Hitzestau

Gleich zwei Durchsuchungen in zwei Wochen – das schafft auch nicht jeder. Meinem Mandanten gelang genau dies im Spätsommer. Da war es heiß. Unerträglich heiß. Und offensichtlich schlug dieses widrige Wetter der zuständigen Staatsanwältin und einer Richterin etwas auf die Urteilsfähigkeit…

Zunächst wurde die Wohnung meines Mandanten durchsucht. Da war er sogar nur Zeuge. Weshalb die Polizei auch das Handy meines Mandanten nicht einsackte, Stichwort Verhältnismäßigkeit. Vielmehr schaute ein Beamter das Handy sorgfältig durch. Da er weder verdächtige Mails noch Chats entdeckte, kriegte mein Mandant an Ort und Stelle sein Telefon wieder.

Zwei Wochen später wurde mein Mandant dann zum Beschuldigten. Und zwar in einer Vernehmung als Zeuge, in der er nicht so bereitwillig gegen andere Beschuldigte aussagte, wie es die Staatsanwältin gerne gehabt hätte. Die Staatsanwältin machte meinen Mandanten nach kurzer Bedenkpause nicht nur zum Beschuldigten. Sie erwirkte bei der Ermittlungsrichterin auch einen Durchsuchungsbeschluss. Inhalt: sofortige Sicherstellung des Handys meines Mandanten, weil sich auf diesem verdächtige Mails und Chats befinden könnten, die aus der Zeit vor der ersten Durchsuchung stammen.

Grund genug nun für das Landgericht als Beschwerdeinstanz, die Staatsanwältin und die Richterin an juristische Prinzipien zu erinnern. Zuvörderst natürlich jene des logischen Denkens. Wenn das Handy schon mal polizeilich überprüft worden ist, spricht erst mal wenig dafür, dass sich nun Daten aus der Zeit vor dieser Überprüfung darauf befinden, die zum Zeitpunkt der ersten Durchsuchung nicht auch schon drauf waren. Jedenfalls, so das Landgericht, bräuchte man dann zumindest belastbare Anhaltspunkte für einen Fehler des eingesetzten Polizeibeamten. Oder Indizien, dass eben ältere Daten nachträglich auf das Handy gelangt sind, aus welchem Grund auch immer.

Ich hoffe mal, man geht die Ermittlungen jetzt mit etwas kühlerem Kopf an. Die meteorologischen Voraussetzungen liegen ja mittlerweile vor.

Die AfD hat eine gute Idee

Wer als Anwalt zumindest ab und zu Verfassungsbeschwerden für seine Mandanten formuliert, kennt das Gefühl einer gewissen Leere im Bauch, wenn die sorgfältig ausgearbeitete Verfassungsbeschwerde nicht mal zur Entscheidung angenommen wird. Richtig schlimm ist es allerdings gerade für den Mandanten, wie dies geschieht. Die Richter in Karlsruhe verlieren nämlich in aller Regel kein Wort zur Sache. Der Antragsteller bleibt völlig im Unklaren, warum ausgerechnet seine Beschwerde nicht mal für eine nähere juristische Prüfung taugt.

Mit einem Einzeiler ohne jeden Sachbezug abgebürstet zu werden, das ist weiß Gott nicht jedermanns Sache. Auch wenn ich es jetzt nicht sonderlich gerne mache, muss ich in diesem Zusammenhang die AfD loben. Deren Bundestagsfraktion weist in einem aktuellen Gesetzentwurf nämlich drauf hin, dass die Begründungspflicht für Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts über die Jahrzehnte immer mehr ausgehöhlt wurde und mittlerweile bei null angekommen ist.

Völlig zu Recht sieht die AfD hierin ein Defizit, denn es ist eines Rechtsstaats in der Tat unwürdig, wenn gerichtliche Entscheidungen zwar ergehen, aber nicht mal ein Wort zu ihrer Begründung gesagt werden muss. Dies gilt umso mehr, als der Wegfall jedweder Begründungspflichten offiziell ja nur einen einzigen Grund hat und hatte: Arbeitsersparnis für das angeblich so stark belastete Verfassungsgericht.

Insofern ist es wirklich keine schlechte Idee, mal wieder über eine Begründungspflicht für die Nichtannahme von Verfassungsbeschwerden nachzudenken. Ein paar einzelfallbezogene Sätze, warum es halt nicht gereicht hat, wären durchaus Balsam auf die Seelen unzähliger Beschwerdeführer (und natürlich auch auf die ihrer Anwälte). Natürlich lässt sich dem AfD-Antrag deutlich entnehmen, dass es der Fraktion selbst um etwas anderes geht, nämlich das vermeintlich ungerechtfertigte Abbügeln politisch „unbequemer“ Verfassungsbeschwerden durch eine stillschweigende Koalition von Politik und Verfassungsgericht.

Das ändert aber nichts daran, dass die Begründungspflicht natürlich insgesamt kein Rückschritt, sondern ein Fortschritt wäre. Die paar Euro Mehrkosten wären wahrscheinlich gut angelegtes Geld, wenn man was gegen Staatsverdrossenheit unternehmen will, von der ja interessanterweise wiederum die AfD profitiert.

„Länger kann …. nicht zugewartet werden“

In einer Strafsache machte der Staatsanwalt mächtig Druck. Am 21.03. übersandte er mir die Ermittlungsakte zur Einsicht. Im Begleitschreiben hieß es:

Einer eventuellen Stellungnahme wird bis zum 02.04. entgegengesehen.

Ich wies freundlich darauf hin, dass ich so schnell keine Verteidigungsschrift vorlegen kann. Ich habe ja noch zwei weitere Mandanten, für die ich auch mal was machen muss. Aber bis zum 17.04. würde ich die Stellungnahme schon hinbekommen. Deshalb bat ich höflich darum, mir doch diese Zeit zu geben.

Antwort:

Frist wird gewährt bis zum 10.04. Länger kann mit Blick auf den Beschleunigungsgrundsatz nicht zugewartet werden.

Eine weitere Kommunikation war mir dann zu blöd. In der Sache sitzt niemand in Haft. Die angebliche Tat liegt schon anderthalb Jahre zurück. Ich schrieb die „Frist“, die ja ohnehin keine echte ist, also in den Wind. Mein Schreiben ging am 14.04. (Samstagsarbeit!) raus.

Und was soll ich sagen? Mitte Oktober stand nun eine Wiedervorlage im Kalender. Deswegen sah ich die Unterlagen erstmals wieder. Ich forderte sicherheitshalber die Akte an, um zu sehen, was sich seitdem Dramatisches getan hat. Ihr werdet es fast erraten, was in der Zwischenzeit passiert ist:

Nichts.

Ich notiere jetzt eine großzügige Wiedervorlage auf März 2019. Der Beschleunigungsgrundsatz für Strafverfahren lacht sich in der Zwischenzeit voraussichtlich weiter kaputt. Und Samstagsarbeit tue ich mir bei dem Staatsanwalt sicher nicht mehr an.

Reminder: Kalenderverlosung 2019 läuft noch

Update: Die Gewinner wurden am 13.11. per Mail benachrichtigt. Wer keine Mail bekommen hat, den kann ich nur nochmals auf die Bestellmöglichkeit für den Anwaltskalender 2019 verweisen (siehe unten).

Ich bedanke mich bei allen Lesern für die Teilnahme am Gewinnspiel.

Ich möchte noch einmal an die aktuelle Verlosung erinnern, die hier im Blog läuft. Es gibt zehn schöne Anwaltskalender für das Jahr 2019 des Karikaturisten wulkan zu gewinnen.

Hier noch mal die Möglichkeiten zur Teilnahme:

1. Einen Kommentar zu diesem Beitrag schreiben. Bitte auf jeden Fall die E-Mail-Adresse gesondert reinschreiben. Das Kommentarsystem zeigt mir die hinterlegten E-Mail-Adressen leider nicht mehr komplett an, vermutlich aus Gründen des Datenschutzes. Ich kann also ohne Nennung der Mail-Adresse im Kommentartext Gewinner nicht benachrichtigen.

2. Wer aus verständlichen Gründen keine E-Mail-Adresse in den Klartext des Kommentars schreiben möchte, sendet einfach eine E-Mail an folgende Adresse: anwaltskalender@web.de.

Die Gewinnchancen sind auf beiden Wegen gleich. Die Gewinner werden ausschließlich über die hinterlegte E-Mail-Adresse benachrichtigt. Die Teilnahme am Gewinnspiel ist bis zum 13. November 2018 möglich.

Natürlich an dieser Stelle auch noch mal der Hinweis, dass dass es sich bei dem Kalender auch um ein tolles Weihnachtsgeschenk handelt. Die zwölf großformatigen Juristenmotive kommen im klassischen Schwarz-Weiß-Design. Der Kalender kostet 20,95 € zuzüglich 5,50 € Versandkostenpauschale. Es handelt sich um den Subskriptionspreis; ab dem 1. Dezember kostet der Kalender 25,95 € zuzüglich 5,50 € Versandkostenpauschale.

Der Kalender wird frei Haus geliefert, gerne aber auch an eine Wunschadresse. Wie immer ist der Kalender nur im Direktvertrieb beim Zeichner selbst erhältlich. Bestellung via E-Mail: wulkan@arcor.de. Per Telefon: 0172 200 35 70.

Allen Teilnehmern viel Glück.

Fachkundig geprüft

Heute ein kleines Fundstück aus dem Landgericht Aachen. Dort sind die Steckdosenleisten, die freundlicherweise in den Sitzungssälen auch für Anwälte vorgehalten werden, von geschultem Personal fachkundig auf ihre Sicherheit geprüft:

Vermute ich mal.

Daumentechnik

Bei den Ermittlungen wegen einer Verkehrsunfallflucht hat die Polizei ein Foto vom – angeblich – beschädigten Fahrzeug gemacht. Es geht um einen kleinen Kratzer, den der Fahrzeughalter am rechten Außenspiegel bemerkt haben will. Bei der Unfallaufnahme erzählte der Autobesitzer den Beamten von sich aus, dass es noch einen weiteren Kratzer bzw. eine Delle am Außenspiegel gibt. Das sei ein „Vorschaden“.

Doch zurück zum Foto. Die Bildunterschrift entspricht genau dem, was zu sehen ist:

Kratzer rechter Außenspiegel, Beschädigung, die mit dem Daumen abgedeckt wird, ist Altschaden.

Jetzt sitzen wir also da, die Staatsanwältin und ich. Denn in der Tat ist fraglich geworden, ob der angebliche Neuschaden nicht doch eher Teil eines Altschadens ist. Was wiederum für meinen Mandanten gut wäre. Dieser hätte dann nämlich keine Fahrerflucht begangen, sondern ihm soll vielleicht ein Parkrempler nur angehängt werden.

Wie auch immer, die Daumentechnik ist ein echtes Meisterstück sauberer Spurendokumentation. Aber im Zweifel geht es ja zu Gunsten des Angeklagten aus, so dass ich mich gar nicht beschweren will.

Die „Notizen“ eines Richters

Einsicht in Gerichtsakten fördert die interessantesten Dinge zutage. Zu den nicht nur interessanten, sondern auch ungewöhnlichen Fundstücken gehört ein Dokument, über das ein Angeklagter in einem Verfahren vor dem Amtsgericht Hamburg-Harburg „stolperte“.

Der Umweltaktivist war wegen der Blockade eines Urantransportes im Jahr 2014 angeklagt. In der Gerichtsakte, die er bzw. sein Verteidiger zur Einsicht erhielt, fand sich ein Ablaufplan für den noch anstehenden Prozess als „Lückentext“ – und ein bereits verfasstes Urteil, das auf Nötigung in Tateinheit mit Störung öffentlicher Betriebe lautete.

Zudem stand folgender Vermerk in der Akte: „Bitte vor der Akteneinsicht alle Unterlagen dringend entfernen.“ Das war dann aber wohl versehentlich nicht geschehen, wie es in diesem Bericht heißt.

Der Angeklagte stellte daraufhin einen Befangenheitsantrag. Dieser wurde jedoch abgelehnt. Begründung: Es stehe dem Tatrichter frei, einen Urteilsentwurf anzufertigen, um sich auf die Hauptverhandlung vorzubereiten. Das ist in der Tat richtig. Aber Notizen des Richters dürfen natürlich nicht so weit gehen, dass sich beim Angeklagten die Besorgnis der Befangenheit aufdrängt – wenn er denn, wie hier, unabsichtlich von den Unterlagen Kenntnis erlangt.

Für die Besorgnis der Befangenheit reicht es nach § 24 Abs. 2 StPO, dass ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Der Richter muss also noch nicht einmal tatsächlich befangen sein. Über den Urteilsentwurf als solchen könnte man ja noch diskutieren. Jedenfalls so lange, wie sich aus dem Entwurf nicht ergibt, dass der Richter absolut unzugänglich für Entwicklungen ist, gerade im Rahmen der Beweisaufnahme.

Aber zusammen mit dem Vermerk, die Unterlagen doch bitte unbedingt vorher aus der Akte zu entfernen, sollte die Diskussion allerdings auf eine Besorgnis der Befangenheit hinauslaufen. Maßgeblich dürften hier zwei formale Grundsätze sein: Die Aktenwahrheit. Und die Aktenklarheit. Beide Grundsätze erfordern im Kern, dass die Akte chronologisch nachvollziehbar ist. Wichtigstes Hilfsmittel ist die Seitennummerierung, die nicht nachträglich geändert werden darf, ohne dies zu dokumentieren. Außerdem können Unterlagen, die zur Akte gelangt sind (auch lose hinten eingelegt), nicht so einfach wieder entfernt werden. Kurz gesagt: Die Akte muss ein vollständiges, nicht geschöntes Bild geben.

Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn der Richter es mit seinen „Notizen“ so gehandhabt hätte, wie dies schlaue Richter zu tun pflegen. Sie bringen ihre Notizen und Urteilsentwürfe nicht mal in die Nähe der Aktendeckel, sondern behalten diese für sich. Das ist problemlos zulässig. Extrem problematisch ist es aber, wenn der Richter anordnet, bestimmte Unterlagen, die sich offenbar bereits in der Akte befinden, dem Angeklagten vorzuenthalten. Aus diesem Grund dürfte der Befangenheitsantrag deshalb zu Unrecht abgelehnt worden sein.

Autor: Dr. André Bohn, Assessor

Anwaltskalender 2019 – jetzt gewinnen!

Es ist schon Tradition im law blog: In der Vorweihnachtszeit verlosen wir unter allen Lesern den bekannten und beliebten Anwaltskalender des Karikaturisten wulkan. Auch dieses Jahr ist es wieder soweit. Es gibt insgesamt 10 Exemplare des Kalenders für das Jahr 2019 zu gewinnen. Wie, das steht weiter unten.

Zunächst aber der Hinweis, dass es sich bei dem Kalender auch um ein tolles Weihnachtsgeschenk handelt. Die zwölf großformatigen Juristenmotive kommen im klassischen Schwarz-Weiß-Design. Der Kalender kostet 20,95 € zuzüglich 5,50 € Versandkostenpauschale. Es handelt sich um den Subskriptionspreis; ab dem 1. Dezember kostet der Kalender 25,95 € zuzüglich 5,50 € Versandkostenpauschale.

Der Kalender wird frei Haus geliefert, gerne aber auch an eine Wunschadresse. Wie immer ist der Kalender nur im Direktvertrieb beim Zeichner selbst erhältlich. Bestellung via E-Mail: wulkan@arcor.de. Per Telefon: 0172 200 35 70.

Aber, wie gesagt, wir verlosen ab heute auch 10 Exemplare des Kalender. Es gibt zwei Möglichkeiten der Teilnahme:

1. Einen Kommentar zu diesem Beitrag schreiben. Bitte auf jeden Fall die E-Mail-Adresse gesondert reinschreiben. Das Kommentarsystem zeigt mir die hinterlegten E-Mail-Adressen leider nicht mehr komplett an, vermutlich aus Gründen des Datenschutzes. Ich kann also ohne Nennung der Mail-Adresse im Kommentartext Gewinner nicht benachrichtigen.

2. Wer aus verständlichen Gründen keine E-Mail-Adresse in den Klartext des Kommentars schreiben möchte, sendet einfach eine E-Mail an folgende Adresse: anwaltskalender@web.de.

Die Gewinnchancen sind auf beiden Wegen gleich. Die Gewinner werden ausschließlich über die hinterlegte E-Mail-Adresse benachrichtigt. Die Teilnahme am Gewinnspiel ist bis zum 13. November 2018 möglich.

Viel Glück!

Links 963

Justizminister fordern neuen Namen für den „Palandt“

»Es ist dem Tatrichter unbenommen, sich schon vor der Hauptverhandlung durch die Fertigung eines Urteilsentwurfs (…) auf die Hauptverhandlung vorzubereiten.«

Bundeswehr: Das „Großgerät“ steht überwiegend nur rum

USA: James „Whitey Bulger“ stirbt im Gefängnis eines unnatürlichen Todes

Stadtbücherei in New York verleiht Taschen und Krawatten für Vorstellungsgespräche

Der wahre Dracula

Professorin verbummelt Leihfrist für Bücher

Weil sie die Leihfrist für 50 Bücher in einer Unibibliothek überzogen hat, soll eine Professorin aus Nordrhein-Westfalen insgesamt 2.250 Euro Verspätungsgebühren zahlen. Das war ihr deutlich zu viel Geld, deswegen zog sie gegen den Gebührenbescheid der Hochschule Niederrhein vor Gericht.

Man könnte jetzt vermuten, die Wissenschaftlerin beruft sich auf wichtige Gründe, warum sie die Bücher unverschuldet länger behielt. Zum Beispiel eine Erkrankung oder einen anderen plausiblen Notfall. Beides gab es aber anscheinend nicht, so dass die Professorin juristisch argumentierte. Sie fühle sich in ihrer Freiheit auf Forschung und Lehre eingeschränkt.

Dieses Argument zog allerdings vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf nicht. Die Forschungsfreiheit beinhalte eine Pflicht der Universität, ihr die für Forschung und Lehre benötigten Mittel zur Verfügung zu stellen. Dieser Anspruch berechtige sie aber nicht dazu, die Leihfristen eigenmächtig zu verlängern – zumal wohl eine Verlängerung möglich gewesen wäre.

Etwas mehr Aussicht auf Erfolg hätte ich dem zweiten Argumentationsstrang zugetraut. Die Professorin machte geltend, die Säumnisgebühren von 20 Euro und eine Verwaltungsgebühr von 25 Euro je Buch seien unverhältnismäßig. Aber auch solche happigen Tarife sind bei einer Überschreitung von mehr als 30 Tagen noch in Ordnung, befand das Gericht.

Gegen das Urteil kann die Wissenschaftlerin die Zulassung der Berufung beantragen (Aktenzeichen 15 K 1130/16).

Zum Schweigen gebracht

Heute hat der Mordprozess gegen den Krankenpfleger Nils H. begonnen. Dem bereits wegen mehrfachen Mordes verurteilten Mann werden weitere 100 Taten zur Last gelegt – mutmaßlich die größte Mordserie in der bundesdeutschen Geschichte.

Ebenso ungewöhnlich wie sich der Fall gestaltet, so startete auch das Verfahren. Jedenfalls in einem Detail. Wie zum Beispiel der NDR berichtet, ordnete der Vorsitzende Richter zunächst eine Schweigeminute zum Gedenken an die Opfer an.

Da habe ich schon ziemlich gestutzt.

Fest steht zunächst: Die Strafprozessordnung kennt viele mögliche Verfahrenshandlungen, eine Schweigeminute jedoch nicht. Das liegt offenkundig am eigentlichen Ziel des Strafverfahrens, nämlich Verantwortung und Schuld des Angeklagten herauszufinden. Damit steht der Angeklagte als Subjekt des Verfahrens im Vordergrund. Es geht in erster Linie um ihn und die ihm vorgeworfene Tat. Was man übrigens schon daran sieht, dass ein Strafprozess sofort endet, wenn der Angeklagte stirbt.

Ein sicher enger „Fahrplan“, aber dieser hat einen guten Grund. Offenkundig ist zunächst die Gefahr einer Emotionalisierung des Verfahrens durch eine vorgeschaltete Schweigeminute. Wenn Richter Trauer und Mitgefühl empfinden, ist das zwar eine menschlich nachvollziehbare Regung. Nur ist der Gerichtssaal hierfür doch eher der falsche Ort. Denn am Ende soll ein objektives Urteil im Namen des Volkes stehen.

Abgesehen davon, dass sich beim Angeklagten ein gewisser Eindruck der Voreingenommenheit auf Seiten der Richter aufdrängen könnte, stellt sich mir als Anwalt aber doch eher noch drängender die Frage, wieso und warum das Gericht hier andere Verfahrensbeteiligte mit einbezieht.

Wie soll man sich zum Beispiel als Verteidiger des Angeklagten dazu stellen, wenn einem durch Teilnahme an der Schweigeminute indirekt ein Bekenntnis menschlicher Regungen abgefordert wird, die man mit Blick auf die eigene Rolle als Interessenvertreter des Angeklagten vielleicht nicht kommunizieren möchte – schon gar nicht in großer Öffentlichkeit. Was bleibt einem Verteidiger, der an dieser Stelle nicht trauern möchte, für eine Option? Rausgehen? Nicht schweigen? Mit anderen Worten: einen Eklat provozieren?

Ohnehin ist es zumindest fraglich, ob dem Vorsitzenden in dem streng formalisierten Strafverfahren überhaupt die Kompetenz zukommt, um eine Schweigeminute zu „bitten“. Anknüpfungspunkt dafür kann höchstens die Sitzungsleitung des Vorsitzenden sein. Auch die Befugnis zur Leitung der Sitzung erfasst aber erst mal nur den nach der Strafprozessordnung vorgesehenen Ablauf des Verfahrens und die Sicherung dieses Verfahrens (zum Beispiel die Entfernung von Störern).

Ich habe persönlich noch keine Schweigeminute im Vorfeld eines Strafprozesses miterlebt. Google verrät hierzu auch nur einen Präzedenzfall. Im Prozess um das ICE-Unglück in Eschede gab es ebenfalls eine Schweigeminute. Dort war die Ausgangssituation aber eine ganz andere. Den Angeklagten wurden Fahrlässigkeitsdelikte zur Last gelegt.

Ob das Gericht insgesamt mit so einer Schweigeminute die Besorgnis der Befangenheit provoziert, ist eine spannende Frage. Nach meiner Meinung kommt es wohl darauf an, wie das Gericht vorgeht. War die Schweigeminute mit der Verteidigung abgesprochen, kein Problem. Kam das Ganze überraschend, sieht es schon ganz anders aus. Gleiches gilt natürlich für den Fall, dass das Gericht auf einer Schweigeminute besteht, obwohl die Verteidigung hieran nicht mitwirken möchte.

Womöglich müssen Strafverteidiger sich nach dem heutigen Tag also auf ganz neue Situationen vor dem eigentlichen Beginn der Hauptverhandlung einstellen. Ich persönlich wage aber die Prognose, dass die weitaus meisten Richter sich an Oldenburg kein Vorbild nehmen und eine Emotionalisierung des Verfahrens auch künftig eher vermeiden werden.

„… muss ich Ihnen mitteilen“

Heute zitiere ich mal die Antwort, die mir eine hessische Polizeidienststelle auf ein Akteneinsichtsgesuch geschickt hat:

Zu Ihrem Schreiben vom 26.10.2018 muss ich Ihnen mitteilen, dass die Ermittlungen derzeit noch andauern und dass die Polizei bei laufenden Ermittlungen keine Akteneinsicht gewährt.

Ihr Schreiben wird dem Vorgang beigefügt und nach Abschluss der Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft Wiesbaden übersandt.

Keine Ahnung, ob der Beamte so tatsächlich erfolgreich Anwälte abbügelt. Bei mir wird ihm das nicht gelingen. Denn was er da schreibt, geht an der Sache doch etwas mehr als haarscharf vorbei.

Richtig ist zunächst, dass die Polizei selbst keine Akteneinsicht gewährt. Aber das verlange ich ja auch gar nicht. Vielmehr schreibe ich in meine Anträge an die Polizei immer rein, dass ich die Akteneinsicht gegenüber der Staatsanwaltschaft beantrage und darum bitte, mein Schreiben zeitnah an die Staatsanwaltschaft weiterzuleiten. Und zwar, damit diese über mein Akteneinsichtsgesuch entscheiden kann.

Die Staatsanwaltschaft ist zu jedem Zeitpunkt „Herrin“ des Ermittlungsverfahrens, nicht die Polizei. Das heißt, wenn ich einen strafprozessualen Antrag an die Polizei schicke (zum Beispiel einen Antrag auf Akteneinsicht), dann muss die Polizei diesen Antrag an die Staatsanwaltschaft weiterleiten.

Weiter erweckt das Schreiben den Eindruck, solange die Polizei ermittele, gebe es schon mal grundsätzlich keine Akteneinsicht. Den „Abschluss der Ermittlungen“ legt aber gar nicht die Polizei fest, sondern die Staatsanwaltschaft. Der Abschluss der Ermittlungen ist nach der Strafprozessordnung der Zeitpunkt, ab welchem dem Verteidiger eine Akteneinsicht nicht mehr verwehrt werden kann. Mit der Frage, wie lange sich die Ermittlungsakte bei der Polizei befindet, hat das rein gar nichts zu tun.

Aber auch vor Abschluss der Ermittlungen muss Akteneinsicht gewährt werden. Das ist der Regelfall. Von diesem gibt es allerdings Ausnahmen. Die wichtigste ist, dass die Akteneinsicht den Erfolg der Ermittlungen gefährden kann. Um das prüfen zu können, muss sich der Staatsanwalt aber schon vorher mit meinem Antrag beschäftigen, selbst wenn sich die Akte offiziell noch zu Ermittlungen bei der Polizei befindet. Es besteht die Möglichkeit, dass der Staatsanwalt nach dieser Prüfung die Akte nicht herausrückt. Aber das alles gibt dem Polizeibeamten halt nicht das Recht, die Entscheidung über den Antrag durch die zuständige Stelle erst mal dadurch zu vereiteln, indem er ihn schlicht zurückhält. Oder indem er sogar so tut, als entscheide momentan er und nicht der Staatsanwalt.

Die Polizei ist in dem Teil des Spiels kein Akteur, sondern allenfalls Bote. Ich kann nachvollziehen, dass diese Rolle dem Selbstbild manches Kommissars nicht genügt, aber so ist es nun mal.

Links 962

Missbrauch in der Kirche: Strafrechtsprofessoren erstatten Strafanzeige

Gesetzentwurf: Schon 6-jährige Flüchtlingskinder sollen Fingerabdrücke abgeben

Menschenrechte gelten auch für einen Cosa-Nostra-Boss

Geburtstagsgruß an Hitler kostet Beamten auf Probe den Job

„Ende Gelände“: Kontrollstelle am Dürener Hauptbahnhof war rechtmäßig

Wen soll ein autonomes Auto im Zweifel überfahren?

EGMR: Gleichsetzung des Propheten Mohammed mit einem Pädophilen kann strafbar sein

Vor 80 Jahren nahm der „Volkszorn“ seinen Lauf

Beweismittel: „vergleichsweise dickes Gesäß“

Es geht um den Diebstahl und anschließenden Missbrauch einer Bankkarte. Einziges Beweismittel sind Videoaufnahmen aus der Bankfiliale, wo die Karte nach dem Diebstahl verwendet wurde. Darauf sieht man einen Mann in einem Trainingsanzug, etwa 1,75 Meter groß, nach meiner Meinung stinknormale Statur. Eine Baseball-Cap hat er so tief ins Gesicht gezogen, dass dieses nicht erkennbar ist. Die Turnschuhe, die der Mann trägt, sind von der Stange.

Die Frau, der die Scheckkarte abhanden gekommen ist, schaut sich bei der Polizei das Video aus der Bankfiliale an. Dann benennt sie einen Mann aus der Nachbarschaft. Der komme für sie in Frage, weil er, so habe sie gehört, schon öfter mal mit dem Gesetz in Konflikt geraten sei. Im Protokoll steht, sie sei sich sogar „relativ sicher hinsichtlich der Identifizierung“. Die konkrete Kleidung habe sie zwar noch nie bei dem Nachbarn gesehen. Aber auch der trage gern Trainingsanzüge, jetzt mal so generell.

Im Ergebnis erkenne sie ihn aber, denn der Mann auf dem Video und der Nachbar hätten „ein vergleichsweise dickes Gesäß“. Tja, das nenne ich mal eine solide Beweissituation. Ich traue mich fast nicht zu sagen, dass die Polizei tatsächlich einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss gekriegt und vollstreckt hat. Auch wenn bei meinem Mandanten rein gar nichts Belastendes gefunden wurde, mache ich mir jetzt doch etwas Sorgen, dass es eng werden könnte, wenn es – wie soll ich es anders nennen – vor Gericht zum großen Arschvergleich kommen sollte.