Lateinisches Kochbuch – Teil 3

Bevor der Staatsanwalt in die Katakomben des Strafjustizgebäudes hinab stieg, um gemeinsam mit den beiden Kriminalbeamten beim Untersuchungshäftling vorstellig zu werden, hatte er ein großes Problem. Und einen Sack voller kleinerer Probleme.

Bei dem Kleinzeug handelte es sich um Entscheidungen seiner Kollegen, die verteilt über die gesamte Republik Ermittlungsverfahren eingestellt hatten. Deutlich mehr als hundert solcher Entscheidungen sagten: Es handelt sich nicht um einen Betrug, wenn jemand seine persönlichen Daten in ein Webformular einträgt, um anschließend eine Checkbox anzuklicken und damit zu bestätigen, daß er die AGB und weiteres zivilistisches Regelwerk gelesen, verstanden und akzeptiert habe. Solange sich auf dieser Seite irgendwo ein Hinweis befand, daß damit ein Vertrag geschlossen wurde, der eine Bezahlpflicht des Anmelders auslöst.

Diese Rechtsansicht wurde dann im März 2009 auch noch gerichtlich bestätigt. Vom Landgericht Frankfurt. Das war das große Problem. Es war die dortige Staatsanwaltschaft, die meinte, es anders sehen zu müssen. Sie hatte Anklage erhoben und den Angeschuldigten vorgeworfen, einen qualifizierten Betrug begangen zu haben. Trotz des Kostenhinweises. Dieser anderen Ansicht der Staatsanwaltschaft schloß sich das LG Frankfurt nicht an, ließ die Anklage nicht zu und löste damit ein Riesengetöse in der Netzgemeinde aus. (Anm.: Dieser Beschluß des LG Frankfurt wurde später aufgehoben.)

Und dann gab es auch noch diverse Gutachten, unter anderem das einer Jura-Professorin, die zum Ergebnis kamen: „A ist nicht strafbar.“

Das war erst einmal die Ausgangssituation. Da kam „unserem“ Staatsanwalt der rettende Gedanke. Vielleicht beim nächtlichen Surfen im Internetz. Es gab und gibt ja reichlich Seiten, auf denen dieses Phänomen ausgiebig … sagen wir mal: besprochen wurde. Es ist Staatsanwälten nicht verboten, sich auch mithilfe solcher Seiten fortzubilden. Ein Threat in einem solchem Besprechungs-Forum fand auszugsweise sogar Eingang in die Ermittlungsakte.

Die Idee war geboren: Wenn der surfende Ermittler „seinen“ Beschuldigten nachweisen könnte, daß in ihren Angeboten der Kostenhinweis (zeitweise) fehlte, weil er von den Betreibern (zeitweise) ausgeblendet wurde, dann könnte er den Sack zumachen. Und die Anklage schreiben. Denn dann gab es diese häßlichen rechtlichen Probleme, die in u.a. Frankfurt diskutiert wurden, nicht mehr: Das Ausblenden des Kostenhinweises ist problemlos eine Täuschung.

Mit diesem Gedanken im Hinterkopf stieg der Staatsanwalt die Kellertreppe hinab in die Untersuchungshaftanstalt und begann die Vernehmung des pürierten Untersuchungshäftlings.

Im weiteren Verlauf dieser Geschichte realisierten sich zwei Risiken. Zum einen das des § 46b StGB – Belohnung des Verrats der Aufklärungshilfe. Zum anderen der wohl einem Erfolgsdruck geschuldeten Griff in die Kiste mit den verbotenen Vernehmungsmethoden.

Der Zermuste erzählte den Ermittlern in epischer Breite, was sie hören wollten. Nämlich, daß sein Mitbeschuldigter (der Festkochende) des nächtens am Computer gesessen habe und per Filezilla den Kostenhinweis aus- und frühmorgens wieder eingeblendet habe. (Daß er dabei auch noch andere Beschuldigte böse in die Pfanne gehauen hat, kann man dann unter dem Stichwort „Kollateralschaden“ abheften. Dazu gibt’s später noch ein Wörtchen.)

Auf einem Rechner, den man bei diesem Aufklärungsgehilfen zuhause gefunden hatte, fand man dann auch zwei, drei Bilder der Angebotsseite, auf denen der Kostenhinweis fehlte. Statt dessen war in der Kosten-Hinweis-Box ein lateinischer Text zu lesen.

Bingo! Das genügte dem Staatsanwalt und er schrieb die Anklageschrift, auf dem Fundament dieser Behauptung des ausgeblendeten Kostenhinweises. Die rechtlichen Probleme traten vor den – behaupteten – Tatsachen zurück.

Auf einen naheliegenden Gedanken kam der Staatsanwalt indes nicht. Vorsichtig, ganz vorsichtig gerechnet, wurde diese Angebotsseite etwa 30.000.000 (30 Millionen) Mal aufgerufen. In der interessierten und stets gut informierten Gemeinde der Internetznutzer (und Lawblog-Leser ;-) ) kam kein weiterer Hinweis auf diesen lateinischen Text. Auch sonst gibt es keine Bilder der Seiten, in denen ein Kostenhinweis auf der Anmeldeseite fehlte.

Kein anderer – außer diesem gekrönten Zeugen – hatte Latein gelesen.

Doch, einen gab es noch: Das war der Grafiker, der die Seiten gesetzt hatte. Und das, obwohl der noch nicht einmal Latein in Schule gelernt hatte.

Aber vielleicht findet sich ja noch in den Archiven des Netzes eine dieser „Hamburger“ Seiten ohne einen Kostenhinweis neben dem Anmeldeformular. Die Adresse der Staatsanwaltschaft Hamburg steht im Telefonbuch …

… verrät der Aushilfsblogger.

Der Koch – zweiter Teil

Nach der Verkündung des Haftbefehls, der – wie gestern beschrieben – auf Antrag des intensiv ermittelnden Staatsanwalts ergangen ist, erfolgte die vorläufige Wegschließung der beiden Verhafteten.

Beide Beschuldigte machten das, was ihnen ihre Strafverteidiger empfohlen haben: Sie schwiegen.

Der Staatsanwalt machte das, was er in den Fortbildungen gelernt hatte: Er stand am Herd und wartete ab.

Und das zog sich eine ganze Weile so hin. Der Koch Staatsanwalt ärgerte sich zwar, daß ihm das eine oder andere Puzzle-Teil noch fehlte. Aber er war tiefenentspannt. Denn ein bewährtes Mittel der Strafverfolger gegen das Schweigen der Beschuldigten lautet: Man kocht die Beschuldigten solange, bis sie buttercreme-weich sind.

Über den Gargrad der beiden Untersuchungshäftlinge ließ sich der Staatsanwalt fortlaufend informieren: Er schickte seine Chefermittler in den Knast, damit sie – und nicht die Justizwachtmeister – die Gespräche der Häftlinge mit ihren Familienangehörigen überwachen.

Einer der Beschuldigten, einer von der festkochenden Sorte, winkte ab. Dann lieber keinen Besuch. Vor allem auch deswegen, weil die Ermittler nicht nur die Gespräche zwischen ihm und seinen Angehörigen überwachten, sondern auch noch kommentierten und lästige Fragen stellten. Eine richtig heimelige Atmosphäre konnte so natürlich nicht entstehen. Als kann man das auch lassen.

Der andere litt jedoch sehr unter den Haftbedingungen. Diese Art „Gesprächsüberwachung“ durch die zwei Beiköche wird neben den Haftbedingungen ihr Übriges getan haben. Im März war er über das „al dente“-Stadium weit hinaus. Das war vorhersehbar für die Ermittler.

Just zu dieser Zeit war die Verteidigung dieses weichgekochten Häftlings ein paar Tage nicht im Lande. Das wußte der Staatsanwalt. Und weil er gerade nichts zu tun hatte, trommelte er an einem fröhlichen Dienstagmorgen seine beiden Oberkriminalbeamten zusammen und man stattete dem butterweichen Häftling zu dritt einen Höflichkeitsbesuch in seiner Zelle ab.

Selbstverständlich ganz ohne böse Absicht. Man wollte ihm nur noch einmal Gelegenheit geben, sich zu erleichtern. Um ihm das ein wenig (Achtung: Wortspiel!) schmackhaft zu machen, servierten ihm die Drei von der Aufklärungsstelle ein mehrgängiges Menü.

Wenn er jetzt redet und die noch fehlenden Mosaiksteine liefert, wäre noch eine Bewährungstrafe drin. Dann könne man auch gleich über die Haftentlassung sprechen. Und überhaupt, es eilt. Sehr!

Aber wenn er lieber auf seine Verteidigung warten möchte, könnte man sich auch später unterhalten. Wenn der Staatsanwalt dann in drei, vier Wochen aus seinem Jahresurlaub zurück sein wird. Oder JETZT. Denn der Haftrichter habe am Freitag noch einen Termin frei.

An drei Tagen, beginnend am Dienstag, von morgens bis abends, teils mehr als 10 Stunden lang, wurde der Beschuldigte vernommen ausgequetscht. Viel Kraftanstrengung war nicht mehr erforderlich (vgl. rohe Kartoffel vs. Püree). Ohne Verteidigung, dafür mit Aussicht auf Haftentlassung am Freitag. Und auf die Bewährungsstrafe am Ende des Verfahrens. Versprochen!

Es waren nicht die Verteidiger derjenigen Angeklagten, die von dem Haftverschonten belastetet wurden. Die Vorsitzende Richterin brachte in der Hauptverhandlung als erste die Un-Verwertbarkeit dieser Aussage zur Sprache. Ganz vorsichtig – wie so Richterinnen nun mal sind – gab sie einen Hinweis auf eine Norm mit der Überschrift „Verbotene Vernehmungsmethode“. Ich habe es wenig später ein wesentlich deutlicher formuliert (ich bin ja auch keine Richterin).

Über ein prickelndes Detail dieser erpressten Aussage berichtet dann morgen …

… der Aushilfsblogger

Der Kocher des Staatsanwalts

Die Staatsanwaltschaft ermittelte schon einige Zeit, irgendwann im Herbst 2009 wurde die Akte angelegt. Es wurden die üblichen Maßnahmen durchgeführt, die allerdings an Intensität im Laufe der Zeit zunahmen.

Am Anfang waren es die üblichen Anhörungen und Zeugenvernehmungen. Dem folgten nach einigen Monaten dann Wohn- und Geschäftsraumdurchsuchungen. Irgendwann nutzte der Staatsanwalt die Informationen, die auf den Kontoauszügen und Rechnungen standen und pfändete in die Geschäfts- und Privatkonten.

Das gesamte Material, das sich dann irgendwann in der Ermittlungsbehörde stapelte, reichte irgendwie immer noch nicht so richtig. Zumal einige Gerichte und andere Staatsanwaltschaften die Ansicht vertraten – und teilweise auch öffentlich mitteilten -, das, was die Jungs da machen, sei gar nicht strafbar.

Den richtigen Knaller hatte der Staatsanwalt also noch nicht. Aber locker lassen? Das wollte er ja nun auch nicht. Also, was jetzt? Der Staatsanwalt warf den Kocher an.

Die weitere Entwicklung könnte man sich nun in etwa so vorstellen.

Im Januar 2011 faßte der Staatsanwalt das Ermittlungsergebnis zusammen und formulierte darunter ein paar Anträge. Und zwar so, daß ein geneigter Haftrichter nur mal eben noch ein bisschen querlesen und unterschreiben mußte.

Und damit diese Anträge auch ein wenig Gewicht bekamen, wird er ihnen die Ermittlungsergebnisse seit 2009 beigefügt haben. Also den einen oder anderen Karton mit Akten.

Das alles lag nun auf und unter dem Tisch dieses Richters, der nun prüfen sollte, ob er den Anträgen des Staatsanwalts stattgeben soll. Flucht- und Verdunklungsgefahr waren nicht so das Thema. Schwieriger war der dringende Tatverdacht, eine Voraussetzung für den Erlaß eines Haftbefehls, die mal gern übersehen wird.

Nun, diese Sache war sicherlich nicht die einzige, die der Richter an jenem Tag abzuarbeiten hatte. Es dürfte vielmehr eine zweistellige Anzahl weiterer Akten auf ihre Erledigung gewartet haben. Nicht nur Haftbefehle, sondern auch solche unterhaltsamen Sachen wie Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse, Pfändungen und Arreste – letztere dann auch noch mit zivilrechtlichen Touch. Ganz häßlich, solche Sachen. Für einen Strafjuristen.

Und dann kommt der Staatsanwalt mit 5.000 Blatt Akten und reichlich Beiakten … in Kartons.

Ich weiß nicht, wie ich mich an der Stelle des Richters entschieden hätte. Dieser Richter jedenfalls ging den Weg, der ihm sicherlich die wenigste Arbeit machte: Er unterschrieb die beiden vorformulierten Haftbefehle und hatte die Sache damit erst einmal vom und unterm Tisch weg.

Die Alternative wäre eine intensive Auseinandersetzung mit den Umzugskartons Akten gewesen. Um sich dann in einer Beschwerde des Staatsanwalts anhören zu müssen, was er alles übersehen hat. Das mußte er sich ja nun wirklich nicht antun. Außerdem: Auf diesen Staatsanwalt konnte er sich verlassen, der macht seit Jahren saubere Arbeit.

Also: Unterschrift, Stempel und ab.

Der Rest war dann Routine. Die Haftbefehle wurden vollstreckt, die beiden Beschuldigten gepflückt und eingetütet.

Was danach (mit dem Kocher) geschah, darüber berichtet morgen …

… der Aushilfsblogger.

Verletzt, aber nicht befangen

Es ist traurig, daß die Unternehmen, die für die Ausübung der 4. Gewalt – der Pressefreiheit – zuständig sind, es nicht auf die Reihe bekommen, Journalisten zu beschäftigen (zu finanzieren), die auch etwas von dem verstehen, was sie dem Volk vermitteln sollen. So ein Satz, wie dieser hier:

Den Antrag eines Verteidigers, der die Unterbrechung des Verfahrens wegen Befangenheit bei der Kammer forderte, lehnte das Gericht ab.

zeigt, wie eine qualitativ hochwertige Berichterstattung nicht aussehen sollte.

Ich hatte die Unterbrechung des Verfahrens beantragt, um die Fahrkarten der Passagiere des Richterkarussells kontrollieren zu können. Diesem Antrag wurde entsprochen, ich hatte mit dem Gericht eine Einigung über das „Wie“ und „Wann“ der Fahrkartenkontrolle gefunden.

Die Besorgnis der Befangenheit der fünf Richter hatte mein Mandant zu diesem Zeitpunkt (noch) nicht. Weil ihm ein paar Details nicht bekannt waren. Nach diesen Details hatte ich die Richter gefragt. In Form eines Antrags auf Auskunft.

Den Angeklagten in diesem Verfahren vor dem Landgericht Hamburg wird vorgeworfen, sie hätten massenhaft Internet-Nutzer in so genannte „Vertragsfallen“ gelockt und ihnen Rechnungen, später Mahnungen geschickt. Die Medien berichten von 70.000 Fällen. Die Staatsanwaltschaft hat diese Zahl anhand der sichergestellten Datenbanken ermittelt und den Medien stolz präsentiert. (Was noch nicht bedeutet, daß die Zahl auch wirklich stimmen muß. Dazu später noch ein paar Worte.)

Es ist bekannt, daß die Angeklagten nicht die einzigen sind, die solche Post verschickt haben. Über die Republik und das Internet verteilt sind weitere Rechnungsversender unterwegs gewesen. Nicht bekannt ist die Anzahl der versandten Rechnungen insgesamt. Man könnte es schätzen, aber auch nur grob. Das überlasse ich gern anderen.

Ich bin der Ansicht, vor diesem Hintergrund ist es nicht abwegig zu beantragen, die Richter mögen mitteilen,

ob sie/er oder eine ihrer/seiner in § 52 Abs. 1 StPO bezeichneten Angehörigen, eine Zahlungsaufforderung, Mahnung oder ähnliches erhalten hat,

und zwar entweder von einem der Betreiber der „angeklagten“ Angebote. Oder von einem der zahlreichen „Mitbewerber“ in diesem Marktsegment.

Natürlich findet der Staatsanwalt sofort den wunden Punkt meines Auskunftsantrags: Ein Angeklagter hat auf so eine Auskunft keinen Anspruch. Da hat er Recht.

Aber: Mit diesem – unzulässigen, aber nicht verbotenen – Antrag habe ich den Stachel ins Fleisch gesetzt. Denn er gibt insbesondere den beiden Schöffen Anlaß, genau darüber nachzudenken. Von den Berufsrichtern erwartet ich das auch ohne einen solchen Anschubser.

Erinnert sich nun ein Schöffe daran, solche Post erhalten zu haben, ist er verpflichtet, das unaufgefordert mitzuteilen. So jedenfalls der Gedanke, der hinter § 22 StPO steht. Darüber wird die Vorsitzende Richterin die beiden Laienrichter belehrt haben.

Mein Schuß ins Blaue hat ins Schwarze getroffen: In der näheren Verwandtschaft eines der beiden Schöffen hat es einen „Rechnungsempfänger“ gegeben.

Der Umstand, daß die Medien bisher noch nichts von einem Platzen des Prozesses berichtet haben, gibt Auskunft über die Entscheidung des Gerichts:

Eine Befangenheit sei nur dann zu besorgen, wenn der Angeklagte bei verständiger Würdigung davon ausgehen könne, daß dies ausnahmsweise einen besonders schwerwiegenden Eindruck hinterlassen habe. Dies könne bei gewichtigen Straftaten gegen Individualrechtsgüter oder bei Vermögensdelikten, die geeignet sind, eine Existenzgefährdung oder einen Vermögensverlust großen Ausmaßes nach sich zu ziehen, möglicherweise der Fall sein. Ein etwaiger Betrugsversuch, der sich auf einen Vermögensvorteil im unteren dreistelligen Bereich beziehe, vermöge jedoch nicht die Unparteilichkeit oder Unvoreingenommenheit eines Richters oder Schöffen zu beeinträchtigen.

Nun ja. Es gibt in der praktisch angewandten Rechtswissenschaft kein „Richtig“ oder „Falsch“. Sondern nur „Vertretbar“ oder „Unvertretbar“. Nur im Ausnahmefall kommt eine weitere Variante ins Spiel, die heißt: „Abwegig“.

Wie diese Sache einst abschließend beurteilt wird, darauf wartet gespannt …

… der Aushilfsblogger.

Ausgeschlafener Staatsanwalt

Vor dem Gerichtssaal stapelten sich die Medien-Vertreter mit ihrem schweren Gerät. Die Presse wollte über einen Prozeßauftakt berichten, der weit über die Grenzen der Hansestadt hinaus erwartet wurde. Es kam jedoch anders als geplant.

Ein 33 Jahre alter Angeklagter erschien nicht vor Gericht, deshalb musste die Verhandlung gleich zu Beginn auf Mittwoch verschoben werden. Ihn habe die Ladung nicht erreicht, weil er gerade auf Norderney arbeite und seine Post dorthin nicht weitergeleitet werde, ließ der Angeklagte über seinen Anwalt erklären. „Er ist aus allen Wolken gefallen“, fügte sein Verteidiger hinzu. Nun hoffen alle Beteiligten, dass der Angeklagte beim nächsten Termin erscheint.

So lautete ein Bericht zum Prozeß-Auftakt. Ich kann die Enttäuschung verstehen, wenn die Medienvertreter die Show nicht geliefert bekommen, die sie erwartet haben.

Enttäuschend ist aber auch die mangelhafte Berichterstattung. Es ist keineswegs so, daß der Angeklagte hier irgendwas verschlafen hätte. Im Gegenteil: Vor einiger Zeit schon hatte er den Ermittlungsbehörden mitgeteilt, wo er ab Oktober zu erreichen sei. Er hatte nämlich einen neuen Job auf der Insel bekommen; auch das war den Ermittlern bekannt. Aber eben auch nur den Ermittlern. Und nicht dem Gericht, das die Ladung zum Termin verschickt hatte. Das wurde von den Ermittlern nicht informiert.

Was passiert, wenn ein Angeklagter einer Ladung des Gerichts nicht folgt? Es setzt ein Reflex ein. Der 230er-Reflex: Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft beantragt den Erlaß eines Haftbefehls und bezieht sich auf § 230 Abs. 2 StPO. Wenn er gute Laune hat, beantragt der Staatsanwalt auch nur die Vorführung. Hat er in der Nacht vorher schlecht geschlafen, träumt er jetzt von einem flüchtigen Angeklagten und ihm erscheint § 112 Abs. 2 Nr. 1 u. 2 StPO vor seinem inneren Auge.

In allen Fällen muß der – ausgebliebene – Anklagte mit behördlichem Besuch und anschließender Begleitung in eine schmucklose Unterkunft rechnen. Warum er ausgeblieben ist, wird dann im Anschluß und in Ruhe noch genauer geprüft. Das muß ja nicht in der Hektik des geplatzten Termins geschehen.

Hier hatte der Angeklagte aber Glück. Mit dem Staatsanwalt. Der war nämlich gut gelaunt und ausgeschlafen. Er erinnerte sich daran, daß der Angeklagte von seinem beruflich bedingten Ortswechsel berichtet hatte. Und statt den 230er-Antrag zu stellen, teilte er dies dann – gerade noch rechtzeitig – auch dem Gericht mit. Und entschuldigte sich für den unterbrochenen Informationsfluß.

Der Angeklagte wurde nun erneut geladen und erschien selbstverständlich zum nächsten Termin – ohne behördliche Begleitung. Allerdings war ihm nun die Ladung erst zwei Tage vor dem Termin zugestellt worden. Damit war die Ladungsfrist des § 217 StPO nicht eingehalten.

Der Prozeß startete aber trotzdem. Weil der Angeklagte auf die Einhaltung der Ladungsfrist verzichtete. Darüber liest man in den Medien allerdings nichts. Deswegen schreibt das jetzt hier …

… der Aushilfsblogger

Richterkarussell

Es steht nicht im beliebigen Ermessen der Staatsgewalt, sich einen Richter passend zum jeweiligen Strafprozeß auszusuchen. Die Regeln, welcher Richter wann und wofür zuständig ist, sind zwar kleinteilig gestaltet, aber gleichwohl recht knackig. Urteilt ein „falscher“ Richter, wird das Urteil problemlos aufgehoben. Die Prüfung der Besetzung eines Gerichts gehört daher zu den wesentlichen Standardaufgaben eines Strafverteidigers.

Anfang August bin ich nach Hamburg gefahren, um mich dort bei den Richtern der 8. Großen Strafkammer (Wirtschaftsstrafkammer) des Landgerichts persönlich vorzustellen. Es war absehbar, daß wir etwas länger zusammen arbeiten werden. Bereits vorher hatte ich mehrfach mit dem Gericht telefoniert, um den Verfahrensgang abzusprechen. Die Richter waren insbesondere daran interessiert, mit mir über den Inhalt der Anklageschrift zu sprechen.

Der Vorsitzende Richter Dr. T. und B., der Berichterstatter der Kammer, empfingen mich freundlich. Wir haben uns ausführlich über den angeklagten Sachverhalt und die rechtlichen Probleme ausgetauscht und einen vorläufigen Terminplan abgesprochen.

Ich hatte eine Verteidigungsschrift angekündigt. Das erleichterte dem Gericht die Planung. Ein paar der Informationen aus dem Gespräch konnte ich in meiner Arbeit berücksichtigen bzw. verarbeiten. Im September lag die Verteidigungsschrift im eMail-Postfach des Berichterstatters.

Im Oktober wurde mir die Besetzung des Gerichts mitgeteilt. Die Richter Dr. T. und B. waren jedoch nicht auf dem Spielplan. Drei andere Richter sollten nun über meinen Mandanten urteilen. Das wollte ich mir dann einmal genauer anschauen.

Ich hatte nicht den Eindruck, daß das Gericht besonders routiniert auf meinem Antrag auf Einsicht in die Besetzungsunterlagen reagierte. Erst im zweiten Anlauf hatte ich mit diesem Antrag Erfolg. Es nützt niemandem, wenn sich durch so etwas der Spielbeginn um eine Woche verzögert. Ärgerlich, daß genau das dann passierte.

Was sich mir bei der genaueren Ansicht des Geschäfts(verteilungs)plans, der Präsidiumsbeschlüsse und Aktenvermerke dann darbot, erinnerte mich an ein Kirmeskarussell.

Ich fand eine Basis mit drei Richtern, zwei davon hatte ich kennen gelernt; dies war der Stand des Geschäftsplans vom 1. Juni.

Am 1. September rückte ein vierter Richter, noch auf Probe, in die Kammer nach. Mit einer Eilverfügung vom 9. September wurde die stellvertretende Vorsitzende dieser Kammer von der „Richterin am Amtsgericht“ zur „Richterin am Landgericht“ ernannt.

Am 28. September wurde der bisherige Berichterstatter B. zum Oberlandesgericht befördert. Die Kammer war wieder zu dritt. Das waren aber immer noch nicht die Richter, die in der Besetzungsmitteilung genannt waren.

Der Vorsitzende Richter Dr. T. war nicht mit von der Party Partie. Aus der Akte ging hervor, daß er kurzfristig Urlaub beantragt und erhalten hatte. Die stellvertetende Vorsitzende und der Richter auf Probe rückten auf. Auf den dann freigewordenen Platz zog dann eine Richterin nach, aus der Vertretung der Vertretungskammer.

Die eigentliche Vertretung war wegen Terminsüberschneidungen verhindert. Die Vertreterkammer hatte ihre Sitzungstermine teilweise an den Tagen, an denen die Kammer verhandelte, die sie vertreten sollte.

Kann man mir bis hierher noch folgen? Nein? Das kann ich verstehen! Ich habe auch ein paar Tage gebraucht, bis ich das nachvollziehen konnte. Aber es geht noch weiter.

Den Eröffnungsbeschluß, mit dem die Anklage zugelassen wurde, trägt die Unterschrift eines weiteren, bisher noch nicht „aufgetauchten“ Richters. Gar nicht so einfach, dessen Zuständigkeit aus dem Wust von drei Großen Strafkammern zu filtern, deren Besetzung ihrerseits ständig wechselte.

Vom Eingang der Anklage bis zum Beginn der Hauptverhandlung waren also insgesamt sechs Richter aktiv an dem Verfahren beteiligt; eine weitere Richterin spielte (intern) noch eine Rolle bei der Frage, wer den Eröffnungsbeschluß unterzeichnen sollte.

Es sei aber alles in Ordnung, hat dann das Gericht auf meine Besetzungsrüge beschlossen. Nachdem das Karussell zum Stillstand gekommen war. Das mag sein.

Ich frage mich nur, welchen Wert die vorbereitenden Gespräche zwischen Gericht und Verteidigung noch haben. Für den Besuch einer Kirmes wäre ich nicht von Berlin nach Hamburg gefahren. Vertrauensbildung geht anders …

… meint der Aushilfsblogger

SPD: Kostenklausel in der Weihnachtspost

Die Art und Weise löst bei Verbraucherschützern Bedenken aus – doch mit genau der Methode vieler Versicherungsgesellschaften erhöht derzeit die SPD in Nordrhein-Westfalen den Beitrag für ihre Mitglieder.

Genossen bekommen in diesen Tagen einen Brief, unterschrieben von Hannelore Kraft, der Landesvorsitzenden und Schatzmeister Norbert Römer: „Für dein Engagement in unserer Partei möchten wir dir ganz herzlich danken“, heißt es anfangs. Doch wer nach dieser üblichen Einleitung den Brief weglegt, versäumt unwissend die viel später folgende, weit interessantere Klausel: „Wenn wir von dir bis zum 31.12.2011 keine Rückmeldung erhalten, werden wir deine monatliche Zahlungen um einen Euro pro Monat erhöhen.”

Sozialdemokratin Anita Schöneberg aus Ennepetal ist verärgert. “Einfach die Erhöhung aufzwingen, das geht nicht!“ Sie ist eine von bislang 2.500 SPD-Mitgliedern, die gegen die Weihnachpost mit finanzieller Bedeutung protestiert haben. Das verlangt die Partei sogar von denen, die nicht einverstanden sind: „Sollte ich dem Erhöhungsvorschlag nicht ausdrücklich widersprechen, gilt die Beitragsanpassung zum 01.01.2012“, wird den Mitgliedern in einem vorgefertigten Antwortschreiben diktiert.

Schon im Versicherungsrecht sei eine derartige Klausel „extrem schwammig“, weiß Lars Gatsche von der Verbraucherzentrale Bundesverband. Im Zivilrecht, das auch zwischen einer politischen Partei und ihrer Basis gilt, sei sie sogar „sehr umstritten“.

Von den 132.000 Mitgliedern in NRW bittet die SPD etwa 80.000 auf diesem Weg zur Kasse, weil sie bei ihnen „Unterzahlung“ vermutet. „Wir haben uns das lange überlegt“, rechtfertigt Landesschatzmeister Norbert Röhmer die Aktion. „Ich glaube, es ist gerechtfertigt zu sagen, wir bitten euch, damit einverstanden zu sein! Wenn ihr damit nicht einverstanden seid, dann teilt uns das bitte mit“. Juristen sehen das wohl anders. (pbd)

Aushilfsblogger

Meine Frau ermahnte mich, die Schuhe abzuputzen, wenn ich anderer Leuts Wohnzimmer betrete.

Da ich die Aufforderungen, die aus dieser Richtung kommen, immer befolge, sollen meine Beiträge, die ich bis zum Jahresende für das law blog schreiben werde, gepflegter ausfallen, als die Artikel, die ich in unserem eigenen Blog veröffentliche. Wer also mehr auf Gepolter steht, darf sich gern in unserer kleinen Kreuzberger Boutique umsehen. In den hiesigen heiligen Hallen werde ich mich an das gewohnt hohe Niveau anzupassen versuchen.

Ich werde ein paar Details aus einem Großverfahren in Hamburg berichten, in dem ich derzeit als Verteidiger engagiert bin. Es gibt dann noch einige Begebenheiten aus dem Moabiter Kriminalgericht (und der Etage darunter), die mir für das law blog geeignet erscheinen. Und wenn dann noch Platz auf dem Server ist, wird sich sicher noch der eine oder andere Richter, Staatsanwalt oder Polizeibeamte bei mir melden, der auch ‚mal erwähnt werden will.

An dieser Stelle bereits möchte ich mich bei Udo Vetter bedanken für das mir entgegen gebrachte Vertrauen und die Ehre, als Urlaubsvertreter im law blog schreiben zu dürfen. Ich hoffe, ein klein wenig dazu beitragen zu können, daß er gut erholt aus seinen verdienten Ferien zurückkommen kann.

— Es grüßt der Aushilfsblogger

Bitte bleiben Sie am Apparat

Ich verabschiede mich mit dieser Botschaft in den Urlaub. Mit einer Sendepause des law blog ist das allerdings nicht verbunden. Auch diesmal kommt ein Urlaubsvertreter an Bord.

Es ist der Berliner Kollege Carsten R. Hoenig, selbst Strafverteidiger und Blogger. Das wird sicher informativ und unterhaltsam. Ich freue mich jedenfalls sehr, dass Carsten zugesagt hat, dem Publikum auf dieser Seite die Zeit zu vertreiben.

Falls ich mich nicht von unterwegs aus mal melde, bin ich ab dem 2. Januar 2012 wieder selbst auf Sendung. Bevor ich nun an Carsten übergebe, wünsche ich schon mal eine möglichst ruhige Vorweihnachtszeit und frohe Festtage.

Nötigung via Schufa

Der Streit schwelt bereits knapp zwei Jahre. Es geht um Datenverbindungen, die mein Mandant mit seinem Handy aufgerufen haben soll. Er sagt, damit hat er nichts zu tun. Dafür sprechen auch einige Merkwürdigkeiten. Die haben wir der Mobilfunkfirma auch erläutert – und die Zahlung von einigen hundert Euro abgelehnt.

Wie üblich, gab es kein Feedback in der Sache. Außer Textbausteinen nichts gewesen. Das Inkassobüro hat außerdem einige Male “letzte Fristen” gesetzt und Klagen angedroht. Geschehen ist nichts.

Da man wohl selbst nicht recht an die eigenen Forderungen glaubt und den Gang zum Gericht scheut, versuchte man es lieber hinten rum. Mein Mandant kriegte jedenfalls vor kurzem einen Anruf von seiner Bank. Es gebe da ein Problem bei der Verlängerung eines Kredits. Das Problem war ein Schufa-Eintrag, veranlasst von der Mobilfunkfirma.

Mein Mandant informierte sich natürlich erst mal online. Und stellte fest, dass Unternehmen nur unbestrittene Forderungen an die Schufa melden dürfen. Oder solche, über die ein Gericht rechtskräftig geurteilt hat. Mein Mandant schrieb einen entsprechenden Brief ans Inkassobüro und die Mobilfunkfirma. Keine Reaktion. Die Schufa reagierte immerhin auf eine Kopie des Schreibens. Sie vermerkte den Widerspruch gegen die Eintragung.

Nach einige Wochen beauftragte mich mein Mandant Druck zu machen. Inhaltlich konnte ich seinen Ausführungen eigentlich nichts hinzufügen. So wiederholte ich, wie die Sach- und Rechtslage zu bewerten ist. Und verlangte, dass der Eintrag gelöscht wird. Natürlich garniert mit unzweideutiger Ankündigung einer Klage, von Schadensersatz- und Kostenerstattungsansprüchen.

Exakt zum Ablauf der gesetzten Frist wurde der Eintrag jetzt gelöscht. Das zeigt wieder mal, wie manche Firmen das Instrument Schufa mittlerweile handhaben. Als Nötigungsmittel. Da passt ins Bild, dass der Protest des Kunden selbst erst mal geschmeidig ignoriert wird. Erst wenn es ernst wird und sich Anwälte melden, wird die Notbremse gezogen.

Um die Anwaltskosten kommt der Laden allerdings nicht herum. Selbst wenn mein Mandant die vielleicht nicht einklagen will, weil er den Aufwand scheut, gibt es noch eine andere Möglichkeit. Wir rechnen hilfsweise mit den angeblichen Datenkosten auf.

Bargeld – der Staat will’s wissen

Wir träumen zwar von Taschen voller Geld, dabei kann schon ein mehr oder minder mickeriges Bündel Bares Anlass für Ärger sein. Geht der Bürger nämlich auf Reisen, sieht der Staat in ihm nicht nur einen Touristen oder Geschäftsmann – sondern auch einen potentiellen Straftäter. Führt die Reise über die Landesgrenze, gilt für Bargeld und vergleichbare Zahlungsmittel eine Meldepflicht. Und zwar ab 10.000 Euro. Die Nichtbeachtung kann teuer werden, wie jetzt einer meiner Mandanten feststellen darf.

Der Zöllner am Frankfurter Flughafen durchsuchte die Taschen meines Mandanten, der von außerhalb der EU eingeflogen war. Dabei kamen knapp 20.000 Euro Bargeld zu Tage. An sich wäre der Mandant verpflichtet gewesen, das Bargeld schriftlich auf einem speziellen Formular zu deklarieren, bevor er an den Zollschalter tritt. Dafür gibt es am Frankfurter Flughafen und anderen Airports ein spezielles Büro.

Wenn man mehr als 10.000 Euro Bargeld oder vergleichbare Zahlungsmittel aus einem anderen EU-Land mitbringt, reicht es übrigens aus, einen “roten Ausgang” zu nehmen und den Zollbeamten mündlich über das Geld zu informieren.

Immerhin ergab sich gegen meinen Mandanten nicht der Verdacht, dass sein Geld einen kriminellen Hintergrund hat. Ansonsten kann der Zoll die Summe nämlich gleich mal für ein paar Tage einbehalten, damit weitere Ermittlungen möglich sind.

Die Erleichterung schlug für meinen Mandanten aber doch noch in gelindes Entsetzen um. Er hat nämlich mittlerweile Post vom Hauptzollamt Darmstadt bekommen. Die Behörde hat gegen ihn ein Verfahren eingeleitet und kündigt an, ein Bußgeld zu verhängen.

Auch wenn mein Mandant wohl nur fahrlässig gehandelt habe, denke man an 2.500 Euro Bußgeld. Offenbar ist das Amt sogar der Meinung, die Summe sei besonders sozial. Denn der Sachbearbeiter betont, Zuwiderhandlungen könnten immerhin mit einer Strafe bis zu einer Million Euro geahndet werden.

Mal sehen, ob wir auf einen Richter treffen, der zwischen möglichem Vergehen (auch da haben wir noch was in petto) und Sühne die Schere nicht ganz so weit klaffen lässt. Einen kleinen Lichtblick gibt es schon mal: Die Rechtsschutzversicherung übernimmt den Fall.