Technische Probleme

Das law blog hat seit einer Downtime gestern technische Probleme. Ich weiß aus Lesermitteilungen, dass es ein Problem mit ständigen Reloads, ominösem Javascript, teilweise nicht aufrufbaren Seiten und den RSS-Feeds gibt. Florian Holzhauer, der Mann im Maschinenraum, war schon gestern am Ball und versucht derzeit auch weiter alles, damit der Server wieder rund läuft.

Bitte habt bis dahin etwas Geduld.

Rassismus darf mit SS-Vergleich gekontert werden

Darf die Hautfarbe ein Kriterium für Polizeikontrollen sein? Diese Frage hat das Verwaltungsgericht Koblenz vor kurzem bejaht. Die Richter segneten damit die Berufsauffassung eines Bundespolizisten ab, der offen zugab, Zugreisende auch wegen ihrer Hautfarbe unter die Lupe zu nehmen. Dieser offenen Billigung von Rassismus treten nun andere Richter, nämlich am Oberlandesgericht Frankfurt, im gleichen Fall wenigstens indirekt entgegen. Sie haben entschieden, dass der Betroffene dann dem Beamten auch ins Gesicht sagen durfte, das Verhalten  erinnere ihn an die Methoden der SS.

Am Oberlandesgericht Frankfurt war der 25-jährige Student, der dunkler Hautfarbe ist, wegen Beleidigung angeklagt. Das Amtsgericht Kassel hatte ihn bereits zu einer Geldstrafe verurteilt; dagegen ging der Mann in Revision. Aus dem Urteil erfahren wir zunächst, was sich im Zug ereignet hat:

Der Angeklagte (wurde) am 3.12.2010 durch Beamte der Bundespolizei im Regionalexpress auf der Strecke zwischen Kassel und Frankfurt/ Main angesprochen und darum gebeten sich auszuweisen. Dem lag zugrunde, dass aus Anlass von Anschlagsdrohungen islamistischer Kreise verstärktes Augenmerk auf Personen mit anderer Hautfarbe gerichtet wurde.

Der Angeklagte reagierte aggressiv und verweigerte sich auszuweisen. Nachdem die Beamten ihm zu seinem Sitzplatz gefolgt waren und einer der Beamten nach seinem Rucksack griff, erklärte der Angeklagte, dass ihn das an etwas erinnere. Auf Nachfrage des Beamten, woran ihn das erinnere, erklärte der Angeklagte, das erinnere ihn an Methoden der SS, es erinnere ihn an die SS.

Auf Nachfrage des Beamten, ob der Angeklagte ihn beleidigen wolle, verneinte dieser. Der Beamte forderte ihn nun mit den Worten auf: „dann sagen Sie doch, dass ich ein Nazi bin“, woraufhin der Angeklagte entgegnete: „Nein, das sage ich nicht“.

Das Oberlandesgericht meint, die Äußerungen seien geeignet gewesen, den Polizisten in seiner Ehre herabzusetzen. Allerdings seien die Worte des 25-Jährigen letztlich gerechtfertigt gewesen. Aus dem Urteil:

Vielmehr ist entscheidend darauf abzustellen, dass sich die Kritik in erste Linie gegen die angewendeten Maßnahmen, insbesondere die gezielte Auswahl der Person des Angeklagten mit dunkler Hautfarbe sowie die Aufforderung zur Vorlage eines Ausweises richtete.

Der Angeklagte, der das dienstliche Vorgehen jedenfalls subjektiv als Diskriminierung wegen seiner Hautfarbe und demgemäß als Unrecht empfand und dies auch nach den Feststellungen gegenüber den Beamten sowie Mitreisenden zum Ausdruck brachte und um Solidarität warb, durfte das polizeiliche Vorgehen daher unter dem Schutz der Meinungsfreiheit einer kritischen Würdigung mit stark polemisierender Wortwahl unterziehen.

Indem er ausdrücklich den Polizisten nicht als Nazi bezeichnete, habe der Angeklagte hinreichend gezeigt, dass er zwischen der fragwürdigen Maßnahme und der Person unterscheide. Somit liege keine Diffamierung des Beamten vor, sondern eine noch zulässige Kritik an den Methoden der Bundespolizei.

Dabei spiele es auch keine Rolle, ob die Personenkontrolle rechtmäßig war. Selbst wenn man dies annehme, habe der Betroffene das polizeiliche Vorgehen kritisch würdigen dürfen – auch mit “polemisierender Wortwahl”.

Erfreulich zu sehen, dass es Richter gibt, welche nachfühlen können, wie sich ein Mensch dunkler Hautfarbe in deutschen Zügen und auf deutschen Bahnhöfen fühlt. Gegenüber Publikative.org hat der Betroffene erklärt, er sei vorher schon  dutzendfach in Zügen kontrolliert worden, Freunde mit weißer Hautfarbe jedoch nie.

Immerhin wird einem Betroffenen nicht auch noch zugemutet, seine nachvollziehbare Empörung nur in biederer Form zu äußern. Den Schuh müssen sich die Bundespolizisten nun anziehen. Ebenso aber auch die Richter am Verwaltungsgericht Koblenz, die offenen Rassismus auch noch gutheißen.

Oberlandesgericht Frankfurt, Beschluss vom 20. März 2012, Aktenzeichen 2 Ss 329/11

Klage mit Ansage

Gute Nachricht für Haargestalter: Wird das Haar entgegen dem Kundenwunsch etwas zu kurz geschnitten, rechtfertigt das noch kein Schmerzensgeld. Es liegt noch nicht mal eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts vor. Mit dieser Begründung wies das Amtsgericht München die Klage einer Frau ab, die sich von ihrer Friseurin “entstellt” gefühlt hatte.

Die Kundin hatte dünnes Haar. Deshalb schien leicht die Kopfhaut durch. Sie bat die Friseurin deshalb, ihre 5 cm langen Haare um maximal einen halben Zentimeter zu kürzen. Interessant ist, dass sie nach den Feststellungen des Gerichts gleich darauf hinwies, schon öfter von Friseuren verschnitten worden zu sein. Hiergegen sei sie auch rechtlich vorgegangen.

Die Angestellte eines Friseursalons machte dann den entscheidenden Fehler. Sie griff zur Schere, statt die Kundin vor die Tür zu setzen. Zwar machte die Kundin im Laden keine Szene. Tage später war sie aber wieder da und beklagte sich bitterlich. Ihre Kopfhaut scheine durch, das bereite ihr größte Seelenqualen.

Das Amtsgericht München nahm der Frau das alles nicht so recht ab. Die Friseurin habe die Haare allenfalls geringfügig kürzer geschnitten als gewünscht. Von einem völlig verkorksten, entstellenden Haarschnitt könne nicht die Rede sein. Auch wenn wegen des dünnen Haars die Kopfhaut der Kundin nun etwas mehr durchscheine, habe das noch nicht das für eine Persönlichkeitsrechtsverletzung nötige Gewicht.

Schmerzensgeld will das Amtsgericht München ohnehin nur zusprechen, wenn ein Haarschnitt völlig misslungen und womöglich sogar die Kopfhaut verletzt ist. Davon könne in dem Fall aber keine Rede sein.

Amtsgericht München, Urteil vom 7. Oktober 2011, Aktenzeichen 173 C 15875/11

Die bestreifende Mitarbeiterin

“Was nimmst Du?" Diese Frage stellte ein kontaktsuchender Autofahrer ausgerechnet einer Mitarbeiterin des Dortmunder Ordnungsamtes. Die Frau ging dort in Zivil Streife. Ort des Geschehens: die Bergmannstraße/Ecke Steigerstraße. Das Areal gehört zum Sperrbezirk. Im Sperrbezirk ist es nach der Dortmunder Ordnungssatzung verboten, “zu Prostituierten Kontakt aufzunehmen, um sexuelle Handlungen gegen Entgelt zu vereinbaren”.

Solche eine Anbahnungshandlung – ebenfalls ein Wort aus der Satzung – sah das Amtsgericht Dortmund bei dem Autofahrer. Der Mann bekam ein Bußgeld auferlegt. Allerdings wollte er das nicht akzeptieren und zog vor das Oberlandesgericht Hamm.

Dort fragten die Richter weniger nach der Moral, sondern schauten sich die Rechtslage an. Mit einem Ergebnis, das wenig schmeichelhaft ist für das Amtsgericht Dortmund:

Da es sich nach den amtsgerichtlichen Feststellungen bei der von dem Betroffenen angesprochenen Zeugin Q nicht, wie es § 6 a OBVO aber voraussetzt, um eine Prostituierte, sondern um eine dienstlich die Nordstadt bestreifende Mitarbeiterin des Ordnungsamtes der Stadt Dortmund handelte, konnte der Betroffene eine (vollendete) Ordnungswidrigkeit gemäß § 22 Abs. 1 Nr. 17 OBVO nicht begehen.

Sein Verhalten entspricht vielmehr (lediglich) einem (untauglichen) Versuch. Der Versuch einer Ordnungswidrigkeit kann aber nach § 13 Abs. 2 OWiG nur geahndet werden, “wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt”, d. h. wenn die jeweilige Bußgeldnorm die Ahndung des Versuchs ausdrücklich zulässt.

Daran fehlt es im vorliegenden Fall.

Der (wahrscheinlich unfreiwillige) Lockvogel vom Ordnungsamt Dortmund war also gar kein taugliches “Tatobjekt”. Demgemäß musste der Autofahrer freigesprochen werden.

Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 7. Februar 2012, Aktenzeichen III-1RBs 200/11 / Das Heymanns Strafrecht Online Blog zum gleichen Thema

Keiner hat was gesehen

Für die Polizisten war es ein normaler Einsatz. Winter. Nacht. Bürgerliche Wohngegend. Es ging wohl um einen Familienstreit. Auf dem Weg zu dem Haus, zu dem sie gerufen wurden, sahen die Beamten, wie ein Mann auf der gegenüberliegenden Straßenseite die Scheiben (s)eines Autos freikratzte.

Als die Polizisten aus dem Haus zurückkehrten, waren der Mann und das Auto verschwunden. Im Rahmen ihrer Ermittlungen hatten die Beamten gehört, wer der Mann vermutlich war. Er hatte, ich fasse jetzt mal zusammen, nicht direkt mit der Sache zu tun. Aber jemand in dem Haus hatte wohl erzählt, die betreffende Person sei ordentlich angeschickert gewesen. Namen und Adresse lieferte er gleich mit.

Nun hatten die Polizisten einen Anfangsverdacht auf eine Trunkenheitsfahrt. Sie fragten die Adresse des Mannes ab und fuhren zu ihm nach Hause. Vor der Tür stand das betreffende Auto. Oder vielleicht auch nur ein ähnliches. Beim Reingehen ins erste Haus hatten sich die Beamten natürlich nicht das Nummernschild des Wagens gemerkt.

Immerhin, so stellten sie fest, war der Motor noch warm. Mein Mandant, um den handelt es sich bei dem betreffenden Mann, öffnete verschlafen die Tür. Die Beamten konfrontierten ihn mit dem Vorwurf, er sei angetrunken gefahren. Mein Mandant ließ alle Fragen abperlen. Er berief sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht lehnte auch einen Atemalkoholtest ab.

Also auf zur Blutprobe. Mein Mandant blieb schweigsam, was sich in dem bissigen Vermerk in der Ermittlungsakte niederschlug, er sei “über alle Maßen unkooperativ gewesen”. Der Polizeiarzt bestätigte eine gewisse Alkoholisierung. Also behielten die Polizisten den Führerschein meines Mandanten ein. Die Blutprobe ergab später einen Wert von 1,5 Promille.

Meine Beschwerde gegen die Beschlagnahme des Führerscheins begründete ich lapidar. Erst mal war gar nicht sicher, ob die betreffende Person, welche die Beamten quasi im Vorübergehen beim Freikratzen eines Autos gesehen hatten, tatsächlich mein Mandant ist. Und selbst wenn – keiner hat ihn beim Autofahren gesehen.

Es war also nicht mehr als eine Vermutung, er sei gefahren. Der Ermittlungsrichter zog daraus – zu meiner Überraschung, ehrlich gesagt – einige Tage später die richtigen Schlüsse und gab den Führerschein zurück. Aus der Begründung:

Es sind derzeit keine dringenden Gründe für die Annahme vorhanden, dass die Fahrerlaubnis entzogen werden wird. Es liegt kein Beweis vor, dass der Beschuldigte gefahren ist. Ob der Nachweis in der Hauptverhandlung zu führen ist, ist fraglich, da lediglich Indizien vorliegen.

Mein Mandant hat sich also einen großen Gefallen getan, als er jedwede Angaben verweigerte. Dadurch verärgerte er zwar die Beamten, die so was ja doch eher nicht gewohnt sind. Aber gleichzeitig trug mein Mandant eben nicht dazu bei, dass weitere Indizien gegen ihn erst entstanden. Alles, was er gesagt hätte, wäre nämlich ohnehin als Schutzbehauptung gewertet worden. Vermeintliche Widersprüche wären – bei dem Diensteifer der Beamten – garantiert sofort vermerkt und als Indiz für seine Schuld instrumentalisiert worden.

Nun erlebte ich die zweite Überraschung in dem Fall. Die Staatsanwaltschaft schloss sich der Wertung des Ermittlungsrichters an. Statt eine Anklage zu erheben und zu schauen, ob der Nachweis vielleicht nicht doch noch irgendwie gelingt, kam sie zu dem Schluss, dass hinreichender Tatverdacht nicht vorliegt. Hinreichend ist ein Tatverdacht nur, wenn die Verurteilung wahrscheinlicher ist als ein Freispruch. Demgemäß wurde das Verfahren eingestellt. Meinem Mandanten steht sogar Schadensersatz für die vier Tage zu, an denen er auf seinen Führerschein verzichten musste.

Richter und Staatsanwalt haben korrekt und ohne Scheuklappen gearbeitet. Ich weiß übrigens nicht, ob mein Mandant alkoholisiert gefahren ist. Ich habe ihn nicht gefragt.

Die Würde des Menschen schlägt das Gesetz

Es steht so im Gesetz, ist aber eine absurde Regelung: Wer nach einer Verurteilung eine meist langjährige Therapie in einer geschlossenen Anstalt macht, aber noch ältere Freiheitsstrafen offen hat, muss die älteren Strafen nach erfolgreicher Therapie im Gefängnis absitzen. Eine Anrechung dieser älteren Strafen auf die Therapiezeit ist nicht möglich.

Das ist widersinnig, weil ein Gefängnisaufenthalt den Therapieerfolg  und die Resozialisierung  mit einiger Sicherheit kaputtmacht. Außerdem kann die Nichtanrechnung der Therapie dazu führen, dass ein Verurteilter viele Jahre länger im Knast sitzt, als er es bei reinen Gefängnisstrafen gemusst hätte.

Das Bundesverfassungsgericht hat nun – endlich – genau diese Vorschrift für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt, sofern es um Härtefälle geht. Den Richtern fiel das nicht sonderlich schwer. Sie hatten über einen krassen Fall zu entscheiden, der die Ungerechtigkeit der Regelung besonders deutlich macht.

Der Betroffene war 1992, 1993 und 2000 mit unterschiedlichen, teilweise mehrjährigen Freiheitsstrafen belegt worden. Diese konnten aber nicht vollstreckt werden, weil er psychisch erkrankt war. Im Jahr 2004 belegte das Landgericht Frankfurt den Mann mit sechs Monaten Freiheitsstrafe. Gleichzeitig ordnete es seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an.

In diesem Krankenhaus befand sich der Mann dann aber nicht nur sechs Monate, sondern geschlagene viereinhalb Jahre. Seine Behandlung zeigte gute Erfolge, so dass er an sich hätte entlassen werden können. Wenn die Freiheitsstrafen nicht gewesen wären.

Nach dem Gesetz konnten auf die sechsmonatige Freiheitsstrafe zwei Drittel der Therapiezeit, also vier Monate angerechnet werden. Die früheren Freiheitsstrafen sollte der Mann überdies noch vollständig absitzen, obwohl er bei Verrechnung mit der Zeit in der Psychiatrie eigentlich kurzfristig ein freier Mann gewesen wäre.

Das Bundesverfassungsgericht weist zunächst darauf hin, dass eine Erkrankung “schicksalshaft” ist. Sofern sich die Gefährlichkeit eines Menschen aus dieser Erkrankung ergibt, handele es sich um ein Persönlichkeitsmerkmal, das der Betroffene nicht beherrschen kann. Seine Unterbringung in einer Klinik sei demnach ein “Sonderopfer”. Deshalb müsse jede Klinikunterbringung unter dem vorrangigen Ziel der Resozialisierung stehen.

Es sei höchst problematisch, wenn weitere Strafen nach einer erfolgreichen Therapie vollstreckt werden. Durch einen Gefängnisaufenthalt werde der Behandlungserfolg nämlich ganz klar gefährdet. Die Kumulation der Unterbringung und der Gefängnisstrafen sei überdies unverhältnismäßig.

Das Bundesverfassungsgericht erinnert in seinem Urteil nicht nur an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, sondern auch an die Würde des Menschen und das Sozialstaatsprinzip. Der staatliche Strafanspruch müsse damit sorgfältig abgewogen werden. Die bisherige gesetzliche Regelung werde dem nicht gerecht.

Zumindest in Härtefällen darf die gesetzliche Regelung jetzt nicht mehr angewandt werden.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 27. März 2012, Aktenzeichen 2 BvR 2258/09

Wie kann man nur?

Ein Radiosender hat mich heute morgen gefragt, wieso sich Rechtsanwälte finden, die einen Menschen wie Anders Breivik verteidigen. Oder den Mörder eines Kindes. Ich habe ein bisschen so getan, als würde ich die Frage nicht verstehen. “Ein Chirurg im Notdienst”, erwiderte ich, “darf doch auch nicht die Operation eines Schwerverletzten ablehnen, bloß weil der vielleicht ein Verbrecher ist.”

Und so ist es tatsächlich. Der Verteidiger füllt eine ihm zugedachte Rolle im Justiztheater aus. Er ist derjenige, der auf der Seite des Beschuldigten steht. Diese Person hat der Beschuldigte auch nötig. Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht suchen pflichtgemäß nach der Wahrheit. Sie unterstützen den Beschuldigten aber nicht, sondern stehen ihm – im besten Fall – neutral gegenüber. Sehr häufig ist dieser Idealzustand, in Form gelebten Respekts vor der Unschuldsvermutung, natürlich weit entfernt. Dann spielen vorgefasste Meinungen und Ressentiments mit.

Der Druck auf einen Beschuldigten ist aber schon groß genug, selbst wenn Strafverfolger und Gericht Fair Play betreiben. Viele Menschen werden durch eine Festnahme in einen Schockzustand versetzt. Sie spüren die Angst vor dem Verlust der Existenz, die Furcht vor Untersuchungshaft und Strafe. Es zeichnet den Rechtsstaat aus, dass er den Beschuldigten in so einer elenden Situation nicht alleine lässt. Er darf sich einen Verteidiger aussuchen. Oder kriegt ihn gestellt. Damit hat er wenigstens eine Person an seiner Seite, die nur eine Pflicht hat – mit allen legalen Mitteln dafür zu sorgen, dass die Interessen und Rechte des Beschuldigten gewahrt werden.

Wenn man dies im Auge behält, kann man vielleicht auch verstehen, wieso Strafverteidiger ohne großes Zögern Aufträge auch von Mördern, Vergewaltigern und Kindesmissbrauchern annehmen oder sich vom Gericht als Pflichtverteidiger benennen lassen. Sie sind sozusagen notwendige Lobbyisten, wenn der Rechtsstaat funktionieren soll.

Das alles bedeutet natürlich nicht, dass ein Verteidiger keine private Meinung zu seinen aktuellen Fällen und besonders zu seinen Mandanten haben darf. Allerdings ist es seine Pflicht und Schuldigkeit, sein professionelles Handeln nicht durch diese Meinung trüben zu lassen. Was natürlich auch einschließt, dass ein Verteidiger schlichtweg nichts nach außen kommunizieren darf, was seinem Mandanten schaden kann. Jedenfalls so lange nicht, wie es der Mandant nicht selbst verlangt.

Vielleicht liegt es daran, dass seriös arbeitende Anwälte schnell den Eindruck machen, sie stünden trotz anderweitiger Beweislage aus persönlicher Überzeugung hinter dem Auftraggeber. Dass sie wie herzlose Gesellen oder/und Idioten wirken, müssen sie dabei in Kauf nehmen.

Wenn mir manchmal innerlich vor gewissen Dingen graut, denke ich an den Chirurgen im Notfalldienst. Der kann seine Patienten auch nicht im Regen stehen lassen. Dann geht es schon.

Urlaub: Rückflug darf nicht vorverlegt werden

Wird bei einer Pauschalreise der Rückflug um etliche Stunden vorverlegt, kann dies einen Reisemangel darstellen. Außerdem dürfen sich Reisende untereinander die Gewährleistungsansprüche abtreten, auch wenn in den Bedingungen des Veranstalter etwas anderes steht. Das hat der Bundesgerichtshof entschieden.

Geklagt hatte eine Frau, deren Lebensgefährte für beide eine einwöchige Reise in die Türkei gebucht hatte. Der Rückflug sollte eigentlich um 16.40 Uhr gehen. Doch am Vortag erfuhren die Reisenden, dass sie schon um 5.25 Uhr fliegen. Deshalb sollten sie um 1.25 Uhr aus dem Hotel abgeholt werden.

Die Klägerin und ihr Begleiter ließen sich das nicht gefallen. Sie verweigerten den frühen Rückflug und flogen mit einer anderen Maschine um 14 Uhr. Die Kosten für den Flug, für nutzlos vertane Urlaubszeit und eine Reisepreisminderung verlangten sie nun vom Veranstalter.

Die Vorinstanzen sprachen lediglich eine Reisepreisminderung von 25,00 Euro zu, was die Klägerin nicht akzeptierte. Vor dem Bundesgerichtshof bekamen sie nun teilweise recht. Die Karlsruher Richter stellen klar, dass eine so lange Vorverschiebung des Rückflugs Schadensersatz auslösen kann – selbst wenn in den Bedingungen des Veranstalters etwas anderes steht.

Allerdings mussten die Reisenden dem Veranstalter grundsätzlich eine Frist setzen, um vielleicht doch noch eine Lösung zu erzielen. Nur in Ausnahmefällen sei die Frist nicht erforderlich. Ob einer der Fälle vorliegt, muss nun das Landgericht erneut prüfen. Wird dies bejaht, kann die Klägerin zumindest die Rückflugkosten verlangen. Ersatz für entgangene Urlaubszeit kriegt sie nicht. Sie habe ja, so die Richter, durch den selbst organisierten Rückflug kaum Zeit verloren.

Ein Abtretungsverbot für Gewährleistungsansprüche erklärt der Bundesgerichtshof für unzulässig. Ein Reiseveranstalter habe kein berechtigtes Interesse, die Abtretung zu unterbinden. Immerhin sei es normal, dass einer von mehreren Reisenden bezahlt. Dann sei es auch sachgerecht, wenn einer der Reisenden alle Ansprüche einklagen kann.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 17. April 2012, Aktenzeichen X ZR 76/11

Hirnscan soll Pädophile entlarven

Zwei Millionen Euro investiert allein das Forschungsministerium in den nächsten zwei Jahren in ein Projekt, mit dem Experten mehr über Pädophilie herausfinden wollen. Einige der Wissenschaftler legen bereits handfeste Ergebnisse vor. So wollen Forscher an der Universität Kiel mit Hirnscans ermitteln, ob jemand pädophil veranlagt ist.

Auf der Wissenschaftsseite spektrum.de vermeldet Arbeitsgruppenleiter Jorge Ponseti, sein Team habe Pädophile mit “erstaunlicher Genauigkeit” an ihrer Hirntätigkeit erkannt:

Bei der Studie im fMRT-Labor täuschten wir uns nur bei drei der 24 untersuchten Pädophilen und hielten sie fälschlicherweise für nicht pädophil. An sämtlichen Gehirnen der 35 gesunden Kontrollprobanden erkannten wir richtigerweise, dass diese sexuell nicht an Kindern interessiert waren.

Die Forscher zeigen Probanden Bilder von nackten Kindern. Mit der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) messen sie, wie sich die Hirnaktivität verändert. Sie gehen dabei von der Prämisse aus, dass die Aktivität in gewissen Hirnteilen – insbesondere Nucleus caudatus und in der Substantia nigra – größer ist, “wenn die abgebildeten Genitalien der sexuellen Orientierung des Probanden entsprachen”. Hierbei stützen sie sich auch auf Studien, die ähnliche Ergebnisse bereits bei homo- und heterosexuellen Frauen und Männern ergaben.

Die Forscher betonen zwar, ihre Methode sei längst nicht ausgereift und ausreichend erprobt. Dennoch sehen sie bereits praktischen Nutzen, sollte die fMRT tatsächlich zuverlässig pädophile Neigungen nachweisen können.

Gerade bei der Frage nach der richtigen Therapie sei es wichtig zu wissen, ob ein Täter tatsächlich pädophil ist. Sei das der Fall, müsse sich ein Therapie auf Vermeidungsstrategien richten, das heißt der Täter müsse lernen, sein Verlangen zu beherrschen.

Es gebe aber auch Kindesmissbrauch durch Täter, die gar nicht pädophil seien. Bei diesen komme es in der Therapie darauf an, die Sexualität in die “richtige” Bahn zu lenken, damit sie künftig nicht straffällig werden.

Auch bei der Rückfallprognose könne es eine Rolle spielen, ob ein Täter pädophil ist oder nicht. Für einen Richter, der über einen Wiederholungstäter zu entscheiden habe, falle die Entscheidung leichter, wenn er sich nicht allein auf die Beteuerung des Angeklagten verlassen müsse, nicht pädophil zu sein.

Was erst mal nachvollziehbar klingt, bringt allerdings auch das Risiko mit sich, rechtsstaatliche Grenzen zu überschreiten. So liegt der Gedanke nicht fern, Menschen vorsorglich per Reihentest zu untersuchen und jene mit Sanktionen zu überziehen, denen mit dem Gütessiegel naturwissenschaftlicher Gewissheit eine pädophile Neigung attestiert wird. 

Allerdings, und das macht so etwas problematisch, kann niemand etwas für seine sexuellen Neigungen, auch nicht für pädophile.

Außerdem ist nicht gesagt, dass jede sexuelle Neigung früher oder später auch ausgelebt wird. Es gibt beispielsweise auch Menschen mit sadistischen Neigungen, die Gewalt- und Vergewaltigungsfantasien nicht ausleben – sei es nun aus Respekt vor dem Gesetz oder ihren potenziellen Opfern. Ebenso dürfte auch ein guter Teil von Menschen mit pädophiler Neigung durchaus in der Lage sein, sich wirksam zu steuern.

Die Forscher sehen selbst, dass ihre Diagnosemöglichkeit unbescholtene Menschen in die Gefahr brächte, stigmatisiert zu werden.

Ob und inwieweit fMRT vor Gericht Bestand haben könnte, lässt sich noch gar nicht absehen. Traditionell steht die Justiz rein messenden Methoden skeptisch gegenüber. Ein Beispiel sind Lügendetektortests, die selbst mit Zustimmung des Angeklagten nicht als Beweismittel akzeptiert werden dürfen.

Sofern die fMRT aber anders bewertet würde, müssten Beschuldigte besonders auf ihre eigenen Rechte achten. Und sorgfältig abwägen, ob sie zu der Untersuchung bereit sind.

Gezwungen werden könnten sie nach heutiger Rechtslage nicht. Zwar ist sogar die Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus unter bestimmten Voraussetzungen zulässig, um ein Gutachten anfertigen zu lassen. Der Sachverständige darf den Beschuldigten aber nur beobachten, sofern dieser anderen Untersuchungen nicht zustimmt. Die fMRT wäre deshalb nur freiwillig möglich.

In jedem Fall wäre das auch für einen Verteidiger eine extrem kniffelige Frage. Es könnte einem Beschuldigten natürlich helfen, wenn das Ergebnis “nicht pädophil” lautet. Umgekehrt wäre es für den Beschuldigten eine juristische Katastrophe, wenn er sich durch eigene Beteiligung selbst belastet.

Bei Mandanten würde ich wahrscheinlich bei einem anderen Arzt, der ja der Schweigepflicht unterliegt, diskret eine Privatuntersuchung organisieren. Ist das Ergebnis bekannt, fällt die Entscheidung natürlich leichter. Allerdings klappt das natürlich nur, wenn das nötige Kleingeld vorhanden ist. Außerdem müsste der Mandant auf freiem Fuß sein – was bei solchen Delikten auch nicht gerade selbstverständlich ist.

Zum Artikel auf spektrum.de

Jenseits des Horizonts

Eine aus Afrika stammende Mandantin, der ich vor Jahren mal geholfen habe, rief mich heute nachmittag an. Sie sei bei der Ausreise verhaftet worden. Wegen Verstoßes gegen das Ausländerrecht und Urkundenmissbrauch.

Mit dem Pass einer Freundin soll sie versucht haben, nach England zu reisen. Ich unterbrach sie mit dem Hinweis, dass doch sicher Polizeibeamte zuhören. Da ist es mitunter nicht so schlau, Details zu besprechen.

“Yes”, sagte sie, “but none of them speaks English.” Nanu, über diese Zeiten ist man bei der Bundespolizei doch mittlerweile hinaus. Ich konnte nicht mehr nachfragen, denn in dem Moment hörte ich eine männliche Stimme im Hintergrund. Was sie sprach, war eindeutig französisch.

Mir schwante langsam, dass meine Mandantin möglicherweise ein wichtiges Detail nicht erwähnt hatte. Sie saß keineswegs an einem deutschen Flughafen, sondern bei der Fremdenpolizei in Calais. Sie hatte vorgehabt, mit der Fähre überzusetzen.

Ich musste die Mandantin enttäuschen. Französisches Recht übersteigt meinen Horizont. Immerhin konnte ich noch von einem wirklich freundlichen Beamten erfahren, dass sie morgen einem Richter vorgeführt wird. Dabei wird ihr, so jedenfalls seine Angabe, ein Pflichtverteidiger gestellt.

Wir sind so verblieben, dass sie sich noch mal meldet, wenn sie mit ihrem Anwalt nicht zufrieden ist. Dann schaue ich mal, ob ich einen finde. Oder spätestens dann, wenn sie nach Deutschland zurückgeschickt wird. Hier dürfte der Ärger ohnehin weitergehen.