Auf der formellen Schiene

Es ging um abgekürzte Ladungsfristen, mögliche Zustellungsfehler und die Frage, ob man einen eilig anberaumten Termin nicht aus guten Gründen um ein paar Wochen verschiebt. Also etwas, was man sehr gut telefonisch besprechen kann – und wegen der Kürze der Zeit vielleicht auch muss.

Ich rief bei der Geschäftsstelle des Gerichts an und bat darum, mich mit der  Richterin zu verbinden, die ich bislang gar nicht kenne. Das war aber nicht möglich, weil, so die Auskunft der Mitarbeiterin, “die Vorsitzende spontan keine Telefonate entgegennimmt”. Möglicherweise rufe sie aber zurück. Die Betonung lag auf möglicherweise.

Ich versuchte also meine Chancen zu erhöhen, indem ich der Mitarbeiterin der Geschäftsstelle in kurzen Worten sagte, um was es ging. Außerdem bat ich um Rückruf.

Heute meldete sich dann wieder die Geschäftsstelle und ließ folgendes ausrichten:

Die Richterin möchte vorher genau per Fax wissen, was was Sie von ihr wollen, bevor sie zurückruft.

Das Fax habe ich dann auch gern diktiert. In Form eindeutiger Anträge, verbunden mit einer schönen Begründung.  Wir sind jetzt also auf der formellen Schiene. Damit hat sich ein eventueller Rückruf der Richterin nun eigentlich auch erledigt. Aber vielleicht war das ja das Ziel. 

Keine Coke im Knast

In den Besuchertrakten der meisten Gefängnisse gibt es Warenautomaten. Dort können Besucher für sich und “ihren” Gefangenen Getränke und Süßigkeiten, mitunter sogar Eiscreme und heiße Würstchen ziehen. Unverzichtbar sind natürlich Zigaretten-, Tabak- und Blättchenautomaten.

Zwischen fünf und zehn Euro dürfen Besucher anlegen. Das gilt auch für Verteidiger, weshalb ich stets ein paar Euro Klimpergeld parat habe, um das Gespräch mit dem Mandanten angenehmer zu gestalten. (Und das, obwohl es keine steuertauglichen Quittungen gibt.) Angenehm für die Gefangenen: Zumindest Rauchwaren dürfen sie überall auch mit in ihre Zelle nehmen.

Gestern habe ich in Düsseldorf einen frisch inhaftierten Mandanten besucht, bei dem das Taschengeld, welches ihm seine Verwandten überwiesen haben, noch nicht auf dem Hauskonto angekommen ist. Er hatte mir sogar einen Brief geschickt, dass er es ohne Zigaretten einfach nicht mehr aushält. Ich sollte ihm unbedingt ein Päckchen ziehen, wenn ich vorbei komme. Es war interessanterweise ein sehr kurzes Gespräch, obwohl wir viel zu bereden hatten. Den Mandanten trieb der Schmacht unübersehbar zurück in seinen Haftraum; im Besuchertrakt herrscht Rauchverbot. 

Aber ich wollte eigentlich was anderes erzählen. In der Gießener Haftanstalt, in der ich heute mal wieder war, muss sich Gravierendes zugetragen haben. Am Getränkeautomaten gibt es seit neuestem nur noch Sprite und Bonaqua. Die Ausgabeschächte für Coke, Coke light und Fanta sind mit drehbaren Stahlstreben verrammelt und für Normalkunden tabu.

Ein Schild belehrt, es seien nur noch farblose Getränke in durchsichtigen Verpackungen zugelassen. Nur “Bedienstete und sonstige Mitarbeiter der JVA” dürften sich Coke, Coke light oder Fanta ziehen.

Mein Mandant wusste leider nicht, wie es zu dieser Einschränkung gekommen ist. Ich habe einen Mitarbeiter gefragt, aber der wollte nicht so recht raus mit der Sprache. Es bleibt also Platz für Spekulationen. Am naheliegendsten ist der mehr oder weniger geniale Versuch eines Häftlings, nach dem Besuch etwas in der vermeintlich harmlosen, wenn auch trüben Cola in die Zelle zu schmuggeln. Um das zu verhindern, würde es aber auch reichen, die Mitnahme von Flaschen aus der Besuchsabteilung zu untersagen.

Nach dem Besuch bleibt also ein Rätsel. Aber auch eine Gewissheit. Sprite ist bäh. Ich hoffe deshalb, dass das Gießener Beispiel keine Schule macht.

Nachtrag: Spiegel online hat sich des Themas angenommen und bei der hessischen Justiz nachgefragt. Danach gilt seit Januar 2011 eine Anordnung des hessischen Justizministeriums, das befürchtet, in trüben Flüssigkeiten könnten Drogen oder Gegenstände geschmuggelt werden. Auch wenn es dann wohl keine Geschichte wird, danke an SpOn für die Aufklärung. 

Gericht erklärt uns, wie man sparsam druckt

Soll noch einer sagen, der Justiz ist das körperliche Wohlbefinden von Pflichtverteidigern egal. Nein, sie kümmert sich – und zahlt auch noch dafür. So erhalten zwei Rechtsanwälte jetzt jeweils 3.875 Euro dafür, dass jeder 43.307 Seiten ausgedruckt hat. Bei den Ausdrucken handelte sich um Teile einer Gerichtsakte, die den Verteidigern auf einer CD zur Verfügung gestellt wurden.

Insgesamt 81.900 Telefonate hatten Ermittler in einem Strafverfahren übersetzen lassen. Diese Übersetzungen wurden auf eine CD gebrannt und den Pflichtverteidigern zur Verfügung gestellt. Die Anwälte hatten keine Lust, sich das alles am Bildschirm anzusehen. Sie druckten jeweils die 43.307 Seiten aus. Hierfür wollte jeder die üblichen Kopierkosten erstattet haben. Das sind jeweils 50 Cent für die ersten 50 Seiten und 15 Cent für jede weitere.

Insgesamt kam jeder der Anwälte auf einen Betrag von 7.750 Euro. Die Staatskasse wollte zuerst gar nichts zahlen. Die zuständige Rechtspflegerin war nämlich der Meinung, dass die Pflichtverteidiger sich die Unterlagen auch am Computer hätten ansehen können.

Dem schließt sich das Oberlandesgericht Celle nicht an. Es hält die Lektüre von 43.307 Seiten am Bildschirm für unzumutbar. Aus der Begründung:

Zwar ist der Landeskasse zuzugeben, dass in immer mehr Bereichen des beruflichen Lebens – auch in der Justiz – das Bearbeiten von Akten und Lesen von Texten ausschließlich am Bildschirm erfolgt.

Wenn aber Strafverteidiger es zur sachgemäßen Bearbeitung einer – wie hier – umfangreichen und schwierigen Strafsache für erforderlich halten, die Kurzübersetzungen überwachter Telefonate in Papierform vorliegen zu haben, so ist dies jedenfalls bei dem hier zu beurteilenden, weit überdurchschnittlichen Umfang von insgesamt 43.307 Seiten auch aus Sicht eines verständigen Dritten nicht als ermessensfehlerhaft anzusehen.

Letztendlich muss bei Strafverteidigern ausgeschlossen werden, dass sie hinsichtlich des ihnen zur Verfügung stehenden Aktenmaterials im Verhältnis zur Staatsanwaltschaft und dem Gericht benachteiligt werden. 

Allerdings will das Oberlandesgericht Celle nur die Hälfte der Kosten erstatten. Es mutet den Anwälten, die nur auf Papier lesen wollen, eine andere Komfortbeeinträchtigung zu. Die Unterlagen, so das Gericht, hätten auch “2 in 1” gedruckt werden können, das heißt “jeweils zwei Seiten um die Hälfte verkleinert im Querformat auf ein Blatt gedruckt”.

Die Richter haben nach eigenem Bekunden den Test gemacht und sind zum Ergebnis gekommen, dass “ein Lesen der Textdateien auch in einem um die Hälfte verkleinerten Format unschwer möglich und daher zumutbar gewesen wäre”.

Ich begrüße natürlich anwaltsfreundliche Entscheidungen. Aber das bloße Abnicken einer wahren Druckorgie ist mir dann doch etwas suspekt. Mir erschließt sich schon nicht, wieso das Lesen derartiger Mengen Papier angenehmer sein soll als die Lektüre am Bildschirm. Wenn der Anwalt einen privaten Auftraggeber hat, der das gerne bezahlt, ist da ja o.k. Aber hier handelt es sich überdies um Pflichtverteidiger, deren Honorar der Steuerzahler vorschießt (und oft endgültig zahlt, wenn beim Beschuldigten nichts zu holen ist).

Da wäre ein wenig Zurückhaltung vielleicht ganz angebracht.

Oberlandesgericht Celle, Beschluss vom 28. November 2011, Aktenzeichen 1 Ws 415/11

90 Millionen suchen einen Käufer

Während am Amtsgericht München angeblich eine Klagewelle von Filesharing-Abmahnern anrollt, scheinen andere Rechteinhaber weniger an die rentable Durchsetzbarkeit ihrer “Forderungen” zu glauben. Die Abmahnkanzlei Urmann + Collegen bietet auf der Kanzleihomepage jetzt angebliche Abmahnfälle im Wert von ca. 90 Milionen Euro zum Kauf an. Die Forderungen sollen im Rahmen einer Auktion an den Mann gebracht werden.

U + C spricht wohl Inkassobüros an, die die dann ihrerseits ihr Glück beim Geldeintreiben versuchen können. Dabei betonen die Regensburger Anwälte, dass sie die Forderungen nicht selbst verkaufen. Sie würden vielmehr im Kundenauftrag tätig.

Bieter sollen erst eine Kaution von 5.000 Euro hinterlegen und eine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben, bevor sie Näheres erfahren. Allerdings verraten die Anwälte in ihren Versteigerungsbedingungen in groben Zügen, was die Käufer erwartet:

Es handelt sich überwiegend um Forderungen aus Urheberrechtsverletzungen im Internet aus dem Bereich „adult entertainment“.

Es gehen also vorwiegend vermeintliche Ansprüche aus Pornoabmahnungen auf den Markt. Da allenfalls unverjährte Forderungen etwas einbringen werden, stammen die Ansprüche vermutlich aus den Jahren 2009 bis 2011. Das macht ein Abmahnvolumen von 30 Millionen Euro pro Jahr. Und das alleine bei Pornos, die nur eines von mehreren Segmenten auf dem Filesharing-Abmahnmarkt bilden.

Hinzugezählt werden müssen noch die Abmahnungen, die freiwillig bezahlt wurden. In der Branche rechnet man mit einer Zahlerquote von 15 bis 30 %. Satte Werte also, zumal für eine einzige Anwaltkanzlei. Aber auch quasi nebenbei der Beweis, dass man in Deutschland mit Fug und Recht von einer Abmahnindustrie sprechen kann. 

Mit ihrer Ankündigung zeigen die Anwälte aber auch, dass zumindest die eigenen Mandanten wohl nicht so recht daran glauben, was in den Abmahnungen steht. Dass, ich fasse zusammen, die Forderungen glasklar sind und es keinen Zweifel daran gibt, dass der Abgemahnte vor Gericht verlieren wird. Dementsprechend wird dann auch gebetsmühlenartig mit sofortigen Klagen gedroht, wenn das Geld nicht überwiesen wird.

Nun scheuen die Abmahner aber den angeblich so risikolosen Weg vors Gericht und verramschen ihre Ansprüche. Sie werden ihre Gründe haben.

Bericht auf heise online

Killer-Becher

Schon des öfteren (Beitrag 1, Beitrag 2) habe ich dargelegt, dass Staatsanwälte und Strafrichter in durchaus alltäglichen Fällen ein Faible dafür haben, aus einem Werkzeug ein „gefährliches Werkzeug“ zu machen. Einfach, weil das Delikt dann halt nicht mehr die einfache Körpverletzung ist, sondern eine gefährliche. Klingt spannender – und auch die Strafe ist höher. Mindestens sechs Monate Gefängnis bringt eine gefährliche Körperverletzung ein.

Obwohl die Obergerichte die Fantasie an der juristischen Basis immer wieder bremsen, ist der Elan in dieser Richtung ungebrochen. Auch im Norden Deutschlands. Dort hat das Amtsgericht Hamburg heute den Katalog gefährlicher Werkzeuge auf bemerkenswerte Art und Weise erweitert – um den Getränke-Plastikbecher.

Angeklagt war ein Mann, der als „Becherwerfer“ im Fußball-Bundesligaspiel zwischen dem FC St. Pauli und dem FC Schalke 04 für Schlagzeilen gesorgt hatte. Der Betreffende soll leicht angetrunken gewesen sein, als er am 1. April gegen Ende des Spiels mit einem jedenfalls zum Teil gefüllten Plastikbecher nach dem Linienrichter warf. Der Schiri wurde im Nacken getroffen und ging leicht benommen zu Boden. Er litt später an Kopf- und Nackenschmerzen.

Man wird gespannt sein zu erfahren, wie der Richter ausgerechnet einen Plastikbecher als gefährliches Werkzeug einsortiert. Als gefährlich gilt dem Juristen ein Werkzeug dann, wenn es nach seiner objektiven Beschaffenheit und der Art seiner konkreten Benutzung geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen. Die Plastikbecher, die ich kenne, klatschen vielleicht gegen den Kopf, es tut bei entsprechender Füllung weh, das war es dann aber auch. Ich wage deshalb die Prognose, dass der Plastikbecher aus der Liste der gefährlichen Werkzeuge schamhaft wieder gestrichen werden muss, wenn der Prozess in die zweite Halbzeit geht.

Allerdings besteht natürlich auch die Möglichkeit, dass es gar nicht so weit kommt. Interessanterweise hat das Amtsgericht Hamburg zwar die gefährliche Körperverletzung bejaht, aber nicht die vom Gesetz geforderte Mindeststrafe von sechs Monaten Gefängnis verhängt. Sondern es hat – mit welchem Kniff auch immer – auf eine nicht nur vom Gesetz nicht vorgesehene, sondern auch noch recht milde Geldstrafe von 150 Tagessätzen erkannt – und diese sogar noch als Verwarnung mit Strafvorbehalt ausgestaltet. Das heißt, die Geldstrafe wird zur Bewährung ausgesetzt. Begeht der Angeklagte innerhalb von zwei Jahren keine neue Straftat, muss er die Geldstrafe nicht zahlen.

Besondere Umstände führten zur Zurückhaltung des Gerichts. So führte der Vorsitzende in seiner mündlichen Urteilsbegründung aus, mit dem Angeklagten habe kein gewaltbereiter Hooligan, sondern ein bislang unbescholtener Familienvater vor Gericht gestanden. Es sei zwar eine feige Tat gewesen, den Linienrichter mit dem Becherwurf von hinten anzugreifen. Dennoch müsse berücksichtigt werden, dass es sich um ein kurzfristiges situatives Versagen im alkoholisierten Zustand gehandelt habe.

Das Gericht habe bei der Suche nach der angemessenen Sanktion insbesondere auch die dem Angeklagten drohenden zivilrechtlichen Folgen seiner Tat berücksichtigt. So habe der FC St. Pauli eine Schadensersatzforderung in einer Größenordnung von EUR 400.000 gegen den Angeklagten angekündigt.

Damit wäre der Mann dann allerdings wirklich sehr hart bestraft.

Pressemitteilung des Amtsgerichts Hamburg

Hubschrauber im Parkverbot

Wer vom Fernsehen als einer der “zehn verrücktesten Deutschen” gezeigt wird, kann unter Umständen Schmerzensgeld verlangen. Aber auch nur einen relativ geringen Betrag von 400 Euro – weil ein bisschen was ist an der Sache ja möglicherweise dran. So jedenfalls sieht es das Amtsgericht Köln im Fall eines Mannes, der ein ganzes Ordnungsamt ersetzt und schon tausende Bürger wegen Verkehrsverstößen in seiner Heimatstadt im Harz angezeigt hat.

Damit schaffte es der bekennende Oberlehrer immerhin auf Platz 8 der RTL-Sendung über die zehn verrücktesten Deutschen. Dabei wurde er als ausgemachter Unsymph dargestellt; Mitbürger äußerten sich extrem abfällig über den Dauer-Anzeigenschreiber. Außerdem hatte RTL noch eine ehemalige Pornodarstellerin zu einem Kommentar bewogen: “Er hat 20.000 Menschen geschadet, ich glaub das macht ihn geil.”

Innerlich tief verletzt zog der selbsternannte Ordnungshüter vors Amtsgericht Köln. Dort bekam er teilweise recht, denn der Richter erkannte in Aufmachung und Inhalt des Beitrags eine unzulässige Schmähkritik. Die verlangten 4.000 Euro Schmerzensgeld hielt das Amtsgericht aber für überzogen:

Bei der Frage der Angemessenheit des Schmerzensgeldes ist entscheidend auch das eigene Verhalten des Klägers zu berücksichtigen. Dieser präsentiert sich auch in den Medien als selbsternannter Ordnungshüter, welcher unstreitig eine enorme Anzahl von Anzeigen verfasst hat. Wie die Filmaufnahmen zeigen, tritt er belehrend gegenüber Mitbürgern auf und äußert sich in schroffer Weise zu dem von ihm für festgestellt gehaltenen Verkehrsverstößen. Ohne dazu von irgendjemandem berufen worden zu sein, nimmt der Kläger in enormen Ausmaß Aufgaben der Ordnungsbehörden war und präsentiert dieses Gebaren in den Medien.

Selbst wenn er den Vorgang um den Rettungshubschrauber nur scherzhaft gemeint haben will oder gar nicht als Anzeige verstanden wissen wollte, so entzündet sich auch an derartigem Handeln verständliche Kritik der Allgemeinheit. Das Gesamtverhalten rechtfertigt auch scharfe Kritik und führt zu verständlichen Unmutsbekundungen.

Wegen des erwähnten Rettungshubschraubers war über den Kläger bundesweit berichtet worden. Der Harzer Freizeitpolizist soll den Piloten des Hubschraubers angezeigt haben, weil dieser sein Fluggerät während eines Rettungseinsatzes im Parkverbot landete. Allerdings behauptete der Kläger später, zumindest diese Anzeige sei nicht ganz ernst gemeint gewesen.

Amtsgericht Köln, Urteil vom 16. November 2011, Aktenzeichen 123 C 260/11

Anwaltskalender 2012 – die Gewinner

Die Gewinner der Kalenderverlosung stehen fest. Es sind:

Gimbar

Anno Nüm

Biber

nessa

Thorsten

p0oldi

Paulchen32

Mariam

Africoke

jesse

Herzlichen Glückwunsch an die Gewinner. Ihr erhaltet eine gesonderte Mail, auf die ihr dann bitte mit den Versanddaten antwortet.

Wer dieses Jahr kein Glück hatte, kann den Anwaltskalender 2012 auch direkt beim Autor wulkan ordern (wulkan@arcor.de, Telefon 0172 200 35 70). Die Kalender kosten 19,90 Euro zzgl. 5,80 Euro Versandkostenpauschale. Bestellungen werden noch rechtzeitig vor Weihnachten versandt.

Nicht mehr im dienstlichen Gewahrsam

Nach 23 Jahren kann ein Bürger nicht mehr verlangen, dass ihm die Behörden eine sichergestellte Waffe wieder aushändigen. Grund: Ämter müssen ihre Akten längstens 20 Jahre aufbewahren. Lässt sich danach der Verbleib eines Gegenstandes nicht mehr aufklären, geht das zu Lasten des Bürgers.

Vor dem Verwaltungsgericht Neustadt hatte ein Mann geklagt, dem 1985 seine Waffenscheine entzogen wurden. Die Polizei stellte damals eine Pistole bei ihm sicher. 23 Jahre später beantragte der Mann beim Polizeipräsidium Rheinpfalz Herausgabe seiner Waffen, entweder an ihn oder einen Dritten, der einen Waffenschein hat.

Sowohl das Polizeipräsidium Rheinpfalz als auch die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion Trier teilten dem Kläger mit, eine Herausgabe der Waffen sei nicht mehr möglich, da diese nicht mehr im dienstlichen Gewahrsam seien. Unterlagen gebe es nach so langer Zeit nicht mehr.

Die Verwahrung der Waffen im dienstlichen Gewahrsam sei wohl zu einem nicht mehr aufklärbaren Zeitpunkt, der zwischen der Übergabe an die Verwahrstelle bei der Bezirksregierung in Neustadt im Jahr 1986 und der Auflösung der Waffenkammer zwischen 1996 und 1997 liege, beendet worden. Aller Wahrscheinlichkeit nach seien die Waffen ordnungsgemäß verwertet oder vernichtet worden.

Der Kläger wies darauf hin, er sei trotz der Sicherstellung Eigentümer geblieben. Die Behörden könnten nicht belegen, dass sie die Waffe nicht mehr haben. Deshalb könne er auch die Herausgabe verlangen.

Mit diesen Argumenten fand er kein Gehör. Die Verwaltungsrichter in Neustadt meinen, der Kläger müsse beweisen, dass die Pistole noch amtlich verwahrt werde. Das sei ihm nicht gelungen. Deshalb dürfe davon ausgegangen werden, dass die Waffe seinerzeit ordnungsgemäß verwertet oder vernichtet worden sei.

Dass das Land keine Dokumente über den Verbleib oder über die Verwertung beziehungsweise Vernichtung mehr auffinden könne, könne ihm nicht angelastet werden. Keine Behörde sei verpflichtet, Akten nach Abschluss des Vorgangs länger als 20 Jahre aufzubewahren.

Verwaltungsgericht Neustadt, Urteil vom 26. Oktober 2011, Aktenzeichen  5 K 1198/10.NW

Bundestags-Gutachten darf jeder lesen

Keine Sonderrolle für die Bundestagsverwaltung: Der Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) gilt auch für Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages. Dies hat das Verwaltungsgericht Berlin entschieden.

Der Kläger hatte beantragt, ihm Einblick in die vom Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages erstellte Ausarbeitung „Die Suche nach außerirdischem Leben und die Umsetzung der VN-Resolution A/33/426 zur Beobachtung unidentifizierter Flugobjekte und extraterrestrischen Lebensformen“ zu geben.

Der Deutsche Bundestag hatte dieses Ersuchen mit der Begründung abgelehnt, das IFG sei auf den Deutschen Bundestag nur anwendbar, soweit er öffentlich-rechtliche Verwaltungsaufgaben wahrnehme. Die Zuarbeit der Wissenschaftlichen Dienste sei der Mandatsausübung der Abgeordneten zuzurechnen und daher als Wahrnehmung parlamentarischer Angelegenheiten vom Informationszugang ausgenommen. Im Übrigen gelte für die Arbeiten des Wissenschaftlichen Dienstes der Schutz geistigen Eigentums.

Das Verwaltungsgericht Berlin ist dieser Ansicht nicht gefolgt. Die Aufgabe des Parlamentes bestehe im Wesentlichen in der Gesetzgebung und der Kontrolle der Regierung. Dazu gehöre nicht die Arbeit des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, da dieser lediglich Fragen der Abgeordneten beantworte und Gutachten erstelle. Diese Vermittlung von Information und Wissen bilde die Grundlage für die parlamentarische Arbeit der Abgeordneten, sei aber nicht selbst parlamentarische Arbeit.

Eine Verletzung des Schutzes geistigen Eigentums sei selbst dann nicht zu befürchten, wenn man davon ausgehe, dass es sich bei der Ausarbeitung um ein „Werk“ im Sinne des Urheberrechts handele. Der Bundestag als Inhaber des Urheberrechts sei in seinem Erstveröffentlichungsrecht nicht betroffen, weil nur der Kläger Einblick erhalte, nicht jedoch die Allgemeinheit. In seinem Verbreitungsrecht sei der Bundestag nicht betroffen, weil der Kläger nicht die Absicht habe, die Ausarbeitung in den Verkehr zu bringen, sondern sie lediglich lesen wolle.

Die Kammer hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung die Berufung bei dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zugelassen.

Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 1. Dezember 2011, Aktenzeichen VG 2 K 91.11

Desaster Datenzugriff

Für das ZDF-Blog Hyperland habe ich nochmal einiges zu einem Dokument der bayerischen Justiz geschrieben. Es geht um den “Leitfaden zum Datenzugriff”, der uns all die schönen Überwachungsmöglichkeiten der Justiz erklärt und auch zeigt, wo Staatsanwälte übers Ziel hinausschießen.

Der Beitrag heißt “Desaster Datenzugriff: Was ein Geheimpapier über staatliche Überwachung verrät” und ist hier nachzulesen.

Herr Staatsanwalt, übernehmen Sie!

Baff waren Beamte der Erdinger Kriminalpolizei, als ihnen die Süddeutsche Zeitung erklärte, woher das ominöse Fahndungsplakat des Verfassungsschutzes nach Adolf Hitler stammte. Es war in der Nähe von Geschäften in Taufkirchen geklebt worden und löste polizeiliche Ermittlungen aus. Wer jetzt aber denkt, dass spätestens in dem Augenblick, als die Quelle bekannt wurde, auch die Ermittlungen beendet waren, irrt. Die bayerische Polizei findet die Sache nach wie vor nicht lustig und ermittelt munter weiter. Die Plakate werden jetzt auf Fingerabdrücke untersucht!

Ich hatte ja schon dargelegt, dass die Beamten einen Anfangsverdacht durchaus haben durften. Das Porträtfoto Adolf Hitlers kann als Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation angesehen werden; seine Verwendung ist deshalb unter bestimmten Voraussetzungen strafbar.

Diese Voraussetzungen liegen hier aber nicht vor. Die Grundkonstellation des Falles ist zum Beispiel nicht anders, als wenn Gegendemonstranten die Teilnehmer eines Nazi-Umzuges mit “Heil Hitler”-Rufen verhöhnen. Vor einigen Jahren ging es auch um durchgestrichene Hakenkreuze. Emsige Staatsanwälte wollten Nazigegnern untersagen, diese Symbole auf Plakate und Postkarten zu drucken.

Alle Verfahren endeten, wenn auch mitunter in letzter Instanz, wie zu erwarten. Es kommt nämlich für einen Verstoß gegen § 86a Strafgesetzbuch immer auf die Gesinnung des Beschuldigten und/oder darauf an, wie die Verwendung des verbotenen Symbols zu verstehen ist. Die Verwendung des Symbols muss sozusagen mit einem “Bekenntnis” des Betroffenen zu den Zielen der verfassungsfeindlichen Organisationen verbunden sein.

Wer die nun wochenlange Diskussion um die Arbeit der Sicherheitsdienste nach Bekanntwerden der Nazimorde auch nur ansatzweise mitbekommen hat, wird dem Plakat kein Bekenntnis zum Nationalsozialismus entnehmen können. Sondern lediglich eine bissige Kritik am Verfassungsschutz, der trotz seiner V-Leute eine von rechts  motivierte Mordserie nicht richtig einordnete. Oder möglicherweise sogar auf dem betreffenden Auge blind war.

Spätestens mit dieser Erkenntnis hat sich aber der Anfangsverdacht zerschlagen. Vielleicht sollte sich bei der Staatsanwaltschaft mal jemand erbarmen und die wuseligen Kriminaler aus Erding per Anweisung von oben bremsen. Nur eine schnelle Einstellung des Verfahrens kann noch verhindern, dass man über die zuständige Kripo bald mehr lacht als über die Witze der Titanic.

Bericht in der Süddeutschen Zeitung

Bzw. Vorführung

Natürlich wissen die meisten Polizeibeamten um ihre begrenzten Möglichkeiten im Umgang mit Zeugen. Sie dürfen Zeugen nicht zum Erscheinen zwingen, sie nicht gegen ihren Willen auf die Wache mitnehmen und sie auch auf andere Weise nicht zu einer Aussage nötigen. Kurz gesagt: Ein Zeuge muss bei der Polizei überhaupt nichts.

Eine ebenso überwiegende Mehrheit der Polizisten tut aber nach meiner Erfahrung vieles, um diese Rechtslage nicht überdeutlich werden zu lassen. Das beginnt ja schon damit, dass die unverbindlichen Einladungen für Zeugen mit der gängigen Überschrift “Vorladung” den Touch des Verpflichtenden bekommen. 

Es geht weiter mit der Behauptung, dem Zeugen stehe nach Lage der Dinge kein Aussage- oder Auskunftsverweigerungsrecht zu, deshalb sei er zur Aussage verpflichtet. Dass ein Zeuge unabhängig von solchen Rechten mit der Polizei schon mal grundsätzlich nicht sprechen muss, bleibt gern unerwähnt.

Natürlich gibt es trotzdem immer wieder Leute, die ihre Rechte kennen. So eine Zeugin, die ich vertrete. Sie ist der ersten Vorladung nicht gefolgt. Jetzt erhielt sie ein Schreiben mit einem zweiten Termin bei der Polizei und dem Hinweis, bei unentschuldigtem Fehlen müsse sie “mit einer staatsanwaltschaftlichen Vorladung bzw. Vorführung rechnen”.

Die Finesse steckt hier im Detail, nämlich der beiläufigen Drohung mit einer Vorführung. Das ist schlicht Irreführung. Ich habe der Polizeibeamtin folgendes geantwortet:

Ich erlaube mir den Hinweis, dass die von Ihnen in der Ladung dargestellte Alternative „staatsanwaltschaftliche Vorladung bzw. Vorführung“ so nicht existiert. Auch die Staatsanwaltschaft kann einen Zeugen erst vorführen lassen, wenn sie (d.h. die Staatsanwaltschaft) diesen ordnungsgemäß zur Vernehmung geladen hat. Die Vorführung ist nämlich nur im Falle des unberechtigten Ausbleibens oder unberechtigter Weigerung des Zeugen zulässig.

Die Polizei hat keinerlei eigene Rechte, Zeugen zum Erscheinen zu zwingen. Ich bitte Sie höflich, Angeschriebene künftig nicht mit falschen Angaben zu verunsichern.

Mal sehen, ob die betreffende Polizistin den Textbaustein weiter verwendet. Falls ja, schreibe ich vielleicht mal ihrem Vorgesetzten.