Wenn sich niemand verantwortlich fühlt

Aus dem dreiseitigen Merk- und Anmeldeblatt für die Skifreizeit einer Privatschule:

Sollte ein Schaden entstehen, für den sich niemand verantwortlich fühlt, werden die Kosten unter den in diesem Raum wohnenden Personen aufgeteilt.

Ich denke, so eine Klausel kann man bedenkenlos unterschreiben. Sie ist sowieso von vorne bis hinten unwirksam.

Fließende Grenzen

Was ist ein „bedeutender Schaden“ bei einer Fahrerflucht? An diese Frage knüpfen sich für mutmaßliche Verkehrssünder erhebliche Folgen. Wird der Schaden nämlich als nicht bedeutend eingestuft, kann das das vor einer vorläufigen oder gar endgültigen Entziehung der Fahrerlaubnis retten.

Die Grenze für den bedeutenden Schaden pendelte viele Jahre irgendwo zwischen 1.500,00 und 1800,00 Euro. Mittlerweile sehen viele Gerichte aber gute Gründe, die Grenze nach oben anzupassen. Sehr deutlich tut dies das Landgericht Nürnberg-Fürth. In einem aktuellen Beschluss legen die Richter die Bagatellgrenze für einen Fremdschaden bei 2.500,00 Euro (netto) fest.

Den Beschluss kann man hier nachlesen. Wichtig ist aber eigentlich nur, dass man von der aktuellen Bewegung nach oben bei den Wertgrenzen schon mal gehört hat (Link zum Beschluss).

Risiko Whats-App-Gruppe

Ihr seid Mitglied in einer dieser Whats-App-Gruppen, in denen unzählige Menschen jeden Tag Katzenbilder, doofe Sprüche und auch sonst jeden Blödsinn weiterleiten, den es so im Internet gibt? Ich will euch den Spaß daran nicht verderben, aber vielleicht lest ihr dann besser nicht weiter.

Die Geschichte beginnt banal. Eine 17-Jährige soll nicht nur brav zur Schule gegangen sein. Vielmehr regte sich der Verdacht, dass sie ihren eigenen Marihuana-Konsum dadurch finanziert, dass sie Mitschülern auch mal was verkauft. Die Polizei kriegte einen Tipp, es kam zur Hausdurchsuchung bei der Schülerin.

Die Polizei wertete das Handy der jungen Frau aus. Und zwar extrem ordentlich. Unter anderem scrollten sich die Beamten durch alle Whats-App-Gruppen durch, in denen die Betroffene Mitglied war. Es sind viele Gruppen. Darunter eine mit knapp 600 aktiven Teilnehmern. Eben so eine typische Quatsch-Gruppe, in der fast sekündlich was gepostet wird.

Dumm nur, dass vor einigen Monaten wohl auch jemand mal zwei, drei Fotos gepostet hat, die spärlich bekleidete junge Menschen zeigen. Möglicherweise handelt es sich sogar um Jugendpornografie. Diese Wertung trafen jedenfalls die verantwortlichen Polizeibeamten.

Messerscharf zogen sie folgenden Schluss: Wenn die Bilder noch auf dem Handy der Schülerin sind, dürften sie auch noch bei allen anderen Teilnehmern der Whats-Gruppen auf den Handys sein. Also bejahten die Polizisten einen Anfangsverdacht auf den Besitz von Jugendpornografie.

Gegen jedes Mitglied der Whats-App-Gruppe wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Die Beamten hätten auch gerne Durchsuchungsbeschlüsse für jedes Gruppenmitglied bekommen. Also wohlgemerkt nicht nur für jene Teilnehmer, die sich mit dem Urheber des Posts irgendwie zu dem Thema ausgetauscht haben (wobei es so gut wie kein Feedback aus der Gruppe gab). Vielmehr sollte alle Gruppenmitglieder morgens um halb sieben Besuch von der Polizei bekommen.

Glücklicherweise kam der Fall zu einem Staatsanwalt, der sich vielleicht fragte, ob er selbst stets und ständig seine Kanäle in den sozialen Medien so toll im Blick hat, dass ihm rein gar nichts entgeht. Jedenfalls entschied er, dass die Betroffenen zwar zur Vernehmung vorgeladen werden sollen. Dabei solle die Polizei aber „schonend“ vorgehen, ggf. die noch auffindbaren Bilder von den Betroffenen löschen lassen und ansonsten für Problembewusstsein sorgen. Am Ende dürfte dann eine eher sang- und klanglose Einstellung des Verfahrens stehen.

Ich persönlich hätte es richtiger gefunden, wenn der Staatsanwalt gleich gesagt hätte, dass ein möglicher Besitzvorsatz doch höchstens bei den Leuten vorliegen erwogen werden kann, bei denen es Anhaltspunkte gibt, dass sie zur fraglichen Zeit online waren und die Bilder womöglich gesehen haben.

Aber nun ja, ihr wisst jetzt, auf welch ebenso zufällige wie simple Art und Weise man als – möglicherweise sogar inaktives – Mitglied einer Whats-App-Gruppe ins Visier der Ermittler geraten kann. Ich wünsche noch viel Spaß…

Domina klagt gegen unartigen Kunden

Vor dem Amtsgericht München klagte eine Domina gegen einen unartigen Kunden. Sie wollte 1.451,80 Euro Honorar, das ihr entgangen ist. Für den Kunden hatte sie extra Termine freigehalten, dieser war jedoch nicht erschienen. Zwei anderen zahlungskräftigen Kunden habe sie absagen müssen, erklärte die Domina.

Vor Gericht ging es zunächst um die Frage, wieso die Dienstleisterin ausgerechnet den Beklagten in Anspruch nahm. Sie hatte nämlich nur mal mit dem Interessenten telefoniert und zwei SMS von ihm bekommen. Ob ihr Gesprächspartner tatsächlich der Beklagte war, konnte sie jedoch nicht ausreichend belegen. Und das, obwohl sie nach eigenen Angaben den Namen des Anrufers notiert und ihm bis in dessen Heimat Rumänien hinterherrecherchiert habe.

Der Beklagte beteuerte dagegen, er sei zur fraglichen Zeit nicht in Deutschland gewesen. Möglicherweise habe ein ihm flüchtig bekannter Geschäftspartner seine Daten missbraucht. Überdies wies der Beklagte darauf hin, er habe kein Interesse an Dominas – und seine Frau habe ihn wegen der Sache schon genug gestraft.

Das Gericht konnte die Klägerin davon überzeugen, dass sie mit solch dürftigen Belegen ihre Forderung nicht durchsetzen kann. Die Frage, ob die „Allgemeinen Geschäftsbedingungen“ der Domina wirksam sind, musste das Gericht nicht beantworten. Diese berechnet ihren Kunden das volle Honorar für einen geplatzten Termin am Wochenende, wenn die Kunden sich nicht mindestens 24 Stunden vor dem Termin ausreichend entschuldigen (Aktenzeichen 275 C 4388/18).

Horrorbericht im Regionalblog

Weil er einen (falschen) Bericht über einen Terroranschlag mit 136 Toten in Mannheim veröffentlicht hat, ist ein hessischer Blogger zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Das Amtsgericht Mannheim sah in dem Artikel eine strafbare Störung des öffentlichen Friedens (§ 126 StGB).

In dem Artikel hatte der Autor einen Terrorangriff geschildert, der sich angeblich gerade in Mannheim ereignete. 50 Angreifer liefen durch die Stadt und attackierten Menschen mit Macheten. Angeblich gelte eine Nachrichtensperre, deshalb kämen die Informationen nicht an die Öffentlichkeit.

Der Blogger argumentierte vor Gericht, er habe die Menschen für Bedrohungslagen sensibilisieren wollen. Sein Verteidiger sagte, Fake News seien nicht strafbar. Das Gericht folgte dem jedoch nicht. Der Blogger will in Berufung gehen.

Einzelheiten schildert sehr ausführlich die Süddeutsche Zeitung.

Die „Liebeskammer“ am Landgericht

Am Landgericht Augsburg haben sie jetzt eine „Liebeskammer“. Das ist kein besonderer Raum im Gerichtspalast, sondern eine fast normale Strafkammer. Die Besonderheit: der Vorsitzende und eine Beisitzerin entscheiden nicht nur über das Schicksal von Angeklagten, sondern leben auch zusammen.

Ob die Liebeskammer auch ein Befangenheitsgrund ist, wird höchstrichterlich leider nicht geklärt. Der Angeklagte akzeptierte eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren, berichtet die Legal Tribune Online. Wegen des anscheinend doch eher milden Urteils kommt die ungewöhnliche Konstellation also nicht vor den Bundesgerichtshof.

Ich habe auch schon mal was zu dem Fall geschrieben. Problematisch scheint mir nach wie vor, dass der Angeklagte nicht über das innige Verhältnis zweier seiner Richter informiert wurde – obwohl die Liaison wohl mehr als ein offenes Geheimnis war. Auch wenn Liebe zwischen Richtern vielleicht nicht unzulässig ist, handelt es sich doch um eine ungewöhnliche Konstellation. Dass er von dieser Besonderheit nichts erfährt, kann dem Angeklagten durchaus das Gefühl vermitteln, man wolle ihm was verheimlichen. Was wiederum für mich schon ein starkes Zeichen für Voreingenommenheit ist.

Taxis sind kein Lieferverkehr

Ein Taxi darf nicht in eine Fußgängerzone fahren, die nur für „Lieferverkehr“ freigegeben ist. Dies hat das Oberlandesgericht Bamberg entschieden.

Ein Taxifahrer hatte einen Fahrgast durch die Fußgängerzone transportiert und sich auf das Verkehrsschild „Lieferverkehr frei“ berufen. Doch die Richter sehen das anders. Insbesondere der Wortsinn der Vorschrift ergibt nach ihrer Meinung, dass mit Lieferverkehr nur der Transport von Gegenständen gemeint ist, jedoch nicht das Abholen oder Bringen von Personen.

Vielleicht hätte der Taxifahrer besser sagen sollen, dass er einem Kunden, der in der Fußgängerzone wohnt, Zigaretten oder Getränke geliefert hat. Vor einiger Zeit gab es auch schon eine ähnliche Entscheidung zu der Frage, ob ein Anwalt bei der Postfiliale in der Fußgängerzone mit seinem Auto vorfahren darf, um sein Postfach zu leeren. Juristisch geklärt ist überdies die Frage, ob ein Plakataufsteller in die Fußgängerzone einfahren darf. Etwas verwundert bin ich darüber, dass es anscheinend noch keine einschlägigen Entscheidungen zu Pizza-Taxis gibt.

(Aktenzeichen 3 OLG 130 Ss 158/18).

„Ihm wurde ein Gespräch genehmigt“

Aus einem Durchsuchungsbericht der Polizei:

Dem Beschuldigten, der in seiner Wohnung angetroffen wurde, wurde durch den Einsatzführer der Durchsuchungsbeschluss ausgehändigt. Nachdem der Beschuldigte den Beschluss gelesen hatte, wollte er seinen Anwalt anrufen.

Ihm wurde vom Einsatzführer ein Gespräch genehmigt.

Zunächst kann man sagen: Nicht alle Polizisten sind so nett wie die Beamten in diesem Fall. Es kommt gerade bei Durchsuchungen immer wieder vor, dass Betroffene erst mal eine ganze Weile keinen Kontakt mit ihrem Verteidiger aufnehmen dürfen. Rechtmäßig ist das allerdings nicht. Das ergibt sich in erfreulicher Deutlichkeit aus § 137 StPO. Dort heißt es:

Der Beschuldigte kann sich in jeder Lage des Verfahrens des Beistandes eines Verteidigers bedienen.

Überdies steht in § 136 StPO auch noch mal ausdrücklich drin, dass der Beschuldigte jederzeit, auch schon vor dem Beginn seiner Vernehmung, einen Verteidiger befragen darf. Von einer Genehmigung durch die Polizei ist die Kontaktaufnahme selbst dann nicht abhängig, wenn der Beschuldigte vorläufig festgenommen wurde. So ist jetzt sogar gesetzlich im selben Paragrafen geregelt, dass dem Beschuldigten Informationen zur Verfügung zu stellen, welche die Kontaktaufnahme mit einem Verteidiger ermöglichen. Auch Notdienste müssen mitgeteilt werden.

Also muss die Polizei sogar aktiv bei der Suche nach einem Anwalt helfen, sobald der Beschuldigte nach einem Rechtsbeistand fragt. Daraus kann man im Umkehrschluss sehr gut entnehmen, dass es für eine verweigerte Kontaktaufnahme mit einem Anwalt, den der Beschuldigte sogar benennen kann, absolut keine Entschuldigung geben darf.

Sollte das dennoch geschehen, muss man als Betroffener leider davon ausgehen, nicht fair behandelt zu werden. Die beste Reaktion darauf ist, ebenfalls auf stur zu schalten und rein gar nichts mehr zu sagen, bis der Anruf beim Anwalt dann doch „genehmigt“ wird.

100 %-ig

Mandatsanfrage des Tages:

Für mich ist es nach langjährigen einschlägigen intensiven Erfahrungen absolut eindeutig, dass mein Zeh 100%-ig sicher mit E-Waffen bestrahlt/gefoltert wird.

Nur leider übernehme ich keine Schadensersatzprozesse. Ich habe eine kompetenten, lieben Kollegen empfohlen.

Kein Gericht läuft einem Angeklagten grundlos hinterher

Im Heilbronner Prozess gegen eine 70-jährige „Ersatzoma“, die einen Siebenjährigen getötet haben soll, möchte das Gericht die Angeklagte zu einer Aussage bewegen. Hierzu ermöglichten die Richter sogar ein dreistündiges Gespräch zwischen der inhaftierten Frau und ihrem Sohn, das nicht überwacht wurde. Von Erfolg ist diese Strategie noch nicht gekrönt – bislang hat die Frau sich nicht zur Sache geäußert.

Den Stand der Dinge fasst Spiegel Online so zusammen:

Doch die bisherigen Verhandlungstage zeigten: Ohne eine Einlassung der Angeklagten ist die Aufklärung schwierig. Nur Elisabeth S. kennt die Wahrheit. Nur sie kann berichten, was am Abend des 27. April vergangenen Jahres oder in der darauffolgenden Nacht in ihrem Haus in Künzelsau passiert ist, als Ole in ihrer Obhut war.

Da ist es natürlich nachvollziehbar, wenn ein Gericht alle Register zieht, um die Angeklagte zum Sprechen zu bringen. Ein unüberwachtes Gespräch mit einem nahen Angehörigen ist juristisch sicherlich nicht üblich, aber auch nicht verboten. Die Regeln für die Untersuchungshaft sind so gestaltet, dass Beschränkungen – etwa im Umgang mit Besuchern – besonders angeordnet sein müssen. Beschränkungen können auch jederzeit aufgehoben werden. Darüber entscheidet allein das Gericht.

Die Strafkammer hatte also ohne weiteres die Kompetenz, den Sohn unbeaufsichtigt mit seiner Mutter sprechen zu lassen. Das juristische Risiko aus Sicht der Verteidigung ist dabei allerdings gar nicht so klein. Denn wenn sich die Frau gegenüber ihrem Sohn möglicherweise geöffnet und den Hergang der Ereignisse geschildert hat, könnte der Sohn sich dazu entschließen, gegen seine Mutter auszusagen. Er muss es zwar nicht, er darf es aber.

Als Verteidiger muss man überdies solche Signale des Gerichts zu deuten wissen – im Interesse des eigenen Mandanten. Je mehr deutlich gemacht wird, dass eine Aufklärung ohne Mitwirkung des Angeklagten nicht möglich ist, desto größer ist faktisch die Chance, dass der Tatnachweis nicht gelingen wird. Denn kein Gericht läuft hinter dem Angeklagten her, wenn es diesen auch ohne seine Mitwirkung verurteilen kann.

Das alles läuft dann auf den Grundsatz „in dubio pro reo“, im Zweifel für den Angeklagten, hinaus. Es würde mich deshalb nicht wundern, wenn die Angeklagte letztlich auch nicht dem psychiatrischen Sachverständigen sagt, was sich zugetragen hat. Dass die Verteidigerin das jetzt erst mal vage in Aussicht stellt, kann auch reine Taktik sein. Bis zum Gespräch mit dem Sachverständigen kann es sich die Angeklagte ja jederzeit wieder anders überlegen.

Quasi nur eine Anhörung

Das mit der Wahrheitspflicht sowie den Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechten im Strafverfahren ist eine komplizierte Sache. Schon bei Erwachsenen. Bei Kindern als Zeugen ist es natürlich noch wichtiger, diesen nicht nur Paragrafen um die Ohren zu hauen, sondern ihnen altersgerecht zu erklären, ob sie überhaupt was bei der Polizei sagen müssen und wenn ja, in welchen Grenzen und wie sehr sie sich bei einer Aussage anstrengen müssen, die Wahrheit zu sagen.

Das klappt nicht oft, aber manchmal scheitert es auf grandiose Weise.

Hier mal als Beispiel eine Vernehmung bei der Kripo. Es geht um den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs, zu dem eine 12-Jährige als mutmaßliches Opfer aussagen soll. Die Polizeibeamtin belehrt das Mädchen über seine Rechte und Pflichten. Oder sagen wir lieber, sie versucht es. Ich zitiere die gesamte Belehrung:

Schauen wir mal, weil du jetzt noch zwölf bist, ist das quasi nur eine Anhörung, keine Zeugenvernehmung, weil ich dir eben schon erklärt habe, erst ab 14 ist man strafmündig. Ich wiederhole das jetzt nochmal, was ich dir eben gesagt habe, dass du hier bei der Polizei die Wahrheit sagen musst, sonst könntest du dich gegebenenfalls strafbar machen, aber natürlich nicht, weil du erst 12 bist.

Das Dilemma der Belehrung liegt schon darin, dass die Polizeibeamtin die Stellung der Zeugin mit ihrer Strafmündigkeit verknüpft. Das eine hat mit dem anderen rein gar nichts zu tun. Der Rest der Belehrung kann man – wenn überhaupt – als Kind wohl nur so verstehen: An sich müsstest du die Wahrheit sagen. Aber du bist ja noch keine 14. Deshalb kannst du sowieso wegen gar nichts bestraft werden. Natürlich wäre es schön, wenn du die Warheit sagst. Aber wenn du lügst, ist es auch ok und bleibt für dich auf jeden Fall folgenlos.

Das neben der Wahrheitspflicht weitere wichtige Thema so einer Belehrung, nämlich § 52 StPO (Zeugnisverweigerungsrecht) und § 55 StPO (Auskunftsverweigerungsrecht) findet sich überhaupt nicht. Überdies wird dem Kind aber noch gesagt, es handele sich „quasi nur um eine Anhörung, keine Zeugenvernehmung“. Was soll das bitte vermitteln? Dass es heute erst mal um eine harmlose Plauderei geht – obwohl die Videokamera läuft und sich jedenfalls aus Sicht der Polizei die Frage stellt, ob der Staatsanwalt einen Haftbefehl gegen den Beschuldigten beantragen wird.

Die folgenden 46 Seiten der Vernehmung machen die Sache übrigens nicht besser. Aber das ist ja keine Überraschung, nach so einem verkorksten Einstieg.

Fotografierverbot im Museum ist gültig

Museen dürfen Besuchern das Fotografieren verbieten, hat der Bundesgerichtshof entschieden. Ein Mann hatte das mit Piktogrammen und Schildern im Museum ausgesprochene Fotoverbot ignoriert und seine Fotos der ausgestellten Kunstwerke über Wikimedia Commons der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt. Das muss er nun unterlassen.

Der Bundesgerichtshof argumentiert in diesem Punkt ganz klassisch. Der Nutzer schließt mit dem Museum einen „Besichtigungsvertrag“, in dem das Museum die Bedingungen für die Nutzung vorgibt. Ein Fotografierverbot hält das Gericht grundsätzlich weder für überraschend noch übermäßig nachteilig für den Besucher, so dass dieses im Regelfall auch als Allgemeine Geschäftsbedingung wirksam sei.

Außerdem urteilte der BGH über die Frage, ob der Fotograf Bilder aus dem Museumskatalog abfotografieren und auf Wikimedia Commons hochladen durfte. Das wird ebenfalls als unzulässig angesehen, weil die Bilder im Museumskatalog selbst urheberrechtlichen Schutz genießen (Aktenzeichen I ZR 104/17).

Buchverlosung: die Gewinner

Hier im law blog gab es zehn Exemplare des Buchs „Die Daten, die ich rief“ von Katharina Nocun zu gewinnen (Link zum Beitrag). Hier sind die Gewinner:

Christopher G.
Timo H.
Adeline Z.
Ina P.
Rico V.
Florian W.
David O.
Axel B.
Tina L.
Liz R.

Die Bücher bringe ich gleich zur Post, so dass Sie noch bis spätestens Heiligabend bei den Gewinnern eintreffen sollten. Viel Spaß mit dem Buch.

Ich bedanke mich – auch im Namen von Katharina Nocun – bei allen 673 Lesern, die beim Gewinnspiel mitgemacht haben. Alle, die kein Glück gehabt haben, kann ich nur noch mal darauf hinweisen, dass das Buch überall zum Preis von 18,00 € erhältlich ist, unter anderem auch bei Amazon. Es gibt auch eine Hörbuch-Version (z.B. bei Audible). Möglicherweise erledigt sich ja hierdurch die eine oder andere Sorge, was man wohl dieser oder jener Person zu Weihnachten schenken könnte.

Vor Gericht und auf hoher See …

Heute schickt mir ein (neuer) Mandant den Beschluss des Landgerichts über den Widerruf seiner Bewährungsstrafe:

Die sofortige Beschwerde ist unzulässig, weil diese nicht innerhalb der gesetzlichen Frist von einer Woche eingelegt worden ist.

Der Widerrufsbeschluss wurde gemäß der vorliegenden Zustellungsurkunde am 10.11.2018 in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten übergeben. Rechtsmittelbelehrung wurde erteilt. Die Frist zur Einlegung des Widerrufs war somit am 18.11.2018 bereits abgelaufen und das Rechtsmittel vom 19.11.2018 somit verspätet eingelegt.

Ich meine, hier geht es immerhin um die Freiheit eines Menschen. Da sollte man als Vorsitzende einer Strafkammer am Landgericht wenigstens das kleine Einmaleins der Jurisprudenz beherrschen, wozu auch die korrekte Berechnung der einfachsten Fristen gehört.

Wenn ein Schreiben wie hier am Samstag, 10.11.2018 zugestellt wird, verlängert sich die Wochenfrist bis zum Ablauf des nächsten Werktages – hier also bis einschließlich Montag, 19.11.2018. Es kommt aber nicht auf den Tag der Zustellung an, sondern darauf, ob das rechnerische Fristende auf einen Samstag, Sonntag oder einen Feiertag fällt. Das alles steht so in § 193 BGB. Wobei man da eigentlich nur noch wissen muss, dass Sonnabend ein früher gebräuchliches Wort für Samstag ist.

Die Richterin hätte ja auch schon deswegen stutzig werden können, weil der Mandant seine Beschwerde genau an jenem Montag, den 19.11.2018, eingelegt hat. Und zwar persönlich auf der Rechtsantragsstelle des Gerichts. Da sitzen durchaus ausgebildete Kräfte. Denen fällt es es regelmäßig auf, dass eine Frist schon abgelaufen ist (worauf sie den Betroffenen dann auch hinweisen, damit der nach Möglichkeit gleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen kann).

Seien wir mal gespannt, ob das betreffende Gericht eigene Fehler einzuräumen vermag. Darauf wetten würde ich nicht.

„… über die auf Ihrem PC gespeicherten Daten“

Meinem Mandanten wird vorgeworfen, in einem extrem abgeschotteten Internetforum, wo alle Beteiligten auch nur unter Nicknamen und unter Verwendung von Anonymisierungsdiensten kommuniziert haben, eine Straftat verabredet zu haben. Beweise dafür gab es aber letztlich nicht, zumal alle Datenträger des Mandanten fachkundig verschlüsselt waren. Dementsprechend schnell wurde das Ermittlungsverfahren mangels Tatverdachts eingestellt.

So weit, so erfreulich aus Sicht der Verteidigung. Der Polizei, die unglaubliche Ressourcen ins Knacken der Hardware gesteckt hat, gefällt der Misserfolg allerdings nicht. Obwohl die Staatsanwaltschaft die Datenträger freigegeben hat, beschlagnahmt die Polizei die PCs, Laptops und Festplatten nun „aus Gründen der Gefahrenabwehr“.

Kann man machen. Die juristische Begründung der Maßnahme ist allerdings, nun ja, eher nicht sonderlich durchdacht. Finde ich zumindest. Ich zitiere:

Hier wäre die Gefahr, dass Sie über die auf Ihrem PC gespeicherten Daten Kontakt zu den Personen aufnehmen…

Hierzu meine Entgegnung:

Es fehlt schon an der nach dem Polizeigesetz NRW erforderlichen Eignung der Maßnahme, um die Gefahr abzuwenden. Die Maßnahme ist vielmehr offensichtlich völlig ungeeignet.

Nach dem Tatvorwurf soll der Chat, welcher die Ermittlungen ausgelöst hat, auf einem Internetforum geführt worden sein. Die „Kontaktdaten“ aus einem Internetforum werden aber regelmäßig nicht auf dem Rechner gespeichert. Vielmehr werden Sie nach dem Einloggen des Nutzers höchstens wieder über das Internetforum abgerufen.

Da in dem fraglichen Forum Nutzer aber nach Aktenlage ohnehin nur anonym unter Verwendung von Nicknamen kommuniziert haben, wäre eine wechselseitige Kontaktaufnahme sowieso nur dadurch möglich, dass sich der eine Nutzer einloggt und andere Nutzer, die er ja gar nicht kennt, auf dem Forum mittels öffentlicher oder privater Nachricht kontaktiert.

Das Einloggen in das Forum ist nicht an eine bestimmte Hardware gebunden. Es kann vielmehr über jeden Internetanschluss erfolgen. Wenn man Ihre Darstellung als richtig unterstellt, könnte mein Mandant jederzeit über jedes internetfähige Gerät wieder auf das Forum zugreifen und Kontakte aufnehmen. Von daher brächte es zur Abwehr der von Ihnen beschworenen Gefahr gar nichts, meinem Mandanten seinen Computer wegzunehmen.

In anderthalb, zwei Jahren wissen wir dann mehr – wenn das Verwaltungsgericht entschieden hat.