Mehr Rechte für App-Käufer

Wer eine App im Play Store von Google kauft, wird wohl nicht ausreichend über seine Rechte informiert. So soll der Kunde schon durch das Tippen auf den „Kaufen“-Button auf sein gesetzliches Widerrufsrecht verzichten. Das jedoch ist so nicht ausreichend, hat nun das Landgericht Köln entschieden.

Zwar ist es grundsätzlich möglich, das Widerrufsrecht bei sofortiger Lieferung von Apps zu beschränken. Google kombiniert die entsprechende Belehrung aber mit anderen Ausführungen und geht davon aus, dass der Kunde schon durch den Klick auf den „Kaufen“-Button auf sein Widerrufsrecht verzichten kann. Das hat die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen beanstandet, mit Erfolg.

Nach Auffassung des Gerichts nehmen Käufer es nicht wahr, dass sie mit dem „Kauf“ sogleich einem sofortigen Download zustimmen und damit ihr Widerrufsrecht einbüßen. Vielmehr sei eine gesonderte Zustimmung erforderlich. Es sei auch nicht ausreichend, wenn das Feld mit der Zustimmung schon voreingestellt sei.

Aktuell verwendet der Play Store immer noch die rechtlich nun fragwürdigen Klauseln, wenn auch in geringfügig abgewandelter Form. Das Urteil des Landgerichts Köln ist allerdings noch nicht rechtskräftig. Google hat Berufung eingelegt (Aktenzeichen 31 O 372/17).

Unbekannt ins Ausland verzogen

Wer keine Adresse hat oder diese nicht angeben möchte, kann vor Gericht kein Recht erhalten. Dies hat das Sozialgericht Stuttgart entschieden.

In einem Prozess hatten Kläger Leistungen nach dem SGB II geltend gemacht. Ursprünglich hatten sie eine ladungsfähige Anschrift angegeben. Sie sind dann aber im Laufe des Verfahrens „unbekannt ins Ausland verzogen“. Weder über die Sozialbehörde noch über das Einwohnermeldeamt konnte das Sozialgericht ermitteln, welche Anschrift die Kläger jetzt haben.

Wegen der fehlenden Anschrift betrachtet das Gericht die Klage als unzulässig. Zum Zeitpunkt der Entscheidung müsse eine ladungsfähige Anschrift vorliegen. Die Adresse diene der „zweifelsfreien Identifizierung“ der Kläger. Außerdem gebe es auch im Sozialrecht Konstellationen, in denen Kläger Kosten tragen müssen, etwa bei mutwilligen Klagen. Ohne Adresse könnten die Kosten dann aber nicht eingetrieben werden.

Interessant ist natürlich die Frage, ob es zum Beispiel reicht, wenn ein Kläger angibt, über seinen Anwalt erreichbar zu sein und diesem auch eine Zustellungsvollmacht erteilt. Den Fall hatten wir schon öfter, allerdings vor Zivil- und Verwaltungsgerichten. So weit ich mich erinnere, wurde das eigentlich immer akzeptiert (Aktenzeichen S 18 AS 2628/18).

Weiter schmoren

Die Sache war weiß Gott kein Selbstläufer, aber es hat geklappt. Die restliche Freiheitsstrafe des Mandanten wurde zur Bewährung ausgesetzt. Das hat ihn gefreut. Mich auch. Am letzten Freitag hätte der Mandant entlassen werden müssen.

Eigentlich.

Denn einen Knackpunkt gibt es in solchen Fällen. Wenn sie mit einer Strafaussetzung nicht einverstanden ist, kann die Staatsanwaltschaft sofortige Beschwerde einlegen. Fies daran: Im Gegensatz zu anderen Rechtsbehelfen hat die sofortige Beschwerde in diesem Fall aufschiebende Wirkung. So ordnet es das Gesetz ausdrücklich an (§ 454 StPO).

Bis zur Entscheidung des Oberlandesgerichts, die natürlich wieder etwas auf sich warten lassen kann, muss der Betroffene also weiter schmoren. Allerdings zeigt die Erfahrung, dass (ordentlich) begründete Beschlüsse der Strafvollstreckungskammer vor dem Oberlandesgericht fast immer Bestand haben. Ich hoffe, dabei bleibt es auch in diesem Fall. Sonst hätten wir uns wirklich zu früh gefreut.

„Sodass davon ausgegangen werden kann …“

Es geht um die Bestellung einer klitzekleinen Menge Marihuana, die im Darknet erfolgte. Die Ware sollte von DHL ausgeliefert werden. Was aber nicht geschah, weil der Zoll stutzig wurde. In dem Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts findet sich nur eine kurze Begründung für den Anfangsverdacht:

Der Beschuldigte ist an der Empfängeradresse wohnhaft, sodass davon ausgegangen werden kann, dass er auch der Besteller des Marihuana ist.

Es gab im Vorfeld keine weiteren Ermittlungen. Gar nichts. Für mich liest sich das alles eher wie eine Bedienungsanleitung, wie man jemandem, den man gar nicht leiden kann, ohne jedes Risiko mal so richtig Ärger machen kann. Noch dazu mit geringstmöglichem Aufwand, denn für das Schockmoment sorgt ja letztlich die Staatsgewalt.

Ehrliche Antwort?

Falls ihr mal in die sicherlich unwahrscheinliche, aber halt auch sehr unangenehme Situation gelangt, dass ihr womöglich auf Dauer gesiebte Luft atmen sollt und ein psychiatrischer Sachverständiger festszustellen hat, welches Risiko ihr künftig für die Gesellschaft darstellt, dann antwortet bitte nicht folgendes auf die Frage, wie ihr euch selbst so einschätzt:

Ich bin ein böser Mensch.

Die restlichen 39 Seiten des Gutachtens sind dann nämlich nur noch Makulatur.

Der Mops bleibt unberührt

Auch einem schönen Mops hilft es nicht, wenn er nur einen Hoden hat. Dann gilt er nämlich als nicht „zuchtfähig“ und darf nicht auf Hundeschauen präsentiert werden. Wobei sich natürlich ganz am Rande die Frage stellt, ob ein Mops nicht grundsätzlich sowieso lieber was anderes machen möchte als an einem Beauty Contest teilzunehmen.

Aber den Mops namens Xavier, der möglicherweise nur einen Hoden hat, fragt sowieso niemand. Vielmehr ist es sein Herrchen, welches – vermutlich komplett gegen seinen Willen – in einen juristischen Streit um die körperliche Ausstattung seines Tieres hineingezogen wurde, der nun sogar das Landgericht Köln beschäftigte.

Damit sind wir beim namentlich nicht bekannten Kläger, den wir aber guten Gewissens mit dem Pseudonym Herr Vereinsmeier belegen können, weil damit eigentlich schon alles gesagt ist. Herr Vereinsmeier züchtet nämlich auch, bitte jetzt nicht politisch unkorrekt lachen, Möpse, was laut Duden wirklich der korrekte Plural ist. Dem Vereinsmeier war der schöne Xavier ein Dorn im Auge, weil er diesen als ernstzunehmenden Konkurrenten für sein Tier bzw. seine Tiere erachtete, die nach seiner festen Überzeugung fortpflanzungstechnisch keine Makel aufweisen. Im Gegensatz zum armen Xavier.

Doch einen Schritt zurück. Auf einer Hundeschau musste Vereinsmeier Xavier wieder mal in einem Recall entdecken. Doch sein scharfes Auge meinte zu erspähen, dass Xavier nur einen Hoden im Hodensack hat. Weil man das aber vermutlich mit letzter Exaktheit gar nicht sehen kann, forderte Vereinsmeier Xaviers Herrchen auf, die Zuchttauglichkeit des Mopses fachärztlich untersuchen und bestätigen zu lassen.

Wenig überraschend wies der angegangene Züchter dieses Ansinnen zurück. Herr Vereinsmeier beschwerte sich beim Verein. Der erhörte ihn nicht. Er beschwerte sich beim Vereinsgericht und bot sogar an, den Tierarzt zu bezahlen, der Xaviers Grundausstattung checken sollte. Das Vereinsgericht lehnte ab, so dass Herr Vereinsmeier tatsächlich vor das Landgericht Köln zog. Dieses sollte anordnen, dass Xavier untersucht wird und im Falle der Weigerung seine Zuchtzulassung widerrufen wird.

Der juristische Showdown ging wenig überraschend zu Gunsten von Xavier aus. Wobei das Landgericht Köln in seinem Urteil jede Festlegung dazu vermeidet, welche Bedeutung die Zahl der Hoden für einen Zuchtmops hat. Vielmehr weist das Gericht eher lakonisch darauf hin, dass für solche Fragen die Mitgliederversammlung zuständig ist. Wenn diese keinen Handlungsbedarf sehe, könne ein Vereinsmitglied nur in Ausnahmefällen selbst klagen. Dieser Ausnahmefall liege aber nicht vor, denn auch ein schöner Mops ist halt nur ein Mops von vielen. Und eine grundsätzliche juristische Frage, auf deren Beantwortung die Welt gewartet hat, mochte das Landgericht nun nicht zu erkennen. Ich konnte auf die Schnelle keine Studien googeln, aus denen sich ergibt, ob das Problem des singulären Hodens bei Möpsen ausgeprägter ist als im übrigen Tierreich.

Eher pflichtgemäß weisen die Richter sogar darauf hin, dass sich der Kläger auch nicht auf das Wettbewerbsrecht berufen kann. Unlauter sei es aber ohnehin nicht, wenn der Verein nicht das macht, was Herr Vereinsmeier unbedingt will.

Wie es Xavier heute so geht, erfahren wir mit Sicherheit bald von Markus Lanz oder im RTL (Aktenzeichen 28 O 438/18).

Gericht sagt zu spät, wer die Richter sind

Heute sollte in Berlin der Prozess im Fall Georgine K. beginnen (Bericht). Die 14-Jährige ist seit September 2006 verschwunden. Nun ist ein heute 44 Jahre alter Mann angeklagt, den die Strafverfolger für den Mörder des Mädchens halten.

Allerdings dauerte der erste Verhandlungstag nur wenige Minuten. Die Verteidiger rügten erfolgreich einen Verfahrensfehler der Art, der für ein Schwurgericht doch etwas peinlich sein sollte. Das Gericht hatte den Angeklagten und seine Anwälte nämlich erst am Vortag darüber informiert, wie das Gericht besetzt ist, insbesondere wer die ehrenamtlichen Richter (Schöffen) sind.

Erfolgt die Information über die Gerichtsbesetzung nicht mindestens eine Woche vor der Verhandlung, können die Verteidiger, aber auch die Staatsanwaltschaft eine Unterbrechung verlangen (§ 222a StPO). Was in diesem Fall auch prompt passierte, und zwar durch die Verteidiger.

Was erst mal nach Verzögerungstaktik klingt, hat einen nachvollziehbaren Hintergrund. Denn für einen Angeklagten ist es „lebensnotwendig“ zu wissen, wer da über ihn zu Gericht sitzt. Zum Beispiel muss der Angeklagte prüfen können, ob einer der Richter möglicherweise befangen ist. Facebook ist in bei dieser Recherche mittlerweile der beste Freund des Anwalts. Und ich kann euch sagen, man erlebt da wirklich mitunter handfeste Überraschungen. Letztes Jahr habe ich etwa einen Schöffen erfolgreich wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, der sich schon jahrelang ausländerfeindlich in sozialen Medien geäußert hat. Er war sicher nicht der berufene Mann, um über meinen Mandanten mit Migrationshintergrund „im Namen des Volkes“ zu urteilen.

Etwas komplizierter ist die Prüfung, ob die betreffenden Richter korrekt ausgewählt worden sind. Das kann für den Anwalt bedeuten, dass er sich durch die gesamten Unterlagen der Schöffenwahlen wühlt und überdies schaut, ob ein möglicherweise wirksam gewählter Schöffe tatsächlich auch derjenige ist, der als „gesetzlicher“ Richter für dieses Verfahren einzuteilen war.

Am häufigsten ist die Konstellation, dass ursprünglich zuständige Schöffen ihren Dienst abgesagt haben. Etwa wegen eines längeren Urlaubs, Krankheit oder zu starker Belastung im Beruf. Die Gründe kann man oft sehr gut hinterfragen und so bezweifeln, dass die an ihre Stelle getretenen Richter korrekt ausgewählt sind.

Sogar bei den hauptamtlichen Richtern finden sich mitunter Ansatzpunkte. Wenn die Strafkammer zum Beispiel aus mehr als drei Richtern besteht, was häufig vorkommt, muss es einen kammerinternen Verteilungsplan geben, welche zwei bzw. drei Richter wann für welchen Fall zuständig sind. Auch da kann man dann mitunter Überraschungen erleben, nämlich wenn sich der Vorsitzende entgegen dem eigenen Plan seine Wunschbesetzung für diesen Fall dann doch zusammengewürfelt hat.

All diese Prüfungen kosten natürlich Zeit, so dass nach der Rechtsprechung die Hauptverhandlung mindestens für eine Woche pausieren muss. Dementsprechend hat das Gericht heute auch reagiert; erst nächste Woche wird weiterverhandelt.

Mulmiges Gefühl?

Urlaubszeit ist Reisezeit. Der eine oder andere mag vielleicht mit einem mulmigen Gefühl in den Urlaub starten, weil möglicherweise gegen ihn Ermittlungen laufen, er vielleicht zur Aufenthaltsermittlung oder sogar Festnahme ausgeschrieben sein könnte.

Die wichtigste Datenbank zu diesem Thema ist im Bereich der EU das Schengener Informationssystem (SIS). Dort ist praktisch alles gespeichert, was Grenzbeamte, Zoll und Polizisten so interessieren könnte. Interessanterweise sind die im SIS gespeicherten Informationen aber gar keine großen Geheimnisse.

Vielmehr hat jeder das Recht zu erfahren, was über seine Person im SIS gespeichert ist.

Die Auskunft kann man sich relativ leicht selbst besorgen. Man kann aber auch einen Anwalt beauftragen, an den die Auskunft dann zugestellt wird. Wie die SIS-Auskunft funktioniert, ist sehr gut auf einer Informationsseite des Bundesverwaltungsamts beschrieben.

Die Auskunft ist außerdem kostenlos. Man muss auch nicht erklären, warum man die über die eigene Person gespeicherten Daten haben möchte.

Fristablauf: heute

Für die private Steuererklärung gelten seit diesem Jahr neue Fristen. Warum ich das erwähne? Weil für viele Steuerzahler heute der Stichtag ist, um (mindestens) noch 25 Euro zu sparen.

Diese 25 Euro sind nämlich der Mindestbetrag, den das Finanzamt künftig für eine verspätete Steuererklärung in Rechnung stellt. Und zwar monatlich, mit Ablauf der normalen Abgabefrist. Diese Abgabefrist endet nun jeweils am 31. Juli jeden Jahres. Das Neue ist: Der Verspätungszuschlag von 25 Euro monatlich fällt auch dann an, selbst wenn der Steuerzahler am Ende eine Erstattung bekommt – was gerade bei vielen erklärungspflichtigen Gehaltsempfängern ja die Regel ist. 6 Monate Verspätung kosten also zum Beispiel auf jeden Fall 150 Euro, um die sich eine eventuelle Erstattung dann schmälert.

Außerdem sind die 25 Euro ein Mindestbetrag. Grundsätzlich gilt nämlich, dass der Verspätungszuschlag 0,25 % der festgestellten Steuerschuld beträgt – ebenfalls pro Monat. Wenn man einen Steuerberater beauftragt und das Finanzamt informiert, kann man sich übrigens erst mal zurücklehnen. In diesem Fall verlängert sich die Abgabefrist für die Steuerklärung 2018 auf den 28.02.2020.

Wer nichts sagt, macht jedenfalls nichts falsch

„Wie sicher kann man davon ausgehen, dass derjenige, der allein auf weiter Flur neben einem motorwarmen Auto steht, auch selbst gefahren ist?“

Diese Frage stellt, nicht ganz zu Unrecht, das Offenbacher Informationsportal op-online.de in einem Gerichtsbericht. Es ging um einen Mann, der angeblich verkehrsgefährdend Auto gefahren ist, dabei mehr als zwei Promille hatte und – keinen Führerschein. Die Polizei hielt den Mann nach dem Hinweis eines Zeugen an, als er allein neben dem Auto am Grünstreifen stand und pinkelte.

Der Zeuge, der die Polizei gerufen hatte, konnte den Autofahrer bloß beschreiben. Eher unglücklich waren sowohl Polizei als auch später der Richter, dass sich der Angeklagte mit einem sehr gewandten Trick verteidigte. Er sagte einfach gar nichts zur Sache. Am Ende hatte er mit seiner – absolut legitimen – Berufung auf das Schweigerecht Erfolg. Dem Richter blieb nichts anderes übrig, als die eingangs zitierte Frage mit einem Freispruch zu beantworten.

Unabhängig vom Einzelfall deshalb gerne zum x-ten Male der Hinweis: Wer im Falle eines Falles gar nichts sagt und dabei auch standhaft bleibt, macht jedenfalls nichts falsch. Und im Zweifel sogar sehr vieles richtig.

Gericht rügt Regensburger Staatsanwälte

Gerade in öffentlich interessanten Verfahren hat man als Verteidiger schon mal den Eindruck, der Staatsanwaltschaft ist die Pressearbeit fast ebenso wichtig wie die Aufklärung der Vorwürfe. Einen konkreten Missstand rügt nun das Verwaltungsgericht Regensburg im Korruptionsprozess gegen einen Regensburger Bauunternehmer.

Die Staatsanwaltschaft hatte im Juli 2017 zu ihrer druckfrischen Anklage eine Presseinformation herausgegeben und auch Presseanfragen beantwortet. Die Verteidigung hatte die voluminöse Anklageschrift erst zwei (!) Stunden vorher erhalten – und diese auch nur unvollständig.

Innerhalb dieser knappen Zeit, so das Gericht, sei es den Verteidigern gar nicht möglich gewesen, die Anklageschrift aufzuarbeiten, so dass sie ihrerseits nicht sachgerecht auf Presseanfragen reagieren konnten. Die Verteidigung könne rechtzeitige Information verlangen, ansonsten sei ein faires Verfahren nicht gewährleistet. Außerdem müsse die Anklageschrift auch vollständig vorliegen. Im konkreten Fall fehlte der Anklagesatz. Ohne den Anklagesatz weiß der Angeklagte gar nicht, auf welche Beweismittel die Vorwürfe gestützt werden (Aktenzeichen RO 4 K 17.1570).

Im Süden was Neues

Vorurteile wollen ja gepflegt werden. Aber vielleicht sollte man es als Anwalt besser nicht tun – gerade was Gerichte angeht. Da gibt es ja die wildesten Vorurteile. Im Westen salopp, im Norden mal so oder auch anders, und im Süden knallhart. Ist im Kern schon etwas dran, aber halt nur von der Tendenz. Letztlich kommt es aber in keinem Fall auf die Region an, sondern darauf, wie sich die konkret zuständigen Richter im Einzelfall positionieren.

Das habe ich jetzt wieder aktuell in einem Fall erlebt, der in Bayern spielt. Der Mandant war wegen einer Sexualstraftat verurteilt worden, jetzt stand die Prüfung der Frage an, ob eine Bewährung nach Verbüßung von 2/3 der Strafe möglich ist. Die Justizvollzugsanstalt gab eine negative Stellungnahme ab. Die Staatsanwaltschaft argumentierte vehement gegen eine vorzeitige Entlassung.

Davon ließ sich die Vollstreckungskammer jedoch nicht beeindrucken. Sie prüfte sehr genau den Einzelfall und kam zu einem positiven Ergebnis. Der Mandant soll jetzt kurzfristig entlassen werden. Natürlich war hierfür einiges an Vorarbeit erforderlich, um alle Argumente sauber rüberzubringen. Auch der Mandant musste sich natürlich im besten Licht präsentieren (was ihm sehr gut gelang).

In der JVA haben sie dem Mandanten gesagt, in Bayern kriegt jemand wie er grundsätzlich keine Bewährung. Aber vielleicht gilt das auch nur so oft wirklich, weil zu viele einfach den Kopf in den Sand stecken und denken, sie haben ja sowieso keine Chance. Wer diese Chance nicht mal einfordert, kriegt sie natürlich tendenziell auch eher nicht.

Wessen Augen ?

Große deutsche Anwaltskanzleien nehmen ja gerne für sich in Anspruch, es besonders gut zu machen. Zum Beispiel durch das Vier-Augen-Prinzip. Was zwar auf der einen Seite die Kosten für die Rechtsvertretung in die Höhe treibt, auf der anderen Seite aber auch für erhöhte Qualität der juristischen Argumentation sorgen soll.

In einem Rechtsstreit, den auf der anderen Seite so ein größerer Laden führte, haben wir jetzt aber – wie ich finde – auf ziemlich kuriose Art und Weise einen glatten Durchmarsch hingelegt. Das Gericht bewertete nicht nur die Forderung unseres Mandanten als begründet, sondern konnte sich auch nicht mit einer Aufrechnung anfreunden.

Zur Begründung der Aufrechnung hat die Gegenseite einiges an Papier bedruckt. Der Richter ergreift dazu recht kompakt und trocken Position:

Eine Aufrechnung, wie sie die Beklagte erklärt, scheitert bereits daran, dass die Beklagte nicht geeigneten Beweis angeboten hat, dass der Kläger tatsächlich den früheren Unfall verschuldet hat. Soweit der Beklagtenvertreter der Auffassung ist, dass „durch die auf dem polizeilichen Unfallmitteilungsbogen vorhandene Unfallskizze der Polizei bewiesen“ sei, dass der „Kläger das andere Fahrzeug im hinteren Bereich gestriffen“ hat, war dem nicht nachzugehen.

Eine polizeiliche Unfallskizze ist kein geeignetes Beweismittel. Es wird auf den Numerus clausus der nach der ZPO zulässigen Beweismittel verwiesen. Eine Unfallskizze auf einem polizeilichen Unfallmitteilungsbogen fällt nicht darunter. Eine öffentliche Urkunde ist sie jedenfalls nicht.

Anders ausgedrückt: Die Anwälte der Beklagten haben schlicht und einfach nicht beachtet, dass man im Zivilprozess jede relevante Tatsache unter Beweis stellen muss, zum Beispiel durch die Aussage eines Zeugen. Kann mal passieren, ist schon klar. Vielleicht war der Fall ja auch einfach nur zu klein, so dass das erste und zweite Auge womöglich nur einem Referendar und das dritte und vierte einem Praktikanten gehörten.

Slackline über dem Fahrradweg – darauf muss man erst mal kommen

Ich will ja niemandem zu nahe treten. Außer vielleicht den drei Rübennasen, die im Freiburger Stadtteil Rieselfeld fürs Training ihre 15 Meter lange und 3 – 5 Zentimeter breite Slackline über einen Rad- und Fußweg spannten, der durch den dortigen Park führt. Was zur Folge hatte, dass eine Radfahrerin nicht mehr rechtzeitig bremsen konnte und schwere Verletzungen erlitt.

Die Verantwortlichen bzw. ihre Haftpflichtversicherungen versuchten, die Radfahrerin in die Mithaftung zu nehmen. Sie sollte einen Teil des eigenen Schadens tragen. Das Oberlandesgericht Karlsruhe erteilt dem eine klare Absage. Wer in einem öffentlichen Park ohne weitere Sicherungsmaßnahmen seine Slackline über einen Rad- und Fußweg spanne, dürfe nicht damit rechnen, dass Radfahrer das Hindernis schon rechtzeitig sehen und bremsen.

Selbst wenn ein Radfahrer aufmerksam sei, so das Gericht, könne er bei einer Geschwindigkeit von 15 km/h die Slackline erst so spät sehen, dass er nicht mehr rechtzeitig anhalten könne. Schon die Vorinstanz hatte den Sporthelden die volle Schuld gegeben, den Schadensersatz und das Schmerzensgeld der Klägerin aber eher knauserig bemessen und nur 10.000 Euro zugesprochen. Das Oberlandesgericht Karlsruhe erhöht diese Summe auf 25.000 Euro.

Dennoch meine ich, dass die Slackliner womöglich noch Glück hatten. An sich wäre das ja auch ein Fall für den Staatsanwalt gewesen (z.B. § 315b StGB).

Auch bei der Polizei müssen HIV-Positive eine Chance haben

In keinem Beruf gibt es, zumindest nach meiner Kenntnis, unüberwindbare Hürden für HIV-positive Menschen. Mit einer Ausnehme: Bei den meisten Polizeibehörden gelten HIV-Infizierte als untaugliche Bewerber. Das wird sich möglicherweise nun ändern, denn das Verwaltungsgericht Hannover schreibt der niedersächsischen Polizei mit einem aktuellen Beschluss ins Stammbuch, dass ein totales Zugangsverbot nicht gelten darf.

Der gescheiterte Bewerber ist HIV-positiv, aufgrund einer mehrjährigen Therapie liegt seine Virenlast aber unter der Nachweisgrenze. Was praktisch bedeutet, dass er auch kein Infektionsrisiko darstellt. Gleichwohl meinte die Polizei das Gegenteil. Das Gericht hat sogar einen Sachverständigen befragt. Dieser bestätigte, dass weder Kollegen noch Bürger einem Ansteckungsrisiko ausgesetzt wären.

Deshalb muss die Polizeiakademie nun erneut über die Bewerbung des Mannes entscheiden. Eine verbindliche Einstellung kam momentan nicht in Betracht, weil der Mann das übliche Bewerbungsverfahren gar nicht durchlaufen durfte (Aktenzeichen 13 A 2059/17).