Tauhid-Finger darf als islamistischer Gruß interpretiert werden

Kritik an Muslimen, die publikamswirksam den sogenannten Tauhid-Finger zeigen, ist keine Volksverhetzung. Die Staatsanwaltschaft Berlin stellte das Ermittlungsverfahren gegen den NIUS-Chefredakteur Julian Reichelt ein. Der Journalist hatte den deutschen Nationalspieler Antonio Rüdiger kritisiert, weil dieser mehrfach die umstrittene Geste zeigte.

Reichelt hatte sich etwa zu einem Instagram-Foto geäußert, das Rüdiger selbst gepostet hatte. Das Bild zeigte Rüdiger kniend in einem weißen Gebetsgewand, wie er den Finger in Tauhid-Manier in die Höhe reckt. Dazu schrieb Reichelt etwa: „Islamismus heute Abend in der deutschen Start-Elf. Das ist die Ideologie, die alles mit Regenbogen-Farben vom Dach wirft und Frauen steinigt. Antionio Rüdiger sollte uns mehr besorgen als ein Nike-Trikot.“

Rüdiger warf Reichelt daraufhin Volksverhetzung vor. Und das, obwohl sogar das Bundeskriminalamt und andere Behörden den Tauhid-Finger als islamistische Geste einordnen. Ob nun Islamistengruß oder bloße religiöse Geste, darauf kommt es laut Staatsanwaltschaft nicht an. Reichelts Posts seien keine Tatsachenbehauptungen, sondern bloße Werurteile und damit zulässige Meinungsäußerungen. Die Einstellung erfolgte ausdrücklich „mangels Tatverdachts“.

Bericht in der LTO

Übergriffiger Familienrichter

Es gibt diverse Gründe, warum ich keine Mandate aus dem Familienrecht bearbeite. Ein aktueller Fall des Oberlandesgerichts Bamberg umreißt sehr schön, was an den Familiengerichten und in Jugendämtern schief läuft. Es geht um Auflagen für einen Vater, die man getrost als übergriffig bezeichnen kann.

Nach der Trennung von seiner Frau wollte ein Vater das Umgangsrecht mit seinen zwei Töchtern ausüben (acht und zehn Jahre alt). Obwohl die Mutter nichts in diese Richtung gesagt oder gar angeregt hatte, sorgte das Jugendamt dafür, dass der Familienrichter dem Vater eine weitere Auflage machte. Nämlich, dass er in Anwesenheit seiner Kinder in geschlossenen Räumen nicht mehr rauchen und die Wohnung ausreichend lüften müsse.

Für so eine Auflage gibt es jedoch keine Rechtsgrundlage, sagen die Richter am Oberlandesgericht Bamberg. Passivrauchen sei zwar ungesund. Aber es gebe keinen Anhaltspunkt, dass das körperliche Wohl der betroffenen Kinder konkret gefährdet sei. Etwas anderes wäre nur der Fall, wenn eines der Kinder Asthma hätte. Ansonsten sei es Aufgabe des Gesetzgebers und nicht eines Richters am Amtsgericht, Schutzmaßnahmen gegen Passivrauchen festzulegen.

Aber es geht noch weiter. Der Familienrichter hatte dem Vater auch aufgegeben, sich bei einer Tochter für eine verbale Entgleisung zu entschuldigen. Und zwar schriftlich. Auch für solche Anordnungen gibt es keine gesetzliche Grundlage, so das Oberlandesgericht. Das juristische Tamtam war auch deshalb absurd, weil sich der Vater schon vorher mündlich entschuldigt hatte. Für seine Tochter war die Angelegenheit damit erledigt (Aktenzeichen 7 UF 80/24 e).

Das große Aber

Ein Rechtsanwalt muss 500 Euro Euro Zwangsgeld zahlen, weil er trotz zweier Staatsexamina die Rechtslage nicht kennt. In dem Fall geht es darum, dass der Anwalt gegenüber der Rechtsanwaltskammer Auskunft geben sollte, nachdem er einer Pflichtverletzung beschuldigt wurde. Grundsätzlich muss ein Anwalt in diesem Fall Auskunft geben – aber natürlich gibt es ein großes Aber.

Der Anwalt muss sich wie jeder „Beschuldigte“ nicht selbst belasten. Deshalb kann er die Auskunft verweigern, so dass die Auskunftspflicht zurücktreten muss. Das jedoch tat der Anwalt nicht ausdrücklich. Er ignorierte die Briefe der Anwaltskammer einfach. Erst nachdem ein Zwangsgeld gegen ihn festgsetzt wurde, berief er sich auf sein Schweigerecht. Das war jedoch zu spät, stellt der Anwaltsgerichtshof Nordrhein-Westfalen fest. Das Auskunftsrecht greife nur ein, wenn sich der Betroffene ausdrücklich darauf berufe. Es bleibt also bei den 500,00 €, und der eine oder andere Anwalt hat bei der Lektüre dieses Beitrags vielleicht auch noch was gelernt – mich eingeschlossen (Aktenzeichen 1 AGH 13/24).

Die Natur als „Nebenkläger“

Die „Rechte der Natur“ sind laut einem Richter am Landgericht Erfurt von Amts wegen schadenserhöhend zu beachten, wenn der simple Schadensersatz im Rahmen eines der unzähligen Dieselverfahren berechnet wird.

Ich zitiere aus der Legal Tribune Online:

Für Richter Borowsky kann es offenbleiben, „ob vorliegend die Natur als solche oder aber einzelne durch Abgase (besonders) geschädigte Ökosysteme Schutz verlangen“. Aus der Charta ergebe sich das „umfassende Recht ökologischer Personen, dass ihre Existenz, ihr Erhalt und die Regenerierung ihrer Lebenszyklen, Struktur, Funktionen und Entwicklungsprozesse geachtet und geschützt werden“, heißt es in dem Urteil. Diese Auslegung des Unionsrechts sei aufgrund globaler Herausforderungen wie dem Klimawandel und drohenden irreversiblen Schäden geboten.

Noch mal: Wir reden über einen simplen Zivilprozess zwischen einem Autokäufer und dem Hersteller, und da spaziert plötzlich der Katastrophismus durch die Tür herein. Ich bin seit 33 Jahren Jurist, aber langsam – oder vielleicht deswegen – komme ich echt nicht mehr mit.

Ohne Realitätsbezug

Wenn die Polizei faktisch dazu aufruft, auch nicht strafbare Inhalte aus dem „Internet“ bei ihr anzuzeigen, weil das ja gesellschaftspolitisch gesehen eine ganz wichtige Sache ist, ist das dann Anstiftung zur falschen Verdächtigung (§ 164 Strafgesetzbuch)? Und wenn ja, müsste die Polizei dann gegen sich selbst ermitteln?

Frage ohne jeden Anlasse für einen Juristen, der Klausuren für das 1. Staatsexamen entwirft und sich deshalb berufsbedingt über die absurdesten Fälle ohne jeden Realitätsbezug freut.

„Ein ganz normaler Vorgang“

Die Innenministerin Nancy Faeser zu der höchstrichterlichen Feststellung, dass ihr martialischer Angriff auf die Meinungsfreiheit im Fall „Compact“ sich wohl als rechtswidrig herausstellen wird:

Es ist ein ganz normaler Vorgang.

Ein ganz normaler Vorgang wäre es, wenn sich eine Innenministerin an Recht und Gesetz hält. Und vor allem an die Verfassung.

Aachener Zeitung

Letzte Ausfahrt Mofa

Wenn der Führerschein weg ist, man aber dennoch „motorisiert“ sein möchte, kann man eigentlich nur aufs Mofa umzusteigen. Für ein Mofa braucht man bekanntermaßen keine Fahrerlaubnis, sondern nur eine sogenannte Prüfbescheinigung ohne praktische Prüfung. Allerdings hat die Führerscheinstelle die Möglichkeit, auch das Mofafahren ausdrücklich zu untersagen. Nun gibt es allerdings ein Urteil, welches dies wesentlich erschwert bzw. Betroffenen zumindest die Möglichkeit gibt, sich juristisch zu wehren.

Eine Frau hatte den Führerschein verloren, weil sie unter Einfluss von Betäubungsmitteln fuhr. Später wurde sie am Steuer eines Mofas erneut angehalten. Auch hier stand sie unter Einfluss von Betäubungsmitteln. Das Straßenverkehrsamt verbot ihr auch das Mofa. Vor dem Oberverwaltungsgericht Koblenz bekam die Frau jetzt Recht. Allerdings nicht, weil die Richter den Betäubungsmittelkonsum für unproblematisch hielten, sondern weil sie grundsätzliche Bedenken gegen die Vorschrift haben.

Der fragliche Paragraf 3 der Fahrerlaubnisverordnung ist nach Auffassung des Gerichts nämlich viel zu unbestimmt, um festzulegen, was eine „Eignung“ zum Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge bedeutet. Die Richter konnten nirgends eine nähere Konkretisierung dafür finden, welche Anforderungen nun für Mofas gelten. Auch aus Wortlaut, Systematik oder Sinn und Zweck der Vorschrift ergäben sich keine konkreten Anforderungen und Maßstäbe, die es für Betroffene vorhersehbar machen, in welchen Fällen mit einer Untersagung zu rechnen ist. Das sei jedoch erforderlich, damit der Bürger sein Handeln darauf einstellen könne.

Das Gericht hat die Revision zugelassen, denn es gibt auch auch anderslautende Entscheidungen. Interessant könnte das Urteil auch sein, wenn Fahrerlaubnisbehörden die Nutzung von E-Scootern oder E-Bikes verbieten – auch das kommt ja mittlerweile vor (Aktenzeichen 10 A 10971/23.OVG)

Notebook als „Maßanfertigung“?

Die meisten PC-Hersteller bieten ihren Kunden die Möglichkeit, das Gerät nach individuellen Wünschen zu konfigurieren. Schnellere Grafikkarte? Größere Festplatte? In der Regel kein Problem. Allerdings kann das zu juristischen Problemen führen, wie ein Kunde erlebte. Der Mann hatte online ein Notebook für rund 7000 Euro bestellt. Den Rechner konnte er mit wenigen Klicks individuell konfigurieren. Mit dem gelieferten Gerät war der Mann allerdings nicht zufrieden, deshalb wollte er von seinem gesetzlichen Widerrufsrecht Gebrauch machen. Dies jedoch lehnte der Händler ab.

Der Verkäufer berief sich auf eine Klausel, die das Widerrufsrecht ausschließt, wenn es sich um eine „Maßanfertigung“ handelt. Vor dem Landgericht unterlag der Kläger zunächst. Das Gericht berief sich darauf, durch die Auswahlmöglichkeit verschiedener Komponenten liege eine individuelle Anfertigung im Sinne des Gesetzes vor. Ausdrücklich wies das Gericht auch darauf hin, der Händler könne das Gerät nicht mehr in die Grundkonfiguration zurückbauen, was ihm den Weiterverkauf erschwere. Der Käufer gab sich damit allerdings nicht zufrieden und zog vor das Oberlandesgericht Brandenburg. Dort bekam er Recht.

Nach Auffassung der dortigen Richter ist das Notebook nicht nach spezifischen individuellen Vorgaben des Käufers hergestellt worden. Vielmehr habe der Käufer lediglich aus vorgegebenen Standardoptionen wählen können, etwa Speichergröße, schnellerer Prozessor und besseres Gehäuse. Das habe sich online mit wenigen Klicks konfigurieren lassen. Das reiche nicht für eine individuelle Anfertigung, sondern sei nur eine Auswahl innerhalb eines vorgegebenen Rahmens. Der Kunde kriegt nun sein Geld zurück und wir kennen eine Ausrede mehr, auf die man als Verbraucher nicht reinfallen sollte (Aktenzeichen 7 U 133/23).

Compact kriegt seine Bürostühle zurück

Das Bundesverwaltungsgericht hat das Verbot des „Compact-Magazins“ vorläufig für unwirksam erklärt. Die Richter ordnen die aufschiebende Wirkung der Compact-Klage gegen das von Innenministerin Nancy Faeser ausgesprochenen Vereinsverbots an. Das bedeutet, Compact darf bis zur Entscheidung in der Hauptsache weitermachen.

In der Pressemitteilung des Gerichts heißt es:

Einzelne Ausführungen in den von der Antragstellerin zu 1 verbreiteten Print- und Online-Publikationen lassen zwar Anhaltspunkte insbesondere für eine Verletzung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) erkennen. Es deutet auch Überwiegendes darauf hin, dass die Antragstellerin zu 1 mit der ihr eigenen Rhetorik in vielen Beiträgen eine kämpferisch-aggressive Haltung gegenüber elementaren Verfassungsgrundsätzen einnimmt. Zweifel bestehen jedoch, ob angesichts der mit Blick auf die Meinungs- und Pressefreiheit in weiten Teilen nicht zu beanstandenden Beiträge in den Ausgaben des „COMPACT-Magazin für Souveränität“ die Art. 1 Abs. 1 GG verletzenden Passagen für die Ausrichtung der Vereinigung insgesamt derart prägend sind, dass das Verbot unter Verhältnismäßigkeitspunkten gerechtfertigt ist. Denn als mögliche mildere Mittel sind presse- und medienrechtliche Maßnahmen, Veranstaltungsverbote, orts- und veranstaltungsbezogene Äußerungsverbote sowie Einschränkungen und Verbote von Versammlungen in den Blick zu nehmen.

Mit anderen Worten: Nancy Faeser ist mit der Methode SEK gegen Journalisten weit über das Ziel hinausgeschossen. Es wird sicher spannend, ob der Compact-Redaktion ihre so publikumswirksam abtransportierten Büromöbel mit dem gleichen Elan wieder vor die Tür gestellt werden.

Zwischenruf kostet 300 Euro

Über die Verurteilung seines Sohnes in einem Strafverfahren war ein Mann so erbost, dass er die Urteilsverkündung des Vorsitzenden Richters am Landgericht Aachen unterbrach. Der Mann redete in die Urteilsverkündung hinein und sagte (sinngemäß), die Entscheidung sei eine Farce, das Urteil soll im Namen des Volkes ergehen, er sei schließlich auch das Volk. Wie nicht anders zu erwarten, kassierte er hierfür ein Ordnungsgeld in Höhe von 300 Euro.

Im Juristendeutsch spricht man von Ungebühr. An dem Fall ist interessant, dass der Betroffene eigentlich leicht aus der Sache herausgekommen wäre – hätte er sich die Verfahrensfehler des zuständigen Richters zu Nutze gemacht.

Der Kapitalfehler des Richters lag darin, dass er das angebliche Fehlverhalten nicht richtig protokollierte. Ein Ordnungsgeldbeschluss setzt nämlich voraus, dass die beanstandeten Äußerungen wörtlich wiedergegeben werden und auch klar gemacht wird, welche äußeren Umstände herrschten. Hiervon findet sich in dem fraglichen Ordnungsgeldbeschluss allerdings nichts. Im Protokoll heißt es lediglich, während der mündlichen Urteilsbegründung habe der Zuschauer den Vorsitzenden unterbrochen. Er sei ermahnt worden. Für den Wiederholungsfall sei ihm ein Ordnungsgeld und die Entfernung aus dem Sitzungssaal angedroht worden.

Was der Betreffende konkret gesagt hat, steht dagegen nicht im Protokoll. Das reicht nach Auffassung des Oberlandesgerichts Köln im Normalfall nicht, um einen Ordnungsgeldbeschluss zu rechtfertigen. Vielmehr ist es notwendig, dass die nächsthöhere Instanz die Entscheidung anhand des Protokolls inhaltlich überprüfen kann. Auf spätere Stellungnahmen des Richters darf nicht zurückgegriffen werden. Aber keine Regel ohne Ausnahme. Denn der Betroffene hat vergessen, sein Fehlverhalten in seiner Beschwerde gegen den Ordnungsgeldbeschluss ausdrücklich zu bestreiten. In diesem Fall wird der Wortlaut der Äußerungen dann doch nicht benötigt – so zumindest das Oberlandesgericht Köln.

Aus der Sache kann man also mitnehmen, dass man als – renitenter – „Zuschauer“ vor Gericht jedenfalls dann gute Karten hat, wenn der Richter sich nicht die Zeit nimmt, ein genaues Protokoll aufzunehmen. Man darf dann nur nicht vergessen, den Vorwurf abzustreiten. Unabhängig davon wird häufig in solchen Situationen vergessen, den Betroffenen vor Verhängung des Ordnungsgeldes anzuhören. Wie in jedem Verfahren hat man auch hier Anspruch auf rechtliches Gehör (Aktenzeichen 2 Ws 379/24).

Digitaler Strafantrag: Mehr Problem als Lösung

Ohne Strafantrag keine Strafverfolgung – dies gilt bei vielen kleineren Delikten. Etwa bei Beleidigung, Hausfriedensbruch, Körperverletzung. Bisher war es zwingend erforderlich, dass der Strafantrag schriftlich gestellt wird. Das heißt auf Papier, mit eigenhändiger Unterschrift. Dies hat sich mit einer angeblichen Vereinfachung des Gesetzes am 17. Juli 2024 geändert. Allerdings hat sich der Gesetzgeber in typisch deutscher Manier mal wieder für eine Regelung entschieden, die mehr Problem als Lösung ist.

Am naheliegendsten wäre es gewesen, die elektronische Form für einen Strafantrag zu erlauben. Also insbesondere einen Strafantrag per Mail. Allerdings hat es dazu dann doch nicht gereicht. Vielmehr steht jetzt im Gesetz (§ 158 Abs.2 StPO):

Bei Straftaten, deren Verfolgung nur auf Antrag eintritt, müssen die Identität und der Verfolgungswille der antragstellenden Person sichergestellt sein.

Konkret bedeutet das: Auf die Form des Antrags kommt es nicht mehr an, eine Unterschrift ist nicht mehr zwingend. Aber es muss andererseits klar sein, dass der Antrag tatsächlich vom Absender stammt. Bei einer Mail ist diese Klarheit aber eben nicht ohne weiteres sichergestellt. Jetzt wird schon diskutiert, ob man darauf abstellen kann, dass der Antragsteller vielleicht schon vorher Mailkontakt mit der Polizei hatte. Oder ob es Telefonate gab, in denen die Mail angekündigt wurde.

Das alles klingt nach mehr Bürokratie und Rechtsunsicherheit. Denn aus dem Hinweis im Gesetz, Identität und Verfolgungswille müssten „sichergestellt“ sein, lässt sich auf jeden Fall eine Aufklärungspflicht der Polizei ableiten. Es müsste im Zweifelsfall also ermittelt und verifiziert werden, ob eine Mail ein wirksamer Strafantrag ist. Abgesehen vom völlig unnötigen Aufwand wird das Ganze auf jeden Fall kompliziert und droht spätestens dann zu scheitern, wenn die Strafantragsfrist abläuft. Diese Frist ist nach wie vor knappe drei Monate lang.

Das Antragserfordernis ist übrigens von Amts wegen zu beachten. Das heißt es bedarf nicht unbedingt eines findigen Strafverteidigers, der die Wirksamkeit des Strafantrags hinterfragt. Vielmehr muss jeder pflichtbewusste Staatsanwalt prüfen, ob der Antrag tatsächlich vom Verletzten stammt. Diese Prüfung erfolgt aber in aller Regel erst nach Ablauf der Strafantragsfrist. Was gilt, wenn die Polizei nicht nachgeforscht hat, weil sie keine Zweifel an der Wirksamkeit des Strafantrags hatte – der Staatsanwalt es aber anders sieht?

Interessant finde ich weiter, dass man nach dem Wortlaut des Gesetzes jetzt sogar völlig unbefangen hinterfragen kann, ob und wie die Identität und der Verfolgungswille des Antragstellers bei einem schriftlichen Strafantrag „sichergestellt“ ist. Das war bislang völlig unbestritten. Wird sicher interessant, wie das dann belegt werden soll.

Fachbeitrag zum Thema

Staatliches Prüfungsamt spricht von „Versagern“

Das Justizprüfungsamt Hamm hat für kurze Zeit eine Liste ins Netz gestellt, in der durchgefallene Examenskandidaten aufgeführt sind. Die Veröffentlichung selbst ist im Jurastudium zwar gedeckt, aber im April trug die Liste den etwas ungewöhnlichen Titel „Internet Blockversager“.

Die Bezeichnung „Versager“ erhitzt natürlich die Gemüter, wie das Fachblatt „LTO Karriere“ berichtet. Nicht nur betroffene Studenten fühlen sich herabgewürdigt, zumal die Kandidatenliste schon seit jeher als „Todeliste“ bekannt ist. Allerdings zeigt das Justizprüfungsamt wenig Einsicht. Der Begriff „Blockversager“ sei ein althergebrachter Fachbegriff, der in Verwaltung, Rechtsprechung und Literatur verwendet werde. Die Bezeichnung sei „intern seit Jahrzehnten“ etabliert, werde aber normalerweise nicht nach außen verwendet – „aus Gründen des wertschätzenden Umgangs“. Na ja, das hätte man überzeugender formulieren oder es einfach mal mit einer Entschuldigung versuchen können.

LTO Karriere weist darauf hin, dass die Juristenbildung derzeit sowieso stark kritisiert wird. Während Studenten und Lehrkräfte Reformbedarf sehen, haben die Landesjustizminister neulich offiziell festgestellt, dass alles in Ordnung ist.

Nachtrag: Das Prüfungsamt will den Begriff Blockversager auch intern künftig nicht mehr verwenden

Haftentschädigung soll steigen

Die Entschädigung für zu Unrecht erlittene Haft soll steigen. Seit 2020 erhalten Menschen, die zu Unrecht eingesperrt werden, 75 Euro pro Tag. Früher waren es jämmerliche 20 Euro pro Tag. Die Summe soll nun auf 100 Euro pro Tag steigen, so plant es das Bundesjustzministerium.

Ab einer Haftdauer von sechs Monaten soll sich die Entschädigung auf 200 Euro pro Tag erhöhen. Außerdem soll gesetzlich klar gestellt werden, dass sich Häftlinge bei der Entschädigung keine „Ersparnisse“ anrechnen lassen müssen, weil sie in der Haftanstalt ja Kost und Logis genießen konnten. Diese Anrechnung wird zwar immer mal wieder versucht. Aber so ein unwürdiges Spektakel machen die Gerichte schon jetzt nicht mit, so zumindest meine Erfahrung mit solchen Fällen.

Gefangenaustausch mit Russland

Momentan läuft ein großer Gefangenenaustausch zwischen Russland und westlichen Ländern. Möglicherweise kommt auch der sogenannte Tiergarten-Mörder frei, gleichwohl der Mann in Deutschland zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt wurde.

Zu den rechtlichen Hintergründen habe ich vor knapp zwei Jahren schon mal was geschrieben. Der Beitrag ist noch aktuell, so dass ich der Einfachheit halber darauf verweisen möchte. Neu ist allerdings, dass es mittlerweile auch deutsche gibt, die man als Geiseln ansehen könnte. Etwa den in Weißrussland festgehaltenen Riko K.

„Sie erhalten Gelegenheit…“

Aus einem Anhörungsbogen der Polizei: „Sie kratzten Ihren Partner während des Liebesspiels am Hodensack, was dieser als schmerzhaft empfand. Sie erhalten Gelegenheit, sich zum Tatvorwurf zu äußern.“

Wie das so ist, die mutmaßliche Tat liegt nun schon länger zurück, die förmliche Versöhnung ist auch schon einen Cancun-Urlaub her. Obwohl der Strafantrag längst zurückgenommen wurde, wird die Verfahrensakte jedoch nicht geschlossen.

Die Staatsanwaltschaft bejaht ausdrücklich das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung, weil sogenannte „Beziehungstat“. Mein Mandant und sein Partner werden es nun notfalls auf einen öffentlichen Prozess ankommen lassen, denn einfacher kann man wahrscheinlich nicht an eine eigene Netflix-Serie kommen.