Slackline über dem Fahrradweg – darauf muss man erst mal kommen

Ich will ja niemandem zu nahe treten. Außer vielleicht den drei Rübennasen, die im Freiburger Stadtteil Rieselfeld fürs Training ihre 15 Meter lange und 3 – 5 Zentimeter breite Slackline über einen Rad- und Fußweg spannten, der durch den dortigen Park führt. Was zur Folge hatte, dass eine Radfahrerin nicht mehr rechtzeitig bremsen konnte und schwere Verletzungen erlitt.

Die Verantwortlichen bzw. ihre Haftpflichtversicherungen versuchten, die Radfahrerin in die Mithaftung zu nehmen. Sie sollte einen Teil des eigenen Schadens tragen. Das Oberlandesgericht Karlsruhe erteilt dem eine klare Absage. Wer in einem öffentlichen Park ohne weitere Sicherungsmaßnahmen seine Slackline über einen Rad- und Fußweg spanne, dürfe nicht damit rechnen, dass Radfahrer das Hindernis schon rechtzeitig sehen und bremsen.

Selbst wenn ein Radfahrer aufmerksam sei, so das Gericht, könne er bei einer Geschwindigkeit von 15 km/h die Slackline erst so spät sehen, dass er nicht mehr rechtzeitig anhalten könne. Schon die Vorinstanz hatte den Sporthelden die volle Schuld gegeben, den Schadensersatz und das Schmerzensgeld der Klägerin aber eher knauserig bemessen und nur 10.000 Euro zugesprochen. Das Oberlandesgericht Karlsruhe erhöht diese Summe auf 25.000 Euro.

Dennoch meine ich, dass die Slackliner womöglich noch Glück hatten. An sich wäre das ja auch ein Fall für den Staatsanwalt gewesen (z.B. § 315b StGB).

Auch bei der Polizei müssen HIV-Positive eine Chance haben

In keinem Beruf gibt es, zumindest nach meiner Kenntnis, unüberwindbare Hürden für HIV-positive Menschen. Mit einer Ausnehme: Bei den meisten Polizeibehörden gelten HIV-Infizierte als untaugliche Bewerber. Das wird sich möglicherweise nun ändern, denn das Verwaltungsgericht Hannover schreibt der niedersächsischen Polizei mit einem aktuellen Beschluss ins Stammbuch, dass ein totales Zugangsverbot nicht gelten darf.

Der gescheiterte Bewerber ist HIV-positiv, aufgrund einer mehrjährigen Therapie liegt seine Virenlast aber unter der Nachweisgrenze. Was praktisch bedeutet, dass er auch kein Infektionsrisiko darstellt. Gleichwohl meinte die Polizei das Gegenteil. Das Gericht hat sogar einen Sachverständigen befragt. Dieser bestätigte, dass weder Kollegen noch Bürger einem Ansteckungsrisiko ausgesetzt wären.

Deshalb muss die Polizeiakademie nun erneut über die Bewerbung des Mannes entscheiden. Eine verbindliche Einstellung kam momentan nicht in Betracht, weil der Mann das übliche Bewerbungsverfahren gar nicht durchlaufen durfte (Aktenzeichen 13 A 2059/17).

Gerichtstermin für einen Verstorbenen

In einem Strafverfahren war es heute nötig, den Strafregisterauszug einer dritten Person vor Gericht zu verlesen. Also nicht den des Angeklagten. Die Liste der Verurteilungen war beeindruckend lang. Erzählen will ich aber nur von einem Eintrag, dem chronologisch letzten.

Der Vorsitzende der Strafkammer nannte diesen Eintrag „meinen Favoriten“. Mit gutem Grund. Denn laut Register war der Betreffende mit Urteil vom 28. November 2018 vom Amtsgericht – mittlerweile rechtskräftig – wegen einer kleinen Straftat verurteilt worden.

Klingt eher erstaunlich, wenn man weiß, dass der im November 2018 Verurteilte zu diesem Zeitpunkt schon knapp zwei Monate tot war. Woran kein Zweifel besteht, denn sonst würde es den Prozess, in dem das Strafregister nun verlesen wurde, nicht geben.

Klingt erst mal schräg, ist es bei näherer Betrachtung aber gar nicht. Zum Hauptverhandlungstermin am 28. November 2018 ist der Verstorbene natürlich nicht erschienen. Statt säumige Angeklagte gleich zur Fahndung auszuschreiben, nutzen viele Richter die Möglichkeit, während der Hauptverhandlung einen Strafbefehl zu erlassen. Was natürlich auch hier möglich war, denn der Strafrichter dürfte kaum gewusst haben, warum der Angeklagte nun nicht gekommen ist. Dieser Strafbefehl, den der arglose Richter dann erlässt, wird wirksam, wenn der Betroffene keinen Einspruch einlegt. Womit hier ja nun wirklich nicht zu rechnen war.

Strenggenommen wurde allerdings ein Toter verurteilt, so was gibt es also in echt. Die Angehörigen könnten das Urteil sogar noch nachträglich anfechten, aber das ist dann schon wieder eine andere Geschichte.

Eigenwillig

Genial von der Idee her, mangelhaft in der Ausführung. So würde ich die Schmuggel-Idee einstufen, mit der ein älterer Herr ein halbes Kilo Kokain transportieren wollte. Und zwar von Bogotá nach Barcelona.

Jedenfalls wundert es mich nicht, dass den Zollbeamten am Zielflughafen seine etwas eigenwillige Haartracht ins Auge fiel. Zumal der Mann auch noch ziemlich nervös gewirkt haben soll. Aber schaut euch das von der Policia Nacional veröffentlichte Bild selbst an:

Mehr fällt mir dazu auch nicht ein. Im Gegensatz zu seinem Anwalt, hoffe ich.

Falsche Belehrung, vielen Dank

Man kann schon auf merkwürdige Art und Weise, vor allem aber völlig überraschend von der eigenen Vergangenheit eingeholt werden. So ging es einem Mandanten, der vor rund 45 Jahren mit knapp sieben Jahren in eine Pflegefamilie kam und dort rund vier Jahre untergebracht war.

Der damalige Pflegevater, heute hochbetagt, geriet vor Kurzem in den Verdacht von Sexualstraftaten. Was die Kriminalpolizei veranlasste, sehr eingehend in dessen Vergangenheit zu forschen. Wobei dann auch der Name meines Mandanten bekannt wurde. Logischerweise wollten die Ermittler von meinem Mandanten wissen, ob der Pflegevater sich seinerzeit etwas zuschulden kommen ließ.

Juristisch interessant war die Frage, ob und inwieweit mein Mandant überhaupt aussagen muss. Zu meiner Überraschung belehrten die Beamten meinen Mandanten zu Beginn der Vernehmung, er habe als Pflegekind ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO. Er sei insoweit gleichgestellt mit leiblichen Kindern. Was bedeute, dass der Mandant rein gar nichts sagen müsse. Außerdem hätte er auch jederzeit die Möglichkeit, auf weitere Fragen nicht mehr zu antworten, selbst wenn er die Vernehmung freiwillig begonnen hat.

Das war eine schöne Sache, denn diese Kenntnis gab meinem Mandanten die nötige Sicherheit. Auf der einen Seite wollte er natürlich schon etwas sagen, nämlich, dass er keine negativen Erinnerungen an seine Zeit in der Pflegefamilie hat. Auf der anderen Seite wollte sich der Mandant aber auch nicht „unter Druck“ setzen lassen, etwa, wenn er alte Familienbilder hätte ansehen und kommentieren müssen.

Die durchaus einfühlende Belehrung über das Zeugnisverweigerungsrecht kam uns also entgegen. Was allerdings nichts daran ändert, dass sie falsch war. Pflegekinder haben kein Zeugnisverweigerungsrecht gegenüber ihren Pflegeeltern, selbst wenn sie ganz offiziell vom Jugendamt untergebracht sind und teilweise viele Jahre in der Familie leben. Eine Gleichstellung ist zwar immer mal wieder gefordert worden, das Gesetz wurde aber bis heute nicht ergänzt.

Für mich war es eine der seltenen Situationen, in der ich einer inhaltlich falschen Zeugenbelehrung nicht entgegentreten musste. Vielmehr habe ich schön den Mund gehalten…

Müdigkeitsattacke im Gerichtssaal

Wenn der Sachverständige in der Hauptverhandlung wegdöst – ist das keine besonders gute Sache. Denn ein teilweise schlafender Sachverständiger berechtigt den Angeklagten, den Sachverständigen wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Das hat das Landgericht Aurich entschieden.

Der Sachverständige hatte sich damit gerechtfertigt, er sei Opfer einer „Müdigkeitsphase“ gewesen und habe überdies an einer Atemwegserkrankung gelitten. Deshalb sei er eingeschlafen, als das Gericht gerade einen Zeugen vernahm. Interessant wird die Entscheidung in dem Punkt, als das Landgericht die Befangenheit auch bejaht hat, nachdem der Sachverständige sich audrücklich beim Angeklagten entschuldigt hat. Aus Sicht des Angeklagten ändere auch die Entschuldigung nichts daran, dass dieser den Eindruck haben könne, der Sachverständige nehme die Veranstaltung nicht hinreichend ernst.

Link zum Beschluss

Warum ich Facebook nicht kostenlos berate

Aus einer „Anfrage“:

Sehr geehrter Herr Vetter,

ich bin Faktenprüfer bei CORRECTIV und überprüfe gerade diesen Facebook-Post, in dem unter anderem die Behauptung aufgestellt wird, das Aussageverweigerungsrecht sei „quasi abgeschafft“ und die Polizei könne „Bürger zur Aussage zwingen“. …

Bei meinen Recherchen bin ich einerseits auf einen Text der Kriminalpolitischen Zeitung und auf Ihren Artikel dazu gestoßen, in beiden heißt es, die Polizei könnte nun unter bestimmten Vorraussetzungen Zeugen laden.

Ich habe dazu Verständnisfragen und hoffe, Sie können mir weiterhelfen. …

Wenn Zeugen schon vorher auf richterliche oder staatsanwaltschaftliche Anordnung zur Aussage geladen werden konnten, was hat sich denn nun konkret geändert? Gehe ich Recht in der Annahme, Zeugen mussten vorher lediglich vor Gericht aussagen, jetzt aber könnten sie unter bestimmten Bedingungen auch vor Polizeibeamten aussagen? Hat ein Zeuge in so einem Szenario irgendeine eine Möglichkeit, die Aussage zu verweigern? Zudem: Ist Ihnen beispielhaft schon mal ein solcher Fall untergekommen? Über eine baldige Antwort würde ich mich sehr freuen. Ich bin gerne auch telefonisch für Sie erreichbar!

Herzliche Grüße,

Was Correctiv macht, kann man auf deren Seite nachlesen:

Wir sind Teil des Faktencheck-Projekts von Facebook.

Ich beantworte Presseanfragen jederzeit gerne und – bei vertretbarem Aufwand – auch kostenlos. Allerdings bin ich nach nach meiner eigenen kleinen Recherche zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich bei dieser Anfrage doch um etwas anderes handeln dürfte als die übliche Bitte einer Redaktion oder eines freiberuflichen Journalisten um ein Interview oder Hintergrundinformationen. Aus meiner Antwort:

Sehr geehrter Herr E.,

ich sehe keinen Grund, warum ich für das Unternehmen Facebook kostenlose Rechtsberatung leisten sollte. Wenn Sie bzw. Ihr Auftraggeber für den Faktencheck, der nach meinem Verständnis in erster Linie zur Erfüllung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes dient und somit vorrangig im eigenen Interesse von Facebook erfolgt, Auskünfte bzw. Unterstützung benötigen, stehe ich für eine Beratung natürlich gerne zur Verfügung. Diese würde ich aber nach meinem normalen Stundensatz abrechnen. Falls Sie bzw. Facebook hieran Interesse haben, melden Sie sich gerne noch einmal.

Mit freundlichen Grüßen
Udo Vetter

Auslandseinsatz

Über die tschechisch-deutsche Grenze bewegen sich ja zahlreiche Warenströme. Einen davon wollten deutsche Kriminalbeamte vor einiger Zeit unterbinden, als sie meinen Mandanten just abfingen, als dieser gerade über eine kleine Holzbrücke radeln wollte. Auf der Brücke hatten die Beamten schon wohlweislich einen Ast platziert, so dass durchkommende Fahrzeuge erst mal anhalten mussten.

Auf der einen Seite des Brückchens liegt Tschechien, auf der anderen Seite die Bundesrepublik Deutschland. Ihr ahnt sicher, was passiert ist. Die Festnahme erfolgte nämlich auf tschechischer Seite, dort wurde mein Mandant überwältigt und durchsucht. Die kristallinen Substanzen, von denen mein Mandant eine überschaubare Menge dabei hatten, trugen dann später die Beamten über die Grenze.

Schon mutig vom Staatsanwalt, wenn er nun eine „Einfuhr“ von Betäubungsmitteln anklagt. Einfuhr, das sagt an sich schon der Begriff, liegt nur dann vor, wenn die Betäubungsmittel die deutsche Grenze passiert haben. Strenggenommen haben die Polizisten die Drogen eingeführt, mein Mandant aber jedenfalls nicht.

Die Hauptverhandlung wird sicher spannend. Ich bringe natürlich selbsterklärende Ausdrucke von Google Maps mit.

Fehleinweisung

Mir ist gerade ein bisschen schwindelig. Mein Mandant ist jetzt seit mehr als zehn Jahren in einer forensischen Klinik untergebracht. Es geht um Sexualstraftaten, und bisher waren sich die regelmäßig eingesetzten Gutachter einig. Ich kann jetzt natürlich keine Details sagen, aber es lief im Ergebnis darauf hinaus, dass mein Mandant von seiner sexuellen Orientierung her eine tiefgreifende psychische Störung hat, die seine Unterbringung rechtfertigt.

Nun hat mal ein anderer Sachverständiger die Sache überprüft, um für das Gericht eine Grundlage für die turnusgemäße Entscheidung über den weiteren Unterbringungsbedarf zu liefern. Der Gutachter sagt nun: alles Quatsch, die tiefgreifende Störung liegt nicht vor. Mein Mandant leide nur an einem ausgeprägten Narzissmus. Der sei aber nicht pathologisch und somit keine Rechtfertigung für eine Unterbringung. Die Klinik hat in weiteren Stellungnahmen mittlerweile eingeräumt, dass die bisherige Diagnose so wohl nicht richtig ist.

In Fachkreisen nennt man so was Fehleinweisung.

In Kürze wird mein Mandant angehört. Das Gericht hat auch den neuen Sachverständigen geladen. Ich bin mir sicher, es ist eine lebhafte Diskussion zu erwarten. Das alles hört sich auch erst mal sehr positiv für den Mandanten an. Doch bei näherem Hinsehen fürchte ich, dass sich die Diskussion womöglich sehr schnell auf eine ganz kritische Frage verlagert. Ich rede von der nachträglichen Sicherungsverwahrung (§ 66b StGB), eine der aus Sicht von Betroffenen eher unerfreulichen Regelungen, die im Wege der „Reform“ der Sicherungsverwahrung Gesetz geworden sind.

Man kann da leicht mit Zitronen handeln…

Flugentschädigung auch bei Verspätung außerhalb der EU

Flugreisenden, die Opfer von Verspätungen werden, stärkt der Europäische Gerichtshof regelmäßig den Rücken. Nun gibt es eine weitere Entscheidung zu einer ganz wichtigen Fallkonstellation: wenn der Flug in der EU startet, aber der Anschlussflug von einem Nicht-EU-Land aus erheblich verspätet ist. Im nun entschiedenen Fall ging es um einen Flug von Prag mit Zwischenstopp in Abu Dhabi, das Endziel war Bangkok.

Der Flug von Prag nach Abu Dhabi war pünktlich, der gebuchte Flug von Abu Dhabi nach Bangkok hatte aber eine Verspätung von rund sieben Stunden. Die tschechische Airline, bei der die Reisenden gebucht hatten, verwies darauf, den Weiterflug habe die Fluggesellschaft Etihad organisiert. Die erste Etappe sei nicht verspätet gewesen, so dass es sich bei dem verzögerten Start in Abu Dhabi um eine Verspätung handele, die nicht in der EU ihren Ausgang habe. Somit müsse sie keine Entschädigung zahlen.

Das sieht der Europäische Gerichtshof anders. Maßgeblich sei nur, dass es sich bei dem Vertragspartner der Kunden um eine Airline (und zum Beispiel nicht nur um ein Reisebüro) handelt, die selbst einen der Flüge organisiere. Die Entscheidung hat sehr große praktische Bedeutung, da ja immer mehr Fernflüge über Drehkreuze abgewickelt werden, dazu gehören gerade auch Abu Dhabi (Etihad) und Dubai (Emirates). Künftig können Reisende also auch problemlos Geld in Deutschland verlangen, selbst wenn erst ihr Anschlussflug außerhalb der EU mit mehr als dreistündiger Verspätung das Endziel erreicht. Das Aktenzeichen der Entscheidung lautet C-502/18.

Machtwort vom saarländischen Verfassungsgericht

Wer sich mal zu Unrecht geblitzt fühlte, hat es schon erlebt: Tempomessungen behandeln die meisten Gerichte quasi als sakrosankt, sofern die Messgeräte eine Genehmigung der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) haben. Ganz so einfach ist es allerdings nicht, hat nun der Verfassungsgerichtshof Saarbrücken entschieden.

Autofahrer hatten sich gegen Messungen mit dem Gerät TraffiStar S 350 gewehrt, und zwar mit einer Begründung, über die an anderen Gerichten nur der Kopf geschüttelt worden wäre. Der Einwand: TraffiStar S 350 speichere gar nicht alle sogenannten Rohdaten, die in die Messung einfließen. Deshalb sei es einem Betroffenen unmöglich, die Messung im Detail zu überprüfen, weil ihm eben nicht der komplette „Entscheidungsprozess“ des Geräts zugänglich gemacht werde.

Genau darin sehen die Verfassungsrichter im Saarland einen rechtsstaatlichen Mangel. Es gehöre zu einem fairen Verfahren, dass jeder Betroffene nachforschen könne, ob es Zweifel an der Tragfähigkeit des Vorwurfs gibt. Dass nicht alle Daten festgehalten bzw. offengelegt würden, führe zu einer verfassungswidrigen Beschränkung des Rechts auf wirksame Verteidigung.

Das Gericht weist allerdings schon mal vorsorglich darauf hin, dass seine Kompetenz an den Grenzen des Saarlandes endet. Im Saarland werde ab sofort allerdings nun darauf geachtet, ob Bußgeldstellen und Instanzgerichte Autofahrer nur zur Rechenschaft ziehen, wenn tatsächlich alle Rohdaten der Messung im Streitfall überprüft werden können (Aktenzeichen Lv 7/17).

Amazon & Co. müssen keine Hotline bieten

Telefon und Fax sind nicht alles, zumindest was die Erreichbarkeit von Unternehmen angeht. Entgegen dem bisher geltenden Regeln in Deutschland sind Onlinehändler insbesondere nicht verpflichtet, für ihre Kunden telefonisch oder per Fax erreichbar zu sein. Das hat der Europäische Gerichtshof entschieden.

Die deutschen Verbraucherzentralen hatten Amazon verklagt, weil die Firma nicht direkt telefonisch Kontakt mit ihren Kunden pflegt, sondern nur einen (nicht gerade leicht aufzufindenden) Rückrufservice bietet. Eine Faxnummer nennt Amazon gar nicht. Doch eine Verpflichtung für eine Telefonhotline oder einen Faxanschluss gibt es nach Europarecht gerade nicht, heißt es in dem heute veröffentlichten Gerichtsentscheid.

Vielmehr genügen auch „andere Kommunikationsmittel“, also insbesondere Chats. Voraussetzung sei aber, dass hierdurch eine direkte und effiziente Kommunikation möglich sei. Außerdem müssten die Kanäle „in klarer und verständlicher Weise zugänglich gemacht“ werden. Ob der Amazon-Rückrufservice insoweit ausreichend ist, müssten die nationalen Gerichte entscheiden.

Festhalten kann man aber schon jetzt, dass sich ein Unternehmen nicht schon deshalb rechtswidrig verhält, wenn es keine Telefonnummer angibt (Aktenzeichen C – 649/17).

Männlichkeit als Mangel

Auch wenn es die Überschrift vielleicht erwarten lässt, folgt nun keine Stellungnahme zum derzeit beliebten Thema alte weiße Männer. Vielmehr geht es um junge Hühner. Genauer gesagt um Federvieh im Allgemeinen und die gemeine Zwergseidenhenne im Besonderen. Drei von diesen schönen Tieren hatte eine Züchterin online angeboten – das Geschäft ging aber auf etwas kuriose Art und Weise daneben.

Obwohl im Angebot ausdrücklich von Hennen die Rede war, stellte sich eines der verkauften Jungtiere später als Hahn heraus. Der Käufer wollte vom Vertrag zurücktreten, die Verkäuferin bestand aber offensichtlich darauf, dass ein Hahn gleichwertig ist.

So landete der Streit vor dem Amtsgericht Coburg. Der dortige Richter hatte mit der Bewertung der Rechtslage erkennbar wenig Mühe. Zutreffend weist er in seinem Urteil darauf hin, wenn von Hennen die Rede sei, müssten auch Hennen geliefert werden (sogenannte Beschaffenheitsvereinbarung). Dieser Beschaffenheit habe der Hahn nicht entsprochen, weil er eben keine Henne war. Der Hahn sei „wegen seiner Männlichkeit“ im konkreten Fall als Kaufobjekt untauglich gewesen, was wiederum den Käufer berechtigte, sich vom Vertrag zu lösen (Aktenzeichen 11 C 265/19).

Rip off vehicle

Eins lässt sich festhalten: Einen coolen Namen haben sie den halbmobilen Blitzkisten gegeben, die nun verstärkt auf Deutschlands Straßen eingesetzt werden. „Enforcement Trailer“ werden die Geräte genannt, siehe zum Beispiel diese stolze Polizeimeldung über eine ganz aktuelle Inbetriebnahme in Münster.

Mich erinnerte der Name spontan an das „Wohnmobil der Liebe“ aus dem Uralt-Song der Housemartins, wobei es damals Wochen dauerte, bis uns noch einigermaßen jungen Leuten bei näherem Zuhören auffiel, dass mit „Caravan of Love“ eigentlich was anderes gemeint war. Wer die Zeit nicht miterlebt hat, auf ähnliche Weise hadern heute unzählige Menschen mit dem Parfümerie-Slogan „Come in and find out“.

Aber zurück zum Thema. Ein zur Kasse gebetener Autofahrer empfand den Enforcement Trailer eher als Rip off Vehicle. Deshalb wehrte er sich gegen einen Bußgeldbescheid mit einer lesenswerten Begründung. Er oder sein Anwalt hatten nämlich herausgefunden, dass das im Enforcement Trailer verbaute Messgerät laut Bedienungsanleitung nur „aus einem Kfz, auf einem Stativ oder in einer Messkabine“ Verwendung finden darf.

Die Bedienungsanleitung bei Tempomessgeräten ist an sich heilig. Normalerweise führt, kurz gesagt, jede Zuwiderhandlungzum Erlöschen der Betriebserlaubnis. Aber keine Regel ohne Ausnahme. Jedenfalls hat das Oberlandesgericht Bamberg überhaupt keine Probleme damit, der Betriebsanleitung auch mal keine Bedeutung beizumessen. Nach Auffassung der Richter komme es nur darauf an, ob Anhaltspunkte ersichtlich sind, dass die Messung aus einem kleinen Anhänger in irgendeiner Form fehlerhaft sein könnte. Dies sei aber nicht der Fall, heißt es. Das Bußgeld gegen den Autofahrer wird also durchgesetzt. Oder sollte man korrekter sagen: enforced?

Link zum Beschluss

„Section Control“ kann starten

Auf der B 6 zwischen Gleidingen und Laatzen wird die Geschwindigkeit demnächst mittels „Section Control“ überwacht. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg gab nun grünes Licht für den Testbetrieb. „Section Control“ erfasst am Anfang einer Messstrecke die Kennzeichen und die Einfahrtszeit aller Autos, am Ausgang des Korridors (Länge 2,2 Kilometer) wird die gefahrene Geschwindigkeit der Wagen ermittelt. Temposünder sollen dann zahlen.

Das Verwaltungsgericht hatte den Testbetrieb zunächst gestoppt. Es bemängelte insbesondere, für die Eingangsspeicherung der Nummernschilder gebe es keine gesetzliche Grundlage. Diese hat der Landtag in Niedersachsen dann aber kurzfristig geschaffen, indem er eine Regelung ins Niedersächsische Polizeigesetz aufnahm.

Gegen die Verfassungsmäßigkeit der neuen Vorschrift hat das Oberverwaltungsgericht Lüneburg keine durchgreifenden Bedenken. Die Anlage wird dann nun wohl in den Testbetrieb gehen (Aktenzeichen 12 MC 93/19).