VERJÄHRT

Zu meinen Favoriten unter den Wiedervorlagen gehören Bußgeldsachen. In denen ich blättere, noch mal lese und dann denke: Das ist doch seit zwei Monaten verjährt.

Gerade wieder so eine gehabt. Der Mandant wird sich freuen.

TAG DES HAFTBEFEHLS

Das Mainzer Polizeipräsidium begeht den „Tag des Haftbefehls“ – alle bislang nicht vollstreckten Haftbefehle werden abgearbeitet. Im Bereich des kompletten Präsidiums sind es 168, berichtet Polizeisprecher Achim Hansen. Es sind keine Schwerkriminellen, die die Polizei an diesem Tag im Visier hat; sondern vor allem solche, die sich beharrlich weigern, ihr Bußgeld oder ihre Geldstrafe zu bezahlen.

Der Main-Rheiner berichtet Näheres.

(Link gefunden in der Handakte)

BARGELD IM KOFFER

Bargeld im Koffer. Eine einfache Sache. Wenn’s der Zoll nicht merkt. Wie gestern in London Stansted, wo ein Reisender mit 24.000 britischen Pfund das Flugzeug nach Deutschland besteigen wollte. Er durfte mit, das Geld blieb da. Gründe für die Beschlagnahme, die nach dem „Crime Act 2002“ möglich ist:

– unsubstantiated story;
– method of carriage;
– no documentary evidence.

Das Geld kann bis zu drei Monaten einbehalten werden, was den Reisenden natürlich unglaublich fuchsig macht.

Aber darum kümmert sich jetzt ein britischer Kollege.

MANNESMANN-PROZESS STARTET NEU

Die Wiederauflage des Mannesmann-Prozesses vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Düsseldorf beginnt am 26. Oktober. Das steht fest, obwohl noch nicht alle Beteiligten eine Ladung vom Vorsitzenden Richter Stefan Drees bekommen haben. Er hat zunächst 25 Verhandlungstage anberaumt.

Der neue Strafprozess um auch die aktienrechtlichen Vorwürfe gegen ehemalige Mannesmann-Manager und Aufsichtsräte war notwendig geworden, weil der Bundesgerichtshof (BGH) die Freisprüche der ersten Instanz kassiert hatte. Der BGH sah sehr wohl den objektiven Tatbestand der Untreue erfüllt. Unter den sechs Angeklagten sind wieder Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann (Ex-Aufsichtsrat) und der ehemalige Mannesmann-Vorstand Klaus Esser. Nach der Übernahme durch die britische „vodafone“ Anfang 2000 flossen 60 Millionen Euro an Prämien und Abfindungen an Manager und Aufsichtsräte von Mannesmann (pbd).

FREISPRUCH FÜR EX-AGENTEN

Ein ehemaliger BND-Mitarbeiter ist vom Vorwurf des Geheimnisverrats freigesprochen worden. Der Nachrichtendienst hatte seinen Ex-Angestellten angezeigt, weil dieser ein Buch über den BND geschrieben hatte. Im Prozess gelang es der Behörde jedoch nicht, einen Geheimnisverrat nachzuweisen. Dass das Buch dem Ansehen des BND geschadet habe, reicht nach Auffassung des Landgerichts Berlin nicht.

Näheres in der Netzeitung.

(Link gefunden in der Handakte)

IN OFFIZIELLER MISSION

Die Klageforderung habe ich längst eingetrieben. Aber mit der Vollstreckung der Anwaltskosten habe ich etwas getrödelt. Und dann das: Die Schuldnerin, eine Puffmutti aus Westfalen, hat vor acht Wochen die Finger gehoben.

Jetzt kann ich mich – bei geöffneter Bürotür – hochoffiziell durch die einschlägigen Foren klicken, ob vielleicht jemand den Betrieb unter gleichen Namen übernommen hat. Möglicherweise kriege ich dann mein Geld vom Nachfolger. Falls die Internetrecherche (höhö) nichts bringt, rufe ich mal einen ortskundigen Blogger an. Der kennt den Laden garantiert.

STILFRAGEN

Ein Anwalt möchte durch ein „Schreibprofil“ belegen lassen, dass eine bestimmte Person der Autor eines wenige Zeilen langen Forumsbeitrags ist.

Staatsanwälte und Polizisten sind begeistert. Endlich geht ihnen auf, dass sie bei Ermittlungen im Netz bisher völlig fern liegende Ermittlungsansätze verfolgt haben.

BELLENDE HUNDE …

Um 14.15 Uhr habe ich den Gerichtstermin, in dem angeblich Leib und Leben der Klägerin bedroht sind. Nach der weiteren Korrespondenz habe ich das Gefühl, dass höchstens der Beklagte und ich gefährdet sind.

Ich bin auf jeden Fall gespannt, was das für ein Anwalt ist, der sicher heute extra nach Düsseldorf anreisen wird.

DIE ZEIT DER ANDEREN

Wenn Richter es anderen Berufsgruppen mal zeigen möchten, sind Entscheidungen zu Anwaltsgebühren der richtige Tummelplatz. Ein Beispiel mit Zeug zum Klassiker liefert das Oberlandesgericht Saarbrücken (NStZ-RR 2006, 191). Offensichtlich hatte das Gericht in einer Strafsache an fünf Tagen viel später mit der Verhandlung begonnen, als in der Ladung angegeben.

Der Pflichtverteidiger war immer pünktlich zur Stelle und saß unbeschäftigt herum. Er machte in seiner Rechnung den Längenzuschlag geltend, den es ab fünf Stunden gibt.

Das Oberlandesgericht Saarbrücken bügelt seinen Antrag ab, und zwar mit folgender Begründung:

Es kann nicht Aufgabe des mit der Sachbearbeitung befassten Gerichts sein, noch vor Aufruf der Sache – beginnend mit der in der Ladung vorgesehenen Terminsstunde bis zum tatsächlichen Beginn der Hauptverhandlung – fortlaufend Feststellungen zum Zeitpunkt des Erscheinens, der jeweiligen Verweildauer und den Möglichkeiten anderweitiger nutzbringender Beschäftigung sämtlicher gerichtlich bestellter Rechtsanwälte zu treffen.

Es sollte aber Sache des Gerichts sein, mit seinen Verhandlungen pünktlich anzufangen. Oder sich dann jedenfalls nicht kleinlich zu zeigen, wenn es die Arbeitszeit von Leuten blockiert, die nicht auf ein festes monatliches Salär vom Staat rechnen können.

Zum Glück gibt es auch schon großherzigere Entscheidungen, zum Beispiel vom Oberlandesgericht Hamm (RVGreport 2005, 351).

(Urteilsquelle gefunden in Strafprozesse und andere Ungereimtheiten)

NUR SCHWERHÖRIGE

Der Beklagte erwidert:

Ich bin zwar Blond abba nich Blöde … somit bin ich der Firma B. nicht zur Rechenschaft verpflichtet wie und was ich haben will, oder warum es genau so sein solllte!!! Immerhin ist der Kunde König, oder trifft das bei der Firma B. nicht zu!? Meine „Sonderwünsche“ habe ich der Klägerin ganz sicher am Telefon mitgeteilt, scheinbar arbeiten dort nur Schwerhörige, die das was der Kunde am Telefon sagt nicht hören und / oder nicht hören wollen! … Noch Fragen HERR Anwalt???

DIE WELT NACKT ZU GAST BEI FREUNDEN

Weibliche Besucher von Fußballspielen müssen damit rechnen, sich vor den Augen der Polizei nackt ausziehen und einer umfassenden Kontrolle unterziehen zu müssen. Das gilt auch, wenn sie selbst unverdächtig sind. Mit einem Urteil vom 27. April 2006 billigte das Verwaltungsgericht des Saarlandes die Leibesvisitation einer 17-Jährigen. Die Frau hatte gegen die aus ihrer Sicht unwürdige Behandlung geklagt.

Die Frau war am 11. März 2005 nach Saarbrücken gereist. Sie wollte sich die Zweitligabegegnung 1. FC Saarbrücken gegen 1. FC Dynamo Dresden ansehen. Den weiteren Verlauf schildert das Urteil:

Gegen 18.50 Uhr erreichte die Klägerin das Stadiongelände. Unmittelbar vor dem Stadioneingang war ein Bereich durch Beamte des Polizeibezirks Saarbrücken-Stadt … abgesperrt. An einer dort eingerichteten Druchlassstelle wurde der Bundespersonalausweis der Klägerin kontrolliert. Danach wurde sie von einem Beamten angewiesen, vor einem … Zelt zu warten.

Nach einer Wartezeit von etwa einer Viertelstunde wurde die Klägerin in das Zelt hereingerufen, in dem auf beiden Seiten mehrere Kabinen aufgebaut waren. Der Eingang der Kabinen war jeweils zum Gang gelegen und nicht mit Vorhängen vershen. Die Klägerin musste sich der Reihe nach der einzelnen oberen Kleidungsstücke entledigen, gefolgt von der Hose, den Schuhen und der linken Socke. Jedes der Kleidungsstücke wurde einzeln kontrolliert, ehe das nächste auszuziehen war.

Am Ende der Durchsuchung wurde die Klägerin angewiesen, den BH für eine Abtastkontrolle nach oben umzuklappen. Der Slip musste bis zu den Knien heruntergezogen werden und die Klägerin musste eine vollständige Körperdrehung durchführen.

Nach den Erkenntnissen der Polizei bestand die Vermutung, „unverdächtige Dynamo-Fans“ könnten „Bestandteil des Aktionsfeldes der gewaltsuchenden Dresdner Problemszene sein“. Diese „unverdächtigen Fans“ würden vermutlich verbotene Gegenstände (Waffen, Rauchpulver, Signalmunition) ins Stadion schmuggeln. Bei diesen „Unverdächtigen“ handele es sich um unscheinbare, jüngere oder ältere und insbesondere weibliche Personen, z.B. Lebensgefährtinnen oder Freundinnen von gewaltgeneigten Personen, die aufgrund ihres Erscheinungsbildes nicht der gewalttätigen Szene zugeordnet werden dürften.

Tatsächlich machte sich die Klägerin nur durch einen einzigen Umstand verdächtig: Sie trug einen Fanschal von Dynamo Dresden. Nach Auffassung der Polizei entsprach sie damit dem „Profil der Transportklientel voll und ganz“.

Die 6. Kammer des Verwaltungsgerichts des Saarlandes hat an der Behandlung der jungen Frau nicht das Geringste auszusetzen. Zwar weist das Gericht darauf hin, dass eine vorbeugende Durchsuchung von Personen nach dem Saarländischen Polizeigesetz sich auf objektiv beweisbare Tatsachen stützen müsse und nicht nur auf subjektive Werturteile.

Diese beweisbaren Tatsachen verlangt das Gericht aber letztlich nicht. Vielmehr lässt es die Behauptung der Polizei genügen, gewaltsuchende Personen würden erfahrungsgemäß andere Personen für sich instrumentalisieren. Wörtlich stellt das Urteil fest, den Polizeibeamten sei „gerade die Möglichkeit genommen, eine individuelle Prognose zu treffen“.

Somit verzichtet das Verwaltungsgericht praktisch auf jede Eingriffsvoraussetzung, die sich aus der Person der Betroffenen ergeben muss:

Würde man ausschließlich in der zu durchsuchenden Person liegende Hinweise verlangen, die den Schluss darauf ermöglichen, dass gerade diese Person sicherstellbare Gegenstände mit sich führt, wäre ein effektiver Polizeieinsatz zur Sicherung der Gewaltlosigkeit der Veranstaltung nicht mehr möglich.

Mit dieser Formulierung zeigt das Gericht eine beachtliche Ferne zu rechtsstaatlichen Grundsätzen. Das Ziel rechtfertigt plötzlich jedes Mittel. Wo keine Tatsachen vorliegen, sind sie eben entbehrlich. Der an sich unverdächtige Bürger kann zum bloßen Objekt gemacht werden und muss erhebliche Eingriffe in seine Menschenwürde klaglos dulden.

Das ist, wie ich finde, ein Offenbarungseid des Rechtsstaates.

Hier passt ins Bild, dass die Polizisten nach Auffassung des Gerichts noch nicht einmal verpflichtet waren, die Klägerin über Grund und Ablauf der Maßnahme aufzuklären oder sich zumindest vorzustellen. Dazu schreiben die Richter lapidar, für die junge Frau habe offensichtlich sein müssen, „dass sämtliche Maßnahmen zum Zwecke der Verhinderung gewalttätiger Auseinandersetzungen erfolgt sind“.

So weit sind wir also schon gekommen, dass der Betroffene sich selbst zusammenreimen muss, warum er in ein Zelt beordert wird und sich nackt ausziehen muss. Man stelle sich vor, wenn einmal Richter in das „Profil der Transportklientel“ passen sollten. Vielleicht demnächst bei einem Popkonzert, zu dem der Nachwuchs chauffiert wird?

Das Gericht scheut nicht einmal davor zurück, der Klägerin selbst eine Mitverantwortung für die Behandlung zuzuschreiben. Die junge Frau, schreiben die Richter, hätte doch einfach auf den Stadionbesuch verzichten können.

PDF des Urteils

(Vielen Dank an Thorsten Hein für den Hinweis und die weitere Unterstützung sowie an Kassandra für den Link zum Urteil)

AN DIE GRENZEN

Ich habe einen Großteil des Tages damit verbracht, bei der Exploration eines Mandanten dabei zu sein. Ich habe aufgepasst, dass nicht die falschen Fragen gestellt werden. Oder dass sie zumindest nicht beantwortet werden.

Bei folgenden Fragen des Psychiaters – antworten Sie bitte zügig und ohne großes Grübeln – wäre ich ins Schleudern gekommen:

– Ein Pfahl steckt zur Hälfte in der Erde. Ein weiteres Viertel ist mit Wasser bedeckt. Der restliche Teil schaut oben raus; dieser Teil ist 40 Zentimeter lang. Wie lang ist der Pfahl?

– Wie viel ist 1/2 + 1/3?

– Welches Bundesland hat die meisten Binnengrenzen?

Ganz schwierig fand ich auch das Zahlenaufsagen rückwärts. Der Psychiater sagt siebenzwei. Man antwortet zweisieben. Spätestens bei dreiachtsiebendrei spielt mein Hirn nicht mehr mit. Dabei sind sechs Ziffern normgerecht, behauptet der Seelendoktor.

Das mit den Binnengrenzen habe ich später noch einen Wachtmeister gefragt. Und eine Staatsanwältin. Die lagen übrigens auch daneben.

SMELLS LIKE …

Ich habe es zuerst nicht geglaubt. Aber das McDonald’s-Magazin (nur Salat, ich schwöre) ist ja eigentlich nicht bekannt für gelungene Satiren. Also gibt es ihn tatsächlich, den Herrenduft namens 2006 FIFA World Cup. Besonders gelungen finde ich die vorproduzierte Schleichwerbung fürs Radio:

Begeisterte Fans, jede Menge Tore, spannende Spiele, Triumph und Verzweiflung – all das kann man fast schon riechen. Diese Emotionen sollen aber auch im jetzt veröffentlichten, offiziellen Duft zur FIFA Fußball-Weltmeisterschaft 2006 stecken.

Ja, nach Verzweiflung wollen wir Männer gerne duften.

Nachtrag: Ob die Anwälte von Baker & McKenzie zu lange an ihren Pröbchen geschnüffelt haben?

Nachtrag 2: Dorthin gehen die Berlinerinnen, wenn ihnen der Fußball stinkt. (Quelle des Links.)

WM: KRIPO-ARBEIT AUF SPARFLAMME

Von EBERHARD PH. LILIENSIEK

Die Fußball-Weltmeisterschaft reißt Lücken in die Strafverfolgung – diese Furcht geht in vielen Staatsanwaltschaften um. „Wenn ein Kriminalbeamter ein Stadion bewachen muss, dann kann er nicht durchsuchen“, sagt der Landes-Vize-Vorsitzende des Deutschen Richterbundes. Oberstaatsanwalt Johannes Schüler (Köln) ist bereits „in Sorge“. Sein Bonner Kollege Fred Apostel wird deutlich: Die Polizei sei derart stark rund um das Fußball-Ereignise eingebunden, dass sie zu notwendigen strafprozessualen Maßnahmen „nur sehr eingeschränkt zur Verfügung steht“.

Dabei seien die Staatsanwaltschaften auf die Hilfe der Kripo stark angewiesen. Deren Beamten sind zuständig für kriminaltechnische Untersuchungen, Vernehmungen von Beschuldigten und Zeugen, Durchsuchungen und Beschlagnahmen. All diese Maßnahmen sieht Apostel in den nächsten vier Wochen „auf Sparflamme gekocht“. In Wuppertal holte Oberstaatsanwalt Alfons Grevener süffisant zu einem Rundumschlag aus: „Es wäre illusorisch zu glauben, dass die Polizeibehörden so opulent ausgestattet sind, dass ein so hoher Personalbedarf bei solchen Ereignissen nicht zur Einschränkung in anderen Bereichen führt“.

Beim Amtsgericht Düsseldorf gibt es Indizien dafür, dass Prozesse deswegen platzen, weil als Zeugen geladene Polizeibeamte zum Prozesstermin in Gelsenkirchen oder Köln eingesetzt sind. Der Chef der Anklagebehörde indes setzt auf Zweck-Optimismus: „Ich gehe davon aus“, sagte Hans-Reinhard Henke, „dass die Strafverfolgung nicht beeinträchtigt wird“. So sieht es auch Wolfgang Beus vom Innenministerium: „Natürlich ist die Polizei durch die WM stark gebunden. Sicher ist aber auch, dass genügend Polizisten für die Einsätze zur Kriminalitätsbekämpfung und zur Strafverfolgung zur Verfügung stehen. Die Polizei hat dies bei ihren Planungen für die WM seit langen berücksichtigt. Es wird keine Lücken bei der Strafverfolgung geben.“ (pbd)