Linktausch – Risiken und Nebenwirkungen

Von Markus Stenzel

Fast jeder Webmaster kennt sie: E-Mails, mit denen völlig Unbekannte um Verlinkung ihrer Webseiten bitten. Mit dem Hinweis auf besseres Ranking bei Google & Co. und semantisch zwischen Betteln und Fordern angesiedelt, landen diese Bittsteller zumindest bei mir regelmäßig in Ablage P.

Den Vogel schießt zur Zeit jedoch die Firma Ticketpoint Reisebüro GmbH ab. Im Massenversand werden hier unaufgefordert E-Mails mit Aufforderungen zur Verlinkung an völlig themenfremde Seiten versendet:

Wie Ihnen sicherlich bekannt ist, bewertet z.B. Google eingehende Links für die Positionierung in den Suchmaschinen entsprechend, so dass ein Linktausch für beide Seiten von Vorteil wäre. Wir bieten Ihnen einen Link Ihrer Wahl von einer unserer Webseiten an, bei gleichzeitiger Verlinkung unserer Seite.

Wer hätte nicht gerne einen besseren Google PageRank? Je höher der PageRank, desto eher taucht schließlich die eigene Webseite auf der ersten Seite der führenden Suchmaschine auf. Aber vielleicht schaut man zuvor lieber einmal auf die Regeln beziehungsweise auf das Verfahren, durch das der PageRank berechnet wird.

Zu den Aufgaben einer Suchmaschine zählt nicht nur die Ausgabe aller zu einem Suchbegriff passenden Seiten, sie führen auch Bewertungen durch und sortieren Seiten nach Relevanz. Die Überlegung ist einfach: Wird eine Seite von vielen anderen, ebenfalls guten Seiten verlinkt, dann ist ihr Inhalt hochwertiger, als die Inhalte von weniger verlinkten Seiten.

Dazu wird jeder Internetseite ein geringer Grundwert zuerkannt. Verlinkt nun Seite A auf eine andere Seite B, überträgt A ihren Punktewert auf diese Seite B. B ist somit “informativer” als Seite A: Der PageRank steigt mit wachsender Verlinkung.

Toll, dann verlinke ich Seite B also 50 mal und pushe sie damit auf Platz 1 der Bestenliste?

So einfach lassen sich Suchmaschinen nicht reinlegen. Sie teilen nämlich den Punktewert der Seite durch die Anzahl der externen Links. Hat eine Seite also einen Wert von 5 „Punkten” und 5 ausgehende Links, werden jeder der verlinkten Seiten lediglich 1 Punkt zuerkannt. Hat diese Seite 20 Links, erhält jede verlinkte Seite lediglich ein Zwanzigstel der 5 Punkte, also 0.25 Punkte.

Webmaster können dieser Bewertung übrigens entgegenwirken, indem sie einem Link das Attribut REL=”nofollow” hinzufügen. Suchmaschinen werden diesen Link dann nicht in ihren Algorithmus einbeziehen.

Das Massenmailing der Firma Ticketpoint Reisebüro GmbH zieht im Internet bereits weitere Kreise. Schließlich sind die Webmaster selber vernetzt. Berichte auf BLOGtotal, Y!gg und selbst im Forum des Antispam e.V. lassen vermuten, dass in der Tat große Mengen an Blogbetreibern angeschrieben wurden. In mehreren Fällen wurden die E-Mails an nicht existente Adressen versendet und wurden nur über einen “Catch-All” aufgefangen.

Es liegt nahe, dass Webverzeichnisse und Suchmaschinen durch Robots nach Domainnamen abgegrast werden. Wenn aber nun die Ticketpoint Reisebüro GmbH jeden der Seitenbetreiber zurücklinkt – und die Menge der Links unbegrenzt ist – bleibt für den einzelnen Blogbetreiber kaum etwas des ticketpoint.de-PageRank übrig, denn der Punktewert der Webseiten wird ja auf eine große Menge an Webseiten verteilt.

Eine weitere Folge resultiert aus der Verlinkung völlig themenfremder Webseiten: der Index der Suchmaschinen wird “verwässert”, indem eine Beziehung zwischen völlig unterschiedlichen Themen hergestellt wird, die durch die komplizierten Algorithmen der Suchmaschinenbetreiber ausgefiltert werden müssen.

Auch ist ein Nutzen für die Besucher nicht gegeben: Besuche ich eine Seite zum Thema Recht, erwarte ich eher keinen Link zum Thema “Flug Flüge Billigflüge”. So etwas nennt sich Werbung, ist entsprechend zu kennzeichnen und kostet fast immer Geld.

Was die Firma Ticketpoint Reisebüro GmbH tut, ist keinesfalls illegal. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Google untersagen lediglich den Kauf eines Links in sogenannten Linkfarmen. Ticketpoint weiß dies:

Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir keinerlei Interesse an käuflichen Links haben, sondern ausschließlich an einem langfristigen Linktausch interessiert sind.

Betrachtet man sich allerdings die Webseite ticketpoint.de mit dem schönen Titel “Flug Flüge Billigflug Billigflüge buchen”, insbesondere den Menüpunkt “Disclaimer” einmal genauer, stößt man auf folgenden Textbaustein:

Der Nutzung von im Rahmen der Impressumspflicht veröffentlichten Kontaktdaten durch Dritte zur Übersendung von nicht ausdrücklich angeforderter Werbung und Informationsmaterialien wird hiermit ausdrücklich widersprochen. Die Betreiber der Seiten behalten sich ausdrücklich rechtliche Schritte im Falle der unverlangten Zusendung von Werbeinformationen, etwa durch Spam-Mails, vor.

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt – die dürfen uns also zuspammen, uns wird aber gleich mit dem Rechtsanwalt gedroht? Bin ich der Einzige, der hier an das schöne Wort “Unterlassungserklärung” denkt?

Noch ein prominenter Beteiligter gibt sich auf Ticketpoint.de ein Stelldichein: Die Ticketpoint Reisebüro GmbH ist “Offizieller Partner” des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK). Das ist an dem großen, roten Logo an prominenter Stelle unschwer zu erkennen. Die Mitglieder des BDK erhalten bei Buchung auf Ticketpoint.de Rabatte auf ihre Flüge .

Auf Anfrage bestätigte uns ein Mitarbeiter des BDK, die Ticketpoint Reisebüro GmbH sei ein “Offizieller Partner”. Einen Zusammenhang zwischen sinnfreiem Linktausch und unerwünschten Spam-E-Mails konnte er allerdings nicht nachvollziehen. Da das Logo des BDK nicht auf den Seiten zu finden sei, die das Verhalten von Ticketpoint.de diskutieren, sieht der BDK hier auch keinen Handlungsbedarf. Dass sich Ticketpoint mit diesem Partner einen seriösen Anstrich gibt, dürfte jedenfalls kein unerwünschter Effekt sein.

Was tun?

Von einer Teilnahme an dubiosen, wenn auch legalen Linkprogrammen ist abzuraten. Die Suchmaschinen betreiben einen riesigen Aufwand, ihren Index sauber zu halten. Die genauen Algorithmen sind Geschäftsgeheimnis, und so mag es nicht verwundern, dass der eine oder andere Seitenbetreiber durch allzu aggressive “Optimierung” der eigenen Webseite den Unwillen des Algorithmus erregte und prompt für unbestimmte Zeit auf den PageRank 0 verbannt wurde.

Der einzige sichere, allerdings auch dornenreiche Weg zur Verbesserung des eigenen Suchmaschinen-Rankings führt über relevante, interessante und vor allem regelmäßig eingestellt Inhalte.

Die Meinungsfreiheit als Sondermüll

Vor einiger Zeit schrieb Bundesfamilienministerin von der Leyen an Spreeblick, andere Websperren als die kinderpornografischer Angebote seien derzeit nicht geplant. Spreeblick kommentierte das mit einem einzigen Wort:

Derzeit.

Wie zutreffend diese Einschätzung war, zeigte sich schon kurz nach Verabschiedung des Zugangserschwerungsgesetzes. Hinterbänkler forderten reflexartig und ohne jede Schamfrist, auch andere Seiten, zum Beispiel solche mit politischer Propaganda, zu sperren. Auch das Stichwort Urheberrecht fiel. Doch es gab die stille Hoffnung, dass es zumindest den Verantwortlichen klar sein würde, wie sehr sie schon mit der bloßen Einführung einer Zensurinfrastruktur das Grundgesetz und das darauf basierende Empfinden vieler Menschen strapazieren. Und zwar gerade jener, die auf dem Boden des Grundgesetzes stehen.

Doch offensichtlich setzt sich in Politikerkreisen die Auffassung durch, dass der stimmberechtigte Deutsche in der Masse nicht viel von seinem Grundgesetz hält. Und dass eine deutlich größere Gruppe als der Stammtisch es gut finden wird, wenn der Staat den Robocop im Internet gibt, dort mit eisernem Besen säubert – und die Meinungsfreiheit als Sondermüll entsorgt.

Denn nun spricht auch die, zumindest nach außen, treibende Kraft hinter den Internetsperren Klartext. Dem Hamburger Abendblatt stand Familienministerin Ursula von der Leyen Rede und Antwort:

abendblatt.de: Sie argumentieren, Grundregeln unserer Gesellschaft müssten online wie offline gelten. Warum sperren Sie dann nicht auch Internetseiten, die Nazipropaganda verbreiten oder Gewalt gegen Frauen verherrlichen?

Von der Leyen: Mir geht es jetzt um den Kampf gegen die ungehinderte Verbreitung von Bildern vergewaltigter Kinder. Der Straftatbestand Kinderpornografie ist klar abgrenzbar. Doch wir werden weiter Diskussionen führen, wie wir Meinungsfreiheit, Demokratie und Menschenwürde im Internet im richtigen Maß erhalten. Sonst droht das großartige Internet ein rechtsfreier Chaosraum zu werden, in dem man hemmungslos mobben, beleidigen und betrügen kann. Wo die Würde eines anderen verletzt wird, endet die eigene Freiheit. Welche Schritte für den Schutz dieser Grenzen notwendig sind, ist Teil einer unverzichtbaren Debatte, um die die Gesellschaft nicht herumkommt.

Mobben, beleidigen, betrügen. All das kann man im Internet tun. Genau so, wie man es im wirklichen Leben tun kann, zum Beispiel Angesicht zu Angesicht, per Brief, Fax oder Telefon. Aber egal, wie man es macht – es ist strafbar und wird verfolgt. Auch im Internet.

Ich erlebe es als Strafverteidiger Tag für Tag, wie die Polizei akribisch jeder Anzeige wegen Verletzung der persönlichen Ehre nachgeht. Neulich hatte ich den Fall, in dem jemand das Nacktfoto einer Frau im Gästebuch deren ehemaliger Schule gepostet hat. Die Polizei ermittelte aufwendig und überführte einen Ex-Freund als Täter. Das Internet als rechtsfreier Raum? Vielleicht hat der Täter dies zunächst so gesehen wie Frau von der Leyen – nach der Hausdurchsuchung dürfte sich sein Bild gewandelt haben.

Ein anderer, nicht ausgedachter Fall: Der geschmähte Liebhaber malt mit einer Schablone eine obszönen Text auf die Straße, die am Arbeitsplatz der Verehrten vorüber führt. Die Polizei ermittelt, durchsucht, findet unter anderem nicht nur die passende Farbe, sondern auch die Schablone. Der Täter wird verurteilt.

Noch heute, Monate später, ist der derbe Spruch übrigens auf der Straße zu lesen. Ist die Fahrbahn jetzt auch ein rechtsfreier Raum? Hätte sie gesperrt werden müssen, damit der unbescholtene Bürger und die Betroffene an diesem schrecklichen Anblick keinen seelischen Schaden nehmen?

An den Beispielen sieht man, wie unredlich von der Leyens Stammtischargumente sind. Sie nennt kriminelles Handeln, welches bereits heute unter Strafe steht und verfolgt wird. Dann bringt sie die Menschenwürde ins Spiel und postuliert einen Handlungsauftrag des Staates, der weit über die Verhütung und Verfolgung von Straftaten hinausgeht. Eine zugkräftige, gleichwohl aber billige Argumentation, und zwar in mehrfacher Hinsicht:

Die Menschwürde zählt, vereinfacht gesagt, zu den Grundrechten. Sie ist ein Abwehrrecht gegen Eingriffe des Staates. Niemand darf von staatlichen Organen zu einem bloßen Objekt staatlichen Handelns gemacht und seines Selbst beraubt werden; sein Leben ist nicht gegen das Leben anderer abwägbar (ausführliche Beschreibung: Wikipedia).

Frau von der Leyen münzt das Abwehrrecht gegen den Staat in einen Handlungsauftrag des Staates um. Plötzlich ist die Menschenwürde ein Grund für staatliches Eingreifen – der Staat schützt die Menschenwürde seiner Bürger, indem er Dritten den Mund zuhält oder durch Stoppschilder dafür sorgt, dass sie im Internet nicht mehr gelesen, gesehen und gehört werden können.

Das entfernt sich weit vom eigentlichen Sinn und Zweck des Grundrechts auf Menschenwürde. Wie absurd das Ganze ist, zeigt sich an von der Leyens Aussage, die Bewahrung der Menschenwürde begrenze Demokratie und Meinungsfreiheit auf das „richtige Maß“. So werden aus rechtsstaatlichen Grundelementen, die sich bedingen und ergänzen, Gegensätze.

Die böse Absicht darf mittlerweile unterstellt werden.

Die Familienministerin interpretiert also die Menschenwürde um. Von einer Pflicht, welche die äußersten Grenzen staatlichen Handelns umreißt, zum „großen Reinigungsauftrag“ an den Staat. Das mag fürsorglich gemeint sein. Zu viel staatliche Fürsorge in Form der Beschneidung von Grundrechten hat jedoch bisher weder die Demokratie noch die Freiheit gefördert.

Man muss ja nicht die Weimarer Republik bemühen. Das sicherlich ehrlich gemeinte Bonmot des Protagonisten eines vom Selbstverständnis her ebenso fürsorglichen Staates genügt ebenso. Was hatte der Betreffende noch gleich gesagt? „Ich liebe euch doch alle.“

Abgesehen vom offenkundig verfehlten Anwendungsgebiet ist die Menschenwürde kein Allzweckmittel wie ein Schweizer Taschenmesser. Sie zeigt, wie dargelegt, die äußersten Grenzen staatlichen Handelns auf. Die Menschenwürde taugt aber nicht als Regulativ der Freiheit.

Ich fahre jemanden auf der Straße an und verletze ihn schwer. Das Opfer wird sein Leben behindert sein, also grausame Folgen erleiden. Ich habe dann zwar eine fahrlässige Körperverletzung begangen (und werde dafür bestraft), aber ich habe die Menschenwürde des Unfallopfers nicht angegriffen.

Eine Beleidigung ist auch nur ein Angriff auf die persönliche Ehre, aber kein Angriff auf die Menschenwürde. Selbst extreme politische Propaganda, so sehr sie auch schmerzen und empören mag, ist in den allermeisten Fällen eben nur politische Propaganda. Und falls nicht, haben wir dafür taugliche (Sonder-)Gesetze. Sie finden sich im Strafgesetzbuch, nicht im Grundgesetz; Gewaltverherrlichung und Volksverhetzung sind dort seit jeher unter Strafe gestellt.

Vorhin habe ich beschrieben, wie eifrig und akkurat unsere Polizei jede begründete Strafanzeige ausermittelt, sei es nun ein Gartenzaundelikt oder ein ebay-Betrug mit einem Schaden von 21,50 Euro. Deshalb will ich erwähnen, dass gerade bei Gewaltverherrlichung und Volksverhetzung nach meiner Erfahrung ebenfalls kein rechtsfreier Raum existiert.

Neulich musste ich einem Blogger helfen, weil er auf seiner Seite einen Ausschnitt aus einem Splatterfilm gepostet hat. Weder Polizei noch Staatsanwaltschaft wollten zur Kenntnis nehmen, dass es sich hier nicht um reine Gewaltverherrlichung im Sinne des Gesetzes handelte, sondern um die Abschlussarbeit eines kanadischen Filmstudenten. Dessen Streifen konnte man – nach dreimaligem Würgen – durchaus künstlerische Aspekte und insbesondere eine gesellschaftspolitische Aussage abgewinnen. Das Verfahren endete glimpflich, aber der anfänglich arglose Mandant fragt sich noch heute, in was für eine erkenntnisresistente Maschinierie er da hineingeraten ist. Und was passiert wäre, wenn nicht zumindest die Richterin Augenmaß bewiesen hätte.

So entschieden und rustikal, die Hausdurchsuchung war natürlich inbegriffen, im beschriebenen Fall vorgegangen wurde, so wird auch wegen Volksverhetzung im Internet ermittelt. Strafanzeige genügt, und die Maschinerie rollt.

Allerdings kommt es dann halt auch vor, dass eben nicht alles, was ein (zufälliger) Leser und ein Polizeibeamter für Volksverhetzung oder verbotene Propaganda jedweder Couleur halten, auch solche ist. Mit der Folge, dass sich geschmacklose, unbequeme und für einzelne sicher auch schmerzhafte Inhalte nicht bestrafen und abschalten lassen.

Ich habe das Gefühl, von der Leyens Wunsch nach Sauberkeit zielt auf diese Inhalte. Was mit dem Strafgesetzbuch nicht greifbar ist, aber trotzdem das Volksempfinden, repräsentiert durch Polizeikommissar Hinz und Staatsanwalt Kunz, stört, soll raus aus dem Internet. Oder jedenfalls nicht mehr sichtbar sein.

Wenn man aber nur noch eine Meinungsfreiheit zulassen will, die geschmacklose, unbequeme und für einzelne schmerzhafte Inhalte nicht umfasst, sollte man fairerweise nicht mehr von Meinungsfreiheit sprechen. Von Demokratie vielleicht auch nicht mehr.

Frau von der Leyen mag uns alle lieben. Dieses Gefühl beruht aber langsam nicht mehr auf Gegenseitigkeit.

Dateientausch im Gesetzesverfahren

Auch in Berlin hat man offensichtlich mittlerweile bemerkt, dass auch nationale Gesetze mitunter erst bei der EU ein „Notifizierungsverfahren“ durchlaufen müssen. Das Gesetz zur Einführung von Internetsperren gehört dazu.

Das nun doch noch angestoßene Verfahren hat zunächst zur Folge, dass das Gesetz nicht so schnell in Kraft treten kann wie geplant. Eigentlich sollte es mit den Stoppschildern am 1. August 2009 losgehen.

Anscheinend ist man weiter auf verantwortlicher Seite bemüht, keinen denkbaren Fehler auszulassen. Wie jetzt bei der Notifizierung getrickst wird, lässt sich in den Kommentaren eines Eintrags im beck-blog nachvollziehen.

Erinnerungsunwillig

Juristen wird ja gern eine Neigung zu Rabulistik angelastet. Mit folgendem Text, einer Verteidigungsschrift, möchte ich dieses Vorurteil widerlegen. Es geht um den Vorwurf, eine Zeugin habe falsch ausgesagt, weil sie sich nicht mehr erinnern konnte (oder wollte), dass der Angeklagte sein Opfer nicht nur geschlagen, sondern auch getreten hat:

Gegen meine Mandantin ergibt sich kein hinreichender Tatverdacht.

Das Amtsgericht weist im Urteil selbst darauf hin, es sei offen, ob sich meine Mandantin nicht konkret an das damalige Geschehen erinnern konnte oder ob sie „erinnerungsunwillig“ war. Wenn sich der Richter in der Hauptverhandlung keine entsprechende Überzeugung bilden konnte, steht auch nicht zur erwarten, dass dies nachträglich möglich sein wird.

Überdies weist das Amtsgericht ausdrücklich daraufhin, seit der Tat seien immerhin neun Monate vergangen. Somit könne eine fehlende bzw. getrübte Erinnerung durchaus auf den Zeitablauf zurückzuführen sein.

Die damalige Sitzungsvertreterin, Amtsanwältin W., gibt in ihrem Einleitungsvermerk ( = Anzeige wegen Falschaussage) an, die Zeugen hätten zunächst gesagt, sie hätten die Tritte weder bemerkt noch gesehen. Allerdings, und dies ist entscheidend, hätten sie sich „nach intensiver Befragung und unter Vorhaltung ihrer polizeilichen Aussage“ doch an die Tritte erinnert.

Hieraus ergibt sich, dass auch meine Mandantin letztlich, entsprechend der polizeilichen Aussage, sehr wohl doch noch an die Tritte erinnert und entsprechend ausgesagt hat. Somit hätte meine Mandantin ihre Aussage noch innerhalb der laufenden Aussage korrigiert.

Eine Strafbarkeit wegen falscher uneidlicher Aussage kommt jedoch erst in Betracht, wenn die betreffende Aussage beendet ist. Bis zum Ende der Aussage kann diese jederzeit korrigiert werden, ohne dass sich der Aussagende strafbar macht.

Somit entfällt schon nach dem Einleitungsvermerk der Amtsanwältin der Anfangsverdacht gegen meine Mandantin, da diese die Tritte letztlich in ihrer Aussage angegeben hat – wenn auch erst zum Schluss.

Jedenfalls kann aber, so wie es das Amtsgericht festgestellt hat, letztlich nicht positiv festgestellt werden, dass meine Mandantin sich noch konkret an den immerhin neun Monate zurückliegenden Sachverhalt erinnerte und entgegen diesen Erinnerungen falsche Angaben machte. Vielmehr besteht auch die Möglichkeit, dass meine Mandantin tatsächlich keine hinreichende Erinnerung mehr an den Vorfall hatte. Hierfür spricht insbesondere auch der Umstand, dass meine Mandantin allenfalls eine „Randfigur“ der Ereignisse ist.

Das Verfahren wurde wegen fehlenden Tatverdachts eingestellt.

Hallo Christoph

Nur dieses eine Wort war es. Es stand in der Überschrift eines Boulevardblattes. Wegen „Korruptionsverdacht“, behauptete die Zeitung, sei Harald Friedrich (Grüne), der ehemalige Abteilungsleiter des niordrhein-westfälischen Umweltministeriums, gefeuert worden. Der Beweis dazu fehlte. Das merkte auch der Düsseldorfer Staatsanwalt Christoph K. Er notierte tagsdrauf, „dem vorliegenden Pressebericht sind zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für ein Korruptionsdelikt nicht zu entnehmen“.

Staatsanwalt K. legte die Akte weg. Doch auch Beamte des Landeskriminalamtes (LKA) hatten den „Bild“-Bericht gesehen. Und fragten am nächsten Tag im Umweltministerium nach. Damit traten sie Ermittlungen los, die Friedrich später als Verbrecher darstellten und für ihn zu einer existenzbedrohenden Lawine wurden. Angehäuft mit Märchen, Spekulationen, Behauptungen und riskanter Logik.

Eines der Märchen stammte aus dem von der CDU geführten Ministerium, das prompt Strafanzeige erstattete. Wegen „freihändiger Vergabe von Forschungsaufträgen“ durch Friedrich, den Vertrauten der Ex-Umweltministerin Bärbel Höhn (Grüne). Der habe, so schmückte speziell Ministerialrat Jörg-Michael G. in Dichterart aus, wissenschaftliche Forschungsaufträge im Wert von über 2 Millionen Euro „unter Missachtung der einschlägigen Vergaberichtlinien“ erteilt.

Damit habe, heißt es in der Anzeige des Ministeriums, Friedrich „geldwerte Vorteile in derzeit nicht bekanntem Umfang“ ergattert. Im LKA wurde derlei zunächst skeptisch bewertet. „Es bedarf einer umfänglichen Sichtung, Verdichtung, und kriminalistischen Bewertung der Sachverhalte“, heißt in einem Vermerk. Doch dann folgte überwiegend die Verdichtung der Vorwürfe.

Während die Notiz vom 14. Juli 2006 noch mit dem Verdacht des Betruges und „anderer Delikte“ überschrieben war, erweiterte derselbe LKA-Beamte ihn 10 Tage später auf Vorteilsannahme und Bestechlichkeit. Begründung dazu? Keine. Einfach so. Stattdessen sichteten die Ermittler das leere Büro des geschassten Abteilungsleiters. Und stellten vermeintlich bedeutsames Material sicher. Das achtseitige Protokoll nennt etwa einen Bericht zur Umsetzung der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie und ein Buch mit dem Titel „Klärschlammentsorgung: Eine Bestandsaufnahme“.

An der Inventur des Ministeriums arbeitete Ministerialrat G. tüchtig weiter. In einer E-Mail trug er das Gerücht weiter, Friedrich habe womöglich eine Woche lang Urlaub in Frankreich gemacht. Und dort ein Ehepaar getroffen, das einen Auftrag über 300 000 Euro bekommen hatte. Von wem? Von Friedrich? Keine Fakten, nur Tratsch.

Der allerdings dazu führte, dass ein LKA-Beamter sich urplötzlich dafür interessierte, ob Friedrich Kunde oder Verkäufer beim Internethandel „ebay“ war. Das ging so: „Hallo Christoph“, schrieb der Kriminalbeamte an einen Bekannten im Wuppertaler Finanzamt für Steuerfahndung, „wie besprochen bräuchte ich mal eine Auskunft“.

Tags drauf bekam ebay hochoffizielle Post „per Fax, Anfrage Eilt!“. Das Amt führe „Vorermittlungen“ gegen Friedrich. Der habe, das sei bekannt, „Umsätze bei ebay getätigt“. Eine durch nichts bewiesene Behauptung. Die auch von ebay nicht bestätigt wurde. Allerdings kostenpflichtig, zu Lasten der Steuerzahler.

Auf neue Ideen brachte Ministerialrat G. die LKA-Beamten. Sie hatten durch Minsterialrat G. vom Gerücht erfahren, Friedrich strebe eine Professur an. Als hätte er nun die Erleuchtung, bastelte ein Beamter daraus einen Straftatbestand. Denn angenommen, Friedrich wäre zum Professor berufen worden, eventuell sogar an der Technischen Hochschule Aachen, die Fördergelder von ihm bekommen hatte – dann bedeutete das eine gesellschaftliche „Prestige- und Ansehenssteigerung“. Die wiederum wäre die illegale Annahme eines Vorteils.

Die Krönung dieses Gedankengangs ist eine aus dem Umweltministerium getragene Tuschelei: „Herr Friedrich lebte die Philosophie keine Leistung ohne Gegenleistung.“

So und ähnlich wurde weiter ermittelt. Mit stets neuer Nahrung aus dem Ministerium (Es gebe „mögliche Auffälligkeiten“, „es war ungewöhnlich, dass…“, Friedrich ging „in einem sehr großen Ausmaß im Umfeld von Düsseldorf essen“). Und immer wieder wurde ein „Anfangsverdacht“ gebastelt.

Auch deshalb hat die Staatsanwaltschaft Wuppertal, die wegen des Verdachts der organisierten Kriminalität eingeschaltet wurde, inzwischen die meisten Vorwürfe wegen Friedrichs erwiesener Unschuld sang- und klanglos eingestellt. Meist mit den entlarvend dürren Worten „Der Anfangsverdacht wurde nicht bestätigt“.

Diesen vermeintlichen Anfangsverdacht übernahm vor einem Jahr jeweils die Wuppertaler Amtsrichterin Carmen S. und erließ weitreichende Beschlüsse: 270 Beamte durchsuchten bundesweit rund 30 Objekte, Friedrich ging für 3 Wochen in Untersuchungshaft, 9 Personen wurden 4 Wochen lang ohne ihr Wissen beobachtet, 2.500 Telefonate wurden abgehört, 2.000 E-Mails von den Fahndern heimlich gelesen.

Diese Aktion rief das Parlament auf den Plan. In einem Untersuchungsausschuss wollen SPD und Grüne geklärt wissen, ob die Landesregierung die Ermittlungen irgendwie beeinflusst hat. Die Staatsanwaltschaft will im kommenden Monat entscheiden, was vom Verfahren mit seinen über 11.000 Seiten überhaupt noch übrig bleibt. Sehr zum Ärger der vorgesetzten Generalstaatsanwaltschaft in Düsseldorf. Die murrt seit Monaten und meint, das gesamte Verfahren könne längst eingestellt worden sein. (pbd)

Bereits angewiesen

Die Rechtsabteilung eines großen deutschen Verlages teilt mit:

Die Lizenzgebühr und Ihr Honorar sind bereits angewiesen und ich hoffe, kann es aber nicht garantieren, dass der Gesamtbetrag in den nächsten Tagen auf Ihrem Konto eingehen wird.

Ich hoffe mal nicht, dass das jetzt die Hausbank oder größere Gläubiger nervös macht.

Polizisten, die sich ungern fotografieren lassen

Aus der Rubrik „Anfragen, die kein Mandat sein sollen“:

Ich war nachts auf der Reeperbahn einen Freund besuchen. Auf dem Heimweg stand ich unten in der S-Bahn Station und wartete, als ein Haufen Polizisten, wenig zimperlich, einen schreienden Jungen an mir vorbei trugen. Keine Ahnung warum, ich hatte auch den Eindruck, der Junge übertrieb.

Wirklich bewegt hat mich dann Folgendes: Ein Mädchen ging diesem Tross hinterher und machte Fotos von der ganzen Aktion. Als einer der 6 oder 7 Polizisten dies bemerkte, drehte er sich um, sagte dem Mädchen sie solle ihm nun die Bilder zeigen. Er schaute sich die Bilder an und nannte ein paar davon, die sie nun zu löschen hätte. Erst weigerte sich das Mädchen, aber dann wurde ihr gedroht, dass sonst die Kamera beschlagnahmt würde und so löschte sie dann die Bilder.

Ich war ziemlich schockiert und ich gehe doch mal davon aus, dass die Polizei nicht die Befugnisse hat, solche Maßnahmen anzuordnen. Oder?

Wie handelt man denn am besten in so einer Situation?

Bekannt ist…

Aus dem Schreiben einer Tierhaftpflichtversicherung:

Bekannt ist, dass man sich in eine Hundebeisserei nicht einmischt und die Leine besser loslässt.

Das nur nur zur Info für alle, welche

a) diese Lebensregel noch nicht kannten und

b) unbeteiligt zusehen können, wie ihr Hund von einem größeren Tier zerfleischt wird.

Chefärztin soll Kollegen verleumdet haben

Nur ein Wunder kann die Chefin des Duisburger Herzzentrums vor dem anstehenden Strafprozess retten: Die 8. große Strafkammer des Landgerichts Münster hat jetzt 10 von 13 Anklagepunkten der Staatsanwaltschaft gegen Sabine D. zugelassen. Die elf Vorwürfe der Ankläger gegen ihren Lebensgefährten sind in vollem Umfang zugelassen worden. Das bestätigte gestern Behördensprecher Benedikt Vieth.

Die Medizinerin soll während ihrer Zeit an der Universitätsklinik Münster gemeinsam mit ihrem Freund anonyme Schreiben verschickt haben, in denen sie dem Klinikum vermeintliche Fehler vorwarfen. Die Briefe gingen an die Generalstaatsanwaltschaft Hamm, an Angehörige Verstorbener und Journalisten. Ziel soll es gewesen sein, den Leiter der Herz-Thorax-Chirurgie in Münster zu diskreditieren.

Oberstaatsanwalt Wolfgang Schweer erläutert seine Sicht: „Frau D. hat versucht, den Leiter der Herz-Thorax-Chirurgie zu diskreditieren, damit dieser vorzeitig aus dem Dienst entfernt wird. Sie wollte früher als geplant Leiterin der Herzabteilung werden.“ Wegen siebenfacher Verletzung von Privatgeheimnissen muss sich D. nun verantworten, weil sie laut Anklage Informationen von Patienten weitergegeben hat.

Außerdem wird sie der falschen Verdächtigung, der versuchten Nötigung, der Verleumdung und eines Verstoßes gegen das Datenschutzgesetzt beschuldigt. Gegen ihren Lebenspartner, einen Unternehmensberater, besteht der hinreichende Verdacht, in neun Fällen personenbezogene Daten unbefugt verbreitet zu haben. Dazu wird ihm vorgeworfen, er habe verleumdet, genötigt und falsch verdächtigt.

Bei solchen Delikten wird ein Prozess normalerweise vor einem Amtsgericht geführt. Das Landgericht Münster hat sich aber der Meinung der Staatsanwaltschaft angeschlossen. Die hat dem Verfahren, das einen großen Umfang mit vielen Zeugen und Sachverständigen hat, eine „besondere Bedeutung“ unterstellt.

Diese besondere Bedeutung sieht der Geschäftsführer des Duisburger Herzzentrums allerdings noch nicht. Otto Eggeling hält an Chefärztin Sabine D. fest: „Alles andere wäre eine Vorverurteilung, die wir nicht wollen“. Allerdings kommen auf D. und ihren Partner noch zivilrechtliche Forderungen zu. Die Uni-Klinik in Münster behauptet, durch die Rufmordkampagne sei ihr ein Millionen-Schaden entstanden: „Wir strengen die Schadensersatzklage an“, bekräftigte gestern Kliniksprecherin Simone Hoffmann. (pbd)

Das billigste MacBook aller Zeiten

Gestern hatte Otto ein echtes Schnäppchen im Angebot. Das MacBook Air kostete bei Onlinebestellung 49,95 Euro. Das sind immerhin 1.650,49 Euro weniger als der übliche Preis. Kein Wunder, dass viele bestellten.

Wenig überraschend auch, dass Otto wenig Lust hat, die MacBooks zum angezeigten Preis zu liefern, obwohl viele Kunden offensichtlich Bestellbestätigungen erhalten haben.

Die Sach- und Rechtslage ist nicht klar und auf jeden Fall abhängig von den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, dem Wortlaut der Angebote und den versandten Bestellbestätigungen. Also mal ein Fall, in dem Kunden mit Rechtsschutzversicherung klar im Vorteil sind.

Nachtrag: Ich ziehe einen interessanten Kommentar von „henk“ nach oben, weil er schön eine Besonderheit des Falles darstellt:

Problematisch ist jetzt allerdings, dass Otto nicht etwa die Kaufverträge als „nicht zustandegekommen“ behandelt, sondern nachträglich den Kaufgegenstand anpasst (konkret in ein Notebook-Taschenset ändert: http://tinyurl.com/n8ussx ) und diese umgewandelten Kaufverträge als zustandegekommen erachtet. Die Anfechtung dieser „neuen“ Kaufverträge wiederum obliegt nun den Kunden. Damit hat sich Otto die Einrede der Nichtigkeit nach 119 BGB verunmöglicht und den Kunden die Möglichkeit an die Hand gegeben, wegen arglistiger Täuschung zu klagen.

Die Rechtsabteilung von Otto ist derzeit wohl nicht besonders gut besetzt…

(Danke an Robert M. für die Links)

Alles verpeilt

Passend zum letzten Beitrag habe ich gerade ein schönes Beispiel dafür auf dem Schreibtisch gehabt, wie schnell man heutzutage die Polizei bei sich in der Wohnung stehen hat.

Das Amtsgericht erließ Anfang April 2009 einen Durchsuchungbeschluss. Meinem Mandanten wurde darin vorgeworfen, sich im Februar 2009 per Internet eine pflanzliche Substanz aus Holland bestellt zu haben. Diese Substanz falle unter das Betäubungsmittelgesetz. Es bestehe also der Verdacht der illegalen Einfuhr von Betäubungsmitteln.

Die Polizei stellte vor knapp zwei Wochen die Wohnung meines Mandanten auf den Kopf. Und fand – nichts.

Tatsächlich hätte es nie zu der Durchsuchung kommen dürfen. Weder der Staatsanwalt noch der Amtsrichter haben nämlich die Akte richtig gelesen. Hätten sie es, wäre ihnen aufgefallen, dass die Strafanzeige, mit der das Verfahren ausgelöst wurde, offensichtlich lange beim Zoll herumgelegen ist. Tatsächlich war die Bestellung nicht vom Februar 2009, sondern vom Februar 2008. Sie lag also ein Jahr weiter zurück.

In keinem einzigen Papier des Zolls findet sich ein falsches Datum. Immer steht dort Februar 2008. Weder dem Staatsanwalt, der den Beschluss entworfen hat, noch dem Richter, der ihn unterschrieben hat, ist das offenbar aufgefallen.

Diese Schlamperei hat juristische Konsequenzen. Die fraglichen Pflanzen sind nämlich erst zum 1. März 2008 in das Betäubungsmittelgesetz aufgenommen worden. Vor diesem Tag waren die Substanzen in Deutschland legal und konnten auch eingeführt werden.

Dass die Warensendung knapp einem Monat vor der Gesetzesänderung beschlagnahmt wurde, hat dann schon der Zoll ignoriert. Im chemischen Gutachten vom Mai 2008 (!) heißt es dazu nur, diese Proben fielen unter das Betäubungsmittelgesetz. Kein Wort davon, dass die Sendung aus dem Februar ist, der Bezug dieser Pflanzen aber erst ab dem 1. März 2008 unter Strafe steht.

In der Folgezeit hat sich niemand mehr darum gekümmert, ob das tatsächlich so ist. Staatsanwalt und Richter offensichtlich schon deshalb nicht, weil sie die Akte nicht richtig gelesen haben und schlicht nicht mal peilten, dass der Vorfall ein Jahr weiter zurückliegt. Und wahrscheinlich auch, weil sie die unrichtige Stellungnahme des Zollamtes zur Betäubungsmitteleigenschaft kritiklos übernahmen und es nicht für Wert erachteten, neben zeitlichen Angaben auch mal die Gesetzeslage zu überprüfen.

Wie gesagt: So schnell kann es gehen.

Früchte des verbotenen Baums dürfen weiter geernet werden

Das Bundesverfassungsgericht hat in einer heute veröffentlichten Entscheidung ausdrücklich festgestellt, dass Beweise verwertet werden dürfen, auch wenn sie auf rechtswidrige Weise gewonnen wurden.

Konkret ging es um die Hausdurchsuchung bei einem Bürger, dem Markenrechtsverletzungen vorgeworfen wurden. Der Durchsuchungsbeschluss wurde später für rechtswidrig erklärt, weil die Verhältnismäßígkeit nicht gewahrt war.

Bei der Durchsuchung wurden aber Betäubungsmittel in nicht geringer Menge und zwei Feinwaagen gefunden, was später zu einer Verurteilung wegen Drogendelikten führte. Diese „Zufallsfunde“ unterliegen keinem Beweisverwertungsverbot, so das Verfassungsgericht:

Es besteht aber kein Rechtssatz des Inhalts, dass im Fall einer rechtsfehlerhaften Beweiserhebung die Verwertung der gewonnenen Beweise stets unzulässig wäre. Für die Beurteilung der Frage, welche Folgen ein möglicher Verstoß gegen strafprozessuale Verfahrensvorschriften hat und ob hierzu insbesondere ein Beweisverwertungsverbot zählt, sind in erster Linie die Fachgerichte zuständig. Diese gehen in gefestigter, willkürfreier Rechtsprechung davon aus, dass dem Strafverfahrensrecht ein allgemein geltender Grundsatz, dass jeder Verstoß bei der Beweisgewinnung einstrafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht, fremd ist, und dass die Frage jeweils nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden ist.

Ein Beweisverwertungsverbot bedeutet eine Ausnahme, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist. Insbesondere die willkürliche Annahme von Gefahr im Verzug oder das Vorliegen eines besonders schwerwiegenden Fehlers können – müssen indes nicht in jedem Fall – danach ein Verwertungsverbot nach sich ziehen.

Diese Sicht der Dinge hat zur Folge, dass nach wie vor Beweismittel illegal gewonnen werden können – und dies normalerweise keinerlei Konsequenzen für die falsch Handelnden hat. Weder werden sie, außer in krassen Fällen, dienstlich belangt, noch bleibt ihnen der „Ermittlungserfolg“ versagt. Denn die Erfahrung lehrt, dass Gerichte in den allermeisten Fällen das Strafverfolgungsinteresse des Staates weitaus höher schätzen als die Rechte des Beschuldigten. Gerichtlich bestätigte Beweisverwertungsverbote sind deshalb die große Ausnahme.

Nach meiner Meinung kann nur ein automatisches Beweisverwertungsverbot bei allen Rechtsverstößen, die über Bagatellen hinausgehen, einen Disziplinierungseffekt für die Ermittlungsbehörden herbeiführen. Wieso dieser nötig ist, steht ja mitunter in diesem Blog.

Pressemitteilung des Gerichts

Für Nachteulen

In der Nacht von Donnerstag auf Freitag bin ich zu Gast in der „Nightline“ des Frankfurter Senders YOU FM. Das ist das junge Radio des Hessischen Rundfunks.

Ich werde mit Moderator Holger Klein über aktuelle Themen plaudern. Festlegen werden wir uns vorher nicht so genau, denn so viel ich momentan weiß, sollen Hörer anrufen, Fragen stellen und mit uns diskutieren.

Die Sendung läuft von 23 bis 1 Uhr.