Die restlichen 10 Prozent

Tja, da will jemand meinen Mandanten mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit als Autoknacker erkannt haben. Um 4.35 Uhr an einem Oktobertag, da ist es gemeinhin dunkel draußen, will er auf dem weitläufigen Parkplatz der Universität gesehen haben, wie der Betreffende ein Navigationsgerät stahl.

Vorgelegt wurden dem Zeugen die Fotos meines Mandanten, die im Rahmen einer erkennungsdienstlichen Behandlung gemacht wurden. Kleines Problem: Die Bilder sind mindestens vier oder fünf Jahre alt. Denn da hatte mein Auftraggeber das letzte Mal Ärger mit der Justiz. Wie das bei jungen Leuten so ist – heute, mit 22 Jahren, sieht er ganz anders aus.

Der Ermittlungsrichter hat trotzdem die Hausdurchsuchung angeordnet. Gefunden wurde nichts. Und jetzt reden wir über die restlichen 10 Prozent.

Das Phantom – ein Phantom?

16.000 Überstunden umsonst, Millionen an Steuergeldern verpulvert? Im Fall des „Phantoms von Heilbronn“ wartet der Stern mit einer fast unglaublichen Geschichte auf. Die mutmaßliche Polizistenmörderin, deren DNA mittlerweile an vielen Tatorten gefunden wurde, soll es gar nicht geben.

Die Ermittler seien einer falschen Spur aufgesessen. Denn die DNA des Phantoms stamme von der Mitarbeiterin einer der Firmen, welche die Wattestäbchen für die Analysen an die Polizei liefern. Nach bisherigen Vermutungen soll eine Packerin die Chargen verunreinigt haben.

Bei der Fahndung nach dem Phantom hatte die Polizei sogar teilweise bei normalen Verkehrskontrollen DNA-Proben abgenommen. Auf, wie es heißt, „frewilliger Basis“.

Zum Bericht.

Die Legende von der Kinderpornoindustrie

Laut Familienministerin Ursula von der Leyen verdienen die Betreiber kinderpornografischer Seiten „monatlich Millionenbeträge“.

Ich verteidige viele Betroffene, die des Besitzes von Kinderpornografie beschuldigt werden. Hiervon ist ein nicht unbeträchtlicher Teil unschuldig. Es handelt sich um Menschen, deren IP-Adresse von einem Filterprogramm des Bundeskriminalamtes oder der „anlassunabhängigen Internetüberwachung“ mancher Landeskriminalämter im Zusammenhang mit einer kinderpornografischen Datei protokolliert wurde.

Ob es ein willentlicher Zugriff war, ob möglicherweise ein anderer den Computer des Anschlussinhabers genutzt hat oder gar ein WLAN im Spiel war, interessiert zunächst mal nicht. Die Hausdurchsuchung bekommt der Anschlussinhaber, und oft findet sich bei ihm – schlichtweg nichts.

Lassen wir aber jene beiseite, die unschuldig verdächtigt werden. Nehmen wir nur die Internetnutzer, bei denen tatsächlich Kinderpornos auf Datenträgern gefunden werden. Keiner, ich wiederhole, keiner der in den letzten anderthalb Jahren dazu gekommenen Mandanten hat auch nur einen Cent für das Material bezahlt.

Alle, ich wiederhole, alle haben die Kinderpornos aus Tauschbörsen, Newsgroups, Chaträumen, Gratisbereichen des Usenet oder aus E-Mail-Verteilern. Manche kriegen es auf DVD, ganz normal mit der Post.

Kein einziger jedoch hat seine Tauschpartner bezahlt. Und diese Tauschpartner haben auch nichts verlangt. Selbstverständlich wertet die Polizei in den allermeisten Fällen auch aus, woher die Dateien kamen. Bezahlseiten sind nicht darunter. Auch verdächtige Überweisungen etc. werden nicht festgestellt. Wie auch, möchte man sagen. Spätestens seit der Aktion Mikado ist jedem einschlägig Interessierten klar, dass Zahlungen früher oder später gerastert werden.

Überdies: Niemand zahlt für Dinge, die er auch umsonst haben kann.

Tatsächlich ist auch anhand der im Umlauf befindlichen Dateien unschwer festzustellen, dass es die Kinderpornoindustrie nicht gibt. Es gibt einen Grundbestand an Material, meiner Schätzung nach mindestens 98 %. Hierbei handelt es sich um Bilder und Filme, die schon seit vielen Jahren, ein Großteil davon schon seit Jahrzehnten im Umlauf sind.

Sofern neues Material hinzukommt, sind es Fälle von Missbrauch im privatem Umfeld, der – Fluch der Digitaltechnik – heute halt nun einmal einfacher abzubilden ist. Natürlich gibt es keine näheren Informationen zu den Umständen, wie solche Aufnahmen zustande kommen. Allerdings machen die meisten nicht den Eindruck, als werde ein Kind missbraucht, um einen Film zu drehen. Dass die weitaus meisten Kinderpornos häuslichen, also keinen gewerbsmäßig organisierten Missbrauch wiedergeben, ist auch unschwer daran zu erkennen, dass Opfer und Täter sich in den allermeisten Fällen offensichtlich kennen.

Im Gegensatz dazu gibt es praktisch keine professionell oder zumindest semiprofessionell gemachten Aufnahmen mit einem Setting, Ton und Licht, welche über dem Durchschnitt von Hobbyfilmern liegen. Es gibt auch keine Kulissen, die sich wiederholen. Ebenso wenig gibt es Darsteller ( = Täter), die mit unterschiedlichen Opfern auftauchen.

Gerade all das sollte man aber doch von einer „Industrie“ erwarten, oder nicht?

Vielleicht ist es nur Zufall, dass ich nur Mandanten habe, die nichts für Kinderpornos zahlen und demgemäß auch keine Industrie unterstützen. Ich halte es aber ebenso für möglich, dass Frau von der Leyen einfach falsch informiert ist – zumindest was die angeblichen Millionenumsätze einer angeblichen Kinderpornoindustrie betrifft.

Der Verweis auf die Millionenumsätze ist kein Randaspekt. So wird nämlich der Eindruck erweckt, die Konsumenten von Kinderpornografie pumpten Geld in einen lukrativen Markt mit der Folge, dass sich Kindesmissbrauch finanziell lohnt. Wenn man also den Kinderpornomarkt trockenlege, würden weniger Kinder missbraucht.

Das ist aus meiner Sicht leider ein fataler Trugschluss.

Selbstverständlich

Bei einem Mandanten, der auf Reisen war, stellte die Polizei einen größeren Geldbetrag sicher. Ich hatte es erwähnt, sein Rucksack soll nach Marihuana gerochen haben. Auf meinen Widerspruch hin hat der Staatsanwalt jetzt entschieden, das Geld solle zurückgezahlt werden.

Hierfür gibt es nach Auskunft der Polizei nur zwei Möglichkeiten: Abholung auf der Dienststelle oder Bareinzahlung am Postschalter. Wir haben uns für die zweite Möglichkeit entschieden.

Die Zahlkartengebühr von sechs Euro wird aber „selbstverständlich“ von der Summe abgezogen. Selbstverständlich selbstverständlich. Ich bin doch schon froh, dass wir dem Freistaat Bayern nicht auch noch die Arbeitszeit des Beamten für den Weg zur Post erstatten müssen.

Falls es langweilig wird

Heute ist mal wieder Fortbildung angesagt, damit der Frequent Traveller Status Fachanwaltstitel nicht verfällt.

Die ersten vier von jährlichen zehn Zeitstunden widme ich dem Betäubungsmittelstrafrecht und dem wie immer reichlich zur Verfügung stehendem Kaffee. Außerdem vielleicht meinem schnuckeligen neuen Nokia e71.

Letzteres aber selbstverständlich nur, falls der Vortrag langweilig ist. Das ist bei diesem Referenten aber eher weniger zu befürchten.

Kuhstall, Melkvorgang, Berner Sennenhund

Auf der Seite Judicialis pflegt man noch die hohe Kunst, einen Leitsatz zu bilden. Ein besonders schönes Beispiel findet sich bei einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz:

Begibt sich der später Geschädigte an einem Karfreitag unaufgefordert zu dem Bauernhof eines Landwirts, um dort einen Frontladerschlepper auszuleihen, um darin einen „kleinen Türken“ hineinzustellen, damit dieser die hochstehenden Tannen seines Grundstücks kappen könne, der gerade im Kuhstall und im Melkvorgang begriffene Landwirt den Geschädigten darauf hin auf einen auf der Mistlagerplatte stehenden Frontlader verweist, der Geschädigte sich aber gleichwohl ohne entsprechende Erlaubnis in den Maschinenschuppen begibt, dort einen an der Kette angeketteten Berner Sennenhund antrifft, zu Fall kommt und sich einen Oberschenkelhalsbruch zuzieht, sich schließlich nicht mehr feststellen lässt, ob der Geschädigte durch einen Biss des Berner Sennenhundes oder durch Erschrecken oder Ausrutschen, gewissermaßen durch schicksalhaftes Ereignis, zu Fall gekommen ist, besteht kein Schadensersatz- oder Schmerzensgeldanspruch aus Tierhalterhaftung gegen den Landwirt. Der Geschädigte handelte auf eigene Gefahr.

(Danke an RA Thomas Fuchs für den Link)

Ablenkung

Auf Anwaltsbriefbögen werden gern Fachanwaltstitel erwähnt. Eine Ehepaarkanzlei, die mir heute geschrieben hat, nennt unter den Namen der Rechtsanwälte:

Er: „Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht im DAV“.

Sie: „Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht im DAV“.

Was eine Vereinsmitgliedschaft aussagen soll? Ich weiß es nicht. Möglicherweise ist es der halbherzige Versuch davon abzulenken, dass es zum Fachanwaltstitel bislang nicht gelangt hat.

Saustall Asservatenkammer

In der Asservatenkammer der Nürnberger Justiz soll es drunter und drüber gehen, berichtet die Süddeutsche Zeitung:

Es geht unter anderem um frisierte Erfolgsstatistiken, volltrunkene Mitarbeiter im Dienst, verschwundene Asservaten und darum, ob Vorgesetzte von alledem wussten und die Dienstaufsicht an einigen Stellen jahrelang versagt hat.

Immer neue anrüchige Vorgänge werden bekannt. So ließen einem Bericht der Nürnberger Nachrichten zufolge Justizmitarbeiter bis hinauf zu den ehemaligen Generalstaatsanwälten Kurt Pfeiffer und Heinz Stöckel jahrelang ihre Privatautos in der Werkstatt für Dienstfahrzeuge warten und pflegen. Ein Justizsprecher bestätigte dies auf Anfrage und sprach von „entsprechenden Hinweisen“ auf Pfeiffer und Stöckel. Die Mechaniker erledigten die Arbeiten offenbar während ihrer Dienstzeit.

Im Raum steht der Vorwurf aus Mitarbeiterkreisen, dass sie dafür nicht nur mit dem einen oder anderen Geldschein bezahlt wurden, sondern angeblich auch mit Gegenständen aus der Asservatenkammer.

Das erinnert mich an die 250 Pornovideos, die mal woanders bei einem Mandanten beschlagnahmt wurden. Nachdem sich nach langem Verfahren die Vorwürfe als haltlos erwiesen hatten, gelang mit viel Mühe, rund die Hälfte der Filme zurück zu erhalten. Der Rest ist bis heute verschollen.

(Danke an RA Jörg Jendricke für den Link)

BKA-Homepage wieder ungefährlich

Das Bundesjustizministerium hat nach einem Spiegel-Bericht erreicht, dass die Besucher der Homepage des Bundeskriminalamtes nicht länger überwacht werden. Der zuständige Innenminister habe die Praxis gestoppt.

Jahrelang soll das BKA gezielt überprüft haben, wer hinter den IP-Adressen von Besuchern steckt. So wollte man wohl auf mögliche Straftäter kommen, die (eigene) Fahndungsaufrufe anklicken oder sich in dem umfassenden Angebot „Anregungen“ holen.

Ob und in welchem Umfang die Schnüffelei auch zu Polizeiaktionen geführt hat, wird nicht preisgegeben.

Nicht alltäglich (?)

„Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt Vetter,

die Akte ist zur Zeit ans Bundeskriminalamt versandt!“

Solche Mitteilungen enden normalerweise nicht mit Ausrufezeichen. Aber staatsanwaltschaftliche Akten gehen ja auch nicht jeden Tag ans BKA…

Keine Parkplätze

Aus dem Briefbogen des Amtsgerichts Fulda:

Keine Justizparkplätze vorhanden

Ich werde erst demnächst mal dort sein, tippe aber schon jetzt darauf, es sind Parkplätze vorhanden, nur normale Menschen dürfen nicht drauf parken.

Zündende Argumente gesucht

Der Mandant hat keinen Führerschein. Mittlerweile ist er sechs Mal am Steuer eines Autos erwischt worden. Beim fünften Mal gab es eine Gefängnisstrafe auf Bewährung. Es spricht vieles dafür, dass der Richter nicht mehr so duldsam sein wird, wenn er den jüngsten Fall auf den Tisch bekommt.

Seinem bisherigen Anwalt traut der Mandant angesichts dieser Umstände offensichtlich keine zündende Argumentation mehr zu. Ich hoffe, ich werde ihn nicht enttäuschen.

Gras-Einfuhrsteuer

Der Zoll erwischt im deutsch-niederländischen Grenzgebiet ja so manchen, der was zum Rauchen mitbringt. Im Formblatt der Anzeige heißt es:

Dem/der unten genannten Beschuldigten wurde um … Uhr eröffnet, dass gegen ihn/sie ein Steuerstrafverfahren eingeleitet worden ist…

Formal ist das wegen den Zuständigkeiten des Zolls sicher nicht zu beanstanden. Meine Mandanten sorgen sich aber mitunter, ob sie nicht nur eine Strafe bekommen, sondern auch noch eine Art Gras-Einfuhrsteuer zahlen müssen.

So weit scheint es nach meiner Erfahrung aber nicht zu kommen…