„Die Grünen moralisieren gar nicht!“
Diesem Clickbait des Zeit-Journalisten Bernd Ulrich konnte ich nicht widerstehen. Immerhin muss diese These ja jedem, der schon ein bisschen Lebenserfahrung hat und das notgedrungen auch mit den Grünen im Fernsehen und im real life beim unvermeidlichen Elternabend, mörderisch steil erscheinen. Immerhin: Der Autor widerlegt sich mit vielen putzigen Zeilen selbst. Doch reichen für Faule schon zwei Zitate, um Ulrichs Denkfehler zu erkennen.
Beginnen wir damit, wie Ulrichs Mustergrüner die Welt sieht:
Fast alle Fässer sind mittlerweile so voll, dass jeder weitere Tropfen sie zum Überlaufen bringt. Der epochale Wechsel besteht genau darin: Was bis vor Kurzem noch kein Gegenstand von Moral zu sein brauchte, weil die Folgen für Dritte unerheblich waren, und was darum als reine Betätigung individueller Freiheit erlebt und beansprucht wurde, das verwandelt sich nun in einen moralischen Tatbestand, weil die Folgen für Dritte bereits jetzt gravierend sind und alsbald katastrophal werden könnten. Fleischessen, Fliegen, Autofahren, Massentourismus sind in die Sphäre der Moral eingetreten. Das ist ganz schlicht ein moralischer Tatbestand, der auch nicht aus der Welt, den Gewissen und den Hinterköpfen verschwinden würde, wenn die Grünen das Reden komplett einstellen würden.
Das ist die Essenz des grünen Moralins. Früher war Grün ein leicht benebelndes Eau de Cologne (Joschka Fischer), heute ist es längst ein schweres Eau de Parfum (Robert Habeck). Aber ich will Bernd Ulrich ja gar nicht wegnehmen, dass seine Leute heute jedes private Handeln, vor allem aber jedes Vergnügen und sogar jede Unsinnigkeit nur noch auf den CO2-Ausstoß reduzieren und somit am Ende schon deine und meine Existenz als Zumutung ansehen.
Kennen wir, akzeptieren wir.
Ulrichs eigentlicher Denkfehler ergibt sich aus dem nächsten Satz. Dieser bezieht sich auf jeden, welcher der grünen Lehre nicht anhängt:
Schließlich ist auch die Behauptung, man dürfe trotz kumulativer und exponentieller Effekte so weitermachen wie bisher, ein ziemlich großformatiges moralisches Statement, genauer gesagt eine moralische Anmaßung.
Nein, das Leben der Anderen, der Nichtgrünen, ist genau das Gegenteil. Es ist zwar ein großformatiges, man könnte auch sagen hoffentlich geiles Statement, aber letztlich eben ein unmoralisches Statement. Der Andere, der Nichtgrüne, formuliert ein lakonisches, gerne auch durch einen CO2-Ausgleich abgemildertes Scheißegal, was zum Beispiel den Beitrag seines Teneriffa-Flugs zum Armageddon betrifft. Letztlich nimmt sich der Andere aber trotz hochgezogener Augenbrauen unter blauen Haaren des grünen Zeitgenossen das Recht, diesen Planeten zu plündern – so wie es seit dem ersten Höhlenmenschen der Fall gewesen ist. Der Andere ist ganz bewusst ein letztlich schlechter Mensch – aber eben nur in Klimakleber-Kategorien. Der Andere bricht bei seinen Sünden nicht in Tränen aus. Nicht mal in Deutschland. Im Rest der Welt weiß sowieso niemand, wovon Ulrich schreibt.
Das heftigste und nervigste Moralisieren der Grünen besteht somit darin, allen Nichtgrünen Moral aufzwingen zu wollen, welche diese gar nicht haben und schon mal gar nicht haben wollen. Der Versuch zieht bei mir nicht, obwohl Joschka eine coole Socke war.