Lehrer liebt ungestraft 14-jährige Schülerin

Für Schlagzeilen sorgt heute der Fall eines 32-jährigen Lehrers, der mit einer 14 Jahre alten Schülerin eine sexuelle Beziehung hatte. Trotzdem sprach ihn das Oberlandesgericht Koblenz jetzt frei.

Die Begründung des Gerichts beruht im wesentlichen darauf, dass der sexuelle Missbrauch von Kindern nur bis zu einem Alter von 14 Jahren möglich ist. Einvernehmlicher Sex mit über 14-Jährigen ist nur dann strafbar, wenn ein Obhutsverhältnis besteht oder finanzielle Zuwendungen erfolgen.

Das Oberlandesgericht konnte nicht erkennen, dass es sich bei dem Mädchen um eine “Schutzbefohlene” des Pädagogen handelte. Dieser war in ihrer Klasse nämlich nur als Vertretungslehrer tätig gewesen.

Ich habe vor einiger Zeit zusammengefasst, wie das Strafrecht sexuelle Kontakte mit Jugendlichen behandelt. Hier noch mal die Übersicht:

Personen bis 14 Jahre

Sexualkontakte mit Personen bis 14 Jahren sind stets strafbar. Dies gilt auch dann, wenn das Opfer mit dem Kontakt einverstanden war oder ihn vielleicht sogar gesucht hat. Das Gesetz will die Entwicklung sexueller Selbstbestimmungsfähigkeit schützen, indem es Sex bis zum Alter von 14 Jahren stets unter Strafe stellt.

Auch 14-jährige oder ältere Jugendliche, die zum Beispiel etwas mit  Zwölf- oder 13-Jährigen anfangen, machen sich strafbar. Sind die Partner dagegen beide unter 14 Jahren alt, können beide nicht belangt werden – sie sind bis zu ihrem 14. Geburtstag strafunmündig. Das bedeutet, dass sie grundsätzlich strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden können.

Personen bis 16 Jahre

Menschen ab 14 Jahren sind Sexualkontakte gestattet.

Allerdings gibt es Ausnahmen. Etwa, wenn der Partner über 21 Jahre alt ist. Wer sich ab diesem Alter mit 14- bis 16-Jährigen einlässt, kann sich strafbar machen. Allerdings ist dies nur der Fall, wenn der Betreffende “die fehlende Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung ausnutzt”. An diese Ausnutzung stellen Gerichte übrigens keine hohen Anforderungen. Es reicht nach meiner Erfahrung schon aus, wenn der über 21-jährige Beschuldigte mit seinem tollen Auto geprotzt hat oder übertrieben seinen Charme spielen ließ.  

Das Gesetz versucht die bis zu 16-Jährigen auch dadurch zu schützen, indem es die “Schaffung von Gelegenheiten” unter Strafe stellt. Wer also zum Beispiel einem 15-Jährigen seine Wohnung für Sexualkontakte mit Dritten (das kann auch die gleichaltrige Freundin sein) zur Verfügung stellt, macht sich strafbar. Ein anderer Fall wäre die Party, bei welcher der Gastgeber es duldet, dass sich unter 16-Jährige in ein Schlafzimmer im Obergeschoss zurückziehen.

Nur Sorgeberechtigte dürfen “Gelegenheiten” verschaffen. Wenn also Eltern ihrer 15-jährigen Tochter erlauben, dass ihr Freund in der Wohnung übernachtet, ist das nicht strafbar. Ausnahme: Die Eltern verletzen dadurch “gröblich” ihre Erziehungspflicht.

Personen ab 16 Jahre

Mit Jugendlichen ab 16 Jahren sind einvernehmliche Sexualkontakte gestattet, auch wenn der Partner über 21 Jahre alt ist. Über 16-Jährige hält das Strafgesetzbuch grundsätzlich für in der Lage, ihr sexuelles Selbstbestimmungsrecht ohne Einschränkung wahrzunehmen.

Sexuelle Kontakte gegen Entgelt bzw. in einem besonderen Näheverhältnis

“Einvernehmlich” sind Sexualkontakte allerdings dann nicht mehr, wenn Volljährige für Sex mit 14- bis 18-Jährigen zahlen. Hierbei muss nicht unbedingt Bargeld fließen. Es reicht aus, irgendwelche geldwerten Vorteile für Sex in Aussicht zu stellen – das kann auch eine Kinokarte sein.

Besondere Regelungen gelten auch für Ausbilder, Pfleger und Heimpersonal. Sie dürfen keinesfalls Sexualkontakte mit unter 16-Jährigen aufnehmen, die ihnen beruflich “anvertraut” sind. Bei 16-18-Jährigen sind solche Kontakte untersagt, wenn der Betreffende das bestehende Abhängigkeitsverhältnis ausnutzt.

Duz-Verbot für Verteidiger

Der Berliner Rechtsanwalt Carsten Hoenig verteidigt einen befreundeten Rechtsanwalt. In der Hauptverhandlung begab sich folgendes:

Die Richterin begann in eisigem Ton, die Personalien abzufragen. Ich hatte dann noch ergänzende Fragen an den Mandanten zur Person – es gab ein paar Probleme mit der wirksamen Zustellung des Strafbefehls und der Ladung zum Hauptverhandlungstermin.

“Seit wann wohnst Du dort und seit wann bist Du dort behördlich angemeldet?”

Bevor der Mandant antworten konnte, richtete sich die Richterin an mich:

“Herr Verteidiger. Können Sie bitte den Angeklagten Siezen, wie es sich hier bei Gericht gehört?!”

Hoenig räumt ein, er sei zunächst sprachlos gewesen. Ich glaube, das wäre mir auch passiert, so absonderlich ist die Auffassung der Richterin zu dem, was sich vor Gericht gehört.

Dem Verteidiger vorschreiben zu wollen, in welcher Höflichkeitsform er mit seinem Mandanten kommuniziert, geht deutlich über die gängigen Empfindlichkeiten hinaus. Ein Evergreen ist zum Beispiel das Verlangen, dass kein Prozessbeteiligter eine Kopfbedeckung trägt. Obwohl es mittlerweile glücklicherweise genug Richter gibt, die über so was stehen. (Vielleicht sind sie auch nur vor dem Umstand resigniert, dass in gewissen Zeugenkreisen die Kappe heutzutage angewachsen ist.)

Für das von der Berliner Richterin reklamierte Duz-Verbot zwischen Verteidiger und Mandant gibt es – natürlich – keine gesetzliche Grundlage. Und ebenso wenig einen verbindlichen Brauch, auf den man sich berufen könnte. 

Das Ansinnen ist deshalb schon ein ziemlicher Affront. Aber auf diesen hat der Kollege dann ja doch noch richtig reagiert, indem er die Unterbrechung der Hauptverhandlung beantragte, sicherlich, um einen Befangenheitsantrag zu stellen.

Majestätsbeleidigung in Schland

Das Social Web kostet die Affäre um den Bundespräsidenten weidlich aus: Wulff-Witze, Wulff-Karikaturen und vor allem Fotomontagen schwappen seit Wochen durch Facebook, Google+, Twitter, Blogs und die Leserkommentare der Nachrichtenportale. Nicht alles ist gelungen, vieles liegt deutlich unter der Gürtellinie oder ist zumindest von der Wortwahl schwer zu verdauen. Nur wenige scheinen zu wissen, dass Wulff dank seines Amtes exklusiv ein schneidiges Schwert in der Hand hat, um seinen Ruf auf juristischem Wege zu verteidigen: den Straftatbestand “Verunglimpfung des Bundespräsidenten”.

Für das ZDF-Blog “Hyperland” habe ich aufgeschrieben, was es damit auf sich auf sich hat.

Ungefragt ins mobile Internet

Vor kurzem haben wir an einen Mobilfunkanbieter geschrieben. Grund war ein ziemlich krasser Fall von Falschberatung. Das las sich so:

Für unseren Mandanten widersprechen wir der Berechnung von jeweils 243,70 € netto in den Rechnungen vom 7. November 2011 für beide oben genannte Rufnummern. Die jeweils genannten Kosten für „Internet/E-Mail“ können Sie unserem Mandanten nicht berechnen.

Unser Mandant hatte die Verträge am 11. Oktober 2011 gekündigt. Am 14. Oktober 2011 fragte Ihr Unternehmen telefonisch, ob die Verträge nicht in einen günstigeren Tarif umgestellt werden könnten. Telefonisch wurde unser Mandant dann entsprechend beraten; er folgte der Tarifempfehlung.

Bei dieser Beratung gab es keinerlei Hinweis darauf, dass der empfohlene Tarif keine Freiposten für die Internetnutzung enthält. Ihren Mitarbeitern hätte leicht auffallen können, dass die Handys unseres Mandanten internetfähig sind und auch eigenständig Daten abrufen. Von daher verbot es sich von vornherein, unserem Mandanten einen derartigen Tarif zu geben. Unser Mandant wurde auch mit keinem Wort darüber aufgeklärt, dass die Internetnutzung nicht im Preis enthalten ist.

An sich wäre dies nicht problematisch gewesen, da unser Mandant und seine Ehefrau selbst mit dem Handy nicht online gehen. Allerdings haben Sie unserem Mandanten damals subventionierte Geräte verkauft, welche automatisch und ungefragt Software aktualisieren. Laut Einzelverbindungsnachweis sind die nunmehrigen Internetkosten von jeweils 243,70 € netto ausschließlich zur Aktualisierung des „Navigators“ entstanden. Beim Navigator handelt es sich nach unserer Kenntnis um eine von Ihrem Unternehmen aufgespielte Navigationssoftware.

Unser Mandant ist also falsch beraten worden. Für diesen Fall ist mittlerweile gerichtlich geklärt, dass der Kostenforderung ein aufrechenbarer Anspruch gegenüber steht. Wir verweisen insoweit auf das Urteil des Landgerichts Münster vom 18. Januar 2011 (6 S 93/10).

Aus vorgenannten Gründen bitten wir Sie, die Forderungen auszubuchen. Bitte bestätigen Sie dies. Vorsorglich weisen wir darauf hin, dass unsere Mandanten die Internetgebühren auf keinen Fall bezahlen werden. Es bringt also nichts, weitere Abbuchungen zu versuchen oder die Sache an ein Inkassobüro abzugeben.

Vielmehr wäre dann eine gerichtliche Klärung erforderlich.

Heute kam die Antwort. Das Unternehmen bedauert die Sache und schreibt dem Kundenkonto 650,00 Euro gut. Mittlerweile sind auch die Verträge in einen akzeptablen Tarif umgestellt, bei dem ein paar hundert MB Internetnutzung inklusive sind.

Der redselige Strafverteidiger

ARD-Terrorismusexperte Holger Schmidt berichtet hier mit nicht zu überlesender Hochachtung von einem Rechtsanwalt, der ungefragt mit heiklen Informationen über Beate Zschäpe aufwartet. Der Strafverteidiger will die Terrorverdächtige womöglich letztes Jahr in einem Gerichtssaal gesehen und mit ihr gesprochen haben. Sie soll ihm nach einer Visitenkarte gefragt und dabei gesagt haben, sie brauche einen Anwalt.

Meine Hochachtung für den auskunftsfreudigen Kollegen hält sich in Grenzen. Nach Schmidts Schilderung sprach die Frau, die Zschäpe gewesen sein soll, den Strafverteidiger in seiner Eigenschaft als Anwalt an. Auch wenn sie sich später nicht mehr bei ihm gemeldet hat und es somit nicht zu einem Mandat gekommen ist, unterliegt dieser Vorgang bereits der anwaltlichen Schweigepflicht. Auch Anbahnungsgespräche, und seien sie noch so unverbindlich, sind bereits ein heikler Vorgang, über den ein Anwalt nur mit Einverständnis seines Mandanten Auskunft geben darf.

Unabhängig vom Berufsrecht stellt sich auch die Frage, ob sich der Verteidiger durch seine Auskünfte sogar strafbar macht. § 203 Strafgesetzbuch untersagt es Privatgeheimnisse auszuplaudern, die einem “als Rechtsanwalt … sonst bekannt geworden sind”. Das Strafgesetz knüpft nur daran an, dass der Anwalt was in seiner beruflichen Eigenschaft erfahren hat; ein Mandat ist gar nicht erforderlich.

Zschäpes mögliche Anwesenheit in einem Gerichtssaal ist ein Privatgeheimnis. Denn dazu gehören personenbezogene Informationen jeder Art, sofern der Betroffene ein Interesse an ihrer Geheimhaltung hat. Da Beate Zschäpe derzeit selbst nichts sagt, wird sie kaum wollen, dass der Rechtsanwalt den Ermittlern brisante Interna aus ihrem Leben ausplaudert.

Der Anwalt sagt laut Schmidt, er wolle sich nicht profilieren, sondern wenn, dann nur helfen. Das klingt ziemlich selbstvergessen.

Gut möglich, dass er selbst bald Hilfe braucht.

Die fürsorgliche Richterin

Bußgeldsachen sind Massenware. Ich kann es gut verstehen, dass mancher Richter vor den Aktenbergen kapituliert und in eine Abwehrmentalität verfällt. Ziel: eine Hauptverhandlung möglichst vermeiden.

Um gerade Verkehrssünder zu einer Einspruchsrücknahme zu bewegen, erteilen diese genervten Richter im Vorfeld gerne Hinweise. Zum Beispiel, dass die Radarfalle dem Gericht hinreichend bekannt ist und diverse Sachverständige in letzter Zeit bestätigt haben, die Anlage sei technisch in Ordnung.

Eine für mich neue Prozessvermeidungsstrategie wendet eine Bußgeldrichterin am Amtsgericht Euskirchen an. Sie schreibt mir, nachdem ich gegen den Bußgeldbescheid wegen einer Temposünde Einspruch eingelegt habe:

… beabsichtigt das Gericht bei der Frage der Ordnungsgemäßheit der durchgeführten Messung ein Sachverständigengutachten einzuholen. Da hierdurch erhebliche Kosten verursacht werden, die im Fall einer Verurteilung von dem Betroffenen zu tragen sind, wird rechtliches Gehör gewährt.

Das klingt nur vordergündig nett. Gemessen wurde nämlich an einem stationären Blitzer, der ausweislich des Messprotokolls in der betreffenden Woche immerhin 243 Temposünder überführte. Man darf also mit Fug und Recht vermuten, dass der Richterin schon mal der eine oder andere Fall vorgelegen hat, in dem die Anlage eine Rolle spielt.

Interessanterweise verrät die Richterin in ihrem Brief nicht, wieso sie von sich aus – also quasi von Amts wegen – so große Zweifel an der Messung hat, dass ein Sachverständiger sich die Sache ansehen soll. Ich habe für meinen Mandanten bislang jedenfalls noch nicht gesagt, warum wir das Bußgeld anfechten. Es könnte zum Beispiel auch sein, dass er nicht der Fahrer ist.

Die Zweifel des Gerichts sind also hausgemacht – wenn sie denn überhaupt echt sind. Ich bezweifle das. Denn dann läge es ja nahe, dass die Richterin auch gleich erklärt, was sie stutzig gemacht hat. Ich ließe mich doppelt gern belehren, da ich, ehrlich gesagt, in der Akte nichts gefunden habe, was an der Korrektheit der Messung zweifeln lässt.

Bislang klingt das Schreiben also nach einer ziemlich durchsichtigen Drohgebärde. So ein Gutachten kostet schnell mal ein-, zweitausend Euro. Ein Betroffener ohne Rechtsschutzversicherung dürfte da sofort in die Knie gehen. Und genau das wird wohl beabsichtigt sein.

Ich antworte jetzt erst mal höflich und frage, welche sachlichen Gründe das Gericht zu so großer Fürsorge bewegen, dass gleich ein Sachverständiger eingeschaltet werden soll. Je nachdem, wie die Antwort ausfällt, könnte das nächste Schreiben aber ein Befangenheitsantrag sein.

Was ist ein geschlossener Raum?

Es kommt vor, dass Gefangene sich nackt ausziehen müssen und dann “durchsucht” werden. Für die Aktion sind gewisse Mindeststandards zu beachten, die in den Strafvollzugsgesetzen der Länder geregelt sind. Für Hessen stellt das Oberlandesgericht Frankfurt am Main nun in einem Beschluss klar, dass eine Nacktkontrolle nur in einem geschlossenen Raum stattfinden darf, in dem sich keine anderen Gefangenen aufhalten.

Zum Streit war es gekommen, weil ein hessisches Gefängnis nach Besuchen Nacktkontrollen durchführte, hierbei nach Auffassung eines Gefangenen aber nicht die Vorgaben des Gesetzes beachtete. Die Haftanstalt kontrollierte Gefangene regelmäßig in einem Raum im Bereich der Innenpforte, dessen Ausgang mit einem Vorhang versehen war, der während der Durchsuchung zugezogen wurde. Darüber hinaus war eine Schamwand aufgebaut, hinter der sich der Gefangene entkleiden konnte.

Der Kontrollraum besaß einen weiteren Durchgang zu einem Nebenraum, in dem Automaten aufgestellt sind, aus denen Gefangene nach Besuchen Genussmittel erwerben können. Dieser Durchgang war weder mit einem Vorhang noch einer Tür versehen. 

So eine räumliche Situation ist kein “geschlossener Raum”, wie ihn das hessische Strafvollzugsgesetz für solche Maßnahmen vorschreibt. Das befand schon das Landgericht Gießen, welches kurz und knapp urteilte, ein geschlossener Raum setze nach dem Wortsinn voraus, dass er mit Türen versehen sei. Vorhänge oder andere Abtrennungen reichten deshalb nicht.

Der Gefängnisleiter war der Meinung, damit überspanne das Gericht die Anforderungen. Jedoch stellt auch das Oberlandesgericht Frankfurt sich auf den Standpunkt, ein geschlossener Raum müsse eine Tür haben. Nur dort seien Durchsuchungen nackter Gefangener zulässig, und auch nur dann, wenn keine anderen Inhaftierten sich im Raum befinden.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 22. November 2011, Aktenzeichen 3 Ws 836/11.

Mobilfunk: Keine Strafen für Nichttelefonierer

Im harten Preiskampf verwenden Mobilfunkanbieter viel Energie darauf, beim Kunden verdeckt abzukassieren. Etliche dieser Versuche scheitern allerdings vor Gericht. So musste sich das Landgericht Kiel jetzt mit der Frage beschäftigen, ob eine rückwirkende Nichtnutzungsgebühr von 4,95 Euro pro Monat und ein Pfand für die SIM-Karte zulässig sind.

Mit der Nichtnutzungsgebühr hatte es der Anbieter auf besonders sparsame Kunden abgesehen. Die Klausel lautete:

Wird in 3 aufeinander folgenden Monaten kein Anruf getätigt bzw. keine SMS versendet, wird dem Kunden eine Nichtnutzungsgebühr in Höhe von € 4,95 monatlich in Rechnung gestellt.

Mit dieser faktischen Strafe fürs Nichttelefonieren konnten sich die Richter nicht anfreunden. Die Klausel verkehre das Prinzip, dass man nur dann bezahlt, wenn man auch anruft oder simst, in sein Gegenteil. Das benachteilige den Kunden über Gebühr; überdies müsse niemand mit so einer Regelung im Kleingedruckten rechnen.

Auch einem Pfand von 9,95 Euro, welches bei Nichtrückgabe der SIM-Karte bis 14 Tage nach Vertragsende fällig werden sollte, erteilte das Landgericht Kiel eine Abfuhr. Hierbei handele es sich um einen pauschalierten Schadensersatz. Dieser sei aber allenfalls dann zulässig, wenn der Kunde einen geringeren Schaden nachweisen könne.

Die Richter weisen ausdrücklich darauf hin, dass der Schaden für die Mobilfunkfirma wahrscheinlich sowieso unter 9,95 Euro liege, denn eine gebrauchte SIM-Karte sei nach Vertragsende praktisch wertlos. Außerdem müsste die Klausel eine Aussage darüber treffen, ob das Pfand auch nach Ablauf von 14 Tagen erstattet wird, wenn der Kunde die SIM-Karte doch noch einschickt.

Geklagt hatten die Verbraucherzentralen.

Landgericht Kiel, Urteil vom 29. November 2011, Aktenzeichen 2 O 136/11

Urlaub kann nicht angespart werden

Langzeiterkrankte Arbeitnehmer müssen sich darauf einrichten, dass ihre Urlaubsansprüche schneller verfallen. Nach einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg ist dies spätestens 15 Monate nach Ablauf des Jahres der Fall, in dem die Urlaubsansprüche entstanden sind. Die süddeutschen Richter ziehen damit die Konsequenz aus einem aktuellen Urteil des Europäischen Gerichtshofs.

Das Bundesarbeitsgericht hatte noch 2009 entschieden, dass bei einer Dauererkrankung Urlaubsansprüche nicht schon im März des Folgejahres verfallen, sofern der Urlaub bis dahin nicht genommen werden konnte. Dadurch war es für arbeitsunfähig Erkrankte möglich geworden, Urlaub über mehrere Jahre anzusparen. Im Falle des späteren Ausscheidens aus der Firma hatten sie dann zum Beispiel einen Abgeltungsanspruch.

Der Europäische Gerichtshof meint jedoch in einem im Herbst letzten Jahres verkündeten Urteil, eine gesetzliche Obergrenze von 15 Monaten sei bei krankheitsbedingt nicht genommenem Urlaub europarechtlich in Ordnung. Genau diese zeitliche Grenze sieht die geltende Fassung des Bundesurlaubsgesetzes auch vor.

Die Richter am Landesarbeitsgericht Baden Württemberg folgten nun dieser Ansicht. Ein Mann war nach langer Erkrankung aus seiner Firma ausgeschieden. Für seinen während dreier Jahre nicht genommenen Urlaub verlangte er eine Abgeltung. Das Landesarbeitsgericht sprach ihm wegen der 15-Monats-Grenze aber nur das Geld für ein Jahr zu.

Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 21. Dezember 2011, Aktenzeichen 10 Sa 19/11

Wulff und die Verschwiegenheit

Für seinen Mandanten muss sich ein Anwalt auch mal nach der Decke strecken. Muss er aber auch Unsinn erzählen? Diese Frage stellte ich mir heute morgen, als ich die jüngste Erklärung des Kollegen Gernot Lehr las.

Rechtsanwalt Lehr vertritt den ersten Mann in unserem Staate und bemühte sich in dieser Eigenschaft, eine Zusage des Bundespräsidenten im Fernsehinterview mit ARD und ZDF zu relativieren. Wulff hatte dort in Aussicht gestellt, er werde alle 400 Fragen herausgeben, die ihm im Rahmen der Kreditaffäre gestellt wurden. Und natürlich die Antworten, welche er samt uns sonders über seinen Anwalt Gernot Lehr geben ließ.

So viel Transparanz soll nach Lehrs Worten nun doch nicht sein. Der Anwalt erklärte laut Tagesspiegel:

Der im Mandantenauftrag geführte Schriftverkehr zwischen Anwälten und Dritten fällt unter die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht.

Die Aussage ist natürlich richtig. Aber sie ist nicht mal ansatzweise geeignet, die Nichtveröffentlichung der Fragen und Antworten zu begründen.

Die Verschwiegenheitspflicht des Anwalts gilt einzig und allein gegenüber dem Mandanten, nicht gegenüber Dritten. Lehr kann tatsächlich nichts veröffentlichen, wenn Christian Wulff es nicht will. Stimmt Wulff aber der Veröffentlichung zu, hat sich das Argument Verschwiegenheitspflicht damit erledigt.

Der Mandant entscheidet ganz allein, ob und in welchem Umfang er seinen Anwalt an der Schweigepflicht festhält. Christian Wulff könnte also ganz einfach zu Rechtsanwalt Lehr sagen, dass er mit der Veröffentlichung der Fragen und Antworten einverstanden ist – so wie er das im Fernsehen angekündigt hat. Ab diesem Moment wäre die Verschwiegenheitspflicht kein Thema mehr. (Ebenso wenig wie der Persönlichkeitsschutz der Anfragenden, denn deren Namen könnte man ja weglassen.)

Ich finde es schon bedenklich, dass Wulffs Anwalt hier ernsthaft den Eindruck erwecken zu versucht, es bestünden nicht ausräumbare juristische Probleme aus dem Mandatsverhältnis, welche die von seinem Mandanten angekündigten Transparenzoffensive verhindern. Wenn der Kollege Lehr sich argumentativ etwas zu weit nach der Decke streckt, fällt dies letztlich auch auf Christian Wulff zurück. Aber womöglich ist der nach der Mailbox-Geschichte ja schon weitgehend schmerzbefreit.

Gefängnis für Wulff-Witze?

Durchs Web rauscht die Wulff-Witze-Welle. Auf Facebook, Twitter, in Blogs oder Kommentaren der großen Nachrichtenortale hinterlassen Bürger teils originelle, teils lustige, teils boshafte Sprüche über den ersten Mann im Staat. Das ist nicht ganz ohne Risiko, denn das Strafgesetzbuch stellt die “Verunglimpfung des Bundespräsidenten” gesondert unter Strafe. Und das nicht zu knapp: Wer schuldig gesprochen wird, dem drohen mindestens drei Monate Haft. 

Das Finanzportal monero.de hat mich zu Risiken und Nebenwirkungen von Wulff-Witzen interviewt.  Das Gespräch ist hier nachzulesen.

Keine Gratisurteile für freie Datenbanken

Richter haben es bequem, wenn sie ein Urteil suchen. Ihr Arbeitsplatz ist meist mit “juris” vernetzt, einer der größten juristischen Datenbanken in Deutschland. Doch solche Dienste kosten hohe Gebühren. Für den Nichtjuristen, der mal schnell ein Urteil googeln will, sind sie viel zu teuer. Umso lobenswerter ist es deshalb,  dass es freie Projekte gibt, die interessante Urteile seriös dokumentieren und ins Netz stellen.

Doch der Staat macht es freien Datenbanken nicht immer einfach, an Kopien der Urteile zu kommen. So kassierte jetzt openJur, die Internetseite ist mit 165.000 Urteilen am Start und eines der größten kostenlosen Angebote, eine Niederlage vor dem Amtsgericht Schleswig. Der zuständige Richter meint, die Datenbank habe keinen Anspruch auf kostenlose Urteilskopien. Vielmehr müsse sie für jede Entscheidung eine Pauschale von 12,50 Euro zahlen.

Dabei gibt es durchaus die Möglichkeit, von Kosten abzusehen. Die Gerichte müssten nur ein “öffentliches Interesse” daran bejahen, dass Datenbanken wie openJur Urteile veröffentlichen. Jedoch sieht das Gericht, etwas lapidar, in der Zugänglichkeit von Urteilen für jedermann kein öffentliches Interesse. Vielmehr verlangt es über die bloße Veröffentlichung hinaus “besondere Gründe”.

Vielleicht hätte schon die Überlegung geholfen, dass Urteile “Im Namen des Volkes” ergehen. Nicht zu vernachlässigende Teile des Volkes möchten mit Sicherheit gern wissen, wie stellvertretend für sie Recht gesprochen wird. Insofern stellen Urteilsdatenbanken ebenso Öffentlichkeit her wie das Publikum im Gerichtssaal, das ja auch nur unter engen Voraussetzungen ausgeschlossen werden kann.

Zudem leben wir, das ist sicher nicht übertrieben, in einer immer mehr verrechtlichten Gesellschaft. Wer sich im Arbeits-, aber auch Privatleben vernünftig orientieren will, muss sich mit juristischen Fragestellungen auseinander setzen. Was für eine tolle Sache ist es da, dass man Urteile heutzutage googeln kann. Da könnte der Staat durchaus seinen Beitrag leisten und bei Projekten wie openJur, immerhin ein gemeinnütziger und für seine Arbeit preisgekrönter Verein, einfach mal nicht die Hand aufhalten.

Aber vom Ergebnis überrascht der Beschluss ohnehin nicht. Der Staat und insbesondere die dominante Datenbank juris stehen nämlich in enger geschäftlicher Verbindung. Um was für handfeste finanzielle Interessen es geht, hat der Spiegel im letzten Jahr dokumentiert

Beschluss des Amtsgerichts Schleswig vom 20. Dezember 2011, Aktenzeichen 1 AR -6- 34

Eine Waffe für Werbemüde

Die Deutsche Post hat ein Urteil rechtskräftig werden lassen, mit dem ihr die Zustellung des eigenen Werbeblatts “einkauf aktuell” an einen werbemüden Bürger untersagt wurde. Geklagt hatte ein Lüneburger Rechtsanwalt.

Der Jurist hatte die Post mehrfach schriftlich aufgefordert, ihm nicht jeden Samstag die Werbesendung in den Briefkasten zu stopfen. Bei “einkauf aktuell” handelt es sich um ein in Plastikfolie eingeschweißtes Fernsehprogramm, dem noch Werbeprospekte beigelegt werden, meist von Supermärkten, Getränkeläden und Elektrodiscountern. Die Deutsche Post vertreibt “einkauf aktuell” bundesweit.

Die Post hielt es für unzumutbar, bei einer solchen Massensendung individuelle Wünsche zu berücksichtigen. Sie verlangte stattdessen, dass der Kläger ein Schild mit “Werbung unerwünscht” an seinem Briefkasten anbringt. Das Landgericht Lüneburg stellte sich jedoch voll auf die Seite des Juristen. Niemand müsse es akzeptieren, dass sein Briefkasten mit unerwünschter Werbung zugemüllt werde. Ein Aufkleber könne nicht verlangt werden, zumal der Empfänger ja möglicherweise andere Werbung durchaus haben möchte, nur eben nicht “einkauf aktuell”.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung ließ das Landgericht Lüneburg die Revision zum Bundesgerichtshof zu. Die Deutsche Post hat aber keinen entsprechenden Antrag gestellt. Laut FAZ steht sie auf dem Standpunkt, das Urteil regele nur einen Einzelfall. Das ist formal zwar richtig, jedoch ist die Entscheidung des Landgerichts Lüneburg ganz offensichtlich als Grundsatzurteil gedacht.

Die Richter sprechen nämlich nicht nur von “einkauf aktuell”, sondern stellen vielmehr klar, jede Postwurfsendung greife in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Dementsprechend stehe es jedem Bürger frei, sich die weitere Zusendung von Massenbriefen zu verbitten und bei Verstößen dagegen zu klagen. Mit der nun rechtskräftigen Entscheidung des Landgerichts Lüneburg haben Werbeverdrossene jetzt jedenfalls eine handfeste Grundlage, um sich juristisch gegen Postwurfsendungen zu wehren.

Das Urteil im Wortlaut