Weil… ist so!

Wir erinnern uns gerne an das Argumentationsniveau von Marlene Mortler, der früheren Drogenbeauftragten der Bundesregierung, insbesondere an ihre super überzeugenden Erklärungen für das Verbot von Cannabisprodukten – Cannabis ist verboten, weil es illegal ist.

Wir vertreten gerade einen langjährigen Mandanten in einer zivilrechtlichen Angelegenheit, bei der die Begründung der Gegenseite verblüffende argumentative Ähnlichkeiten aufweist. Auf die mehrseitige Klage hin erreichte uns heute die Erwiderung, die abgesehen vom Klageabweisungsantrag aus dem wunderschönen Satz bestand:

Zur Begründung der Klageabweisung verweisen wir darauf, dass die Klage unbegründet ist.

Im Grunde verhält es sich hier wie bei Frau Mortler – man kann das so machen, sollte es aber nicht.

Das Gericht hat der Klage nämlich stattgegeben. Viel zu begründen, außer dass die Klage „schlüssig“ ist, hatte der Richter natürlich nicht.

RAin Jennifer Leopold

Ein Ferrari für die „ideellen Freuden“

Auch Pauschaltouristen dürfen Champagner trinken, wenn ihr Flug verspätet ist. Ihr erinnert euch vielleicht noch an dieses hübsche Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf. Mit ähnlichen Luxusproblemen musste sich jetzt das Kammergericht Berlin beschäftigen – aber auf viel höherem Niveau. In dem aktuellen Fall ging es um die Frage, welches Auto der Besitzer eines Rolls Royce Ghost ersatzweise fahren darf, so lange sein Auto nach einem unverschuldeten Unfall repariert wird.

Mit eben jenem Rolls Royce Ghost fuhr der Geschäftsführer einer Firma in Berlin. Es waren wohl eher repräsentative Fahrten. Das Gericht attestiert dem Mann jedenfalls eine Fahrleistung von stattlichen 50 Kilometern pro Tag. Diese Strecke sollte der Geschäftsmann während der Reparaturzeit seines Autos nun mit dem Taxi zurücklegen – so jedenfalls die Vorstellung der Hafptlichtversicherung des Unfallverursachers. Die Versicherung wies darauf hin, man könne in Berlin auch problemlos eine S-Klasse als Taxi mieten (was natürlich nur Banausen als RR-adäquat ansehen dürften).

Das Unfallopfer sah das dementsprechend nicht ein. Er mietete für die Reparaturdauer einen Ferrari California T., was mit 1.200,00 € brutto zu Buche schlug. Pro Tag. Das Kammergericht Berlin hat damit kein Problem. Die Richter vergleichen den Anschaffungspreis für den Rolls (ab 250.00,00 €) mit dem des Ferrari. Den Ferrari gibt es schon ab 190.00,00 €. Damit, so das Gericht, habe der Geschäftsmann einer Pflicht genügt, die jedes Unfallopfer beherzigen muss: Der Ersatzwagen darf höchstens aus der „nächstniedrigeren“ Fahrzeugklasse stammen.

Mit dem Unterschied zwischen Limousine und Sportwagen-Cabrio hat das Kammergericht kein Problem. Während das Landgericht in erster Instanz noch skeptisch war und dem Geschäftsmann unterstellte, er wolle mit dem Ferrari auch „ideelle Freuden“ fördern, was nicht zulässig sei. Auch wegen der niedrigen Fahrleistung hat das Kammergericht keine Bedenken. An einen Verzicht auf einen Ersatzwagen sei höchstens zu denken, wenn die tägliche Fahrleistung unter 20 Kilometern liegt. Ein Taxi, so das Gericht, sei ohnehin „kein der beschädigten Luxus-Limousine vergleichbarer Ersatz“, wobei das Gericht im Ergebnis auch herausstellt, Taxifahren sei halt letztlich nicht vergleichbar mit der Freiheit, die das eigene Auto bietet.

Die Versicherung hat dann noch eingewandt, man könne die Versichertengemeinschaft doch nicht mit solchen Luxusausgaben belasten. Dem Solidargedanken, den das Landgericht noch korrekt fand, konnte man am übergeordneten Zivilsenat nichts abgewinnen. Das Gesetz enthalte keine Regelung, wonach der Schadensersatz ab einem gewissen Luxusfaktor zu deckeln sei. Im übrigen, so das Urteil, zahlen die Halter solcher Autos auch viel höhere Prämien ein.

Im Ergebnis ging die Anmietung des Ferrari California also in Ordnung (Link zum Urteil). Die Revision wurde nicht zugelassen.

Gericht unterbietet den Verteidiger

Es kommt halt immer darauf an, an welchen Richter man gerät. Wirklich Glück hatte jetzt zum Beispiel ein Mandant, der wegen Marihuana-Eigenanbaus angeklagt war. Irgendwie hatte er einen grünen Daumen, jedenfalls wurde bei ihm gut das Doppelte der nicht geringen Menge des Wirkstoffs THC gefunden. So was läuft dann gleich unter Verbrechen, Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr.

Nun ja, wir haben am Schöffengericht die Hintergründe geschildert. Insbesondere, dass der Mandant schwerbehindert ist. Er leidet Tag für Tag an starken Schmerzen. Diese haben sowohl physische wie psychische Ursachen. Dutzende von Medikamentencocktails hat er über die Jahre schon verschrieben bekommen; nichts half auf Dauer. Mit der Ausnahme von Gras…

Gut war natürlich, dass mittlerweile auch der Antrag läuft, mit dem der Mandant den fraglichen Stoff später als Medikament aus der Apotheke beziehen darf. Zwei Ärzte haben das schon befürwortet. Aber natürlich ändert das – nach heutiger Rechtslage – nichts daran, dass der Mandant sich strafbar gemacht hat. Denn legal ist Cannabis auf Rezept halt erst nach ordnungsgemäßer Verschreibung.

Die Frage war also nur, wie fällt hoch fällt die Strafe aus. Die Staatsanwaltschaft sah immerhin einen minder schweren Fall, plädierte aber dennoch auf eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten, wenn auch auf Bewährung. Die Richter berieten etwas länger, kamen aber zu einem ausgesprochen erfreulichen Ergebnis: eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen.

Das ist, wenn ich mich nicht vertue, juristisch die absolute Untergrenze dessen, was selbst bei einem „minder schweren Fall“ in dieser Konstellation denkbar ist. Nicht mal die Eintragungsgrenze für das Führungszeugnis wird gerissen. Der Mandant behält also eine weiße Weste; er darf sich weiter als nicht vorbestraft bezeichnen.

Es kommt halt immer darauf an, an welchen Richter man gerät. Ich betone das auch deswegen, weil in meinem Plädoyer zwar auf die Möglichkeit einer Geldstrafe hingewiesen habe. Gegebenenfalls auch durch Umwandlung einer niedrigen Freiheitsstrafe in eine Geldstrafe nach § 47 StGB. Aber den Vorschlag, wirklich an der untersten Grenze des Möglichen zu bleiben, traute selbst ich mich nicht. Zum Glück habe ich konkret nur eine „milde Strafe“ gefordert, so dass es nicht allzu greifbar wurde, dass mich das Gericht tatsächlich unterboten hat.

Das passiert dir als Anwalt auch nicht allzu oft.

Beweismittelverlust

In einem Betrugsfall gibt es neben einem Zeugen zwei Beweismittel, die was taugen:

– die Videoaufnahme vom Tresen des Kiosks, in dem der Verdächtige das mittels Identitätsdiebstahls bestellte Paket abgeholt haben soll;

– einen spanischen Ausweis (möglicherweise gefälscht), den der Verdächtige bei Abholung vorzeigte und den der Besitzer einkassierte.

Die Polizei verzichtete auf Sicherung des Video-Datenträgers. Die Beamten dachten, der Kioskbesitzer würde schon eine Kopie behalten. Der Kioskbesitzer dachte, die Beamten hätten sich eine Kopie auf einen USB-Stick gezogen. Deshalb wurde die Aufnahme bei ihm nach 48 Stunden unwiderbringlich überschrieben.

Den eventuell gefälschten Ausweis schickte die Polizei ans Einwohnermeldeamt (warum auch immer). Auf die Idee, eine Kopie des Ausweises zu machen, kam der zuständige Beamte nicht. Das Einwohnermeldeamt schickte den Ausweis ans spanische Konsulat. Dort ist der Ausweis aber nie angekommen, sagt das Konsulat. Seit über einem Jahr weiß keiner, wo der Ausweis abgeblieben ist.

So was nennt der Jurist Beweismittelverlust. Kommt schon mal vor, aber eher nicht in so geballter Form.

Dann heute die Hauptverhandlung. Der Kioskbesitzer kommt als Zeuge in den Gerichtssaal und sagt nach Angabe seiner Personalien:

Also, wahrscheinlich fragen Sie ja gleich, ob der Herr neben dem Anwalt das Paket abgeholt hat. Den erkenne ich wirklich nicht wieder…

An manchen Tagen tut sich die Arbeit fast von selbst – Freispruch.

Berufswunsch Richter?

Welche Examensnoten reichen derzeit für das Richteramt? Kann man Punktedefizite mit Zusatzqalifikationen ausgleichen? Wo muss man sich eigentlich bewerben? Das Blog schwurgericht.info hat für alle Bundesländer die wichtigsten Informationen zusammengetragen.

Zum Beitrag.

Helferlein beim Autofahren

Habt ihr im Auto auch so eine schöne Funktion, welche euch die aktuell geltende Höchstgeschwindigkeit einblendet – und auf Wunsch das Tempo auch auf diesen Wert begrenzt? Für so betagte Menschen wie mich ist das eine echte Hilfe. Ich schrecke jedenfalls nicht mehr mit dem Gedanken auf: Was gilt jetzt aktuell eigentlich für ein Tempolimit?

Zu sehr darf man sich auf ein Fahrassistenzsystem allerdings nicht verlassen. Eventuelle Fehler des Geräts führen jedenfalls nicht dazu, dass es ein geringeres Verwarnungs- oder gar Bußgeld gibt. Dies hat das Amtsgericht Aachen entschieden.

Ein Autofahrer war mit 92 Stundenkilometern gemessen worden. An der Stelle waren aber nur 70 Stundenkilometer erlaubt. Der Mann machte geltend, er habe sich auf den Assistenten verlassen. Das Gerät sei ja auch nicht gerade billig. Von dieser Argumentation hält das Gericht gar nichts. Fahrassistenzsysteme mit der aktuellen Technik dienten nur zur Unterstützung des Autofahrers, sie nähmen ihm jedoch die Verantwortung für Verkehrsverstöße nicht ab. Das Bußgeld von 100,00 € plus Punkt in der Verkehrssünderkartei sei deshalb in Ordnung (Aktenzeichen 420 OWi-608 Js 1865/18-206/18, Link zur Entscheidung).

Nicht jeder Raub ist ein Raub

Nicht jeder Raub ist ein Raub. So könnte man eine Erkenntnis zusammenfassen, die uns der Bundesgerichtshof in einem etwas kuriosen Fall näherbringt. Es ging um eine Frau, die nach ihrer Haftentlassung lieber wieder ins Gefängnis wollte. Um das zu erreichen, besprühte sie am Augsburger Bahnhof eine Passantin mit Pfefferspray und nahm ihr das Handy weg.

Das Landgericht Augsburg erfüllte den Wunsch der Ex-Gefangenen prompt und verurteilte diese wegen schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten. Doch so simpel ist das juristisch leider nicht. Die Augsburger Richter übersahen nämlich, dass man einen Raub nur begehen kann, wenn man sich das Tatobjekt (hier: Mobiltelefon) auch „aneignen“ will.

Hier ging es der Frau ausweislich des Urteils aber nur darum, wieder in den Knast zu kommen, weil sie mit den Leben in Freiheit nicht zurecht kam und wohl auch ihre Lebenspartnerin inhaftiert ist. An dem Handy hatte sie kein Interesse, was sich auch daran zeigt, dass sie sich nach der Tat ohne Gegenwehr von Zeugen festhalten ließ. Deshalb hob der Bundesgerichtshof das Urteil nun auf; die Sache muss neu verhandelt werden.

Interessant ist natürlich, dass die Angeklagte erfolgreich Revision eingelegt hat. Das lässt an sich nur den Schluss zu, dass sie mittlerweile doch lieber wieder aus der Haft entlassen werden möchte. Möglicherweise würde ihr aber auch (erst mal) die Strafe wegen gefährlicher Körperverletzung reichen, die ja als Minus in der Verurteilung wegen Raubes drinsteckt. Dann könnte man ja immer noch weitersehen (Aktenzeichen 1 StR 37/19).

„Du warst auch gestern gut“

Auch das Arbeitsrecht hat mitunter interessante Fälle zu bieten. Dazu gehört sicherlich ein Konflikt zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmerin, den kürzlich das Landesarbeitsgericht Hamm aufdröseln musste. Es ging um ein sogenanntes Sugardaddy-Verhältnis, das die Beteiligten allerdings als Stelle für eine Hauswirtschafterin für monatlich 460,00 € deklarierten.

Auch wenn die Arbeitnehmerin später etwas anderes behauptete, sollte ihr der Lohn wohl ganz klar für sexuelle Dienstleistungen gezahlt werden (einvernehmlicher Sex zweimal wöchentlich sowie gemeinsame Essen und Kurzurlaube). Die Richter schöpfen ihre Überzeugung aus Whats-App-Nachrichten, die in dem Urteil sehr ausführlich zitiert werden. („Du warst auch gestern gut, ich fand es schön“ – „Für 1mal nicht schlecht“).

Weil die Beziehung zu einem späteren Zeitpunkt anscheinend eher brüchig wurde und wohl auch der Sex ausblieb, klagte die Arbeitnehmerin, die nebenher noch Sozialleistungen bezog. Sie wollte zum Abschied ihren vertraglichen Lohn, Urlaubsgeld sowie ein wohlwollendes Zeugnis. Das Landesarbeitsgericht seziert das Verhältnis in juristischer Hinsicht messerscharf, und zwar mit folgendem Ergebnis:

– Da es um Sex ging, war der Arbeitsvertrag für eine Hauswirtschafterin ein Scheingeschäft.

– Der Vertrag über Sex ist zwar sittenwidrig, aber wenn eine Person aus freien Stücken Sex gegen Geld anbieten will, gibt es keinen Grund, sie vor sich selbst zu schützen. Grundsätzlich ist so ein Vertrag also wirksam. Allerdings kann der Arbeitgeber die sexuellen Dienstleistungen nicht einklagen oder gar erzwingen.

– Lohn kann die Arbeitnehmerin in diesem Fall schon deshalb nicht verlangen, weil sie im fraglichen Zeitraum unstreitig keine sexuellen Dienstleistungen erbracht hat. Ohne Leistung kein Geld. Dieser Grundsatz gelte auch bei vertraglich vereinartem Sex. Auch als Hauswirtschafterin habe die Klägerin nicht gearbeitet und wollte dies auch nicht. Wenn der Arbeitnehmer aber schon gar nicht „leistungswillig“ sei, könne der Arbeitgeber auch nicht in Annahmeverzug kommen, so das Landesarbeitsgericht.

Ganz leer geht die Klägerin aber nicht aus. Für den (noch offenen) Urlaub, der ihr gemäß Vertrag zustand, muss der Arbeitgeber ihr 320,00 € bezahlen. Außerdem stehe ihr ein Zeugnis zu, denn jeder Arbeitnehmer habe Anspruch auf eine faire Bewertung seiner Tätigkeit. Über den konkreten Inhalt des Zeugnisses musste das Gericht nicht entscheiden. Klingt so, als könnte der Fall in diesem Punkt noch eine interessante Fortsetzung erfahren.

OLG-Senat verbummelt Urteilsfrist

Bei diesen „News“ dürften am Oberlandesgericht Düsseldorf eher nicht die Sektkorken knallen. Zu einer Geldbuße von 30 Millionen Euro hatten die Düsseldorfer Richter die Drogeriekette Rossmann verurteilt. Ob zu Unrecht oder nicht, darauf kam es dem Bundesgerichtshof bei Überprüfung des Urteils gar nicht an. Vielmehr sorgt ein eher peinlicher Formfehler dafür, dass die Angelegenheit komplett neu verhandelt werden muss.

Exakt fünf Wochen haben Richter in einem Strafvefahren Zeit, um das Urteil zu schreiben und es zur Gerichtsakte zu geben. Wann dies geschieht, muss der Beamte der Geschäftsstelle festhalten. Normalerweise ist die Fünf-Wochen-Frist, die sich bei längeren Verhandlungen gemäß § 275 StPO schrittweise verlängert, kein Thema. Die Einhaltung gehört sozusagen zur richterlichen DNA.

In dem Düsseldorfer Verfahren ist es trotzdem schiefgelaufen. Die Fünf-Wochen-Frist wurde gerissen, wesentlich mehr ist aus den Berichten über die BGH-Entscheidung bislang allerdings nicht zu erfahren. Der 30-Millionen-Prozess geht also in die Ehrenrunde, ein anderer Senat in Düsseldorf muss die Angelegenheit jetzt komplett neu verhandeln. Das Versäumnis der zuständigen Richter ist nämlich ein todsicherer Revisionsgrund. Deshalb gehört es zu jeder Anwalts-Checkliste für eine Revision, genau zu schauen, ob die Frist eingehalten wurde.

Die Regelung hat übrigens auch einen tieferen Sinn. Das Gesetz soll nämlich absichern, dass schriftliche Urteilsbegründungen nicht zu lange auf sich warten lassen. Außerdem soll vermieden werden, dass Richter sich aufgrund des Zeitablaufs gar nicht mehr genau an die Einzelheiten des Verfahrens erinnern (Bericht im Handelsblatt).

Derzeit

Vor einigen Tagen war ich am Landgericht, und die Vorsitzende der Strafkammer wies mich in der Verhandlung auf einen Spleen hin. Oder auf das, was sie für einen solchen hält. Nachdem wir den fünften Zeugen gehört hatten, seufzte sie und sprach in meine Richtung:

Herr Verteidiger, ich weiß nicht, warum Sie das immer sagen.

Was denn?

Immer wenn wir mit dem Zeugen fertig sind, sagen Sie: „Ich habe derzeit keine weiteren Fragen an den Zeugen.“ Wieso sagen Sie immer „derzeit“? Das nervt mich ein bisschen.

Frau Vorsitzende, ich sage derzeit, weil ich derzeit meine. Es kann ja sein, dass ich später doch noch Fragen an den Zeugen habe.

Aber später ist der Zeuge doch nicht mehr da, deswegen spielt das doch bitteschön keine Rolle.

Aber auch wenn der Zeuge nicht mehr da ist, kann es ja sein, dass ich Fragen an ihn habe. Die kann er dann halt nur nicht beantworten. Es sei denn, Sie laden ihn noch mal.

Das machen wir aber nicht. Wenn der Zeuge entlassen ist, ist er entlassen.

Gut, aber es kann ja sein, dass ich die erneute Vernehmung des Zeugen beantrage. Das ist dann ein Beweisantrag, und wenn Sie dem stattgeben, was ja nach der Strafprozessordnung nicht so ganz unmöglich ist, muss der Zeuge halt noch mal kommen.

Ach so, wenn Sie meinen, Herr Verteidiger…

Wir befragten dann den nächsten Zeugen. Bevor dieser verabschiedet wurde, schaute mich die Richterin aufmunternd an und wollte wissen, ob ich noch Fragen habe. Ich sagte:

Ich habe keine Fragen mehr an den Zeugen…

Die Richterin lächelte zufrieden. Bis ich anfügte:

… jedenfalls nicht im Moment.

SCNR.

Zum privaten Vergnügen

Sicher, mein Mandant ist davongelaufen, als er von der Polizei auf seinem Moped angehalten und kontrolliert wurde. Besser gesagt, er hat es versucht. Der (stattliche) Dildo in seinem Po verschaffte ihm auf der Flucht doch eher einen deutlichen Nachteil.

Auf der anderen Seite ist das natürlich eine super Erklärung dafür, dass der Mandant eher nicht derjenige ist, der knappe anderthalb Minuten vorher eine Straftat begangen haben soll. Ich kann jetzt nicht konkret werden, aber bei dem Delikt hätte es auch eher einer höheren Beweglichkeit bedurft. Das Sextoy wäre da doch hinderlich gewesen.

Wir bleiben also dabei, der Mandant ist zu später Stunde zu rein privatem Vergnügen mit seinem Moped rumgefahren, und mit der Tat hat er rein gar nichts zu tun. Eine Verwechslung halt. Oder zur falschen Zeit am falschen Ort. Bislang geht die Verteidigungsstrategie auf; eventuelle Verkehrsordnungswidrigkeiten sind mittlerweile sowieso verjährt.

Romantisches Treffen

Geschichten, die das Leben schreibt. Heute der Bericht einer Polizeidienststelle in einer Strafsache:

Am 10.06. rief der mittels Haftbefehl gesuchte N. die Unterzeichnerin (POK W.) beim Polizeikommissariat S. an. Herr N. wusste von dem Haftbefehl und wollte Bedingungen stellen, was seine Festnahme anging.

So bat er darum, dass die Polizei ein Zusammentreffen mit seiner (Ex)Freundin auf einer Parkbank arrangiere, wo er sich etwa eine halbe Stunde mit ihr unterhalten wollte, um sich anschließend vor Ort festnehmen zu lassen.

Die Arrangierung eines solch romantischen Treffens fand nicht statt.

Die Festnahme hat sich dann doch noch um einiges verzögert. Aber insgesamt sollte man sich doch eigentlich glatt die Filmrechte sichern lassen.

Freitags im „Büro“

Und, wie war euer Freitag so? Meiner gestaltete sich wie folgt:

7.00 Uhr: Anreise zu einem Gerichtstermin an einem Landgericht, 180 Kilometer von meinem Büro.

9.00 Uhr: Die Vorsitzende der Strafkammer eröffnet die Verhandlung. Sie legt dem Angeklagten, meinem Mandanten, dringend ans Herz, seine Berufung gegen ein Urteil des Amtsgerichts zurückzunehmen. Bei vorläufiger Bewertung sei die Entscheidung in Ordnung. Oder anders ausgedrückt: keine Ahnung, was der Angeklagte und sein Verteidiger eigentlich wollen. Wir wollen jedenfalls ins Wochenende.

09.30 bis 15.15 Uhr: Wir diskutieren den Gedanken, lehnen jedoch höflich, aber bestimmt ab. Also werden etliche Zeugen und ein Sachverständiger vernommen.

15.45 Uhr: Das Gericht verkündet sein Urteil. Das Strafmaß wird reduziert, und zwar von zwei auf anderthalb Jahre Gefängnis. Natürlich kann man jetzt die Nase rümpfen und sagen: Was sind schon sechs Monate? Aber auch nur, wenn man diese Zeit nicht im Knast verbringen muss.

Der Mandant fand jedenfalls, der Tag hat sich echt gelohnt. Ich auch, obwohl die Rückreise durch diverse Megastaus eher beschwerlich war.

Die EU gibt Beschuldigten mehr Rechte – schon jetzt

Habe ich einen Anspruch auf einen Pflichtverteidiger? Beschuldigte, die sich diese Frage stellen, kommen derzeit mit einem Blick in die Strafprozessordnung nicht ausreichend weiter. Der entsprechende Paragraf (§ 140 StPO) ist nämlich an sich überholt, denn EU-Recht (PKH-Richtlinie EU 2016/1919 vom 26.10.2016) erweitert den Anspruch eines Beschuldigten auf einen Pflichtverteidiger ganz enorm.

Die Regelung hätte bis zum 25.05.2019 in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Das haben die Regierung und der Bundestag aber bis heute nicht geschafft. Die EU-Richtlinie bestimmt im wesentlichen, dass künftig Pflichtverteidiger zu einem viel früheren Zeitpunkt bestellt werden müssen also bisher. An sich kann man die Richtlinie sogar so verstehen, dass die Polizei – außer bei konkreter Gefahr – keinen Beschuldigten mehr befragen darf, wenn kein Anwalt anwesend ist. Ein Überblick über die Neuregelungen findet sich zum Beispiel hier.

Glücklicherweise verpflichtet die Richtlinie die Ermittlungsbehörden, jeden Beschuldigten intensiv über seine Rechte aufzuklären. Was man sich vielleicht erst mal einfach merken kann ist folgendes: Wer als Beschuldigter schon bei der Polizei nichts ohne Verteidiger sagen will und demgemäß alle Angaben verweigert, macht nichts falsch. Der größte Fehler würde darin bestehen, sich die eigenen Rechte abschwatzen zu lassen durch einen Verzicht auf die Hinzuziehung eines Verteidigers. Dieser Verzicht ist zwar künftig möglich, aber er kann auf keinen Fall erzwungen werden. Wer sich also nicht umstimmen lässt und auf seine Verfahrensrechte besteht, tut sich mit Sicherheit einen Gefallen.

Die große Frage ist momentan natürlich: Was passiert in der Zeit, bis die die EU-Richtlinie umgesetzt wird? Zu dem Thema ist jetzt eine erste Gerichtsentscheidung bekannt geworden. Das Landgericht Chemnitz lässt das Versäumnis des Gesetzgebers nicht folgenlos. Vielmehr sagen die Richter pragmatisch, dass es nach § 140 Abs. 2 StPO schon heute ein weites Spektrum im Detail nicht näher beschriebener Fälle gibt, in denen ein Verteidiger beizuordnen ist. Dieser Paragraf müsse natürlich im Lichte der EU-Richtlinie ausgelegt werden, so dass die dortigen Fälle halt auch schon jetzt zur Beiordnung eines Verteidigers verpflichten (Link zur Entscheidung).

Im Falle eines Falles also bitte daran denken, dass das Recht auf einen Pflichtverteidiger schon jetzt deutlich größer geworden sein dürfte – auch wenn sich in der Strafprozessordnung bislang kein Wort geändert hat.

Unfallversicherung gilt nicht für WC-Besuch im Home Office

Falls ihr im Home Office arbeitet, seid auf dem Weg zum Klo besonders vorsichtig. Die biologische Pause ist nämlich nicht von der gesetzlichen Unfallversicherung abgedeckt, hat das Sozialgericht München entschieden.

Ein Mann, der im Home Office arbeitet, war auf dem Rückweg von der Toilette gestürzt. Kein Arbeitsunfall im rechtlichen Sinn, meint das Gericht. Während der Toilettengang in einem Betriebs- oder Bürogebäude normalerweise versichert ist, fehle dem Arbeitgeber bei einem Home Office jeder Einfluss auf die Sicherheit der Einrichtung. Aus diesem Grund greife der Schutz der Unfallversicherung nicht, so das Gericht (Aktenzeichen S 40 U 227/18).