Die vielbeklagte Überlastung

Ständig gibt es Streit darum, wie viel ein Verteidiger aus der Ermittlungsakte kopieren darf. Zur Kontrolle gibt es sogenannte Kostenbeamte. Die sitzen teilweise stundenlang da und gehen Kopie für Kopie durch mit dem Ziel, eine Seite zu finden, die nach ihrer Einschätzung für die Verteidigung nicht erforderlich war.

Der Staat spart dann 25 Cent pro angeblich überflüssiger Kopie. Gleichzeitig zahlt er (und damit der Steuerzahler) ein Vielfaches für das Gehalt des gemächlich blätternden Kostenbeamten. Und noch mal einen stattlichen Betrag für die späteren Beschwerdeverfahren, in denen Richter dann in 80 Prozent der Fälle zur allseitigen Überraschung feststellen, dass es “überflüssige” Kopien in einer Strafakte gar nicht gibt.

So nun auch das Landgericht Kleve. Es liefert eine kurze, aber dafür extrem plausible Antwort auf die Frage, warum ein Verteidiger für seine Arbeit die Akte von Blatt 1 bis Ende haben darf:

Entgegen der Festsetzung im angegriffenen Beschluss des Amtsgerichts darf der Verteidiger grundsätzlich die gesamte Gerichtsakte vollständig kopieren und dafür Erstattung verlangen. Denn er weiß bei Erhalt der Akteneinsicht noch nicht, welche zunächst nebensächlich erscheinenden Akteninhalte für später auftretende Fragen relevant werden können.

Das sollte sich mal bei den Kostenbeamten rumsprechen. Dann könnten, bundesweit gesehen, etliche beamtete Rosinenzähler tatkräftig beginnen, die vielbeklagte Überlastung der Justiz zu lindern.

(Entscheidung gefunden im Heymanns Strafrecht Online Blog)

DONot

Es gibt, wen überrascht es, eine Dienstordnung für Notare. Die offizielle Abkürzung lautet DONot. Eine bemerkenswerte Regelung enthält § 27 DONot, jedenfalls im Jahr 2011:

Die Führung eines Notaranderkontos mittels Datenfernübertragung ist nicht zulässig.

Aber wahrscheinlich ist der Name ja Programm.

(via RA Michael Seidlitz auf Google+)

Furztrocken

Während man in Köln mitunter lange auf einen Verhandlungstermin warten muss, widmet sich der Präsident des Landgerichts weiter wichtigen Dingen. So führt er ungerührt und eifrig seine Fehde gegen eine bloggende Rechtsanwältin. Zunächst hatte er sich über einen kritischen Prozessbericht der Juristin bei der Anwaltskammer beschwert und dabei, wenn schon denn schon, angeregt, die Rechtmäßigkeit von Anwaltsblogs generell zu untersuchen. Die Antwort der Anwaltskammer fiel wohl nicht ganz zu seiner Zufriedenheit aus, denn nun kartet der Gerichtspräsident nach.

Heidrun Jakobs, die betroffene Rechtsanwältin, hat die Abschrift eines Briefes bekommen, in dem sich der Präsident des Landgerichts Köln wiederum darum bemüht, über die Anwaltskammer kritische Äußerungen der Anwältin zu unterbinden bzw. sie vom weiteren Bloggen abzuhalten. So schreibt er:

Aus hiesiger Sicht sind – gerade in der neuerlichen Blog-Veröffentlichung und in den o.a. Kommentaren – jedenfalls die Grenzen rechtsanwaltlicher Internetauftritte unter dem Blickwinkel des § 43b BRAO berührt. … § 43b BRAO soll aber dem Anwalt grundsätzlich nur eine rein sachliche Informationswerbung eröffnen; dies gilt auch für Internetauftritte. Dies zwingt nicht zu einer Beschränkung auf rein nüchterne Fakten (BverfG NJW 2004, 3765), aber ein Abdriften ins zu „Reklamehafte“ ist unzulässig (BGH BRAK-Mitt. 1998, 98; OLG Hamm AnwBl. 1996, 470).

Weiter heißt es:

Der vorliegende Blog stellt allein wertende und suggestive Elemente sowie Selbstanpreisungen der gegen die „Missstände in der Justiz“ ankämpfenden Anwältin in den Vordergrund. Schutzgut des § 43b BRAO ist die Sachwalterstellung des Anwalts, dem keine übermäßige Selbstanpreisung gestattet ist. Die Werbung ist unzulässig, wenn – wie hier aus Umständen und sprachlichem Duktus der Werbung das Vertrauen in die Integrität und Unabhängigkeit des Berufsträgers gefährdet werden.

Die kritischen Berichte der Anwältin, die auch vor starken Worten nicht zurückschreckt, sind also nichts weiter als Reklame, und die auch noch in Form “übermäßiger Selbstanspreisung”. Eine wahrlich bahnbrechende Erkenntnis. Zumal den Präsidenten des Landgerichts eingestandermaßen vor allem stört, dass Heidrun Jakobs auch mal geschrieben hat, es gehe ihr darum “Missstände in der Justiz” aufzuzeigen und so dagegen anzukämpfen.

Das geht bei uns natürlich gar nicht, dass eine Anwältin Missstände in der Justiz öffentlich macht. Zumal es, das weiß der Präsident nach eigenen Worten sehr genau, gar nicht ihr Ziel ist, etwas für ihre Mandanten und womöglich andere Betroffene zu erreichen. Nein, das schiebt Heidrun Jakobs alles nur vor – um schnöde Reklame für sich zu machen.

Der Präsident des Landgerichts Köln täte gut daran, sich an die neue mediale Wirklichkeit zu gewöhnen.

Anwälte, die etwas zu sagen haben, sind nicht mehr wie früher darauf angewiesen, dem Gerichtsreporter des Express was ins Ohr zu flüstern und zu hoffen, dass es am nächsten Tag für zwölf Zeilen im Lokalteil reicht. Wie (zum Glück) jeder andere auch, können sie eine Internetseite einrichten, ein Blog aufmachen, auf Facebook, Google+  oder bei Twitter schreiben.

Anwälten übers Standesrecht kritische Anmerkungen zu eigenen Verfahren untersagen zu wollen, ist schon deshalb dreist, weil Gerichte, Staatsanwaltschaften und Polizei heute selbst gut besetzte Pressestellen unterhalten, die Tag für Tag zu eben diesen Verfahren ihre Sicht der Dinge ins Netz stellen. Es gehört, schon wegen der Waffengleichheit, zu den Rechten eines Anwaltes, auch medial für seine Mandanten einzutreten.

Dass dies auf Interviews mit etablierten Medien oder selbstverfasste Artikel in der Neuen Juristischen Wochenschrift beschränkt wäre, hätte der Präsident des Landgerichts Köln vielleicht gerne. Dafür ist er aber 20 Jahre zu spät im Amt.

Anmaßend ist es, wenn ein Gerichtspräsident sich über den sprachlichen Duktus seines Konterparts mokiert. Wäre es nicht ein Fluch, wenn bloggende Anwälte so furztrocken daher schreiben müssten, wie Bürokraten es seit jeher für ihre unabänderliche Pflicht erachten?

Ist die selbst auferlegte Unfähigkeit eines Gerichtspräsidenten, über ein als misslich empfundenes Verfahren auch mal sprachlich zu schäumen wie Henkell Trocken, nun das Maß der Dinge? Findet gar das Grundrecht auf Meinungsfreiheit, das auch Anwälte für sich in Anspruch nehmen können, seine Grenze nun schon an der Empfindsamkeit eines leicht mimosigen Amtsträgers?

Dann hätte jedenfalls Bastian Sick eine wichtige Bastion verloren.

So weit kann man die Versuche des Gerichtspräsidenten ja noch mit einem Lächeln verfolgen. Traurig ist allerdings, wie betriebsblind er auf die Obrigkeitsmasche setzt. Ihm geht es um Disziplinierung auf dem Dienstweg, angesichts der Beharrlichkeit seiner Eingaben womöglich auch handfest um Einschüchterung all jener Anwälte, die vielleicht in Zukunft mal erzählen wollen, was sie in seinem Betrieb so erleben. (Wobei das ja nicht immer unbedingt negativ sein müsste.)

Offenbar ist dem Präsidenten des Landgerichts gar nicht klar, wie arm das aussieht, wenn er der Anwaltskammer ansinnt, aus einem vermeintlich höherrangigen Interesse gegen eine Bombenbauerin die Verfasserin gedruckter Worte vorzugehen.

Ich war bei den Prozessen nicht dabei, also kann ich nicht ausschließen, dass Rechtsanwältin Jakobs in ihren Berichten falsche Tatsachen behauptet oder gar die Ehre Beteiligter verletzt. Aber sollte das so sein, dann können die Betroffenen oder von mir auch der Gerichtspräsident als ihr Dienstherr doch mit offenem Visier dagegen angehen.

Was bedeuten würde, klipp und klar zu sagen, womit man nicht einverstanden ist. Und, von mir aus, die Äußerungen abzumahnen und notfalls zu klagen. Damit muss jeder Blogger rechnen, Anwälte nicht ausgenommen. So lange sich in dieser Richtung nichts tut, muss sich der hohe Herr in Köln den Vorwurf gefallen lassen, die Meinungsfreiheit unlauter zu traktieren.

Freispruch für tödlichen Schuss auf Polizisten

Der Fall hat Schlagzeilen gemacht, und er wird es nun wieder tun: Ein Mitglied der Hell’s Angels, der einen Polizisten erschossen hat, muss nicht ins Gefängnis. Der Bundesgerichtshof sprach den Mann mit einem heute bekanntgegebenen Urteil frei. Das Landgericht Koblenz hatte den Rocker wegen Totschlags noch zu acht Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt.

Zu dem tödlichen Schuss kam es, als ein Sondereinsatzkommando der Polizei das Mitglied der Hell’s Angels morgens im Schlaf überraschen wollte. Die Beamten kamen mit einem Durchsuchungsbefehl und versuchten, die Eingangstür zum Haus des Mannes aufzubrechen.

Der Angeklagte wachte durch die Geräusche auf. Er bewaffnete sich mit einer Pistole Kaliber 45, die mit acht Patronen geladen war. Dann ging er ins Treppenhaus, wo er das Licht einschaltete. Er sah von einem Treppenabsatz aus durch die Teilverglasung der Haustür eine Gestalt, konnte diese aber nicht als Polizisten erkennen.

Vielmehr nahm er an, es handle sich um schwerbewaffnete Mitglieder der Bandidos, die ihn und seine Verlobte töten wollten. Er rief: "Verpisst Euch!" Hierauf sowie auf das Einschalten des Lichts reagierten die SEK-Beamten nicht; sie gaben sich nicht zu erkennen und fuhren fort, die Türverriegelungen aufzubrechen.

Da bereits zwei von drei Verriegelungen der Tür aufgebrochen waren und der Angeklagte in jedem Augenblick mit dem Eindringen der vermeintlichen Angreifer rechnete, schoss er ohne weitere Warnung, insbesondere ohne einen Warnschuss abzugeben, nun gezielt auf die Tür. Dabei nahm er in Kauf, einen Angreifer tödlich zu treffen.

Das Geschoss durchschlug die Verglasung der Tür, drang durch den Armausschnitt der Panzerweste des an der Tür arbeitenden Polizeibeamten ein und tötete diesen.

Sowohl das Landgericht als auch der Bundesgerichtshof glaubten dem Rocker, dass er um sein Leben fürchtete. Er hatte vorher glaubwürdige Todesdrohungen durch den Konkurrenzclub Bandidos erhalten. Die Kernfrage war, ob die Sachlage für eine Notwehrsituation reichte.

Schon das Landgericht bejahte grundsätzlich, dass sich der Angeklagte bedroht fühlte. Allerdings habe er nicht gleich schießen dürfen. Vielmehr sei er verpflichtet gewesen, den Waffeneinsatz anzukündigen oder einen Warnschuss abzugeben. Ohne Vorwarnung dürfe von einer tödlichen Waffe kein Gebrauch gemacht werden.

Dies sieht der Bundesgerichtshof anders.

Der gezielte Einsatz einer lebensgefährlichen Waffe müsse zwar grundsätzlich  zunächst angedroht und auch ein Warnschuss abgegeben werden. Ein rechtswidrig Angegriffener müsse dafür aber nicht das Risiko des Fehlschlags seiner Verteidigungshandlung eingehen.

Wenn (weitere) Warnungen in der konkreten "Kampflage" keinen Erfolg versprechen oder die Gefahr für das angegriffene Rechtsgut sogar vergrößern, dürfe auch eine lebensgefährliche Waffe unmittelbar eingesetzt werden.

Nach den Erkenntnissen des Landgerichts war aber ein solcher Fall gegeben. Im Augenblick – irrtümlich angenommener – höchster Lebensgefahr war dem Angeklagten nicht zuzumuten, zunächst noch durch weitere Drohungen oder die Abgabe eines Warnschusses auf sich aufmerksam zu machen und seine "Kampf-Position" unter Umständen zu schwächen.

Dass es durch die Verkettung unglücklicher Umstände zum Tod des Polizeibeamten kam, konnte der Bundesgerichtshof dem Angeklagten daher nicht anlasten. Weil der Angeklagte seinen Irrtum über die Notwehrlage auch nicht fahrlässig verursacht hatte, konnte er auch wegen fahrlässiger Tötung nicht verurteilt werden.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 2. November 2011, Aktenzeichen 2 StR 375/11

Die Methode Waschweib

Hessens Innenminister Boris Rhein verfolgt nach eigenem Bekunden die Linie der “null Toleranz” – gegenüber gewaltbereiten Fußballfans und solchen, welche seine Behörden dafür halten. Nun kündigt der Innenminister nicht nur vermehrt Hausbesuche und “Gefährderansprachen” durch die Polizei an. Die Polizei soll auch die Arbeitgeber ins Visier geratener Fans informieren. Willkommen in Denunziantenland.

Was geht es den Arbeitgeber an, was sein Angestellter in der Freizeit macht? Erst mal nichts, so lautet jedenfalls bisher die übereinstimmende Meinung. Deshalb gibt es für das Strafverfahren auch keine Vorschrift, welche Polizei, Staatsanwaltschaften oder Gerichten erlaubt, den Arbeitgeber eines Beschuldigten über ein laufendes Verfahren oder eine Verurteilung zu informieren.

So was wird dementsprechend auch nicht gemacht. Und das hat seinen guten Grund. Das Strafgesetzbuch selbst enthält nämlich keinen Abschnitt “Soziale Bloßstellung als Nebenstrafe”. Es ist weder Aufgabe noch Recht der Strafverfolgungsbehörden, einen Betroffenen auch noch hinten rum zu schaden, indem sie ihn durch gezielte Mitteilungen im schlechtesten Fall arbeitslos oder in seinem sozialen Umfeld zur unerwünschten Person machen.

Aber hier geht es ja offensichtlich gar nicht so sehr um verurteilte Straftäter. Sondern um als gewaltbereit klassifizierte Fans, die möglicherweise künftig Straftaten begehen. Der hessische Innenminister wird sich also auf seine Rechte im Rahmen der Gefahrenabwehr stützen. Aber auch das Hessische Sicherheits- und Ordnungsgesetz (HSOG) enthält erst mal keine ausdrückliche Ermächtigung für derartige Maßnahmen.

Bleibt also wieder mal nur die in jedem Bundesland zu findende Generalklausel im Polizeigesetz. Sie ermächtigt die Behörden, die zur Abwehr einer Gefahr im Einzelfall erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Der hessische Innenminster scheint zu meinen, sozialer Druck sei eine polizeiliche “Maßnahme”.

Ich sage, das ist nichts weiter als ein Schritt in den Angststaat, weil nämlich jeder Bürger künftig fürchten muss, dass die Polizei ihn einzuschüchtern, möglicherweise aber sogar tatsächlich hintenrum zu schaden versucht. Letzteres ist die Methode Waschweib, wobei im “Erfolgsfall” dann vielleicht ganze Familien vor dem Nichts stehen.

Tja, kann man sagen, es trifft doch nur die gewaltbereiten Fans. Wirklich? Ich habe vor kurzem einen angeblichen Hooligan verteidigt. Bis zur Verhandlung am Gericht, in der erst über seine Schuld entschieden wurde, war er bereits in der Gewalttäterdatei Sport eingetragen, erhielt Hausbesuche von Polizisten. Sogar ein Ausreiseverbot für ein Spiel der Nationalmannschaft wurde ihm in Aussicht gestellt.

Vor Gericht stellte sich dann heraus, es war alles nichts als heiße Luft. Die Zeugen, Polizisten allesamt, hatten sich teilweise vertan, andere hatten das Geschehen aufgebauscht oder einseitig geschildert. Am Ende stand ein Freispruch, und den hat sogar der Staatsanwalt beantragt. Hätten Boris Rheins’ Polizeibeamte schon mal beim Arbeitgeber gepetzt, wäre mein Mandant heute mit einiger Sicherheit nicht mehr leitender Angestellter eines Konzerns.

Überdies: Wer ist als nächster an der Reihe? Die Polizei könnte auch sehr gut jeden anderen Verdächtigen oder Verurteilten durch Hinweise auf den Arbeitgeber auf die Spur zu bringen versuchen – wenn man denn grundsätzlich glauben will, dass staatliche Denunziation gegenüber Unbeteiligten die Gesellschaft vor Straftaten bewahrt.

Ich glaube das nicht, ich finde es schlicht verächtlich.

Doppelte Durchsuchung

Das hat man auch nicht jeden Tag. Die Kripo jagt Beweismitteln hinterher, die sie längst bei sich auf dem Präsidium hatte. Allerdings war einer der Beamten besonders schlau. Er gab die Festplatte des Computers, auf der die wesentlichen Unterlagen gespeichert sind, wieder sang- und klanglos an den Beschuldigten zurück.

Das fiel erst später auf, so dass man beim Amtsgericht erneut um einen Durchsuchungsbeschluss bat. Der erging auch prompt, und zwar mit folgendem Wortlaut:

Bereits am 27.04.2010 wurden bei dem Beschuldigten aufgrund eines richterlichen Durchsuchungsbefehls umfangreiche Beweismittel sichergestellt. … Irrtümlicherweise wurde der beschlagnahmte Datenträger wieder ausgehändigt, so dass eine erneute Durchsuchung erforderlich ist.

Gut, Fehler passieren überall. Das eigentlich dicke Ding ist aber, wie es dazu kommen konnte, dass die Festplatte als “sauber” eingeschätzt wurde. Danach haben die Polizeibeamten mit ihrem Auswerterechner 1 versucht, an die Daten auf der Festplatte zu kommen. Als das nicht klappte, nahmen sie Auswerterechner 2 in Betrieb. Hierbei, so heißt es wenig konkret, wurden durch einen “Hardwarefehler” Imagedateien verschoben und teilweise auch gelöscht.

Ein besonders geschulter Beamter sei dann in der Lage gewesen, diese Dateien wieder herzustellen. Allerdings unter neu vergebenen Verzeichnisnamen. Das wiederum kommunizierte er aber nicht oder nicht verständlich, so dass bei einem späteren Abgleich der Images mit dem Datenbestand auf der Festplatte einem weiteren Beamten gar nicht in den Sinn kam, die (nun anderes benannten) Imagedateien könnten sich im Original auf der Festplatte befinden. Dieser Polizist schätzte die Festplatte als unbedenklich ein und händigte sie dem Beschuldigten wieder aus.

Das erinnert mich an einen älteren Fall, in dem ein Mandant von mir Kinderpornos besessen haben soll. Erst später stellte sich heraus, dass der Auswerter vergessen hatte, nach  Abschluss der vorherigen Untersuchung das Prüfprogramm neu zu starten. Die Treffer aus dem vorigen Fall wurden bei meinem Mandanten ebenfalls angezeigt. Rausgekommen ist das nur, weil wir vehement auf eine erneute Untersuchung der Festplatte drängten. Sehr schön daran war, dass man uns erst für blöd erklärte, weil es bei dem super zuverlässigen Programm doch gar nicht sein kann, dass Treffer gemeldet werden, wo es gar keine Treffer gibt.

Na ja, alles in allem mal wieder eine praktische Mahnung, technischen Ergebnissen nicht blind zu vertrauen.

Mehr Rechte bei Handy, Telefon und Internet

Mehr Verbraucherrechte rund um Telefon und Internet soll eine Gesetzesnovelle bringen, die der Bundestag letzte Woche verabschiedet hat.

Eine wichtige Änderung betrifft Warteschleifen. Grundsätzlich sollen Kunden nur noch dann bei Sonderrufnummern zur Kasse gebeten werden dürfen, wenn ihr Anliegen auch wirklich bearbeitet wird. Warteschleifen dürfen nicht mehr berechnet werden; das gilt auch für Anrufe aus Mobilfunknetzen. Außerdem müssen Anbieter die voraussichtliche Wartezeit nennen, bis zu einem Ansprechpartner durchgestellt wird.

Verbindlich werden die Regelungen für Warteschleifen aber erst zum Jahresanfang 2013. Bis dahin haben Firmen und Callcenter Zeit, ihre Systeme umzustellen. Eine Erleichterung soll es aber schon ab Anfang 2012 geben: Die ersten zwei Minuten in einer Warteschleife müssen ab diesem Zeitpunkt stets kostenlos sein.

Wer umzieht, hängt nicht mehr unbedingt auf seinem Laufzeitvertrag für Telefon und Internet fest. Kann der Anbieter am neuen Wohnort denselben Service nicht bieten, hat der Kunde ein Sonderkündigungsrecht. Gibt es das Angebot an der neuen Adresse, muss der Anbieter den Vertrag dort zu denselben Konditionen fortführen. Bislang war es bei einem Umzug gang und gäbe, dass dem Kunden mit dem Umzug eine neue Mindestvertragslaufzeit aufs Auge gedrückt wurde. Das ist nun unzulässig. Der Anbieter darf nur ein “angemessenes Entgelt” für die tatsächlichen Umschaltarbeiten in Rechnung stellen.

Auch der Wechsel zu einem anderen Anbieter soll reibungsloser ablaufen. Der Anschluss darf maximal einen Tag ausfallen. Falls der neue Anbieter den Anschluss nicht rechtzeitig schalten kann, darf die bisherige Firma Telefon und Internet nicht einfach kappen. Sie muss die Leitung vielmehr offenhalten, bis der neue Anschluss zur Verfügung steht. Der neue Anbieter darf erst ab dem Zeitpunkt Kosten in Rechnung stellen, in dem der Anschluss wirklich nutzbar ist.

Mobilfunkkunden sollen künftig einzelnen Rechnungsposten widersprechen können, ohne dass ihr Vertragspartner dann den Vertrag kündigen kann. Der Gesetzgeber hat hier vor allem Fälle im Auge, in denen Mobilfunkfirmen Leistungen von Drittanbietern abrechnen. Das kommt immer wieder vor, zum Beispiel nach einem (unabsichtlichen) Klick auf ein Werbebanner, der angeblich zu einem kostenpflichtigen Abo führt.

DSL-Anbieter werden künftig verpflichtet, die erzielbare Mindestbandbreite anzugeben. Damit soll verhindert werden, dass superschnelle Internetanschlüsse mit der Formulierung “bis zu XY Mbit/s” angepriesen werden, die tatsächliche Leistung aber dann weit hinter den Versprechungen zurückbleibt.

Wer seine Handynummer umziehen will, muss sich künftig nicht mehr auf das Ende seines Vertrages vertrösten lassen. Die Rufnummer muss sofort an den neuen Anbieter übertragen (“portiert”) werden, auch wenn der Vertrag noch Monate läuft. Das beinhaltet aber kein Sonderkündigungsrecht – der Kunde muss eventuelle Grundgebühren bis zum Vertragsablauf zahlen.

Früh ins Wochenende

Wer ein Einschreiben an die Justiz sendet, muss sich nicht vorher über Dienstzeiten des Gerichts erkundigen. Der Absender darf sich vielmehr darauf verlassen, dass an Werktagen ein Gerichtsmitarbeiter Dienst hat, der dem Postboten den Eingang des Schreibens quittiert. Das hat das Oberlandesgericht Oldenburg entschieden.

Der Streit drehte sich um ein Einschreiben, mit dem ein Anwalt am Tag vor dem Fristablauf am Freitag für einen Mandanten einen Antrag stellte. Der Anwalt schickte den Brief am Donnerstag ab. Möglicherweise wurde die Sendung am Freitag deshalb nicht zugestellt, weil das Gericht regelmäßig um 12 Uhr schließt und deshalb niemand mehr da war, um dem Postboten eine Unterschrift zu geben. Übergeben wurde das Einschreiben deshalb erst am Montag.

Das ja gar nicht so kleine Amtsgericht Osnabrück, um dieses handelt es sich, hatte allen Ernstes damit argumentiert, der Absender habe gar nicht damit rechnen können, dass sein am Donnerstag abgesandtes Schreiben am Freitag zugestellt werden kann. Dabei hatte das Amtsgericht ausdrücklich darauf verwiesen, dass man dort freitags spätestens um 12 Uhr das Wochenende einläutet.

Das Oberlandesgericht Oldenburg konnte das nicht nachvollziehen. So einen frühen Dienstschluss einer Behörde müsse niemand einkalkulieren. Überdies gebe es keinen Beleg dafür, dass Einschreiben langsamer transportiert und zugestellt werden als normale Briefe. Der Absender müsse sich auch nicht vorwerfen lassen, dass er nicht zum Einwurf-Einschreiben gegriffen habe. Das Übergabe-Einschreiben sei die sicherere Variante, meinen die Richter am Oberlandesgericht. Es dürfe niemandem zur Last gelegt werden, dass er eine zuverlässigere Zustellungsart wählt.

Die Richter behandelten das Schreiben letztlich noch als rechtzeitig, obwohl es tatsächlich erst nach Fristablauf eingegangen war.

Oberlandesgericht Oldenburg, Beschluss vom 13. April 2011, 1 Ws 172/11

Abstraktes Gefährdungsdelikt

Das Amtsgericht München hat einen Strafverteidiger zu einer Geldbuße von 300,00 € verurteilt. Der Anwalt soll unberechtigt Post für seinen inhaftierten Mandanten geschmuggelt haben.

Der Münchner Anwalt nahm von seinem Auftraggeber einen als Verteidigerpost gekennzeichneten Brief entgegen. In dem Schreiben bat der Untersuchungshäftling den Anwalt um die Weitergabe von detaillierten Verhaltensanweisungen an seine Freundin. Diese sollte für ihn Mietangelegenheiten regeln. Der Anwalt leitete das Schreiben an die Freundin weiter.

Das Amtsgericht München meint, der Anwalt habe unbefugt gehandelt. Hätte sein  Mandant unmittelbar an die Freundin geschrieben, wäre dieser Brief unzweifelhaft der normalen Briefkontrolle unterlegen. Dadurch, dass der Brief über den Verteidiger als Verteidigerpost deklariert das Gefängnis verließ, sei die Briefkontrolle umgangen worden.

Zwar sei einem Beschuldigten, auch wenn er sich nicht auf freiem Fuß befinde, schriftlicher und mündlicher Verkehr mit seinem Verteidiger gestattet. Dies gelte jedoch nur zum Zwecke der Verteidigung.

Bemühungen um den Erhalt der Wohnung und ähnliches fallen nach Auffassung des Amtsgerichts München nicht unter das Verteidigerprivileg, auch wenn diese mittelbar für das Haftgründe oder das Urteil des Gerichts von Bedeutung sein können. Unerheblich sei auch der Inhalt des übermittelten Schreibens, da der einschlägige Tatbestand ein abstraktes Gefährdungsdelikt darstelle. Die Argumentation, das Schreiben wäre nicht angehalten worden, wenn es über die Briefkontrolle gelaufen wäre, sei daher nicht stichhaltig.

Amtsgericht München, Urteil vom 19. April 2011, Aktenzeichen 1123 OWi 120 JS 13019/10

“Ich mag nicht mehr von einem Menschen sprechen”

So traurig der Tod des im Dienst erschossenen Augsburger Polizisten auch ist, ebenso traurig ist eine Reaktion des bayerischen Vorsitzenden der Polizeigewerkschaft GdP, Helmut Bahr.  Dem Focus sagte er:

Ein Individuum – ich mag gar nicht mehr von einem Menschen sprechen – erschießt einen Polizisten und hat überhaupt keine Achtung vor dem menschlichen Leben.

Was ist das für ein Signal an diejenigen Polizisten, welche vielleicht in Kürze persönlich mit Personen zu tun haben werden, welche möglicherweise die Schüsse auf den Polizsiten abgaben? Sollen auch Sie sich der Meinung Bahrs anschließen – und die Beschuldigten nicht mehr als “Menschen” betrachten? Wenn sie es tun, was folgt daraus? Können Verdächtige in diesem Mordfall dann keine Menschenrechte mehr in Anspruch nehmen? Oder Verfahrensgarantien, etwas das Recht zu schweigen oder jederzeit mit einem Verteidiger zu sprechen? Sind vielleicht sogar Klapse auf den Hinterkopf erlaubt, Schlaf- und Essensentzug?

Nicht zuletzt gibt es da auch noch die Unschuldsvermutung. Nicht jeder, der verdächtigt wird, muss sich später als Täter erweisen. Deshalb hat es seinen guten Grund, dass über Schuld oder Nichtschuld ein Gericht entscheidet. Und nicht die Polizei.

Selbst wenn solche Äußerungen in erster Betroffenheit nur dahingebrabbelt sein dürften, senden sie letztlich eine verhängnisvolle Botschaft auch über den Kreis der Polizisten, die mit dem Fall befasst sind. Noch unbekannte Täter einfach mal  so aus der Gruppe der Menschen zu separieren, ist eine offene Distanzierung von unseren prägenden Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen. Dabei ist jeder Polizist uneingeschränkt verpflichtet, genau diese Werte zu achten und sein Verhalten entsprechend zu zügeln.

Man kann nur hoffen, dass dies den Polizisten vor Ort besser gelingt, als ihren geistigen Brandstiftern in führenden Gewerkschaftspositionen.

Karlsruher Sprachkunde

Wenn ein Mieter vertraglich verpflichtet ist, im Rahmen der Schönheitsreparaturen die Decken der Wohnung zu “weißen”, ist diese Klausel komplett unwirksam. Das hat der Bundesgerichtshof entschieden.

Die Karlsruher Richter sehen in dem Begriff “weißen” keineswegs bloß ein anderes Wort für streichen. Vielmehr meinen sie, der Begriff beinhalte auch eine Farbvorgabe in dem Sinne, dass der Mieter die Decke eben in keiner anderen Farbe streichen darf.

Durch diese Einschränkung werde der Mieter unzumutbar beeinträchtigt. Mache er nämlich von seinem – seit lange geklärtem – Recht Gebrauch, die Wohnung in seiner Wunschfarbe zu streichen, müsste er womöglich bei Auszug die Decken noch mal weiß anmalen – obwohl er die Schönheitsreparaturen schon vorher turnusgemäß ausgeführt hat.

Im Ergebnis schuldet der Mieter überhaupt keinen Deckenanstrich. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Klausel, wie das meist der Fall ist, eine Allgemeine Geschäftsbedingung ist.

Bei Auszug kann sich also ein Blick in den Mietvertrag lohnen. Die Karlsruher Sprachkunde macht’s möglich.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 21. September 2011, VIII ZR 47/11

Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit

Im Keller eines Hauses, das von einer mehrköpfigen Familie bewohnt wird, stellt die Polizei einen PC sicher. Die Bewohner des Hauses kennen ihre Rechte. Weder Eltern noch die erwachsenen Kinder sagen was. Insbesondere nicht dazu, wem der Computer gehört und wer ihn nutzte. 

Ein Polizeibeamter wertet den bemerkenswert leeren Rechner aus und findet Inhalte, die möglicherweise als Jugendpornografie strafbar sind. Außerdem entdeckt er etwas Musik, einige Youtube-Clips und vier, fünf Textdateien, in denen was von Berufsschule steht. In einigen der Textdateien taucht der Name des ältesten Sohnes auf.

Nun die Schlussfolgerung:

Vor dem Hintergrund der aufgefundenen Dokumente und den eher einem jüngeren Menschen zuzuordnenden Musik- und Spieledateien kann festgestellt werden, dass der Rechner mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit durch den ältesten Sohn …  genutzt wurde und dass er derjenige ist, der für das Vorhandensein der Bilder verantwortlich ist. Dafür spricht auch, dass auf dem Rechner keine Dateien gefunden wurden, die … zuzuordnen sind.

Und das schreibt ein Kriminalhauptkommissar…