Ohne Ansehung der Person

Richter sind verpflichtet, ohne Ansehung der Person zu urteilen. Wie sehr das mitunter daneben geht, belegt ein Beispiel aus Ostfriesland. Ein krasses Beispiel, zugegeben.

Das Landgericht Aurich hatte die Frage zu entscheiden, ob ein Angeklagter einen Kioskbesitzer beleidigt hat. Richtige Beweise dafür, dass der Angeklagte am betreffenden Tag den Kioskbesitzer tatsächlich als Drecksack und Arschloch tituliert hat, gab es nicht. Selbst die Angaben des vermeintlich Beleidigten, der als einziger Zeuge zur Verfügung stand, waren nicht sonderlich konkret.

Das Landgericht Aurich behalf sich zunächst mit dem Hinweis, der Angeklagte sei bereits früher wegen Beleidigung aufgefallen, deshalb sei ihm so eine Tat nicht fremd. Dann griff es noch zu folgendem Argument:

Dem entspricht der heruntergekommene Eindruck, den die Strafkammer von dem Angeklagten gewonnen hat.

Es kommt nur selten vor, dass Strafrichter ihre eigenen Vorbehalte, man könnte es auch Dünkel nennen, so offen ins Urteil schreiben. Das heißt aber nicht, dass die Neigung, von oben auf weniger gut situierte oder einen anderen Lebensstil als vollversorgte Juristen pflegende Mitmenschen herabzublicken, bei Richtern nicht anzutreffen wäre. Sicher nicht bei allen, aber doch bei einer nicht unbeträchtlichen Zahl.

Zumindest das Oberlandesgericht Oldenburg bremste diese, ich sage es mal offen, Willkürjustiz aus:

Ob der Angeklagte, der einem sozial randständigen Milieu zugehört, einen „heruntergekommenen“ Eindruck macht, ist für die Frage, ob er die Tat beging oder sie zu Recht bestreitet, irrelevant und völlig unergiebig. Der Wahrheitsgehalt der Einlassung eines Angeklagten wird nicht von seinem äußeren Erscheinungsbild berührt.

Das Urteil wurde aufgehoben. Eine andere Kammer des Landgerichts Aurich muss neu entscheiden.

Oberlandesgericht Oldenburg, Beschluss vom 4. Oktober 2011, Aktenzeichen 1 Ss 166/11

Das CMS-Blog zum gleichen Thema

Ohne Volumenbeschränkung, von wegen

Die Telekom darf für Internetanschlüsse nicht mehr mit Aussagen über hohe Übertragungsraten werben, ohne deutlich auf die Drosselung der Geschwindigkeit bei hohem Datentransfer hinzuweisen. Das hat das Landgericht Bonn nach einer Klage des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (vzbv) entschieden.

Die Versprechungen waren vollmundig: "Unsere schnellste DSL-Verbindung", "Luxus-Highspeed-Surfen mit bis zu 25 Mbit/s", "ohne Zeit- oder Volumenbeschränkung" – so pries die Telekom ihr Paket "Call & Surf Comfort VDSL" in der Werbung an. Erst im Kleingedruckten stand der Hinweis auf die mögliche Drosselung der Geschwindigkeit: Wer in einem Monat 100 GB Datenvolumen überschreitet, bei dem wird der Internetzugang auf 6 Mbit/s verlangsamt, und zwar für den Rest des Monats. Diese Information war in einem PDF-Dokument der Telekom nur umständlich zu finden.

Das Landgericht Bonn hat nun entschieden, dass diese Werbung irreführend ist. Der Verbraucher gehe bei dem Angebot davon aus, dass keine Drosselung der Internetgeschwindigkeit erfolgt, auch nicht nachdem ein bestimmtes Datenvolumen erreicht wurde.

Solche Werbeaussagen seien zudem kaufentscheidend. Der Hinweis auf die Drosselung innerhalb der Leistungsbeschreibung sei nicht ausreichend, um die Irreführung des Verbrauchers zu beseitigen.

Landgericht Bonn, Urteil vom 19. September 2011, Aktenzeichen 1 O 448/10

Ich könnte kuschen

Der Verhandlungstermin kurz vor Weihnachten kommt mir ungelegen. Da bin ich nämlich im Urlaub. Normalerweise ist das kein Problem für einen Verteidiger. Ich teile dem Gericht mit, von wann bis wann ich Ferien mache, dass ich ziemlich weit weg fahre und deshalb dankbar wäre, wenn der Termin verlegt wird. 

Meist schreibe ich auch gleich dazu, wie es einige Wochen vor und nach den Ferien mit meiner Zeit an dem betreffenden Wochentag bestellt ist, für den ich eingeladen wurde. (Richter verhandeln meist immer an festgelegten Wochentagen.) So hat der Richter die Möglichkeit, schon mal einen anderen Termin auszugucken. Und zwar ohne das Risiko, dass ich dann ausgerechnet an diesem Tag schon woanders arbeiten muss und wieder einen Verlegungsantrag einreiche.

Richter zeigen sich hier immer verständnisvoll . Auch, weil es eigentlich nichts bringt, über so einen Verlegungsantrag zu streiten. Denn Urlaub des Verteidigers ist, jedenfalls in sozialdäquatem Umfang, ein anerkannter Vertagungsgrund.

Nun erreicht mich folgendes Schreiben des betreffenden Gerichts:

… wird Ihnen mitgeteilt, dass ohne Vorlage von Urlaubsbelegen der Termin nicht verlegt wird.

Diese doch recht harsche Reaktion kommt ohne eine Begründung daher. Habe ich den Richter schon mal angeschwindelt? Misstraut er nur mir? Oder grundsätzlich allen Rechtsanwälten? Überdies frage ich mich, was wäre, wenn ich kein E-Ticket für einen Fernflug hätte (hoffentlich werden Internetausdrucke akzeptiert). Muss ich eine eidesstattliche Versicherung vorlegen, wenn ich zu Hause Urlaub mache? Oder einfach mal so drauf los fahre, ohne Buchung? So was soll es ja geben…

Ich könnte kuschen und den Buchungsbeleg übersenden. Aber so ganz ohne nachvollziehbaren Grund bin ich dazu nicht bereit. Ich habe deshalb zunächst folgendes geantwortet:

Es ist für mich nicht nachvollziehbar, wieso das Gericht meinen Angaben misstraut und Belege verlangt. Als Organ der Rechtspflege nehme ich für mich in Anspruch, dass meinen Angaben, insbesondere wenn sie eine derart alltägliche Situation wie einen Terminverlegungsantrag wegen eines lange geplanten Urlaubs betreffen, nicht ohne nachvollziehbaren Grund bezweifelt werden.

Für den Fall, dass das Gericht dem Terminverlegungsantrag trotz vorstehender Ausführungen nicht stattgeben will, erbitte ich eine Begründung, warum meinen Angaben misstraut wird oder aus welchen Gründen das Gericht grundsätzlich von Verteidigern Belege für eine Verhinderung verlangt.

Mal sehen, ob die Skepsis des Strafrichters genereller Natur ist. Oder ob er nur Vorbehalte gegen meine Ehrlichkeit hat. Wie auch immer, das könnte noch eine interessante Diskussion geben.

Erste Post für den Provider

So schnell kann es gehen. Gestern habe ich noch theoretisch über die neuen Spielregeln berichtet, die der Bundesgerichtshof für Äußerungen im Internet aufgestellt hat. Heute erreichte mich in eigener Sache die erste Kostprobe, wie Beleidigte und solche, die sich dafür halten, das Urteil für einen einen schnellen und bequemen Löschungsanspruch funktionalisieren möchten.

Der law blog – Provider vollmar.net kriegte gestern folgende Mail wegen eines Leserkommentars:

Sehr geehrte Damen und Herren,
aufgrund der Verbreitung einer ehrenrührigen Tatsachenbehauptung im
Internet und Ihrer Funktion als Hostprovider bitte ich um Entfernung
folgender Seite:  https://www.lawblog.de/index.php/archives/2008…

Dort finden Sie falsche Tatsachenbehauptungen wie "…, der
Inhaber von … hat bis zu 16 Semester European Bussiness School
hinter sich gebracht, da sollte man es besser wissen, oder….?"

Es ist Ihre Aufgabe als Hostprovider den Blog Betreiber hierbei um
Stellungnahme zu bitten. Entsprechend dem Bundesgerichtsurteil bitte ich um Entfernung des Artikels: "Bleibt eine Stellungnahme innerhalb einer nach den Umständenangemessenen Frist aus, ist von der Berechtigung der Beanstandung auszugehen und der beanstandete Eintrag zu löschen."

Mit freundlichen Grüssen

Netter Versuch. Der Absender übersieht allerdings, dass der Provider regelmäßig nur in Anspruch genommen werden kann, wenn der Blogbetreiber oder der Urheber der Äußerung nicht greifbar sind. Er muss sich also zunächst darum bemühen, mit denjenigen in Kontakt zu treten, die für die Äußerung direkt verantwortlich sind.

Vollmar.net hat ganz richtig reagiert und sich nicht unter Druck setzen lassen. Aus der Antwort:

Wir leiten Ihre Mail an unseren Kunden weiter. Dieser ist für Sie auch ohne Probleme direkt erreichbar, ein vollständiges Impressum ist vorhanden.  

Ich habe dann als Blogbetreiber auch pflichtgemäß geantwortet:

… unterstellt, Sie sind die erwähnte Person, fehlt jede Angabe, warum der zitierte Satz ehrenrührig oder inhaltlich falsch sein soll. Bitte begründen Sie das. Sollten Sie auch andere Aussagen beanstanden, bitte ich um konkrete Angaben. Sollten Sie dies überzeugend darlegen, werde ich die betreffenden Passagen entfernen.

Das Urteil des Bundesgerichtshofs sollte man also nicht so verstehen, als sei damit ein neuer Direktanspruch gegen Provider eingeführt worden. Auch wenn die schriftlichen Gründe noch nicht vorliegen, wird das sicherlich nicht im Urteil drin stehen. Es bringt also nichts, den Provider mit Schreiben zu überziehen, sofern der Blog- oder Forenbetreiber nicht anonym publiziert oder verschollen ist.

Ebenso wenig macht es übrigens Sinn, wegen einzelner Äußerungen pauschal die Löschung ganzer “Seiten” zu verlangen. Selbst wenn eine Aussage beanstandungswürdig ist, muss deshalb nicht der ganze Beitrag samt Kommentaren gelöscht werden. Oder gleich das ganze Blog, was auch gerne verlangt wird.

Ich habe auch keine Probleme damit, wenn Dritte Äußerungen im law blog beanstanden. Allerdings erwarte ich dann aber auch, dass konkret gesagt wird, um was es geht und was daran falsch bzw. beleidigend sein soll. Schwammige Aufforderungen provozieren nur die Bitte, doch mal Butter bei die Fische zu tun.

Links 676

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Rammstein ist für alle da

Das Album „Liebe ist für alle da“ der Gruppe Rammstein gehört nicht auf die Liste der jugendgefährdenden Medien. Das Verwaltungsgericht Köln hat heute die Indizierung aufgehoben. Schon im Eilverfahren hatte sich Rammstein letztes Jahr vorläufig gegen die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien durchgesetzt. Geklagt hatte die Plattenfirma Universal Music GmbH. 

Die Bundesprüfstelle hatte im November 2009 das gesamte Album “Liebe ist für alle da” indiziert. Sie hielt ein Bild im Booklet und das Lied „Ich tu dir weh“ für jugendgefährdend. Dieser Argumentation folgte das Verwaltungsgericht nicht und bestätigte damit im Wesentlichen seine Eilentscheidung vom Mai letzten Jahres. Schon seitdem war das Album wieder frei erhältlich.

Das Verwaltungsgericht meint im nun verkündeten Urteil, die Bundesprüfstelle habe die im Grundgesetz geschützte Kunstfreiheit der Gruppe Rammstein in ihrer Entscheidung nicht hinreichend berücksichtigt. Die notwendige Abwägung der Kunstfreiheit auf der einen Seite mit der Jugendgefährdung auf der anderen Seite sei nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden. Schon durch diese einseitige Bewertung sei die Indizierung hinfällig.

Verwaltungsgericht Köln, Urteil vom 25. Oktober 2011, Aktenzeichen 22 K 8391/09

Entführung in Velbert: Polizei sucht Zeugen

Nach einer Entführung in Velbert geht die Polizei nun an die Öffentlichkeit. Die Tat ereignete sich bereits letzten Donnerstag vor einer Bäckerei an der Heiligenhauser Straße.

Das spätere Opfer saß vor der Bäckerei auf einem Stuhl. Zeugen haben beobachtet, wie ein Kastenwagen vorfuhr. Ein männlicher Beifahrer – ca. 18 bis 19 Jahre alt, ca. 175 cm groß und schlank, mit kurzen braunen Haaren, südländischem Aussehen und bekleidet mit einem braunen Strickpullover – stieg aus dem Fahrzeug und ging direkt zum Eingang der geöffneten Bäckerei.

Vor dem Ladenlokal zerrte er das arglose Opfer, welches dort in der Sonne gesessen hatte, in den wartenden Lieferwagen, der daraufhin mit beiden Tätern und dem Opfer in Richtung Heidestraße davonfuhr.

Das Opfer war etwa 1,50 Meter groß und trotz der schon recht niedrigen Temperaturen unbekleidet. Dennoch ist es in der Nachbarschaft gern sehen und auch sehr bekannt. Seinen Arbeitstag verbrachte es meist vor der Bäckerei, bei der es als Maskottchen eingesetzt war.

Hier ein Fahndungsbild, welches allerdings den noch vorhandenen Zwillingsbruder des Entführten zeigt:

entfuehrungsopfer

Foto: Polizei Velbert

Die Polizei tappt derzeit noch im Dunkeln. Auch die Entführer haben sich bislang nicht gemeldet, etwa um Lösegeld zu fordern. Deshalb sucht die Polizei nun Zeugen, welche die Tat beobachtet haben oder etwas zum Verbleib des Opfers sagen können. Möglicherweise taucht der Entführte als Überraschungsgast auf einem Kindergeburtstag auf oder soll auf sonstige Art und Weise unauffällig in eine Familie integriert werden. Sachdienliche Hinweise werden unter Telefon 02051 / 946-6110 entgegen genommen.

PS. Das ist kein Scherz -> Pressemitteilung der Polizei Velbert

Nachtrag: Der Bär ist wieder da

Neue Spielregeln für Blogger und Provider

Der Bundesgerichtshof hat heute die Voraussetzungen konkretisiert, unter denen ein Provider für Äußerungen haftet, die seine Kunden oder Dritte auf Blogs oder in Foren machen. Ausgangspunkt war eine Klage gegen Googles Blogdienst. Der Betroffene hatte sich durch Äußerungen verletzt gefühlt, die er auf einem bei Google gehosteten Blog fand.

Vor den Hamburger Gerichten hatte Google verloren. Dort sah man einen klaren Unterlassungsanspruch gegen den Provider. Jedoch hat man es sich in Hamburg möglicherweise zu leicht gemacht, denn der Bundesgerichtshof hob die Urteile auf und verlangt eine neue Prüfung des Sachverhalts.

Was hierbei zu beachten ist, führt der Bundesgerichtshof detailliert auf:

Ein Tätigwerden des Hostproviders ist nur veranlasst, wenn der Hinweis so konkret gefasst ist, dass der Rechtsverstoß auf der Grundlage der Behauptungen des Betroffenen unschwer – das heißt ohne eingehende rechtliche und tatsächliche Überprüfung – bejaht werden kann.

Damit dürfte die unmittelbare Haftung sich zunächst auf klare Sachverhalte beschränken, also offenkundige Beleidigungen oder eindeutig unwahre Tatsachenbehauptungen.

Außerdem gibt es künftig ein klares Prozedere, an das sich alle Beteiligten zu halten haben:

Regelmäßig ist zunächst die Beanstandung des Betroffenen an den für den Blog Verantwortlichen zur Stellungnahme weiterzuleiten. Bleibt eine Stellungnahme innerhalb einer nach den Umständen angemessenen Frist aus, ist von der Berechtigung der Beanstandung auszugehen und der beanstandete Eintrag zu löschen.

Stellt der für den Blog Verantwortliche die Berechtigung der Beanstandung substantiiert in Abrede und ergeben sich deshalb berechtigte Zweifel, ist der Provider grundsätzlich gehalten, dem Betroffenen dies mitzuteilen und gegebenenfalls Nachweise zu verlangen, aus denen sich die behauptete Rechtsverletzung ergibt.

Bleibt eine Stellungnahme des Betroffenen aus oder legt er gegebenenfalls erforderliche Nachweise nicht vor, ist eine weitere Prüfung nicht veranlasst. Ergibt sich aus der Stellungnahme des Betroffenen oder den vorgelegten Belegen auch unter Berücksichtigung einer etwaigen Äußerung des für den Blog Verantwortlichen eine rechtswidrige Verletzung des Persönlichkeitsrechts, ist der beanstandete Eintrag zu löschen.

Bislang liegt nur die Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vor. Daraus wird leider nicht ganz klar, ob sich die neuen Spielregeln auch auf die ohnehin klaren und eindeutigen Rechtsverstöße erstrecken. Oder ob der Provider bei eindeutigen, einfach zu erkennenden Rechtsverstößen nicht vielleicht sofort und von sich aus löschen muss.

Fest steht aber schon jetzt, dass der Provider bei unklaren Sachverhalten jedenfalls nicht mehr in eigener Regie und sofort, das heißt unter großem Zeitdruck, entscheiden muss, ob er einer Beanstandung nachkommt. Vielmehr hat er die Möglichkeit, den Blogbetreiber zu einer Stellungnahme aufzufordern. Für die Stellungnahme kann der Provider auch eine “angemessene Frist” einräumen. Das dürften mindestens zwei, drei Tage sein. Liefert der Blogger nachvollziehbare Argumente für seinen Eintrag, muss diese wiederum der Beschwerdeführer entkräften und hierfür “Belege” präsentieren.

Der Bundesgerichtshof nimmt also die unmittelbar Beteiligten stärker in die Pflicht. Er zwingt sie, den Provider bei seiner Entscheidung zu unterstützen. Werden die erforderlichen Informationen nicht geliefert, guckt die schweigsame Seite halt in die Röhre. Im einzelnen ist das sicherlich diskussionsbedürftig. Es klingt aber zunächst mal wie ein Spielplan, der den wechselseitigen Interessen nach Kräften Rechnung trägt. Ob das Verfahren praxistauglich ist, wird sich zeigen.

Auch eine andere wichtige Frage hat der Bundesgerichtshof beantwortet. Ob nämlich deutsche Gerichte überhaupt für Provider zuständig sind, die wie Google im Ausland sitzen. Das haben die Karlsruher Richter bejaht. Ausländische Internetanbieter müssen damit rechnen, viel öfter als bisher in Deutschland verklagt zu werden.

Bayerische Gemeinde stoppt Radarfallen

Schluss mit Radarfallen macht die bayerische Gemeinde Stockheim. Der Stadtrat entschied, ab Januar keine Tempomessungen in eigener Regie mehr zu veranstalten. Damit hatte die Stadtverwaltung seit Jahren eine private Firma beauftragt. Deren Tätigkeit ist in Stockheim nun nicht länger erwünscht.

Stockheims Bürgermeister räumt nach einem Bericht des Bayerischen Rundfunks freimütig ein, die Tempomessungen füllten eher das Stadtsäckel und nutzen weniger der Verkehrssicherheit. Der private Dienst habe in letzter Zeit auch geringfügige Verkehrssünden verfolgt, bei denen sogar die Polizei ein Auge zudrücke. Mittlerweile müssten immer mehr kleinere Temposünder überführt werden, damit sich die Überwachung lohne. So einen Überwachungsdruck wollen Bürgermeister Rainer Detsch und der Stadtrat aber weder Bürgern noch Durchreisenden zumuten.

In Stockheim gibt es auch gar keinen Unfallschwerpunkt, der regelmäßige Kontrollen notwendig macht. Das hat die zuständige Verkehrspolizei laut dem Bericht ausdrücklich bestätigt.

Andere Kommunen sollen sich an Stockheim ein Beispiel nehmen. Das fordert die Deutsche Polizeigewerkschaft. Laut ihrem Bayern-Vorsitzenden Hermann Benker gibt es auch anderswo Kontrollen, die nicht der Verkehrssicherheit dienen, sondern nur den städtischen Haushalt aufbessern. Derartige Abzocke müsse ein Ende haben.

Abschleppen für Fortgeschrittene

Auch Autohändler fallen mal rein. Jedenfalls gab der Wagen, den ein rumänischer Autohändler und sein Mitarbeiter in Hamburg gekauft hatten, schon auf dem Nachhauseweg seinen Geist auf. Da half nur Abschleppen, und hierbei zeigten die beiden Männer echte Tatkraft.

Leider war die Rückseite des Autos, mit dem sie gekommen waren, schon “blockiert”. Denn an der Anhängerkupplung hing bereits ein Anhänger, den der Autohändler ebenfalls erstanden hatte. Auf dem angehängten Anhänger war ein weiterer, gleichfalls frisch gekaufter Anhänger abgestellt. Der obere Anhänger war mit dem rollenden Anhänger durch Spanngurte verbunden.

An eben einem dieser Spanngurte vertäuten die beiden dann das Abschleppseil. Das Abschleppseil wurde aber nicht direkt an das abgeschleppte Auto gebunden. Vielmehr verlängerten die Männer das Abschleppseil noch durch ein weiteres Seil. Das sah dann so aus:

20111021_1_1

Die Befestigung am Anhänger-Anhänger:

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Perspektive aus Sicht des Abgeschleppten:

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Fotos: Polizei Soltau-Fallingbostel

So rollte der Konvoi über die A 7, bis ihn Polizeibeamte an der Raststätte Allteral aus dem Verkehr zogen. Bei der Kontrolle gab sich der Autohändler einsilbig. Die Polizeibeamten konnten nicht klären, ob er so wirklich bis nach Rumänien wollte. Oder doch nur in die Zeitung.

Der Verkehrssünder musste 150 Euro Sicherheit hinterlegen. Der Betrag wird mit dem aller Voraussicht nach fälligen Bußgeld verrechnet.

Keinerlei Auskunft

Vorhin hatte ich einen ausgemacht unfreundlichen Polizisten am Telefon. Wir sprachen gerade ein paar Worte über den Fall, ich erkundigte mich nach einem Detail, da schnappte er unüberhörbar ein:

Faxen Sie mir eine schriftliche Vollmacht. Ohne Vollmacht gibt’s von mir keinerlei Auskunft.

Vor diesem Hintergrund frage ich mich natürlich, warum er bei mir angerufen hat.

Perp Walk

Neulich haben wir im Fall Strauss-Kahn noch über den Perp Walk in den Vereinigten Staaten gestaunt. Dort werden Verhaftete gern so zu ihren Gerichtsterminen geführt, dass die Presse ausreichend Zeit hat, die gefesselten, unrasierten und übernächtigten Beschuldigten in möglichst unvorteilhafter Pose zu fotografieren.

Was in den USA Methode hat, gibt es in Deutschland mittlerweile auch – zumindest im bayerischen Passau. Allerdings ist der Perp Walk dort offiziell profaneren Gründen geschuldet. Dem Gefängnis fehlt nach eigenen Angaben schlicht das Geld, Gefangene im Auto zu transportieren. Stattdessen werden Häftlinge gefesselt und in Anstaltskleidung am hellichten Tag öffentlich vorgeführt – und zwar in der örtlichen Fußgängerzone. 

Die Passauer Neue Presse schildert den aktuellsten Fall:

Ein Häftling der Justizvollzugsanstalt (JVA) wurde in Handschellen gekettet von zwei Beamten begleitet mitten durch die Fußgängerzone geführt. Der junge Mann trug zudem Anstaltskleidung. Ein für alle Beteiligten sichtlich unangenehmer Vorgang. Die Gäste in den Straßencafés waren irritiert, Mütter nahmen ihre Kinder schützend beiseite und dem Häftling selbst war das unangenehme Gefühl der öffentlichen Zurschaustellung merklich anzusehen.

Kein Einzelfall, räumt die Haftanstalt ein. Der Perp Walk sei aber Sachzwängen geschuldet. So hat das Gefängnis nach Angaben der stellvertretenden Leiterin kein eigenes Auto – und überdies keinen Abstellplatz für ein Fahrzeug. Außerdem fehle das Geld für einen Anstaltsarzt. Ein Allgemeinarzt mache zwar Visite im Knast. Andere Ärzte müssten die Gefangenen aber in deren Praxis aufsuchen. Der von der Lokalzeitung geschilderte Marsch durch die in der Nähe des Gefängnisses gelegene Fußgängerzone führte zu einem Zahnarzt.

Immerhin zeigt das Passauer Gefängnis Problembewusstsein. Man bemühe sich schon länger darum, die Gefangenen zu Zeiten auszuführen, in denen die Fußgängerzone möglichst leer sei. Auf die Anfrage der Lokalpresse will das Gefängnis nun prüfen,  ob Gefangenen in Zivilkleidung und ungefesselt zum Arzt gebracht werden können. Sollte das nicht möglich sein, sollen sie ihr Aussehen verändern dürfen – “zum Beispiel durch Tragen einer Brille oder Kopfbedeckung”.

Nachtrag: Hintergründe zur amerikanischen Polizeipraxis

Keine Sicherungsverwahrung für “braven” Bankräuber

Bankraub ist nicht gleich Bankraub – zumindest wenn es um die Frage der Sicherungsverwahrung geht. Ein Landgericht wollte einen mehrfachen Bankräuber nicht nur bestrafen, sondern ihn auch nach seiner Haft dauerhaft wegsperren. Doch der Bundesgerichtshof hat die Entscheidung nun aufgehoben. Begründung: Ein Bankräuber, der tatsächlich keine Gewalt anwenden will, ist nicht gefährlich genug.

Der Angeklagte hatte seit 28 Jahren in immer gleicher Weise, teilweise auch während Hafturlauben, Banken überfallen. Hierfür erhielt er langjährige Gefängnisstrafen. In allen Fällen bedrohte er Bankangestellte und Bankkunden – aber nur mit einer Spielzeugpistole. Er trat jeweils unmaskiert auf, zeigte keinerlei über die Drohung hinausgehende aggressive Tendenzen und vermied körperliche Konfrontationen.

Schon die Einordnung der Delikte als “Schwerer Raub” war wohl für die Vorinstanz eine Rechtfertigung, um die Sicherungsverwahrung zu verhängen. Demgegenüber verweist der Bundesgerichtshof darauf, dass es nie allein auf die Bezeichnung des Straftatbestandes ankomme. Vielmehr müsse im Einzelfall genau geprüft werden, ob die Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung vorliegen.

Da die alten Vorschriften als verfassungswidrig aufgehoben seien, müsse die Sicherungsverwahrung nach den Vorgaben des Verfassungsgerichts die Ausnahme bleiben und einer strengen Einzelfallentscheidung unterliegen. Praktisch sei die Sicherungsverwahrung derzeit nur bei schweren Gewalt- oder Sexualdelikten möglich.

Ein schweres Gewaltdelikt können die Karlsruher Richter aber nicht erkennen:

Eine Drohung mit Gewalt gegen Leib oder Leben ist nach diesem … besonders strengen Maßstab nur dann als "schwere Gewalttat" anzusehen, wenn objektiv die Gefahr körperlicher Gewalteinwirkung besteht oder der Täter diese Möglichkeit einkalkuliert.

Mit der Spielzeugpistole konnte der Bankräuber aber nicht schießen. Auch sonst gab es keine Anhaltspunkte, dass er gewaltbereit war. Im Gegenteil, er hatte ja sogar körperliche Konfrontationen gemieden und war auch nicht über die Drohung hinaus aggressiv geworden.

Der Täter darf deshalb nicht sicherungsverwahrt werden.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 19.10.2011, Aktenzeichen 2 StR 305/11