Ein anderer Grund

Eine Aufhebung des Urteils durch das Revisionsgericht ist erst mal erfreulich.

Etwas zwiespältig ist es für mich als Anwalt, wenn das Gericht auf kein einziges meiner Argumente (21 Seiten!) eingeht, sondern einen anderen Grund „findet“, warum die Entscheidung keinen Bestand haben kann.

Immerhin nimmt es der Mandant mit Humor. Er meint außerdem, am Ende zählt nur, was hinten rauskommt. Nun ja.

Die Personalien, bitte!

Zeuge/Zeugin in einem Strafverfahren wird man oft schneller, als es einem lieb ist. Was die PolizeibeamtInnen dann mit als Erstes interessiert, sind Name und Adresse des Zeugen. Gern auch Telefonnummer und E-Mail-Adresse. Jetzt gibt es aber auch sehr gute Gründe, als Zeug/in oder Geschädigte/r in einem Strafverfahren die eigene Adresse und andere persönliche Daten nicht durch irgendwelche Akten schwirren zu lassen. Gerade dann, wenn man selbst Opfer einer Straftat geworden ist.

Im Rahmen der Akteneinsicht, die jedem Beschuldigten (über seinen Anwalt) zusteht, ist es nämlich durchaus möglich, dass der/die Beschuldigte Kenntnis von der Anschrift und anderen persönlichen Daten erlangt und einem dann eventuell einen ungebetenen Besuch abstattet, telefonisch oder online nervt oder gar Schlimmeres.

Aber ganz so einfach muss ein Opfer bzw. Zeuge nicht die Hoheit über seine persönlichen Daten aufgeben. Es hilft eine Vorschrift in der Strafprozessordnung. Es handelt sich um § 68 StPO, der leider eher ein Schattendasein fristet. Das Wichtige steht in diesem Absatz des Paragrafen:

Einem Zeugen soll zudem gestattet werden, statt des Wohnortes seinen Geschäfts- oder Dienstort oder eine andere ladungsfähige Anschrift anzugeben, wenn ein begründeter Anlass zu der Besorgnis besteht, dass durch die Angabe des Wohnortes Rechtsgüter des Zeugen oder einer anderen Person gefährdet werden oder dass auf Zeugen oder eine andere Person in unlauterer Weise eingewirkt werden wird.

Eine ladungsfähige Adresse kann zum Beispiel auch die des/der Anwalts/Anwältin des Vertrauens sein. Die Unterlagen mit der Adresse des/der Zeugen/Zeugin werden dann bei der Staatsanwaltschaft verwahrt und erst zu den Akten genommen, wenn die Besorgnis einer Gefährdung entfällt.

Ist die Adresse aber durch die Polizei erst einmal in der Zeugenvernehmung protokolliert, wird es schwierig, sie wieder aus der Akte zu entfernen. Daher sollte man die BeamtInnnen direkt zu Beginn der Zeugenvernehmung auf die Vorschrift hinweisen (glücklicherweise ist der Inhalt meist auf den Vorblättern zur Zeugenvernehmung abgedruckt). Wenn einem da – wie leider zu erwarten – Skepsis entgegenschlägt, sollte man so ausführlich wie möglich schildern, warum man nicht möchte, dass die eigene Adresse in die Ermittlungsakte gelangt. Dabei immer freundlich bleiben, denn die Entscheidung, ob ein Fall des § 68 Abs. 2 StPO vorliegt, obliegt in einer polizeilichen Vernehmung zunächst einmal den BeamtInnen.

Jennifer Leopold, Assessorin

Was Handelsübliches

Zur Frage, was ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 224 StGB sein kann, gibt es unzählige Entscheidungen. Heute habe ich am Amtsgericht zu einem ganz alltäglichen Gegenstand verhandelt, den die Staatsanwaltschaft juristisch adeln wollte, in dem sie ihn als als gefährliches Werkzeug einstuft. Sie klagte meinen Mandanten nämlich an, während eines Streits seine damalige Ehefrau mit dem Handstück eines schnurlosen Festnetztelefons geschlagen und damit eine gefährliche Körperverletzung begangen zu haben.

Für die Straferwartung machte es einen fetten Unterschied, ob man das Handstück als gefährliches Werkzeug einstuft. Dann beträgt die Mindeststrafe für die Körperverletzung sechs Monate Gefängnis. Bei einfacher Körperverletzung kommt auch eine Geldstrafe in Betracht. Und auch eine Einstellung des Verfahrens liegt viel näher, zum Beispiel gegen ein Bußgeld.

Der Zeugin konnte ich entlocken, es habe sich um ein ganz normales Mobilteil gehandelt. Entweder ein Siemens Gigaset oder ein Teil von HTC. Auf jeden Fall was Handelsübliches, untere Preiskategorie. Ob man mit so einem Plastikteil tatsächlich erhebliche Verletzungen hervorrufen kann? Oder fliegt einem das Gerät beim Einsatz als Schlagwerkzeug nicht eher sofort um die Ohren?

Der Richter musste sich nicht zu der Frage positionieren. Er glaubte der angeblichen Geschädigten, die meinen meinen Mandanten schon einmal nachweislich falsch verdächtigt hatte, schon gar nicht, dass mein Mandant das Festnetztelefon überhaupt in die Hand genommen hatte.

Definitiv ein Prozessverlauf, den ich als Verteidiger natürlich sehr begrüßte. Aber leider kriegten wir keine Antwort auf die aufgeworfene juristische Frage. Doch womöglich geht die Staatsanwaltschaft ja in Berufung…

Nicht ohne Beleg

Ich habe es geahnt. Die 12-Euro-Posse war spätestens nach zwei Minuten Beschäftigung mit der Sache ein betriebswirtschaftliches Fiasko. Aber jetzt wird’s gerade lustig.

Es geht darum, dass andere Anwälte versehentlich 12 Euro Aktenversendungskosten an die Justiz gezahlt haben, die eigentlich wir zu zahlen hatten. Diese 12 Euro haben wir auch gezahlt, aber wohl wieder erstattet erhalten, weil ja die anderen Anwälte schon vor uns (versehentlich) den Betrag überwiesen hatten. Die Justiz hatte also 12 Euro zu viel, was die öffentliche Hand natürlich nicht dulden kann. Jetzt wollen die anderen Anwälte die 12 Euro von uns.

Grundsätzlich würde ich die Summe ja sogar zahlen. Allerdings ist mir klar, dass unsere ebenso liebe wie pingelige Steuerberaterin nachfragt, wenn wir 12 Euro ausgeben – ohne einen vernünftigen Beleg. Ich habe deshalb proaktiv bei ihr nachgefragt, durchaus in Kenntnis ihres Stundensatzes. Die Frage war, ob wir von den Anwälten nicht eine Rechnung brauchen. Denn nach meiner Meinung können wir die Zahlungsaufforderung der Justizkasse ja nicht guten Gewissens buchen, weil wir im Ergebnis nix an die Justiz gezahlt haben.

Die Steuerberaterin meinte wenig überraschend, dass wir irgendeinen Beleg brauchen, am besten eine Rechnung von den Anwälten. Oder zumindest eine Art Bestätigung. Also schrieb ich den Anwälten eine Mail, die in Kenntnis meines eigenen Stundensatzes relativ kurz, aber dennoch höflich ausfiel. Ich bat um Übersendung einer Rechnung.

Die Antwort:

… teilen wir Ihnen mit, dass wir über die 12 Euro Akteneinsichtsgebühr keine Rechnung erstellen können. Es handelt sich um ungerechtfertigte Bereicherung gemäß § 812 BGB. Wir bitten daher um kurzfristige Anweisung.

Ich bin mir nicht ganz sicher, vor was ich jetzt mehr Angst habe. Vor den Anwälten, die mich auf 12 Euro verklagen. Oder meiner Steuerberaterin, die vielleicht am Ende unsere Bilanz nicht testiert, wenn ein Beleg fehlt. Ich habe mich jetzt gegen die Anwälte entschieden. Ausschlaggebend war natürlich auch die Aussicht auf eine Fortsetzungsgeschichte hier im Blog.

Auch wenn’s schon jetzt nicht ganz billig ist, haben wir am Ende wenigstens was zum lachen.

Kein open end

In einer Strafsache war heute eigentlich der Showdown geplant. Dritter Prozesstag, es stand noch die Vernehmung eines Zeugen aus. Dann die Plädoyers und das Urteil. Da die Sitzung erst um 13 Uhr begann, hatte ich mich auf einen durchaus langen Prozesstag eingestellt, aber eben auch auf ein Ende des Verfahrens. Die anderen Beteiligten ebenso, den Richter eingeschlossen.

Eine Ausnahme gab es allerdings im Raum. Um 15.45 Uhr war nach der Rückkehr von einer Pinkelpause die zeitliche Planung völlig über den Haufen geworfen – der Protokollführerin sei Dank. Diese hatte den Richter gerade informiert, dass sie spätestens um 16.30 Uhr Feierabend machen wird. Das ist tarifvertraglich wahrscheinlich ihr gutes Recht, aber in die verbleibenden 45 Minuten waren die Plädoyers einer Staatsanwältin, von vier Anwälten, die Urteilsberatung des Gerichts und die Verkündung der Entscheidung offenkundig nicht zu pressen.

Leider, so erfuhr der Richter auf Nachfrage in der Gerichtsverwaltung, gab es am ganzen Amtsgericht, einem der größten in NRW, angeblich auch keinen einzigen Bediensteten, der in der Lage und / oder willens war, ab 16.30 noch etwas Dienst zu machen. Dem Richter blieb deshalb nichts anderes übrig, als die Sache zu vertagen. Wir kommen also alle in zwei Wochen noch mal zusammen. Dann zwar sogar erst um 15 Uhr. Aber der Richter hat uns versprochen, er werde für ein „open end“ sorgen.

Ich bin gespannt.

Feinwaagen etc.

Aus einem Durchsuchungsbeschluss:

… wird die Beschlagnahme von Betäubungsmitteln, Verpackungsmaterialien, Feinwaagen etc. angeordnet.

Im Gerichtstermin ging es um die Frage, ob mein Mandant Betäubungsmittel im Internet bestellt hat. Die Lieferung kam von einem unbekannten Absender. Sie wurde schon auf dem Postweg vom Zoll abgefangen. So wäre es schon interessant gewesen zu erfahren, ob mein Mandant in seiner Wohnung vielleicht irgendwelche Bestell- oder Zahlungsbelege aufbewahrt. Oder ob so was auf seinen Rechnern gespeichert ist.

Auf die Frage des Strafrichters, ob er denn nicht daran gedacht und entsprechend ermittelt habe, reagierte der Polizeibeamte recht schlagfertig:

Ich habe nach den Dingen gesucht, die im Durchsuchungsbeschluss stehen. Wenn Sie wollen, dass ich Computer und Handys beschlagnahme, schreiben Sie das doch bitte rein.

Damit war die Sache weitgehend erledigt. Wir konnten ohne Verurteilung nach Hause gehen.

Privilegiert

Aus der Homepage eines Anwaltskollegen:

Beachten Sie, dass wir in unserer Kanzlei ausnahmslos keine Beratung per Mail oder Telefon anbieten.

Tatsächlich scheint es nur Besprechungstermine vor Ort zu geben. Das ist sicherlich eine sehr privilegierte Situation. Ich persönlich wäre wahrscheinlich schon pleite, wenn ich es so handhaben würde.

Dem folgenden Satz kann ich mich allerdings anschließen:

… es gibt in unserer Kanzlei auch keinerlei kostenlose Tätgkeit!

Wobei ich die Einschränkung machen möchte, dass ich durchaus auch mal pro bono tätig bin. Aber nur dann, wenn ich es möchte und es aufgrund besonderer Umstände für richtig halte.

Ein Laufzettel für den Tag

Bei meinem Mandanten gab es eine Hausdurchsuchung. Als die Polizei weg war, fand mein Mandant auf einem Tisch diverse handschriftliche Notizen der Polizei. Darunter eine Art Laufzettel für den Einsatz, worauf der verantwortliche Beamte alles achten wollte. Dann natürlich die Dinge, die er sich während des Einsatzes notiert hat. Und überdies eine schöne Wohnungsskizze.

Bislang hat sich niemand wegen der Unterlagen gemeldet. Nicht, dass es deswegen noch eine Durchsuchung gibt…

Anwälte dürfen Geld fordern, Mandanten müssen aber nicht zahlen

Darf ein Pflichtverteidiger von seinem Mandanten ein zusätzliches Honorar verlangen? Ja, darf er. Dies hat der Bundesgerichtshof aktuell entschieden. Allerdings muss der Mandant der Honorarforderung nicht zustimmen, wenn er nicht will, denn verteidigen muss der Anwalt ihn auch ohne zusätzliches Honorar. Überdies trifft den Anwalt die Pflicht, den Mandanten genau darüber aufzuklären, dass dieser zwar zahlen darf, aber nicht muss.

In dem Fall ging es um 12.500,00 €, die ein Anwalt für eine Strafsache wollte. Der Jurist war als Pflichtverteidiger beigeordnet, hatte es aber trotzdem geschafft, mit dem Mandanten eine Honorarvereinbarung über 12.500,00 € zu schließen (Hochachtung, Herr Kollege). Der Mandant verweigerte allerdings die Zahlung mit der Begründung, er habe nicht gewusst, dass der Anwalt aufgrund der Beiordnung sowieso verpflichtet ist, ihn sachgerecht zu verteidigen.

Gegen die Gebührenvereinbarung als solche hat der Bundesgerichtshof nicht einzuwenden. Anders als in Zivilverfahren (Prozesskostenhilfe) dürfen Pflichtverteidiger Extrahonorar von ihren Mandanten nehmen. Allerdings, so das Gericht, ist vielen Beschuldigten womöglich nicht klar, dass der Pflichtverteidiger auch ohne zusätzliches Honorar die gleiche Arbeit erbringen muss. Deshalb, so das Gericht, gilt eine vorvertragliche Aufklärungspflicht.

An dieser Stelle vielleicht auch noch der Hinweis, dass Pflichtverteidiger zwar zunächst von der Staatskasse bezahlt werden. Sollte es aber zu einer Verurteilung kommen, holt sich die Justiz die Anwaltskosten vom Betroffenen wieder. Aber auch der Pflichtverteidiger muss sich nicht unbedingt mit den (eher niedrigen) Gebührensätzen zufrieden geben. Hat der Mandant nämlich ein ausreichendes Einkommen, kann der Pflichtverteidiger nachträglich die sogenannten Wahlverteidigergebühren verlangen, also die normalen Anwaltshonorare nach dem Vergütungsgesetz. Ob der Mandant ausreichende Mittel hat, prüft im Streitfall das Gericht.

Bericht in der Legal Tribune Online

Schau links, schau rechts

Wer von einem Grundstück aus einen Fuß- oder Radweg betritt, muss auf „Seitenverkehr“ achten. Das Oberlandesgericht Celle verweigert einem Fußgänger Schadensersatz, weil dieser beim Verlassen des Grundstücks nicht nach links und recht geschaut hat. Der Mann war von einem Radfahrer erfasst und verletzt worden, der den kombinierten Rad- und Fußweg vor dem Grundstück befuhr.

Dabei spielt es nach Auffassung des Gerichts auch keine Rolle, dass das Grundstück von einer Hecke eingefasst ist. Jeder, der ein Grundstück verlasse, müsse sich zuerst vorsichtig umschauen. Auf Fuß- und Radwegen gälten auch keine geringeren Sorgfaltspflichten als beim Überschreiten einer Fahrbahn.

Der Fußgänger hatte behauptet, der Radfahrer sei schneller als 20 km/h und viel zu dicht an der Hecke gefahren. Beides konnte er jedoch nicht belegen. Das Gericht weist darauf hin, ein Tempo von bis zu 20 km/h sei jedenfalls nicht unangemessen für einen Radfahrer (Aktenzeichen 14 U 102/18).

Daten ohne Grund

Der E-Mail-Anbieter Posteo muss mit den Ermittlungsbehörden stärker kooperieren, als es das Unternehmen möchte. Posteo speichert grundsätzlich keine IP-Adressen, und zwar aus Datenschutzgründen, aber nach eigenen Angaben auch, weil Posteo die IP-Adressen gar nicht zur Erfüllung seiner Dienste benötigt.

Vor dem Bundesverfassungsgericht wehrte sich Posteo gegen ein Zwangsgeld von 500,00 €. Posteo hatte sich im Rahmen einer gerichtlich angeordneten Telekommunikationsüberwachung geweigert, die IP-Adressen in Bezug auf den überwachten Anschluss mitzuteilen. Zur Begründung wies Posteo ausdrücklich darauf hin, die IP-Adressen gar nicht festzuhalten. Es bestehe eine gesetzliche Verpflichtung auch nur zur Herausgabe der Daten, die beim Anbieter tatsächlich anfallen.

Die Verfassungsrichter sehen dies anders. Sie meinem zusammengefasst und vereinfacht ausgedrückt, Posteo müsse im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege alle Daten festhalten, an denen die Ermittler üblicherweise Interesse haben und welche diese von anderen Anbietern auch problemlos erhalten. Posteo dürfe unter Berufung auf den Datenschutz nicht einfach die Speicherung von IP-Adressen unterlassen.

Posteo hat sich schon mit einer lesenswerten Stellungnahme zu Wort gemeldet. Das Unternehmen weist derauf hin, selbst der Bundesdatenschutzbeauftragte gehe bslang davon aus, dass sich die Herausgabepflicht nur auf Daten bezieht, die im Geschäftsbetrieb erhoben werden und somit schon vorhanden sind. Die aktuelle Entscheidung verpflichte E-Mail-Anbieter aber, alleine im Interesse der Strafverfolger Daten ohne jeder andere Notwendigkeit aktiv zu erheben.

Man kann hier auch mal auf die Grundsätze des Zeugenrechts hinweisen. Ein Zeuge muss zwar mitteilen, was er weiß. Er ist aber nicht von sich aus verpflichtet, sich aktiv Informationen zu besorgen, die er nicht hat und vielleicht auch gar nicht haben will. Insoweit kann ich gut verstehen, dass Posteo hier einen Systembruch beklagt (Aktenzeichen 2 BvR 2377/16).

Kommissar Dick und Kommissar Doof

Bei Beleidigungsdelikten wird häufig übersehen, dass nicht jede Beleidigung strafbar sein muss. Es gibt nämlich – auch Juristen mitunter unbekannt – einen ehrschutzfreien Raum. Dieser erstreckt sich zumindest auf den engsten Familienkreis, kann aber auch bis in den Freundeskreis bzw. eng verbundene Gruppen hineinreichen.

Diese „beleidigungsfreie Sphäre“ gibt es deshalb, weil man sich innnerhalb des engsten persönlichen Kreises frei aussprechen können muss, ohne eine gerichtliche Verfolgung befürchten zu müssen. Das Oberlandesgericht Frankfurt hat dies jetzt in einem Zivilverfahren festgestellt. Eine Frau hatte ihren Schwiegersohn via WhatsApp gegenüber ihrer Schwester des Kindesmissbrauchs bezichtigt, was der Schwiegersohn nicht auf sich beruhen lassen wollte.

Das Gericht lehnt einen Unterlassungsanspruch jedoch ab, weil die Kommunikation zwischen Geschwistern voraussetze, dass diese sich frei aussprechen können. Dabei spiele es keine Rolle, ob die Betroffenen persönlich miteinander sprechen oder über einen Messenger.

Den beleidigungsfreien Raum gibt es auch im Strafrecht. Ich habe zum Beispiel vor einiger Zeit die mutmaßlichen Mitglieder einer Motorradclique vertreten, die für ihre Youtube-Stunts öfter mal andere Verkehrsteilnehmer gefährdet haben sollen. Im Rahmen der Ermittlungen waren auch ein Kommissar Dick und ein Kommissar Doof tätig. Jedenfalls erhielten die Beamten diese Namen in der WhatsApp-Gruppe, in der die Motorradfreunde sich über die aktuellen Entwicklungen austauschten.

Dick und Doof stellten natürlich Strafantrag, und mein Mandant, der die Nicknames erfunden und oft verwendet haben soll, erhielt eine Anklage. Diese konnte ich mit dem Hinweis entkräften, dass ja schon die Staatsanwaltschaft in ihrem Antrag auf einen Durchsuchungsbeschluss unter anderem geschrieben hatte, bei der Gruppe handele es sich um eine „verschworene Gemeinschaft“. Tja, da waren wir ganz schnell im beleidigungsfreien Raum, weswegen am Ende ein Freispruch stand (Aktenzeichen 16 W 54/18).

Mehr Tempo in Haftsachen

Wie es ausschaut, verliert das Bundesverfassungsgericht zunehmend die Geduld mit der schleppenden Bearbeitung von Haftsachen – wie sie an vielen Gerichten leider Alltag ist. In einem aktuellen Beschluss betont das Gericht nochmals in aller Deutlichkeit, dass in Haftsachen mindestens einmal in der Woche zu verhandeln ist. Wobei die Betonung auf mindestens liegt.

In einem Mordfall sitzt der Angeklagte seit Mai 2016 in Untersuchungshaft. Das Verfahren musste einmal komplett neu aufgerollt werden, weil der Vorsitzende Richter nach 23 von 25 geplanten Verhandlungstagen erkrankte. Die unvorhersehbare, schwere Erkrankung eines Richters kann nach dem Gericht zwar ein Grund sein, dass sich die Verhandlung verzögert. Allerdngs schaffte es auch die neu zusammengesetzte Strafkammer dann in der Folge nur, an 0,65 Tagen in der Woche zu verhandeln. Wobei hier schon etliche Verhandlungstage eingerechnet sind, an denen nicht substanziell verhandelt wurde, wie die Richter in ihrem Beschluss anmerken.

An der Untergrenze von einem Verhandlungstag pro Woche dürfte nach dieser Entscheidung kaum noch zu rütteln sein. Erneut betont das Verfassungsgericht auch, dass es nicht ausreicht, wenn möglicherweise überlasteten Strafkammern zusätzliches Personal zugewiesen wird (hier eine Richterstelle mit dem stolzen Faktor von 0,2). Vielmehr müssten die Entlastungsbemühungen eine klare Struktur aufweisen – und auch im konkreten Fall Erfolg zeigen. Insgesamt macht das Gericht deutlich, dass fehlende Ressourcen der Justiz kein Haftverlängerungsrecht mit sich bringen.

Deutliche Kritik übt das Verfassungsgericht auch am Pfälzischen Oberlandesgericht in Zweibrücken, welches die Verhandlungsfürung durch die Strafkammer weitgehend kritiklos absegnete. Hier vermisst das Gericht in weiten Teilen eine „tragfähige Begründung“. Das kann man getrost als Warnung an die Gerichte verstehen, welche auch in Haftsachen eher losgelöst vom Einzelfall arbeiten und lieber auf bewährte Textbausteine zurückgreifen (Aktenzeichen 2 BvR 2429/18).

Kein Zwangs-Upgrade auf Abenteuerurlaub

Wenn aus dem Pauschalurlaub unerwartet ein Abenteuerurlaub zu werden droht, können Reisende von ihrer Buchung zurücktreten. Dies entschied das Amtsgericht München im Fall von Urlaubern, die nach einem Vulkanausbruch keine Lust mehr hatten, nach Costa Rica zu fahren.

Am 13.03.2015 brach in Costa Rica der Vulkan Turrialba aus. Am 15.03. sollte für die deutschen Urlauber die Reise genau in diese Gegend führen. Zwei Kilometer rund um den Vulkan wurden evakuiert. Selbst in der Landeshauptstadt San José, dem Ankunftsort des Ferienfliegers, war die Aschewolke noch zu bemerken. Das Auswärtige Amt hatte Personen mit angeschlagener Gesundheit gewarnt; jeder Reisende sollte im Freien eine Atemmaske tragen.

Der Reiseveranstalter wollte von alledem nichts wissen. In Ländern wie Costa Rica mit insgesamt zehn Vulkanen, von denen vier aktiv sind, müsse stets mit einem Ausbruch gerechnet werden. Außerdem seien die Beeinträchtigungen nur sehr lokal gewesen. Die Kläger hätten mit ihrem Mietwagen in andere Regionen ausweichen können.

Das Amtsgericht München bejaht einen Fall höherer Gewalt. Selbst wenn es öfter kleinere vulkanische Aktivitäten in Costa Rica gebe, sei der Ausbruch des Turrialba wesentlich heftiger gewesen. So sei die Vulkanasche großflächig verbreitet worden. Die aktuellen Medienberichte hätten die Urlauber demnach zu Recht von ihrer Reise abgehalten.

Das Amtsgericht weist darauf hin, die Reisenden hätten die Berichte auch nicht hinterfragen müssen. Sie müssten nicht noch aktiv nachforschen, ob die Berichte übertrieben und dramatisiert seien. Der Veranstalter muss den gesamten Reisepreis von 5.720,00 € erstatten. Das Landgericht München hat die Entscheidung mittlerweile bestätigt (Aktenzeichen 133 C 21869/15).

Sächsische Polizei muss Auskunft geben

Der Freistaat Sachsen darf vor der Presse nicht geheim halten, ob ein wegen Volksverhetzung rechtskräftig verurteilter Polizist weiter im Dienst ist und ob er mit hoheitlichen Aufgaben betraut ist. Das Verwaltungsgericht Dresden verpflichtet die sächsische Polizei in einem Beschluss, dem Nachrichtenmagazin Spiegel Auskunft zu geben.

Der Polizist hatte sich in sozialen Medien volksverhetzend geäußert – und sich dabei auch noch als Polizist zu erkennen gegeben. Er akzeptierte letztlich eine Geldstrafe. Durch sein Verhalten habe sich der Polizist selbst in die Öffentlichkeit begeben und sich identifizierbar gemacht, meinen die Richter. Deshalb überwiege das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegenüber seinen Persönlichkeitsrechten.

Weitergehende Auskunftsansprüche lehnt aber auch das Gericht ab. So muss der Freistaat Sachsen nicht sagen, auf welchem konkreten Posten sich der Beamte gerade befindet und wie das Disziplinarverfahren gegen ihn ausgegangen ist (Aktenzeichen 2 L 827/18).