Prüfungsamt muss Klausuren kostenlos kopieren

Prüfungsämter müssen Examenskandidaten Kopien ihrer Arbeiten und der Bewertungsgutachten zur Verfügung stellen – und zwar kostenlos. Im Fall eines angehenden Volljuristen, der auf die Kopien geklagt hatte, erklärt das Oberverwaltungsgericht Münster die Datenschutz-Grundverordnung auch auf Prüfungsarbeiten für anwendbar.

Nach § 15 DSGVO hat jedermann einen Anspruch auf kostenlose Kopien der personenbezogenen Daten, die ein Dritter über ihn speichert. Dazu gehören, so das Gericht, auch Klausuren und deren Bewertungen. Die Vorschrift sei nicht auf bestimmte Daten beschränkt, es seien auch keine Ausschlussgründe ersichtlich. Das Prüfungsamt war zwar letztlich bereit, die Arbeiten zu kopieren, wollte dafür aber 69,70 € berechnen.

Das Gericht weist weiter darauf hin, dass die Daten entweder in Papierform oder als Dateien in einem allgemein lesbaren Format zur Verfügung gestellt werden müssen (Aktenzeichen 16 A 1582/20).

Summer is coming

Heute mal ein Geständnis, und zwar in einer Bußgeldsache:

Sehr geehrte Damen und Herren,

wie schon telefonisch besprochen, melde ich mich als Verteidiger von Herrn Bernd W. aus G. Eine Vollmacht ist beigefügt.

Mein Mandant räumt den Vorwurf ein. Er hat den Dienstwagen am fraglichen Tag geführt und ist zu schnell gefahren. Sofern die Regelsätze nach der BKatV angewendet werden und die 4-Monats-Frist gewährt wird, ist mein Mandant mit einem Bußgeldbescheid einverstanden.

Mein Mandant möchte das Fahrverbot möglichst schnell „ableisten“. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie den Bußgeldbescheid kurzfristig auf den Weg bringen. Rechtsmittelverzicht wird nach Eingang erklärt. Bei Rückfragen stehe ich gern zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen
Rechtsanwalt

Für den Mandanten hoffe ich, dass ihm Corona nicht noch einen Strich durch den Jahresurlaub macht. Damit ist das Geständnissoll aber für heute erfüllt…

Großmütter for Future

Zwei über 70-jährige Frauen haben den Klimaschutz in Schleswig teilweise selbst in die Hand genommen. Sie sprühten nachts farbige Markierungen an mehrere Kreuzungen, um selber Radwege in der Stadt zu implementieren. Das sah dann eigentlich ganz nett aus, wie man dem Foto in der taz entnehmen kann.

Die Stadt fand die Aktion nicht witzig; sie ließ die Markierungen für 768,90 € entfernen. Die beiden Seniorinnen sagten hingegen, dass die Markierungen auch leicht mit einem Besen und Wasser abwaschbar gewesen seien. Sie waren also eher nicht als dauerhafte Wegweiser gedacht, sondern als politische Aktion.

Es folgten Ermittlungen wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr. Außerdem wollte die Stadt das Geld von den beiden Frauen haben. Letztlich erging ein Strafbefehl in Höhe von 50 Tagessätzen, gegen den die beiden Frauen Einspruch einlegten.

Im Gerichtstermin hat das Gericht das Verfahren wohl eingestellt. Die 768,90 € wollen die Frauen der Kommune erstatten, weil diese ohnehin wenig Geld zur Verfügung habe.

Wenn ich mir den Tatbestand den Tatbestand des § 315b Abs. 1 StGB angucke, erschließt sich nicht so ganz, warum das Aufsprühen von Markierungen ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr sein soll. Die Vorschrift lautet:

§ 315b

Gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr

(1) Wer die Sicherheit des Straßenverkehrs dadurch beeinträchtigt, daß er
1. Anlagen oder Fahrzeuge zerstört, beschädigt oder beseitigt,
2. Hindernisse bereitet oder
3. einen ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff vornimmt,
und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Allenfalls wären Nummer 2 oder Nummer 3 einschlägig, aber es fehlt definitiv an einer Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremden Sachen von bedeutendem Wert. Sprich: Der Strafbefehl hätte nicht erlassen werden dürfen, immerhin kam es dann ja auch zu einer Einstellung. Die ist allerdings besonders in einem Punkt weniger Wert als ein Freispruch, denn in der Regel bleiben die Angeklagten zumindest auf den Kosten des eigenen Anwalts sitzen.

Ganz generell zeigt der Fall, dass die Rechtsfolgen eines Strafbefehls nicht in Stein gemeißelt sind und im Gerichtsverfahren oft etwas zu machen ist. Ein Einspruch gegen den Strafbefehl kann übrigens bis zum Beginn der Hauptverhandlung jederzeit zurückgenommen werden, so dass man die Chancen auf jeden Fall immer in Ruhe prüfen sollte.

RA Dr. André Bohn

Alles fügt sich

Am vergangenen Freitag wollte ich eigentlich einen Mandanten in der Haft besuchen. Aber ich kriegte es wegen anderer Gerichtstermine, die sich munter verschoben oder verlängerten, einfach nicht auf die Reihe. Blöd nur, dass unsere Hauptverhandlung übermorgen, am Dienstag, nach längerer Unterbrechung fortgesetzt werden sollte.

Realistisch blieb so nur, dass ich eine halbe Stunde vorher im Hausgefängnis des Gerichts aufschlage. Und wir dann eben alles besprechen. Das hätte in diesem Fall (zur Not) auch gereicht, aber eine vernünftige Besprechung kann das natürlich nicht ersetzen. Immerhin weiß ich, dass der Vorsitzende des Gerichts sehr fair und verständnisvoll ist. Wir hätten also durchaus auch etwas mehr Zeit bekommen, sofern es nötig gewesen wäre.

Nun ja, es läuft nicht immer alles nach Plan. Aber meist fügt es sich doch – irgendwie. So kriegte ich dann heute morgen ein Fax vom Landgericht:

… wird der Hauptverhandlungstermin vom 02.06. wegen einer Corona-Erkrankung des Angeklagten aufgehoben.

Der Mandant ist am Samstag positiv getestet worden. Der Termindruck ist nun erst mal weg, unter 14 Tagen Quarantäne wird für ihn wohl nichts laufen. Das hätte dann ja wohl auch für mich gegolten, wenn ich am Freitag brav in der Justizvollzugsanstalt vorstellig geworden wäre. Ein bisschen Glück gehört halt auch dazu…

Bereitschaft fördern oder wecken …

Die nächste Ausweitung des Sexualstrafrechts lässt nach den zahlreichen Verschärfungen in Kette nicht lange auf sich warten. Der neuste Entwurf des Bundesjustizministeriums betrifft den Besitz und die Verbreitung von sogenannten Anleitungen zum Kindesmissbrauch. Der neue § 176e StGB soll folgenden Wortlaut haben:

Verbreitung und Besitz von Anleitungen zu sexuellem Missbrauch von Kindern

(1) Wer einen Inhalt (§ 11 Absatz 3) verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht, der geeignet ist, als Anleitung zu einer in den §§ 176 bis 176d genannten rechtswidrigen Tat zu dienen, und der dazu bestimmt ist, die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken, eine solche Tat zu begehen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer
1. einen Inhalt (§ 11 Absatz 3), der geeignet ist, als Anleitung zu einer in den §§ 176bis 176d genannten rechtswidrigen Tat zu dienen, verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht oder
2. öffentlich oder in einer Versammlung zu einer in den §§ 176 bis 176d genannten rechtswidrigen Tat eine Anleitung gibt, um die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken, eine solche Tat zu begehen.

(3) Wer einen in Absatz 1 bezeichneten Inhalt abruft, besitzt, einer anderen Person zugänglich macht oder einer anderen Person den Besitz daran verschafft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (…)

Der Entwurf ist mit Begründung hier abrufbar.

Der Schutz vor sexuellem Missbrauch, gerade von Kindern, ist ein wichtiges Ziel. Dass man Verschärfungen aber unter anderem mit einer angeblichen Zunahme entsprechender Fälle rechtfertigt, ist dagegen fragwürdig. Es kann ebenso sein, dass die registrierten Fälle zugenommen haben, also lediglich das Dunkelfeld erhellt wurde. Bei den erheblichen Mitteln, die in Ausstattung und Personal gepumpt wurden, liegt das sogar nahe.

Wenn die Bekämpfung „sexualisierter Gewalt“ als Begründung angeführt wird, ist festzuhalten, dass hier – wieder einmal – eine extreme Vorverlagerung der Strafbarkeit stattfindet. Zu dem Zeitpunkt, in dem solche Schriften verbreitet werden, ist das Kindeswohl noch nicht ansatzweise gefährdet, und es ist auch nicht sicher, dass es zu einer solchen Gefährdung kommt. Da das Strafrecht seine Legitimität aber maßgeblich aus dem Schutz unmittelbar bedrohter Rechtsgüter erhält, ist eine so weite Vorverlagerung bedenklich.

Ohne den entsprechenden Straftatbestand hätten potenzielle Täter die Möglichkeit, ihr eventuelles Vorhaben fallen zu lassen, ohne dass sie sich bereits strafbar gemacht hätten. Dies wäre nach der Änderung nicht mehr möglich. Insofern könnte die Gesetzesänderung sogar in entgegengesetzter Richtung wirken, weil potenzielle Täter denken könnten, dass sie die Schwelle der Strafbarkeit ohnehin bereits durch den Erwerb einer solchen Anleitung überschritten haben und es vor diesem Hintergrund keinen Weg mehr zurück gibt.

Unabhängig davon muss man nur mal den ersten Absatz der Norm lesen – und zu verstehen versuchen. Kein Normalbürger wird auch nur ansatzweise abschätzen können, wo etwa bei erotischer Literatur oder etwa bei alltäglichen Beiträgen in sozialen Medien die Grenze zur Strafbarkeit liegt.

Mit dem Prinzip, dass das Strafrecht mal ultima ratio sein sollte, hat das Ganze offenkundig nur noch wenig zu tun.

RA Dr. André Bohn

Auch das SEK darf nicht alles

Das Verwaltungsgericht Braunschweig (Urt. v. 02.12.2020, AZ: 5 a 65/20) hat klare Worte zu einem SEK-Einsatz gefunden. Ein Angeklagter sollte zum Gericht transportiert werden. Hierfür wurde er gezwungen, sich vollständig zu entkleiden, die Durchsuchung sämtlicher Körperöffnungen hinzunehmen sowie Gehör- und Sichtschutz und Spuckhaube zu tragen.

SEK-Beamte hatten bei dem Angeklagten entsprechende Maßnahmen vollzogen. Die landgesetzliche Rechtsgrundlage für solche Untersuchungen erfordert Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass die betroffene Person Sachen mit sich führt, die sichergestellt werden dürfen. Für die SEK-Beamten waren die beschriebenen Maßnahmen aber Standardmaßnahmen, die immer erfolgen. Das Gericht hat folgerichtig die Rechtswidrigkeit bereits deshalb festgestellt, weil die Beamten das ihnen eingeräumte Ermessen, ob die Maßnahmen erforderlich sind, nicht ausgeübt haben. Mangels Anhaltspunkten für den Besitz von Gegenständen, die hätten sichergestellt werden dürfen, sei die Maßnahme aber auch unverhältnismäßig gewesen. Es bedürfe stets fallbezogener Verdachtsgründe.

Auch das Anlegen von Gehör, Sichtschutz und Spuckhaube seien unverhältnismäßig gewesen. Als milderes Mittel hätte eine Fesselung ausgereicht.

Es ist mitunter erschreckend, wie wenig Rechts- und Problembewusstsein bei Einsatzkräften mitunter vorhanden ist. Zumal es sich hier um Spezialkräfte handelt, die an sich auch entsprechend qualifiziert sein sollten. Wird das eingeräumte Ermessen, das dann auch zwingend ausgeübt werden muss, so krass verkannt wie hier, frage ich mich, ob das dann bei jeder anderen Eingriffsbefugnis auch so läuft: Alles, was die Polizei unter bestimmten Voraussetzungen darf, wird einfach mal standardmäßig immer durchgeführt – ohne Rücksicht auf Voraussetzungen und die jeweilige konkrete Situation.

Die Beamten scheinen sich auch nicht ansatzweise im Klaren darüber gewesen zu sein, was für starke Grundrechtseingriffe die geschilderten Maßnahmen mit sich bringen. In Anbetracht des Umstands, dass gerade das SEK schwer bewaffnet ist, fast jede Befugnisnorm Ermessen einräumt und tagtäglich Situationen vorkommen, in denen die Anwendung dieses juristischen Wissens erforderlich ist, wirft dieser Fall ein schlechtes Licht auf die Verantwortlichen, um nicht zu sagen auf die Polizei insgesamt.

Der Kollege Burhoff berichtet ebenfalls.

RA Dr. André Bohn

„Gaffer-Lektion“ könnte ein Fall für den Staatsanwalt werden

In Hessen haben Polizisten an einer Unfallstelle auf der A3 einen unbeteiligten Mann aus dem Auto gezogen, ihn zur Unfallstelle geführt und ihm einen Unfalltoten gezeigt. Die Beamten gingen wohl davon aus, dass der Betreffende den Unfallort im Vorbeifahren mit seinem Handy gefilmt hat – was nicht erlaubt ist.

Von dem Vorfall gibt es Videos, unter anderem auf der Seite der hessenschau. Diese spricht von einer „Gaffer-Lektion“; in Boulevardmedien und auf Facebook wird die Aktion deutlich robuster abgefeiert.

Eine offizielle Stellungnahme der Polizei gibt es wohl noch nicht. Ich kann mir auch vorstellen, warum. Denn juristisch ist die Schocktherapie nicht zu rechtfertigen. Selbstverständlich konnten die Beamten den Betroffenen anhalten, seine Personalien notieren und gegen ihn ein Verfahren einleiten. An dessen Ende wird dann womöglich ein Bußgeld oder eine Geldstrafe stehen. Eine Rechtsgrundlage, dem Mann eine Leiche zu präsentieren, kann ich leider nicht finden. Das Handeln der Polizisten ist schlicht rechtswidrig.

Was passiert überdies, wenn sich die offenkundigen Risiken so einer Schock-Therapie verwirklichen? An einer Unfallstelle aus dem Auto gezogen zu werden und Unfallopfer anschauen zu müssen, kann bei einem nicht darauf eingestellten Betroffenen physische und psychische Schäden hervorrufen. Dann ist es nicht mehr weit bis zur Körperverletzung, und zwar einer solchen im Amt (§ 340 StGB). Alles völlig unabhängig davon, ob der Betroffene aus dem Auto gefilmt hat. Man kann es nämlich drehen und wenden, auch für unsympathische Tatverdächtige gilt die Unschuldsvermutung, völlig unabhängig davon, als wie „wasserdicht“ die Beamten ihren Fall einschätzen.

Die Persönlichkeitsrechte der Unfallopfer und ihrer Angehörigen hätten ruhig auch eine Rolle spielen dürfen. Es mag durchaus Angehörige geben, die schon genug leiden und nun von dieser völlig unnötigen Zurschaustellung durch die Polizei ebenso wenig erbaut sind wie von irgendwelchen Creeps mit Cameraphones. Auch der mediale Rummel, in den die Angehörigen nun sehr direkt hineingezogen werden, fällt in den Verantwortungsbereich der Polizeibeamten.

Staatsanwälten werden Bitcoins geklaut

Bei der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz sind Bitcoins in Millionenwert „verloren“ gegangen. Die Bitcoins wurden vor einigen Jahren bei einer Hausdurchsuchung beim bereits rechtskräftig verurteilten Betreiber des ehemaligen Internet-Drogen-Shops Chemical Love sichergestellt.

Obwohl die Hardwarewallet im Besitz der Staatsanwaltschaft sein soll, haben sich Dritte schon mehrfach an den ursprünglich 757 Bitcoins bedient. Einzelheiten kann man hier nachlesen. Das Grundproblem für die Behörden scheint zu sein, dass sie nicht über die Private Keys verfügen, um das Geld an einen sicheren Platz zu transferieren. Die Dritten scheinen dagegen einen deutlichen Wissensvorsprung zu haben. Denn sie konnten in mehreren Tranchen bereits den Großteil des Krypto-Vermögens abziehen.

Hier sieht man mal wieder, dass neue Technik nicht nur Ermittlungsmöglichkeiten mit sich bringt, sondern die Strafverfolgungsbehörden auch vor Herausforderungen stellt. Wenn wie seit Jahrzehnten Bargeld oder Buchgeld beschlagnahmt wird, ist es für Dritte nahezu unmöglich, an dieses Geld auf nicht legalem Weg wieder heranzukommen. Bei Kryptowährung scheint die Staatsanwaltschaft bei entsprechenden Vorkehrungen keine sicheren Methoden zu haben, um das beschlagnahmte Geld vor dem Zugriff Dritter zu schützen. Dass die virtuelle Asservatenkammer sozusagen mit entsprechendem Wissen einfach geplündert werden kann, macht Kryptowährungen für einige sicherlich (noch) interessanter und attaktiver.

RA Dr. André Bohn

„Ich sage Ihnen ganz ehrlich…“

Aus einer E-Mail:

Hier nun meine Aussage, die können Sie gerne verwenden. Ich sage Ihnen ganz ehrlich es ist, was die Tat betrifft, alles komplett gelogen. Aber vielleicht können Sie das im Schriftsatz trotzdem gut hindrehen.

Mal ein Tipp unter uns Klosterbrüdern. Wir Anwälte dürfen grundsätzlich das glauben, was uns der Mandant sagt. Wenn wir allerdings positive Kenntnis davon haben, dass alles oder ein Teil seiner Version der Geschichte gelogen ist, wird es schwierig. Vor allem wenn dieser Umstand auch noch schriftlich fixiert ist. Damit sind dann wirklich alle alle Unklarheiten beseitigt und wir sind beim Anfangsverdacht der Strafvereitelung. Und erpressbar bin ich strenggenommen auch noch.

Ich habe den Mandanten zu einem Kollegen geschickt. Vielleicht gelingt dort ein Neuanfang.

Lasst uns nur zappeln

Wir erleben momentan die größte kollektive, massive Grundrechtsbeschränkung in der Geschichte der Bundesrepublik: eine komplette Ausgangssperre von Mitternacht bis 5 Uhr morgens in allen Kreisen, deren 7-Tages-Inzidenz bei über 100 liegt. Was so gut wie überall der Fall ist.

Seit ziemlich genau einer Woche dürfen wir nachts nicht raus, die Bild-Zeitung nennt das ein Einsperr-Gesetz. Ich würde dem nicht widersprechen. Mir geht es aber nicht um eine Diskussion über Sinn und Unsinn der Maßnahme. Sondern um den Umstand, dass schon vor Inkrafttreten der Vorschrift Beschwerden beim Bundesverfassungsgericht eingereicht waren. Eine Woche nach Inkrafttreten des Gesetzes sollen es mittlerweile rund 300 Verfassungsbeschwerden sein.

Ich persönlich gehöre zu der sicher riesigen Zahl von Juristen und Nichtjuristen, die auch schon schon mal angefangen hatten, eine Beschwerde zu formulieren. Und es dann ließen. Immerhin sind unter den 300 Beschwerdeführern viele gute Leute. Eher unwahrscheinlich, dass man die argumentativ übertrumpfen kann.

Egal ob man für oder gegen die Ausgangssperre ist – juristisch brennt die Luft. Denn wie auch immer sich Karlsruhe positioniert, wird die Entscheidung exemplarischer als vieles andere zeigen, wie weit der Staat in unserem Land mittlerweile an grundlegende Rechte gehen kann. Oder anders gesagt: was die Grundrechte überhaupt noch Wert sind.

Und was hört man vom Gericht?

Bislang nichts.

In den Medien wird ein Sprecher zitiert, der reichlich nichtssagend verkündet, eine (Eil-)Entscheidung sei nicht absehbar. Auf der Internetseite des Gerichts kein Wort dazu, ob da was kommt und wann.

Ich finde das befremdlich. Zwar ist im Bundesverfassungsgerichtsgesetz nirgends geregelt, wie lange sich der Erste Senat mit einer Entscheidung Zeit lassen kann. Es gibt noch nicht mal einen Anspruch darauf, dass ein Antrag auf Einstweilige Anordnung überhaupt beschieden wird. Formal steht es dem Gericht also absolut frei, alle jene, die nägelkauend nach Karlsruhe blicken, einfach mal zu ignorieren.

Sonderlich schlau finde ich das Verhalten allerdings nicht. Auch das Verfassungsgericht ist, trotz seiner herausgehobenen Stellung, ein Dienstleister aller Bürger. Nach immerhin einer Woche Ausgangssperre, welche die Freiheit jedes einzelnen massiv beschneidet, würde sich niemand beim Gericht etwas damit vertun, wenigstens mal ein Signal zu senden. Ob da was kommt. Und vielleicht sogar wann.

Alles andere erinnert mich leider fatal an das, was wir in letzter Zeit oft genug erlebt haben. Nämlich eine Kommunikation mit dem Bürger, die sich am Grundsatz „Ihr da oben, wir da unten“ orientiert. Das Verfassungsgericht passt sich hier momentan sehr gut an, indem es die spürbare Nervosität und Zermürbtheit der Bürger ignoriert und uns – völlig ohne Not – zappeln und zweifeln lässt.

Sehr schade.

Unsinnige Anregungen

Weil er am vorgesehenen Tag bereits einen anderen Gerichtstermin hatte, bat ein Verteidigerkollege um Verlegung des Termins. Auf einen späteren Zeitpunkt. Er wies darauf hin, als Einzelanwalt stehe ich ihm keine Vertretung zur Verfügung. Sollte das Gericht Bedenken haben, ob die Verhinderung tatsächlich vorliegt, regte er an, die Gerichtsakte des anderen Verfahrens mit dem Aktenzeichen (…) beizuziehen.

Der Richter verlegte den Termin, schrieb dem Anwalt aber noch Folgendes:

Soweit Sie zur Glaubhaftmachung Ihrer angeblichen Verhinderung am Terminstag das Gericht darauf hinweisen, die Akten des Amtsgerichts „beizuziehen“, wird gebeten, auf derart unsinnige Anregungen künftig möglichst zu verzichten. Es dürfte Ihnen doch ohne nennenswerten Aufwand möglich sein, dem Gericht eine Kopie Ihrer Ladung zukommen zu lassen – oder?

Ich kenne das persönliche Verhältnis zwischen den beiden nicht. Mir schwant aber nichts Gutes…

Vorschriften gelten auch für Richter

Der Vorsitzenden einer Strafkammer des Landgerichts Osnabrück hat im Rahmen einer „sitzungspolizeilichen Anordnung“ das Mobiltelefon das Angeklagten sichergestellt. Ein Zuschauer hatte nach Urteilsverkündung und Rechtsbehelfsbelehrung behauptet, der Angeklagte habe mit seinem Handy Aufnahmen im Sitzungssaal gemacht. Der Vorsitzende wollte die Vorwürfe überprüfen lassen. Der Angeklagte gab das Handy raus, verriet aber den Entsperrcode nicht. Ärger war also programmiert.

Der Gerichtsvorsitzende behielt das Handy und gab es an die Staatsanwaltschaft weiter. Diese sollte das Gerät auswerten lassen. Dagegen legte der Angeklagte Beschwerde ein. Das Oberlandesgericht Oldenburg hat die Anordnung des Vorsitzenden aufgehoben. Sitzungspolizeiliche Anordnungen dienen dienen dem ordnungsgemäßen und störungsfreien Ablauf der Sitzung. Mit der Anordnung habe der Vorsitzende aber klären wollen, ob eine Straftat vorliegt. Auch eine Sicherstellung nach der Strafprozessordnung komme nicht in Betracht. Diese falle nicht in die Kompetenz eines Vorsitzenden, denn für so was sind die Ermittlungsrichter zuständig.

Wieso Zuschauer bei Prozessen Hilfssheriff spielen, werden wir wohl nicht ergründen. Interessant ist aber das Vorgehen des Vorsitzenden. Denn jedenfalls hat er korrekte die Rollenverteilung zwischen der Staatsanwaltschaft als Strafverfolgungsbehörde und dem im Idealfall objektiven Gericht, das über einen konkreten Anklagevorwurf zu entscheiden hat, etwas aus den Augen verloren. Insoweit ein Beispiel für Schulterschlusseffekte zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht. Die soll es ja öfter geben.

Endlich kann man aus Verteidigersicht nur davor warnen, unüberlegt Aufnahmen im Gericht anzufertigen. Egal ob als Prozessteilnehmer. Oder als Zuschauer. Wie man sieht, ist das Handy schnell weg und ein Verfahren droht. Aus dem Schneider ist der Betroffene durch die Klarstellung des Oberlandesgerichts nämlich nicht. Der Senat weist nämlich ausdrücklich darauf hin, dass der Ermittlungsrichter noch tätig werden und das Mobiltelefon beschlagnahmen kann.

Gedanken zum Fall auch bei Rechtsanwalt Detlef Burhoff.

RA Dr. André Bohn

Normalnormalnormalfall

Staatsanwälte weisen gerne darauf hin, sie arbeiteten für die objektivste Behörde der Welt. Womit auch alles über Rechtsanwälte gesagt ist, denn diese sind dann ja schlicht unnötig.

Vorhin hatte ich jedoch ausnahmsweise mal wieder einen kleinen Moment, in dem ich für meine Berufsstand eine Existenzberechtigung erkannte. Und das ausgerechnet beim Lesen des sozusagen objektivsten Dokuments schlechthin: einer Anklageschrift.

Diese Anklageschrift lässt verlauten, ein Arzt habe bei der Geschädigten folgende Verletzungen festgestellt: diverse Prellungen im Bereich der Schulter und des Beckens, eine Halswirbelversteifung. Dumm nur, diese Diagnose stellt der Arzt, wie er ausdrücklich festhält, lediglich aufgrund „eigener Anamnese“ seiner Patientin.

Wie könnte es auch anders sein. Der angebliche Vorfall soll sich am 11.03.2020 ereignet haben. Laut Attest hat sich die Patientin aber erst am 15.07.2020 beim Arzt vorgestellt und ihm geschildert, sie wäre auf einem Parkplatz fast von einem Auto überrollt worden (absichtlich). Mit anderen Worten: Der Arzt unterstellt als richtig, was die Frau ihm sagt. Und sollte dies zutreffen, hält er Prellungen sowie eine Halswirbelversteifung für plausibel. Wer täte das nicht?

Schon durch die zeitliche Lücke wiederholen sich in dem Attest lediglich die eigenen Angaben der Anzeigeerstatterin. Also von wegen ärztliche Feststellungen. Hätte der Staatsanwalt auch selbst merken oder die Problematik zumindest kenntlich machen können, in diesem Normalnormalnormalfall. Hat er aber nicht, und deshalb klafft halt ab und an eine Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. In die passt dann auch mal ein Anwalt rein.

Gespräche mit Jorge

Kleider machen Leute. Manieren auch. Und je höher man die Nase trägt, desto mehr zahlt sich das häufig in finanzieller Hinsicht aus. Ich weiß nicht, ob das allgemeingültige Wahrheiten sind. Einer meiner Mandanten hat es mit dieser Einstellung jedenfalls sehr weit gebracht. Seine Attitüden waren sogar in der Haftanstalt legendär, in die es ihn letztlich für einige Jahre verschlagen hat.

Ich will nur ein Detail herausgreifen. Der Mandant hatte in der Strafhaft zwar eine Telefonerlaubnis, an sich konnten wir unbegrenzt telefonieren. Aber schon in besseren Tagen, als das Unheil nur ein klein bisschen am Horizont dräute, hielten sich unsere persönlichen Kontakte in Grenzen. Wozu hat man schließlich eine Assistentin? Mit der durfte ich so gut wie alles besprechen, von ihr bekam ich dann auch das notwendige Feedback. Meistens.

Die Assistentin gab es zur Knastzeit nicht mehr. Aber die treue Ehefrau. So telefonierte der Mandant fast immer nur mit ihr. Nicht mit mir. Sie richtete mir seine Wünsche/Fragen aus, ich arbeitete die Punkte brav ab. Vollzug meldete ich an die Gattin, die mir dann ein Thumbs up simste, wenn die Sache im Sinne des Mandanten gelaufen war. Persönlicher Kontakt? Ach, geh hin, höchstens im Notfall. Der zum Glück eher selten eintrat.

Nun ist der der Mandant geraume Zeit wieder draußen. Sogar von seiner geglückten Entlassung erfuhr ich von der Ehefrau. Immerhin ließ er mir herzliche Grüße ausrichten. Wieso ich an die Geschichte denke? Es ist die Telefonnotiz, die heute morgen aufgenommen wurde:

Herr Jorge P. bittet um Rückruf. Er ist der Assistent von Herrn S. Es gibt einige Dinge zu besprechen, die Sie bitte mit Herrn P. klären möchten.

Wir sind also wieder im Geschäft.*

*Für diesen Beitrag wurden keine Haustiere gequält und auch das Anwaltsgeheimnis nicht verletzt.