens ohne Änderung zugelassen.

Leider bin ich nicht der Verteidiger von Martin. Der hat in dem Gerichtstermin voraussichtlich den einfachsten Job.

Lachen in der Landessprache

Aus einer zivilrechtlichen Abmahnung:

Wie mir meine Mandanten berichten, fühlen diese sich … durch Ihr verbales und nonverbales Verhalten belästigt und eingeschüchtert.

Insoweit haben Sie mehrfach … provokativ die Autotür offenstehen lassen. Außerdem lachen Sie höhnisch und aufgesetzt … in Ihrer Landessprache.

Ob der Anwaltskollege bei diesen schweren Anwürfen wirklich seine Ankündigung umsetzt, den Betroffenen vor dem Amtsgericht zu verklagen. Wäre vielleicht gar keine schlechte Idee, so kann der zuständige Richter auch mal lachen.

„Gnadenerweise sind nicht unsere Aufgabe“

Schon das Amtsgericht hatte meinen Mandanten eher freundlich behandelt. Das Urteil fiel nach mehreren Verhandlungstagen wirklich glimpflich aus.

Was einen natürlich nicht daran hindern muss, sein Glück noch einmal in der Berufungsinstanz zu versuchen. Bis die Berufung am Landgericht verhandelt wird, geht ja schon mal ein halbes Jahr ins Land – wenn’s schnell geht. Viele Berufungen kommen erst nach einem Jahr oder noch später an die Reihe.

Nun ja, trotzdem mussste ich im Rahmen meines Plädoyers schon einräumen, dass es im Ergebnis auf Gnade vor Recht hinausliefe, wenn mein Mandant hier und heute noch mal einen Strafnachlass erhält. Die Richterin konterte das in ihrer Entscheidung auch ganz konkret. „Das Berufungsgericht soll Recht sprechen. Gnadenerweise sind eher nicht unsere Aufgabe.“

Sinnlos war die Verhandlung aber letztlich nicht. Das Gericht minderte eine irrwitzig hohe Bewährungsauflage, welche das Amtsgericht gemacht hatte, um 80 % und damit auf eine erträgliche Summe. Auch wenn sich die Strafe nicht geändert hat, hat der Mandant heute dann doch knapp 4.000 Euro gespart. Mein Honorar für die Berufungsinstanz ist da schon mit eingerechnet.

„Es muss angenommen werden … „

Auf einer Festplatte meines Mandanten befindet sich ein 270 GB großer Datencontainer. Verschlüsselt. Es gibt keinerlei Belege dafür, ob überhaupt Daten in dem Container sind und wenn ja, was für welche.

Das bringt die Polizei in ihrem Abschlussbericht zu folgendem Fazit:

Die verschlüsselten Datenträger bzw. Container konnten weder von der Firma Forensik IT, noch vom hiesigen Fachkommissariat aufgehoben werden, so dass eine Durchsicht der Daten nicht möglich ist.

Es muss angenommen werden, dass sich auf den verschlüsselten Datenträgern bzw. im Container dem Tatvorwurf entsprechende Dateien befinden.

So einen Unsinn – Stichwort: Unschuldsvermutung – kann man als Strafverteidiger sehr häufig lesen. Ich frage mich immer, was das soll. Möchte der Polizeibeamte den Staatsanwalt hypnotisieren, damit dieser die so gut wie wichtigste Grundregel unseres Stafprozessrechts heute ausnahmsweise mal vergisst? Tut dieser natürlich nicht (in, sagen wir, 99 % der Fälle).

Auf der anderen Seite würde ich als Staatsanwalt doch denken: Wenn die mir so was unterjubeln wollen, wo haben Sie denn noch getrickst, wenn auch weniger auffällig? Als Polizeibeamter würde ich es mir andererseits überlegen, ob man sich so zum Horst machen muss.

Nicht einverstanden

Aus dem Protokoll einer Hausdurchsuchung:

Herr N.. erklärte ständig und stets, dass er gegen alles sei und einen Anwalt nehmen will. Das Formular „Belehrung“ oder sonstige Papiere wollte er auf keinen Fall unterschreiben. Des Weiteren erklärte er, dass er mit der Auswertung und Durchsicht der beschlangnahmten Gegenstände nicht einverstanden sei.

Angaben zu Passwörtern/PIN/PUK/Emailadressen etc. … wollte er ebenfalls nicht machen.

Er erklärte sich mit einer Speichelprobe und einer ED-Behandlung nicht einverstanden. Gesprächsversuche blockte der Beschuldigte ab.

Oder wie der Strafverteidiger sagt: alles richtig gemacht.

Kein staatlicher Zuschuss für „schöne Hochzeit“

Wie üppig muss eine Eheschließung ausfallen? Nicht sehr, meint das Sozialgericht Mainz. Es verweigert einem jungen Paar, das Leistungen nach dem SGB II bezieht, ein „Heiratsgeld“.

Das Mainzer Paar, das auch zwei Kinder hat, wollte wollte heiraten und dies auch in einem schönen Rahmen feiern. Da sie jedoch im Arbeitslosengeld-II-Bezug standen, beantragten sie beim Jobcenter „Heiratsgeld“: für Eheringe, Brautkleid, Anzug für den Bräutigam, Kleidung für die Kinder sowie die Feier an sich.

Nach Auffassung des Sozialgerichts bietet das SGB II keine Rechtsgrundlage für „Heiratsgeld“. Auch ein Darlehen komme nur in Betracht, wenn ein unabweisbarer Bedarf vorliege. Der Wunsch nach einer Hochzeitsfeier sei jedoch kein unabweisbarer Bedarf; die Eheschließung selbst sei vor dem Standesamt auch ohne großen Aufwand möglich.

Eine Feier sei folglich nicht aus Steuermitteln zu finanzieren. In der mündlichen Verhandlung erklärte das Paar, von anderen gehört zu haben, dass es „Heiratsgeld“ vom Jobcenter gebe. Nachdem der Vorsitzende nochmals die Rechtslage darlegte, nahmen die Kläger die Klage zurück (Aktenzeichen S 10 AS 777/17).

Schreib doch öfter mal was auf der Facebook-Seite der Polizei

So kann es gehen, wenn man auf dem Facebook-Profil einer Landespolizei einen (nicht strafbaren) Kommentar abgibt. Dann schaut der Social-Media-Mensch von der Polizei nämlich nach, wer sich denn da eigentlich an der Diskussion beteiligt.

Das Ergebnis: eine kleine Denunziationsmail an die Polizeikollegen in dem Bundesland, aus dem der Facebook-Nutzer mutmaßlich kommt. Ich zitiere:

Hallo liebe Kollegen …, unter einem unserer Facebook-Einträge hat ein gewisser … kommentiert. Sein Facebookprofil unter … schmückt er mit einem sehr fragwürdigen … Profilbild. Seinen geposteten Fotos nach scheint er auch eine größere Affinität zu Waffen zu haben. … Ist euch dieser User vielleicht schon bekannt bzw. wäre das vielleicht etwas für eure Kollegen bei der Kripo? Grüße …

In diesem Fall kam es zu einer Hausdurchsuchung. Kein schönes Erlebnis.

Drückt euch also lieber dezent aus, wenn ihr auf einem Social-Media-Kanal der Polizei was schreibt. Und achtet darauf, dass euer Facebook-Profil völlig unverdächtigt ist, wenn das Social-Media-Team eurer Polizei nach eurem Kommentar wie selbstverständlich bei euch vorbei schaut und nach dem Rechten sieht.

Wobei zu unverdächtig vielleicht aber auch wieder verdächtig sein kann, aber dafür weiß ich jetzt auch keine Lösung.

Der Verweigerungs-Trick

Wenn es darum geht, der Staatskasse ein paar Euro zu ersparen und einen Anwalt mal so richtig schön vorzuführen, sind manche – zum Glück sehr wenige – Strafrichter um keinen Trick verlegen.

Einer dieser Tricks geht so: Nach den vielen, vielen Änderungen der Strafprozessordnung in den letzten Jahren gibt es nun auch die Möglichkeit für Zeugen, für die Dauer ihrer Vernehmung einen Anwalt als Beistand beigeordnet zu erhalten. Der Anwalt soll die schutzwürdigen Interessen des Zeugen wahrnehmen, ihn etwa über Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechte belehren. Bezahlt wird der Anwalt aus der Staatskasse.

So eine Beiordnung hat diverse Voraussetzungen. Diese stehen in § 68b StPO, wobei hier nur die Einleitung von Absatz 2 des Paragrafen wichtig ist:

Einem Zeugen, der bei seiner Vernehmung keinen anwaltlichen Beistand hat …

Genau in diese Falle tappen Anwälte schon mal. Dabei machen sie eigentlich alles richtig. Sie melden sich schriftlich beim Gericht, beantragen auch ihre Beiordnung. Das Gericht reagiert aber nicht. Oder ganz fies, der Richter flötet am Telefon, die Frage der Beiordnung könne man doch direkt vor der Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung klären. Spart ja auch Papier und so.

Und was passiert? In der Verhandlung fragt der Richter den Staatsanwalt, ob dieser einer Beiordnung zustimmt. Der Staatsanwalt sagt: Nö. Durchaus zu Recht verweist der Staatsanwalt auf das Gesetz. Dieses regelt ja ausdrücklich (warum auch immer), dass einem Zeuge, der mit einem Anwalt zum Termin kommt und somit einen Zeugenbeistand hat, die Beiordnung nicht gewährt wird. So jedenfalls die weithin akzeptierte Auslegung.

Der erschienene Anwalt kann in der Situation auch nicht rausgehen nach dem Motto: Ohne Beiordnung arbeite ich nicht. Das wäre wohl eine Mandatskündigung zur Unzeit, wie es der Vertragrechtlicher formuliert. Also wird der Zeugenbeistand auch ohne Beiordnung seine Arbeit machen, weil er halt physisch anwesend ist. Eine nachträgliche Beiordnung gilt ohnehin als nicht zulässig und wird dementsprechend nicht gewährt.

Als Anwalt musst du also darauf achten, dass dich das Gericht frühzeitig ( = vor dem Gerichtstermin) als Zeugenbeistand für die Vernehmung beiordnet. Ist nicht sonderlich schwer, aber man muss diesen Punkt halt auf dem Schirm behalten.

Ein klein wenig verstimmt bin ich aber trotzdem. Schon wegen der bloßen Tatsache, dass es ein Richter aus Süddeutschland aktuell den Zeugenbeistands-Verweigerungs-Trick bei mir versucht hat, obwohl wir uns aus einem anderen Verfahren vor drei Jahren eigentlich kennen. Wobei es auf seiner Seite beim Versuch geblieben ist. Nach einem freundlichen Schreiben meinerseits war der Beiordnungsbeschluss heute in der Post.

Ein alter und ein neuer Leser

Seit einem knappen dreiviertel Jahr hat das law blog leider einen treuen Leser weniger. Der Betreffende sitzt momentan in Untersuchungshaft, mit Internet hat man es dort ja weniger.

Als ich den Mandanten die Tage besuchte, kamen wir auf das law blog zu sprechen. „Führen Sie das eigentlich noch?“ fragte der Mandant. Er erzählte, dass er in Freiheit alle zwei Tage reingeschaut hat und das doch etwas vermisst (wobei der Blogentzug für ihn sicher nicht die schlimmste Entbehrung ist).

Im Büro kam mir der Gedanke, ich kann dem Mandanten eine Freude machen, indem ich ihm die neun Blog-Monate, welche ihm fehlen, ausdrucke und schicke. Heraus kam ein schönes Päckchen Papier. Blieb die Frage, wie ich dem Mandanten das ausgedruckte Blog konkret übersende. Normal? Oder als sogenannte Verteidigerpost?

Als Verteidiger habe ich das Privileg, auch schriftlich mit dem Mandanten frei kommunizieren zu können. Das heißt, die Post, die wir wechseln, darf nicht kontrolliert werden. Auf der anderen Seite sagen die Gerichte, das Privileg erstreckt sich nur auf Unterlagen, die wirklich direkt mit dem Fall zu tun haben. Halte ich mich nicht an diese Vorgabe, droht am Ende ein Bußgeldverfahren nach § 115 OWiG (schöner Titel des Paragrafen: „Verkehr mit Gefangenen“). Und natürlich Ärger mit der Anwaltskammer.

Ich entschied mich, den Blog-Ausdruck als ganz normale Post zu senden. Vor einigen Tagen hatte ich einen Haftprüfungstermin in einer anderen Sache. Zuständig war der Richter, der auch die Post meines blogaffinen Mandanten kontrolliert. Am Ende des Termins kam der Richter auf mich zu. „Ich muss mich entschuldigen“, sagte er. „Die Weiterleitung der Unterlagen für Ihren Mandanten hat etwas länger gedauert als sonst.“ Zwei oder drei Tage habe er gebraucht. In der Zeit habe er den Ausdruck „penibel kontrolliert“ – aber nur, weil er sich gut unterhalten fühlte.

So hat das Blog jetzt zwei Leser mehr, einer hat sogar Internet. Der Richter wartet nach eigenen Angaben auch dringend auf diese Geschichte, damit er sie in der Kaffeepause am Gericht seinen Kollegen zeigen kann.