Das Hirn rausgetwittert / Das denkt die Parteispitze
Harry Wörz – mal wieder vor Gericht
Hausdurchsuchung bei bloggendem Journalisten – wegen kritischer Berichte
Neue Rechte bei verspäteten Bahnen
Es geht um eine verschlüsselte Festplatte. „Wenn Ihr Mandant nichts zu verbergen hat, kann er doch das Passwort herausgeben“, sagt der Polizeibeamte am Telefon. Ich frage zurück, wie es ihm gefiele, wenn sich ein Kollege durch sein digitales Privatleben wühlte.
„Das ist ein interessanter Gedanke“, sagt der Polizist. „Angenehm wäre das auf keinen Fall.“
Mein Gefühl sagt mir, dass sich heute abend jemand näher mit diesem TrueCrypt-Dingens beschäftigt.
Sehr geehrte Rechtsanwalt Rainer Haas & Kollegen Rechtsanwaltsgesellschaft mbH,
wir wollen Ihre Zeit nicht unnötig in Anspruch nehmen. Sie haben ja genug damit zu tun, Inkasso für namhafte Unternehmen zu machen.
Wir wären Ihnen aber ebenso dankbar, wenn Sie nicht unsere Zeit unnötig in Anspruch nähmen. Zum Beispiel mit der seit neuestem immer wieder aus dem hohlen Bauch heraus gestellten Frage, ob unser Mandat noch besteht.
Wenn wir zum Beispiel am 10. Juni 2009 für unseren Mandanten Widerspruch gegen einen Mahnbescheid eingelegt haben, spricht doch eigentlich kaum etwas dafür, dass unser Auftrag am 21. Juli 2009 erloschen ist. Wenn wir unseren Mandanten nicht mehr verträten, würden wir dies überdies auch dem Gericht mitteilen. Das Gericht würde Ihnen eine Kopie schicken, und Sie wüssten Bescheid.
Dass wir auf Ihr letztes Schreiben nach dem Widerspruch nicht geantwortet haben, hat übrigens auch einen Grund. Sie fordern uns darin auf, die Gründe für den Widerspruch mitzuteilen.
Hallo?
Wir haben bereits mehrfach im schönsten Juristendeutsch geklöppelt, warum Ihre Auftraggeberin von unserem Mandanten kein Geld verlangen kann. Zuletzt ging so ein elegantes Kurzgutachten an das vor Ihnen beauftragte Inkassobüro infoscore Forderungsmanagement GmbH.
Es würde also völlig reichen, wenn Sie die Unterlagen lesen. Dann würden Sie nicht nur Gründe, sondern auch Paragrafen kennen – und müssten nicht so, Sie verzeihen unseren Unmut, dämlich nachfragen.
Außerdem haben wir am Ende unseres liebevoll gestalteten Ablehnungsschreibens sogar noch geschrieben, dass wir freundlich darum bitten, unseren Mandanten nicht mit weiteren Mahnungen und Anschreiben zu belästigen – weil alles gesagt ist.
Sicher, es war vielleicht ein Fehler, unser Anwaltsbüro nicht ausdrücklich in diese Bitte aufzunehmen. Deshalb zur Klarstellung: Wenn wir sagen, dass wir nichts mehr sagen, wollen weder unser Mandant noch wir mit weiteren nichtssagenden Schreiben belästigt werden. Sie können dann gern klagen und dem Gericht erklären, warum Ihre Mandantin Geld von unserem Mandanten will. Wir schreiben dann ans Gericht, warum Ihre Mandantin kein Geld verlangen kann. Am Ende steht ein Urteil. Von dem wir beide wissen, wie es ausfalllen wird, nicht wahr?
Natürlich können wir Sie zunächst nicht davon abhalten, uns weiter mit Briefen zu nerven. Aber die lapidare Anfrage in Ihrem neuerlichen Schreiben hat schon was Nerviges und auch, wir alle haben nur begrenzte Zeit um unser Geld zu verdienen, einen äußerst unkollegialen Touch.
Bitte lassen Sie uns deshalb auf diesem Wege mitteilen, dass wir in allen gemeinsamen Fällen so lange mandatiert sind, wie wir Sie nicht vom Gegenteil informieren. Schreiben Sie das irgendwo in Ihr Adressverzeichnis zu unserer Kanzlei. Dann können Sie sich Bearbeitungskosten und Porto sparen.
Falls Sie allerdings solche Briefe schreiben, um Ihrer Partei Aktivität vorzugaukeln, schmeißen Sie diese nichtssagenden Briefe an uns doch einfach in den Müll. Wir haben nichts dagegen.
Mit freundlichen kollegialen Grüßen
RAe Udo Vetter & Annette Mertens
Peinliche Pannenbeichte: Die Schlampereien in der Staatsanwaltschaft Mönchengladbach hatten offenbar System. Jahrelang wurden Strafakten – auch von des Kindesmissbrauchs Verdächtigen – verschleppt. Das offenbarte gestern der neue Behördenchef Emil Brachthäuser.
Während sein inzwischen ins Justizministerium versetzter Vorgänger Heinrich Franzen im Karneval die kostümierte Witzfigur „Balderich“ abgab (O-Ton: „In Gladbach dauert eben alles ein wenig länger und geht nicht einfach so ruck-zuck“), kam es zu massiven Verzögerungen in heiklen Verfahren. So bestätigte es gestern auch Peter Lichtenberg, der Vizechef der Düsseldorfer Generalstaatsanwaltschaft.
Erst kürzlich mussten, wie berichtet, zwei mutmaßliche Sexualstraftäter aus der Untersuchungshaft entlassen werden. Unter den jetzt sechs aufgedeckten Fällen, die wenigstens vier Jahre lang vertrödelt wurden, sind gleich drei brisante: Einem Mann, der seine Tochter sexuell missbraucht hatte, wurde vom Bundesgerichtshof ein halbes Jahr Rabatt auf die einst vierjährige Haftstrafe gewährt. Der Täter habe die Verzögerung der Justiz nicht zu verantworten.
Mit ähnlicher Begründung erreichte ein Angeklagter, dem 15-facher Kindesmissbrauch vorgeworfen wurde, statt drei Jahre nur gut ein Jahr Haft. Bei richtiger, zügiger Arbeit hätte die Staatsanwaltschaft sogar den Missbrauch einer 14-jährigen verhindern können. Einem Mann, der wegen sexueller Handlungen vor einem Kind angeklagt war, attestierte das Oberlandesgericht Düsseldorf „rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung“ der Staatsanwaltschaft Mönchengladbach. Drei Monate Haft wurden deswegen erlassen.
Eine einzelne Mitarbeiterin soll für all das und mehr verantwortlich sein. Sie ist versetzt worden, Maßnahmen gegen sie werden geprüft. Aber nun auch gegen andere Verantwortliche, etwa Ex-Chef Franzen alias „Balderich“. Dass Akten einfach verschwanden oder außer Kontrolle gerieten, ist laut Vize-General Lichtenberg seit 2005 nicht mehr möglich: „Seitdem gibt es ein elektronisches Kontrollsystem“. Das gefälligst zu nutzen, dazu sind nun alle 19 Staatsanwalten aus dem Justizministerium eindringlich gemahnt worden.
Unterdessen müssen in Mönchengladbach tausende Verfahren rückblickend überprüft werden. Staatssekretär Jan Söffing verspricht: „Alle Umstände, die zu den Mängeln geführt haben, werden rückhaltlos aufgeklärt.“ Es gehe bei der Aufarbeitung auch darum, so Söffing tatsächlich wörtlich, „das Vertrauen der Bürger in eine funktionierende Justiz zu erhalten“. (pbd)
Im Umgang mit Kinderpornografie scheint die Hybris nun auch in die Büros der Strafverfolger einzuziehen. Diese sind an sich zur Objektivität verpflichtet. Aber es kann in aufgeregten Zeiten ja nicht schaden, moralische Entrüstung durchschimmern zu lassen. Wie in dieser Passage einer Anklageschrift:
Am 6. September 2008 lud der Angeschuldigte einen ca. 30-minütigen Film mit zahllosen kinderpornografischen Filmsequenzen herunter. In 30 Filmsequenzen wird der sexuelle Missbrauch von Kindern dargestellt.
Hatte ich bei der Verwendung des Begriffs „zahllos“ zunächst an einen Diktatfehler oder einen einmaligen stilistischen Missgriff geglaubt, wurde ich auf der nächsten Seite eines Besseren belehrt. Dort heißt es schon wieder:
Am 18. November 2008 war der Angeschuldigte im Besitz zahlloser Dateien mit Kinderpornografie. Auf zwei Rechnern befanden sich insgesamt 894 Einzelbilder und 240 Videodateien mit kinderpornografischen Inhalten.
Was will uns der Autor sagen? Dass 30 Filmsequenzen, 894 Einzelbilder und 240 Videodateien einfach zu sachlich ist und doch nur verharmlosend klingt? Dass er sich sorgt, ohne seine wolkige Umschreibung werde das Gericht womöglich die wahre Dimension des Falles verkennen?
Jedenfalls nicht, dass er zu faul zum Zählen ist. Das hat er ja immerhin gemacht.
Die gute Nachricht: Die FDP will wahrscheinlich gegen das Zugangserschwerungsgesetz klagen.
Die schlechte Nachricht: Aber nur, wenn sie nicht mit der CDU regieren wird.
(NSFW)
Dreieinhalb Jahre Freiheitsstrafe sind nach Auffassung des Bundesgerichtshofs angemessen, wenn ein Richter seine Pflichten gröblich vernachlässigt. Der BGH bestätigte nun ein entsprechendes Urteil des Landgerichts Stuttgart, mit dem ein Amtsrichter wegen Rechtsbeugung in 47 Fällen und versuchter Rechtsbeugung in sieben Fällen verurteilt worden war.
Der Richter genehmigte freiheitsentziehende Unterbringungsmaßnahmen, ohne die Betroffenen zuvor persönlich angehört oder sich von diesen einen unmittelbaren Eindruck verschafft zu haben. Obwohl er wusste, dass dies zur Ermittlung einer vollständigen Entscheidungsgrundlage und wegen der Kontrollfunktion des Gerichts in Betreuungssachen zwingend gesetzlich vorgeschrieben ist, sah er bewusst hiervon ab, um sich Arbeit zu ersparen, weil er mehr Zeit für seine Familie und seine Lehraufträge an zwei Fachhochschulen haben wollte.
Um seine gesetzeswidrige Arbeitsweise zu vertuschen, fertigte der Angeklagte inhaltlich falsche Anhörungsprotokolle an, um damit den Anschein zu erwecken, dass er sich vor Genehmigung der Maßnahme einen unmittelbaren Eindruck von den Betroffenen verschafft habe. Dies fiel einer Mitarbeiterin seiner Geschäftsstelle auf. Die Mitarbeiterin bemerkte zufällig, dass der Richter die Anhörung eines Betroffenen protokolliert hatte, obwohl dieser schon längst verstorben war.
Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs ist maßgeblich, dass der Richter seine Pflicht zur Anhörung der Betroffenen nicht nur im Einzelfall, etwa aus beruflicher Überlastung, vernachlässigte, sondern systematisch auf Anhörungen verzichtete, um seine Freizeit zu optimieren, und diese schwerwiegenden Verfahrensverletzungen durch fingierte Anhörungsprotokolle planvoll vertuschte.
Während des Telefonats mit einer Richterin brach plötzlich die akustische Hölle los, in Form des Nokia-Ringtones und etwas, das Griechischer Wein gewesen sein könnte. „Hier klingeln zwei Handys“, rief die Richterin entsetzt.
„Moment mal, ich gehe kurz ran.“
Ich hörte, wie sie zuerst ihrem Sohn erklärte, dass er nach dem Tennis auf sie warten soll, weil sie ihn abholt. Ja, jetzt gleich. Er soll keine Schnute ziehen und noch eine Fanta trinken. Den Schwiegervater (vermutlich) blaffte sie an, wieso er Grill noch nicht zurückgebracht hat, „weil wir doch heute abend grillen wollen“. Der Grill soll gegen 18 Uhr wieder da sein.
Dann erörterten wir weiter ein Steuerstrafverfahren. Nachdem innerhalb weniger Sekunden zwei Probleme gelöst worden waren, ging es auch hier kreativ weiter. Wir verständigten uns darauf, dass mein Mandant was an die Staatskasse zahlt und das Verfahren wegen geringer Schuld eingestellt wird.
Das ist in der Sache völlig gerechtfertigt, ging dann aber doch zügig. Wofür ich mich, mal so ins Blaue hinein, ein klitzekleines Bisschen bei der Familie bedanken möchte.
Manche Abteilungen der Staatsanwaltschaft Düsseldorf nutzen diesen Textbaustein:
… wird mitgeteilt, dass sich die Beantwortung des Schreibens vom … verzögert.
So eine Zwischennachricht ist grundsätzlich eine nette Geste. Man könnte dem Empfänger allerdings das Grübeln ersparen, wenn der Satz mit „, weil …“ fortgesetzt würde.
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Ein Oberstaatsanwalt steckt der BILD-Zeitung, dass er gegen den Bundestagsabgeordneten Jörg Tauss Anklage erheben wird. Die Empörung hierüber ist groß, denn dem Beschuldigten, der Kinderpornos besessen haben soll, ist noch keine abschließende Stellungnahme im Ermittlungsverfahren ermöglicht worden. Sein Anwalt spricht von „sozialer Exekution“, berichtet Spiegel online.
Die Zusammenarbeit des Staatsanwalts mit Presse und Rundfunk ist kein rechtsfreier Raum. Die Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren regeln sie in Ziffer 23 detailliert. Die Unterrichtung der Presse setzt stets eine Einzelfallprüfung voraus, ob Persönlichkeitsrechte des Betroffenen das Interesse der Öffentlichkeit überwiegen:
„Eine unnötige Bloßstellung der Person ist zu vermeiden. … Der Anspruch des Beschuldigten auf ein faires Verfahren darf nicht beeinträchtigt werden.“
Schon hier hätte der Herr Staatsanwalt wohl eine andere Entscheidung treffen müssen. Es hätte ihm nämlich klar sein können, welchen Wirbel seine Ankündigung verursachen wird, auch, mit welchem Zungenschlag. Dies gilt umso mehr, als ja schon die Durchsuchungen bei Tauss von zahlreichen PR-Stunts der Staatsanwaltschaft begleitet waren.
Aber mit der Einzelfallprüfung ist es nicht getan. Für die Sache mit der Anklage findet sich sogar eine explizite Vorschrift:
Über die Anklageerhebung und Einzelheiten der Anklage darf die Öffentlichkeit grundsätzlich erst unterrichtet werden, nachdem die Anklageschrift dem Beschuldigten zugestellt oder sonst bekanntgemacht worden ist.
Wegen voreiliger diffamierender Äußerungen der Staatsanwaltschaft hat übrigens schon mal ein Prominenter Schmerzensgeld erhalten. Das Land Nordrhein-Westfalen musste dem ehemaligen Mannesmann-Chef Klaus Esser 10.000 Euro zahlen, weil Staatsanwälte immer wieder während des Ermittlungsverfahrens Einzelheiten an die Presse gegeben hatten.
Nachtrag: Generalstaatsanwältin kritisiert Äußerung gegenüber BILD