Sterbewillige müssen nicht „gerettet“ werden

Sterbehilfe ist ein großes Thema, nun bezieht der Bundesgerichtshof in zentralen Punkten Stellung. Weder Sterbehelfer noch Ärzte machen sich strafbar, wenn sie auch dann nicht eingreifen, wenn Sterbewillige nach selbstbestimmter Einnahme von starken Medikamenten schon bewusstlos geworden sind.

Als zentral sehen die Richter die Frage, ob ein eigenverantwortlicher Entschluss des Sterbewilligen vorliegt. In den entschiedenen Fällen sei von den Gerichten eine im Laufe der Zeit entwickelte, bilanzierende „Lebensmüdigkeit“ festgestellt worden. Die Sterbewilligen waren psychisch nicht beeinträchtigt, so dass ihr Wunsch auf einen würdigen Tod eigenverantwortlich war.

Dritte, auch kein Arzt, müssten in so einem Fall lebenserhaltende Maßnahmen einleiten, sobald die Sterbewilligen bewusstlos geworden sind. Das ergebe sich auch nicht aus dem Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung (§ 323c StGB). Eine zulässige Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts über den eigenen Tod stehe höher als eine (allgemeine) Hilfspflicht.

Das erst kürzlich eingeführte Verbot der gewerbsmäßigen Sterbehilfe (§ 217 StGB) spielte in dem Fall keine Rolle. Das Gesetz galt zum Todeszeitpunkt der Betreffenden noch nicht (Aktenzeichen 5 StR 132/18 und 5 StR 393/18).

Abtreibungs“werbung“: Gericht ordnet Neuverhandlung an

Die Urteile gegen eine Gießener Ärztin, die angeblich verbotenerweise für Schwangerschaftsabbrüche geworben hat, machte viele Schlagzeilen. Nun hebt das Oberlandesgericht Frankfurt die Strafurteile auf und ordnet eine Neuverhandlung an.

Der Grund hierfür ist nachvollziehbar. Denn zum 29.03.2019 ist der geänderte Paragraf § 219a StGB in Kraft getreten. Dieser regelt das „Werbeverbot“ zumindest neu, auch wenn viele Einzelfragen sicher noch zu klären sind.

Auch in dem noch offenen Fall sei das neue Recht anzuwenden, so das Oberlandesgericht Frankfurt. Die Richter verweisen auf § 2 StGB. Danach gilt bei einer Gesetzesänderung das neue Strafgesetz, sofern dieses „milder“ ist. Das sei jedenfalls nicht ausgeschlossen, so das Gericht. Es sei möglich, dass die von der Ärztin veröffentlichten Informationen nach dem neuen Recht straflos waren (Aktenzeichen 1 Ss 15/19).

„Ich habe mir eine neue Matratze gekauft…“

Verbraucher können eine online gekaufte Matratze auch denn zurückgeben, wenn sie die Schutzfolie entfernt haben. Das gesetzliche Widerrufsrecht entfällt dadurch nicht, entschied jetzt der Bundesgerichtshof.

Ein Online-Händler hatte sich geweigert, die ausgepackte Matratze zurückzunehmen. Der Bundesgerichtshof legte die Sache erst dem Europäischen Gerichtshof vor. Es stellte sich juristisch nämlich die Frage, ob eine Matratze zu den Gegenständen gehört, für die das Widerrufsrecht aus hygienischen Gründen oder aus Gründen des Gesundheitsschutzes nicht gilt (§ 312g BGB).

Der Europäische Gerichtshof stellte dazu im Frühjahr fest, dass Matratzen durch das Auspacken und oder ein Probeliegen nicht völlig wertlos werden. Vielmehr sei es bei Matratzen nicht anders als bei Kleidung – diese werde ja auch mitunter auf der Haut Probe getragen, von Verbrauchern zurückgeschickt. Kleidung werde dadurch nicht völlig wertlos, insbesondere gebe es einen Markt für Retouren. Für Matratzen gelte das auch.

Dieser Auffassung schließt sich der Bundesgerichtshof nun an. Damit werden die Rechte von Online-Bestellern deutlich gestärkt. Und der Versandmarkt für Matratzen ist ja nicht gerade klein, wie schon das Werbe-Trommelfeuer der einschlägigen Anbieter auf allen Kanälen zeigt (Aktenzeichen VIII ZR 194/16).

Urlaub verfällt nur unter strengen Voraussetzungen

Ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln sollte jeden Arbeitnehmer interessieren. Urlaub, so das Gericht, verfällt nur dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer konkret aufgefordert hat, den Urlaub auch zu nehmen. Zusätzlich müsse der Arbeitgeber unmissverständlich darauf hinweisen, dass der Urlaub ansonsten verfällt.

Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sehen die Richter den Arbeitgeber also in einer umfassenden Pflicht. Unterlässt er die Aufforderung und/oder den Hinweis, bestehen die Urlaubsansprüche fort – und zwar in den Grenzen der Verjährungsfristen auch für Vorjahre. Im entschiedenen Fall hatte dies zur Folge, dass der Kläger für die Jahre 2014 bis 2016 noch Urlaubsabgeltung verlangen konnte (Aktenzeichen 4 Sa 241/18).

Post darf keine Auskunft über zugestellte Sendungen geben

Postunternehmen müssen Ermittlern keine Auskunft über Briefe und sonstige Sendungen geben, die sie schon zugestellt haben. Genau dazu wollte der Generalbundesanwalt in einem Verfahren wegen Kriegsverbrechen einige Anbieter von Postdienstleistungen zwingen.

Der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof verweigerte jedoch einen entsprechenden Beschluss. Auf die Beschwerde hin bestätigte nun der zuständige Strafsenat die Entscheidung. Nach Auffassung der Richter erstreckt sich die Möglichkeit des behördlichen Zugriffs auf Sendungen, solange sie sich „im Gewahrsam“ der Postunternehmen befinden (§ 99 StPO). Für bereits weiter geleitete Sendungen fehle es aber an einer Regelung.

Insoweit, so der Bundesgerichtshof, existiere also keine gesetzliche Ermächtigung. Wegen des als Grundrecht abgesicherten Post- und Fernmeldegheimnisses erfordere jeder Eingriff aber eine ausdrückliche Befugnis. Diese sei jedoch in der Strafprozessordnung oder auch sonstwo derzeit nirgends zu finden. Wobei die Betonung sicherlich auf „derzeit“ liegen dürfte (Aktenzeichen StB 51/18).

Regel Nr. 1: Besser nichts sagen

Der Verdächtige im Mordfall Walter Lübcke hat sein Geständnis widerrufen. Davor gab es schon ein gewisses Hin und Her, das wohl mittlerweile in einem Verteidigerwechsel kulminiert ist. Allgemein zeigt der Gang der Ereignisse mal wieder, wie wichtig es ist, als Beschuldigter in einem frühen Stadium des Verfahrens doch eher zu schweigen.

Der Beschuldigte hatte zu keinem Zeitpunkt ernsthaft die Option, von der Untersuchungshaft verschont zu werden. Zu dicht war schon im Zeitpunkt seiner Festnahme die Beweislage. In so einer Situation sollte man eine Kosten-Nutzen-Relation aufmachen und sich dem durchaus menschlichen inneren Drang entziehen, nun „reinen Tisch“ zu machen. Zu gewinnen ist juristisch im Augenblick kaum etwas. Die gefühlte Befreiung von der emotionalen Last hält maximal bis zur Rückkehr in die Zelle. Bleibt als Argument für ein Geständnis vielleicht noch die vage Aussicht, dass ein Gericht mal anerkennt, das Geständnis sei sehr frühzeitig gewesen.

Allerdings lehrt meine Erfahrung, dass gerade spät abgelegte Geständnisse spürbarere Rabatte bringen. Das liegt einfach daran, dass auf dem Gericht ohne Geständnis zunächst der Druck einer aufwendigen Beweisaufnahme lastet. Diesen Druck kann der Angeklagte kurz vor oder zu Beginn der Hauptverhandlung natürlich lindern, indem er jetzt die Karten auf den Tisch legt. Das Gericht wird in der Regel dankbar sein, wenn es das ansonsten anstehende Programm um einen Großteil einschmelzen kann. Ein in grauer Vorzeit abgelegtes Geständnis ist dagegen längst in die Verfahrensplanung eingepreist.

Jedenfalls sollte man – ganz unabhängig vom konkreten Fall – nach meiner Erfahrung unbedingt so lange schweigen, bis sich der erste Nebel etwas gelichtet hat. Auch ein Verteidiger kann bei einem komplexen Fall in den ersten hektischen Tagen kaum absehen, welche Taktik am Ende zu bevorzugen ist.

Der Beschuldigte im Mordfall Lübcke steht jetzt doppelt schlecht da. Er hat nicht nur gestanden, sondern er hat dieses Geständnis auch noch vor einem Richter gemacht oder dort zumindest ausdrücklich bestätigt. Davon kommt man ohnehin kaum noch runter, wenn nicht krasse Fehler passiert sind. Aber formale Fehler von solchem Ausmaß sind beim Bundesgerichtshof und auch bei anderen Ermittlungsrichtern doch eher krasse Ausnahmen.

Mit anfänglichem Schweigen, das natürlich auch das gute Recht von weniger sympathischen Menschen ist, hätte es der Beschuldigte auch seinem neuen Anwalt etwas leichter gemacht. Der darf jetzt erst mal einen sehr, sehr hohen Scherbenhaufen aufkehren.

E-Roller auf der Autobahn

Weil er am Bahnhof Erkelenz nicht länger auf seinen (mutmaßlich verspäteten) Zug warten wollte, nutzte ein Mann zwei neue Segnungen im Bereich Mobilität. Er fragte Google, wie er am schnellsten an sein Ziel kommt. Dann stieg er auf seinen E-Roller und folgte dem vorgeschlagenen Weg.

Die Route führte ihn aber direkt auf die Autobahn, und zwar an der Anschlussstelle Erkelenz-Süd. In Richtung Heinsberg legte er mehrere Kilometer zurück, wobei sich wohl zwei Autofahrer erbarmten und ihn absicherten. Der eine Wagen fuhr vor, der andere mit Warnblinker hinterher.

An der Anschlussstelle Hückelhoven-West wurde der Rollerfahrer von der Polizei in Empfang genommen – obwohl er eigentlich erst die nächste Ausfahrt nehmen wollte. Deutsche Autobahnen dürfen nur mit Fahrzeugen befahren werden, die mindestens 60 km/h fahren können. Ob der Rollerfahrer das schlicht nicht wusste oder ob er nur mal in die Zeitung wollte, überliefert der Polizeibericht leider nicht. Überdies stellte sich heraus, dass der Roller nicht versichert ist. Spätestens da sahen die Beamten wohl keine andere Möglichkeit, als eine Strafanzeige zu schreiben.

Mord, Totschlag und vieles mehr

Blogs von (echten) Richtern sind eine Seltenheit. Ich erinnere mich nur an wenige, und die meisten sind früher oder später wieder eingestellt worden.

Aber nun gibt es neues Lesefutter, denn der Lüneburger Jurist Ulrich Subatzus informiert in seinem Blog schwurgericht.info über rechtliche Fragen rund um Mord und Totschlag, Schuldfähigkeit, Maßregeln der Besserung und Sicherung sowie viele andere juristische Theman.

Der Autor weiß auf jeden Fall, wovon er redet. Er ist Strafrichter am Landgericht Lüneburg. Spannend wird sicher die Frage, ob und inwieweit uns der Richter tatsächlich an seinem beruflichen Alltag teilhaben lässt. Schaut auf jeden Fall mal rein, ich denke, es lohnt sich.

Wenig sagen, viel sparen

Vor einiger Zeit bat mich ein Anwaltskollege um Unterstützung. Er hatte ein Ermittlungsverfahren am Hals, es geht um eine unerfreuliche Geschichte im Straßenverkehr. Als ich ihm den Entwurf der Verteidigungsschrift zuschickte, fragte der Kollege am Telefon, ob es denn vielleicht Sinn machen würde, auch mal seinen Beruf zu erwähnen.

Ich habe ihm abgeraten, weil es Orte gibt, an denen man besser keine unnötigen Dinge über sich erzählt. Dazu gehört die Justiz, dazu gehört insbesondere das Strafbefehlsverfahren. Denn nun passierte genau das, was abzusehen war. Das Amtsgericht hat gegen meinen Mandanten einen Strafbefehl erlassen.

Gegen 80 Tagessätze als Geldstrafe ist nichts zu sagen. Noch weniger aber gegen die vom Gericht festgelegte Höhe der Tagessätze: Auf 30,00 € soll sich ein Tagessatz belaufen. Was nichts anderes bedeutet, als das man auf der anderen Seite offensichtlich das Einkommen meines Mandanten geschätzt hat. Das ist gesetzlich zulässig, und wenn man als Staatsanwalt oder Richter halt keine näheren Informationen hat, kommen am Ende oft Tagessätze in dieser Höhe raus.

Umgekehrt bedeutet das aber, dass die Höhe der Geldstrafe sich nun an einem monatlichen Nettoeinkommen von 900,00 € orientiert. Ich weiß zwar nicht genau, was ein Zivilrechtler mit etablierter Kanzlei in der Großstadt so am Monatsende übrig hat. Allerdings gehe ich stark davon aus, dass es mehr als 900,00 € sind.

Wenn ihr also mal Ärger mit der Polizei oder der Justiz habt, strunzt lieber nicht zu vorschnell mit Hinweisen auf den akademischen Grad, tolle Jobs, Doktortitel oder Facharztbezeichnungen. Wenn so etwas erst gar nicht in die Akte kommt, lässt sich am Ende womöglich ordentlich was sparen.

Der Angeklagte sollte Lotto spielen

Mit so viel Glück, wie es der Angeklagte in einer Strafsache hatte, könnte man durchaus auch mal Lotto spielen. Die Aussichten auf einen Riesengewinn wären sicherlich nicht schlecht.

Dabei hat sich der Angeklagte zunächst nicht sonderlich schlau verhalten. Ich spreche hier ausdrücklich nicht von meinem Mandanten, weil er es nicht ist. Ich habe von dem Fall nur im Rahmen eines anderen Verfahrens erfahren, in dem ich Akteneinsicht hatte.

Doch zurück zum Angeklagten. Der hatte schon mal einen Riesendusel, dass er trotz des Vorwurfs eines stattlichen Verbrechens nicht ins Gefängnis musste. Vielmehr fand sich ein milde gestimmter Ermittlungsrichter, der den Haftbefehl zwar erließ, aber sofort wieder außer Vollzug setzte. Gegen Auflagen. Eine davon: Der Angeklagte musste sich auf der für ihn zuständigen Polizeiwache melden, und zwar drei Mal wöchentlich.

Hat er genau zwei Mal gemacht, dann wurde er nicht mehr gesehen. Das fiel bei der Polizei natürlich auf, die das dem Gericht mitteilte. Der Richter setzte den Haftbefehl wieder in Vollzug, aber passiert ist – nichts. Insbesondere wurde der Angeklagte nicht zur Fahndung ausgeschrieben, dementsprechend hat sich auch kein Polizeibeamter bemüßigt gefühlt, ihn festzusetzen.

Fehler passieren überall. Was mich aber doch wunderte ist der Umstand, dass die (erst mal) „kleine“ Unterlassung in der Folgezeit niemandem auffiel. Der nun zuständige Strafrichter ließ die hereingekommene Anklage zur Hauptverhandlung zu, verschickte Ladungen an Zeugen und Beteiligte. Das heißt, er sah die Akte diverse Male. Seine Geschäftsstelle und mutmaßlich auch die Staatsanwaltschaft auch. Aber niemand merkte, dass der Haftbefehl zwar wieder wirksam war, dieser Beschluss aber nicht umgesetzt wurde.

Erst bei der unmittelbaren Vorbereitung der Hauptverhandlung ging dem Richter dann wohl ein Licht auf. Jedenfalls empfing er den Angeklagten, der immerhin freiwillig erschien, mit der Nachricht, dass der Haftbefehl wieder in Kraft ist und er deshalb die Verhandlungspausen im Gerichtsgefängnis verbringen muss.

Aber selbst da war dem Angeklagten das Glück am Ende hold. Er bekam Bewährung, so dass der Haftbefehl schon mit der Urteilsverkündung wieder Geschichte war. Der Verteidiger des Angeklagten hat übrigens sehr geschickt an der Sache mitgewirkt. Er dürfte bei einer seiner Akteneinsichten sehr wohl gesehen haben, dass sein Mandant eigentlich in Haft sein müsste. Aber da schaute er geflissentlch weg, wie das seiner Rolle als Interessenvertreter des Angeklagten entspricht.

Wie gesagt, der frühere Angeklagte sollte einen Lottoschein ausfüllen…

Champagner gehört einfach dazu

Das Problem mit Flugverspätungen kennen wir alle zur Genüge. Mitten in der Nacht aufgestanden, Kind und Kegel 3 Stunden vor Abflug zum Flughafen geschleppt und dann geht es einfach nicht los.

Da fängt der Urlaub ja direkt gut an. Zum Glück hat sich inzwischen der Ausgleichsanspruch nach der Fluggastrechteverordnung herum gesprochen. Je nach Entfernung zwischen Start- und Zielflughafen gibt es ab einer Verspätung von 3 Stunden 250 € bis 600 € Entschädigung.

Wenn der Flug sogar erst am nächsten Tag starten kann, haben die Passagiere einen Anspruch auf Erstattung der Hotel- und Restaurantkosten. Dabei zeigt sich das Amtsgericht Düsseldorf in einer aktuellen Entscheidung besonders großzügig, hatten die Kläger doch zu zweit eine stolze Rechnung von über 200€ produziert, davon knapp 50€ für alkoholische Getränke:

Es ist für das Amtsgericht Düsseldorf allgemein bekannt, dass zu einem gelungenen Essen nicht nur der Verzehr begleitender Biere und/oder Weine gehört, sondern darüber hinaus auch der Genuss von Champagner und Dessertwein, so dass sich auch diese Kosten als angemessen erweisen. Bei der Beurteilung der Angemessenheit ist insoweit insbesondere zu berücksichtigen, dass gerade im Champagnersegment auch deutlich hochpreisigere Produkte angeboten werden. (AG Düsseldorf, Urteil vom 23. Mai 2019 – Aktenzeichen 27 C 257/18).

Dazu kann man dann nur noch eins sagen: Prost! Und natürlich: auf eine (hoffentlich) verspätete Reise…

RAin Jennifer Leopold

Nicht zu demonstrativ kiffen

Gastbeitrag von Dr. André Bohn, Rechtsanwalt

Auf dem Weg zum Bahnhof kam mir heute Morgen ein Jugendlicher entgegen. Er hatte irgendetwas zum Rauchen in der Hand. Die Art und Weise, wie er gezogen hat, ließ mich vermuten, dass es sich um einen Joint handelte. Als er an mir vorüber gegangen war, nahm ich dann auch tatsächlich eine Marihuana-Wolke wahr. Ansonsten waren keine weiteren Personen in der Nähe.

Als Jurist*in ist man ja darauf trainiert, Sachverhalte (auch unbewusst) sofort juristisch zu würdigen. Dass gegen den Jugendlichen ein Tatverdacht wegen Besitzes von Betäubungsmitteln nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG vorliegt, ist relativ eindeutig. Auch wenn der Konsum an sich nicht strafbar ist, bestehen in der geschilderten Situation durchaus Anhaltspunkte dafür, dass der Jugendliche auch im Besitz des Joints war, weil keine andere Person zugegen war und er den Eindruck erweckte, als würde ihm der Joint „gehören“ und er ihn auch alleine rauchen wollte.

Mir kam aber die Frage in den Sinn, wie das eigentlich mit dem Festnahmerecht nach § 127 Abs. 1 S. 1 StPO aussieht. Nach dieser Vorschrift ist, wenn jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt wird, wenn er der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann, jedermann befugt, ihn auch ohne richterliche Anordnung vorläufig festzunehmen.

Nicht, dass ich vorhabe, mir auf diesem Wege Mandanten zu akquirieren, aber es soll ja in Deutschland auch Personen geben, die Falschparker aufschreiben und der Polizei melden. Diese Personen wären sicherlich auch geneigt, in der geschilderten Situation vom Jedermann-Festnahmerecht Gebrauch zu machen.

Die Voraussetzungen des § 127 Abs. 1 S. 1 StPO liegen hier jedenfalls vor: Der Konsument wird auch frischer Tat betroffen. Insbesondere nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs reicht im Rahmen des § 127 Abs. 1 StPO ein Tatverdacht; eine tatsächlich begangene Tat muss nicht vorliegen.

Jedermann wäre also in dieser Situation befugt, die betreffende Person festzuhalten und die Polizei zu verständigen. Ich kenne keine solchen Fall; es wäre aber mal interessant zu sehen, wie die Polizei auf eine entsprechende Meldung reagiert. Nach dem Legalitätsprinzip wäre sie ja eigentlich zum Einschreiten verpflichtet. Andererseits werden entsprechende Verfahren von der Staatsanwaltschaft bei geringen Mengen in aller Regel eingestellt.

Wer sich gelegentlich in der Öffentlichkeit gerne mal einen Joint genehmigt, sollte das aber doch besser nicht allzu demonstrativ machen.

Wo ist der Goldschmuck?

Aus einem Durchsuchungsbeschluss.

Die Beschuldigte war Putzfrau im Hause der Geschädigten N. Der o.g. Goldschmuck war bei der Geschädigten am 01.11.2016 noch vorhanden, am 19.11.2016 nicht mehr. Die Beschuldigte war die einzige Person, die einen Hausschlüssel hatte und ist deshalb verdächtig.

Der Durchsuchungsbeschluss in dieser Sache datiert vom 30.03.2019. Gleichwohl soll der Verlust des Schmucks schon am 19.11.2016 bemerkt worden sein. Wieso brauchen mutmaßlich Bestohlene denn rund zweieinhalb Jahre, um so einen doch eher überschaubaren Sachverhalt zur Anzeige zu bringen?

Ganz nebenbei frage ich mich auch, wieso ein Ermittlungsrichter davon ausgeht, dass nach so langer Zeit auch nur der Hauch einer Hoffnung besteht, bei der Beschuldigten mutmaßliche Beute aus einem Diebstahl aufzufinden, der ja offensichtlich bemerkt werden musste.

Näheres erfahren wir, wenn ich Akteneinsicht erhalten habe. Auch wenn es an sich kein weltbewegender Fall ist, bin ich doch ein wenig gespannt.

„Ich verzichte auf einen Schlussvortrag“

Die Frau Staatsanwältin macht den Job schon seit einiger Zeit, ich bin ja mittlerweile auch nicht mehr ein unbedingter Neuling im Strafrechts-Business. Allerdings gibt es doch immer mal wieder Dinge, die einem noch nicht begegnet sind. Da ging es mir und der Staatsanwältin heute gleichermaßen.

Ich hatte heute die Sitzposition im Verhandlungssaal getauscht und vertrat eine Nebenklägerin. Ich will gar keine großen Details über den Fall sagen, sondern nur berichten, was der Verteidiger nach dem Schluss der Beweisaufnahme tat.

Nichts.

Ans sich hätte er ein Plädoyer halten können und wohl auch sollen. Tat er aber nicht. Nachdem die Staatsanwältin und ich als Vertreter der Nebenklage unsere Vorstellungen dargelegt hatten, erklärte der Kollege:

Ich verzichte auf einen Schlussvortrag.

Gut, man kann den (Pflicht-)Verteidiger natürlich nicht zwingen, sich für seinen Mandanten noch mal ins Zeug zu legen. Aber die Kürze und Bestimmtheit, mit der dieser „Verzicht“ erklärt wurde, war schon erstaunlich. Irgendwie habe ich das Gefühl, das Schauspiel bzw. Nicht-Schauspiel wird mir so schnell nicht mehr geboten werden.

Drogenvortest gone wrong

Ich zitiere aus dem Polizeibericht:

Der Fahrer eines Kleintransporters lieferte heute Morgen bei einer Polizeikontrolle in Lüdenscheid eine Sperma- statt der geforderten Urinprobe ab. Als die Beamten ihn kontrollierten, zeigte er Anzeichen, die auf Drogenkonsum hindeuteten.

Er war mit einem Drogenvortest einverstanden. Für die Urinprobe überreichten die Polizeibeamten einen Becher. Damit verschwand er im Gebüsch. Er brauchte ungewöhnlich lange und kehrte etwas beschämt mit dem genannten Inhalt zurück. Die Beamten erklärten die Probe für unbrauchbar und griffen auf einen Speicheltest zurück. Der fiel negativ aus und der Mann fuhr erleichtert weiter.

Falls ihr es nicht glaubt, hier ist der Link zur offiziellen Pressemeldung. Anscheinend wurde keine Anzeige wegen „Beleidigung auf sexueller Grundlage“ geschrieben. Selbstverständlich ist das nicht, auch wenn die Zahl ähnlich gelagerte Präzedenzfälle sicher überschaubar ist.