3 Tage sind 3 Tage

Streng, strenger, Bayern. Hat meine Sekretärin gedacht, als sie gestern morgen eine Staatsanwaltschaft aus dem schönen Süden Deutschlands am Telefon hatte. Es ging um eine Ermittlungsakte, die uns zur Einsicht übersandt worden war. Die Akte sei schleunigst zurückzuschicken, wurde meiner Mitarbeiterin gesagt. Denn die Frist für die Akteneinsicht sei “längst” abgelaufen.

Die Akte war tatsächlich schon seit dem gestrigen Dienstagmorgen wieder in der Post, aber trotzdem ging ich der Sache mal nach. Tatsächlich hatte DHL die Unterlagen am Freitag zuvor um 13.30 Uhr angeliefert. Das sind 120 Minuten, bevor meine Mitarbeiterin freitags Feierabend macht.

Die Akteneinsicht, so hieß es im Begleitschreiben, werde “für 3 Tage gewährt”. Gut, da steht in der Tat mit keinem Wort, dass Wochenenden oder Feiertage nicht in die Frist eingerechnet werden. Allerdings ging ich bisher eigentlich davon aus, dass dies stillschweigend so gilt.

Wie soll ich denn die Frist auch einhalten, wenn das Paket am Freitagnachmittag eintrifft? Es ist ja nicht so, dass das Personal einer Anwaltskanzlei Däumchen dreht und sich sofort auf eine angelieferte Akte stürzen kann. Jedenfalls bei mir nicht.

Samstags- und Sonntagsarbeit bezahlen? Oder selbst kopieren? Geht natürlich, wenn man will. Aber will man? Doch allenfalls in wirklich wichtigen Fällen. So kommt es durchaus vor, dass eine Akte innerhalb von ein, zwei Stunden unser Büro wieder verlässt. Aber dann ist das auch wirklich supereilig. Und nicht so ein eher kleiner Fall, in dem niemand zu Tode gekommen oder flüchtig ist und der Staatsanwalt selbst die letzten 17 Tage rein gar nichts gemacht hat.

Na ja, immerhin weiß ich jetzt, dass die bayerische Justiz nicht 3 Werktage meint, wenn sie 3 Tage schreibt. Ich hoffe jetzt nur, dass wir nicht ausgerechnet am Freitag, 21. Dezember 2012 wieder eine Akte aus Süddeutschland erhalten. Oder am Gründonnerstag. Oder vor Pfingsten. Da kann ich nämlich wirklich für nichts garantieren.

Noch ein Rettungsschirm

Die Bundesregierung hat heute ein Gesetz zum Schutz “alter, überholter Geschäftsmodelle” beschlossen – auch wenn sie in der Begründung zu ihrem Gesetzentwurf genau das Gegenteil beteuert. Mit dem Leistungsschutzrecht wird für die die deutschen Presseverleger – und niemanden sonst – eine sachlich nicht zu rechtfertigende Geldquelle erschlossen. Auf der Strecke bleibt ein Teil der Meinungsfreiheit, wie wir sie bisher kennen.

Die Verlegerlobby hat lange um dieses Gesetz gerungen. Ihr Flehen um neue Fleischtöpfe von Staats wegen hatte teilweise Züge absurden Theaters, wie Stefan Niggemeier jüngst dokumentierte. Immerhin hat sich im Verlauf der Debatte gezeigt, dass die Politik längst nicht mehr nur auf emsige Lobbyisten im klassischen Sinn hören kann. Denn ein glatter Durchmarsch ist den Verlegern keineswegs gelungen.

So sollten nach dem ersten Gesetzentwurf zum Beispiel noch Blogger zur Kasse gebeten werden. Wobei in die Kategorie Blogger durchaus auch alle fallen, die eine Facebook-Seite unterhalten oder twittern. Jede noch so kleine Wiedergabe eines Zeitungsartikels, ja sogar Teile einer Überschrift hätte sie zum Freiwild für Kostenrechnungen und Abmahnungen der Verlagshäuser gemacht.

Das ins Gesetz reingefummelte Merkmal, wonach pro forma nur gewerbliche Blogger betroffen sein sollten, nahm der Politik ohnehin niemand ab. Mit dem Begriff “gewerblich” sind die Gesetzesmacher ja schon beim Thema Filesharing auf die Nase gefallen. Die Gerichte tun dort seit jeher so, als stehe dieses Wort gar nicht im Gesetz. Seitdem rollt in Sachen Film, Musik und Hörbücher ein Abmahn-Tsunami durchs Land.

Die Motivation war jedenfalls so klar wie anrüchig: Durch die Schaffung rechtlicher Grauzonen wäre es den Verlegern leicht möglich gewesen, den ins Internet schreibenden Teil der Bevölkerung mit Abmahnungen und Kostenrechnungen zu überziehen und so die Deutungshoheit in der virtuellen Welt wenigstens ein Stückweit zurückzuerobern. Dafür hätte schon der “Chilling Effect” gesorgt. Denn der Facebook-Nutzer wie du und ich hat wenig Bedarf daran, sich auf Kosten eines Halbjahreslohnes mit schlagkräftigen Rechtsabteilungen und Heerscharen von Abmahnanwälten anzulegen.

Allerdings scheint auch in Berlin manchem klar geworden zu sein, dass ein Großteil der Bürger mittlerweile online publiziert (ja, und auch reproduziert). Diese Menschen sind eine vielleicht eher gesichtslose, aber dennoch mächtige Lobby. Die Gefahr, es sich womöglich mit dem eigenen Wähler zu verscherzen, wenn man eine Statusmeldung oder einen Tweet über ein Tagesereignis zum juristisch unkalkulierbaren Risiko macht, wurde offenbar erkannt. Die Bürger-Publizisten waren im zweiten Entwurf raus.

Es verblieben nur noch die Suchmaschinen als potenzielle Zahler. Da es nur noch eine relevante Suchmaschine gibt, hieß der einzige Adressat des Leistungsschutzrechts plötzlich Google. Das roch ein wenig nach unzulässigem Sondergesetz. Insbesondere aber nach einer Totgeburt. Dass nämlich ausgerechnet der mächtigste Player im Net den deutschen Verlagen freiwillig stattliche Summen überweist, ist eher unwahrscheinlich. Jedenfalls nicht wahrscheinlicher, als dass Google das komplette Angebot deutscher Verlage aus seinem Index schmeißt. In Belgien hat es der Konzern jedenfalls so ähnlich schon praktiziert.

Nun also Entwurf Nummer drei, der erst wenige Stunden vor der Kabinettssitzung bekannt wurde. Neben Suchmaschinen sollen nun auch Dienste erfasst werden, die Informationen “entsprechend” aufbereiten. Das dürfte sich vornehmlich gegen Aggregatoren richten, die Pressemeldungen zusammenfassen und auf Endgeräten hübsch aufbereiten. Dienste wie Flipboard oder Rivva etwa.

Davon wird die Welt nicht untergehen, könnte man sagen. Allerdings ist jeder Anwendungsfalls des Leistungsschutzrechts einer zu viel. Das Gesetz schränkt faktisch die Meinungsfreiheit ein. Was zum Beispiel nach dem geltenden Urheberrecht noch als Zitat zulässig ist, wird nun durch das Leistungsschutzrecht kostenpflichtig. Oder sogar verboten. Nämlich dann, wenn sich Verleger dazu entscheiden, nicht die Hand aufzuhalten, sondern Unterlassung zu verlangen. Auch das Mundtot-Machen ist nämlich eine Alternative des Leistungsschutzsrechts.

Fakt ist, dass die Zeitungsverlage knapp 20 Jahre lang keine konstruktive Antwort auf die digitale Herausforderung gefunden haben. Es gibt Stimmen, die meinen, sie haben einfach gepennt. Nun lassen sie sich einen staatlichen Rettungsschirm spannen. Richtig wäre es, sie im Regen stehen zu lassen. “Alte, überholte Geschäftsmodelle” haben nichts anderes verdient.

“Er war es nicht”

Solche Telefonnotizen lese ich gerne:

Herr Staatsanwalt M. bittet um eine kurze Stellungnahme zur Sache, damit er das Verfahren einstellen kann.

Aus unserer Akte erfuhr ich schnell den Grund, warum der Staatsanwalt noch auf eine Stellungnahme wartete. Ich hatte sie noch nicht abgegeben. Das wiederum hatte einen einfachen Ursache. Auf meine Bitte, mir doch mal Akteneinsicht zu gewähren, hatte ich bislang noch nichts gehört.

Ohne die Akte zu kennen, ist es den weitaus meisten Fällen Harakiri, auch nur Pieps zu sagen. Allerdings ging es bei dieser Sache ohnehin nur um eine Bagatelle. Vielleicht war da ja was auf dem kurzen Dienstweg zu erreichen.

Ich rief also den Staatsanwalt zurück. Der hatte in der Zwischenzeit schon selbst gemerkt, warum ich noch nichts von mir hatte hören lassen. “Ich frage mich allerdings”, sagte der Staatsanwalt, “ob Sie die Akte überhaupt benötigen. Außer der sehr vagen Vermutung einer Zeugin, die noch nicht mal was gesehen hat, dass Ihr Mandant der Täter sein könnte, gibt es keinen einzigen Beweis.” Das klang vielversprechend.

“Wissen Sie was”, erklärte der Staatsanwalt, “wenn Sie mir jetzt am Telefon sagen, dass Ihr Mandant es nicht gewesen ist, mache ich den Vorgang zu.” Angesichts dieser Perspektive sah ich vom ehernen Grundsatz ab, mich nicht ohne Akteneinsicht zu äußern.

Auch wenn sich natürlich die Frage stellt, welches besondere Gewicht nun das schlichte Leugnen des Beschuldigten für die abschließende Entscheidung des Staatsanwalts hat. Normalerweise wird ja nicht allzu viel darauf gegeben, was ein Beschuldigter zu sagen hat. Zumal er ja sogar lügen darf. 

Wie auch immer, der Staatsanwalt war zufrieden. Heute kam die Mitteilung, das Verfahren sei mangels Tatverdachts eingestellt.

Wir sind Monster

Die Grenze des guten Geschmacks wurden in der Urheberrechtsdebatte schon mehrfach ausgetestet. Von allen beteiligten Seiten. Den eindeutigen Tiefpunkt markiert allerdings ein Plakat des Syndikats, einer Vereinigung von 600 deutschsprachigen Krimiautoren.

Auf dem Poster (PDF), das der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift “Politik und Kultur” des Deutschen Kulturrates beiliegt, weidet ein “Mediziner” mit Guy-Fawkes-Maske menschliche Körper aus. Etliche Leichen liegen offenbar noch als Vorrat auf Halde. Die Botschaft kommt mit einem knalligen Slogan aus:

KULTURFLEDDERER – Ja zum Urheberrecht

Ungeklärt bleibt, was es mit den Toten auf sich hat. Symbolisieren sie etwa die deutsche Kultur insgesamt? Oder nur den Aggregatzustand des deutschen Krimis? Sicher, Leichenfledderei ist unschön. Aber hey, es wird am Ende doch nur bereits Abgestorbenes recycelt. Alles halb so wild, möchte man sagen.

Entgegen der Intention verrät das Plakat womöglich also mehr über seine Urheber als über jene, die angeblich gewissenlos hehres Kulturgut fleddern. Letztlich gilt aber auf jeden Fall: Wer seine Botschaft (die Macher nennen das Plakat vorsichtshalber schon mal “provokant”) in offenkundig unlogische Bildersprache verpackt, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Und der wird nicht lange auf sich warten lassen.

Jedenfalls ist die GVU jetzt schon mal vollständig rehabilitiert. Nach langen Jahren toppt mit dem “Syndikat” doch noch jemand den Slogan “Raubkopierer sind Verbrecher” und erbringt den Beweis: Blöder geht immer.

Das Plakat kommt auch noch zur Unzeit. So hatten sich jüngst die Fronten etwas aufeinander zubewegt. Es gab runde Tische, Podiumsdiskussionen und sogar Fernsehrunden, in denen sich die Akteure um Sachlichkeit und damit Annäherung in Sachen Urheberrecht bemühten. Mit so einem plumpen Auftritt wird natürlich wieder viel Porzellan zerschlagen.

Wenn es auf diesem Niveau weiter geht, ist am Ende vielleicht wirklich jemand tot. Ein heißer Kandidat scheint mir das “geistige Eigentum”. Abgemurkst vom Wähler und Gelegenheits-Filesharer, der sich als trotz seiner Schwächen ungern als Monster diffamieren lässt. 

Nette Nachbarn

Zu den praktischen Dingen bei Onlinekäufen, telefonischen und schriftlichen Bestellungen gehört das Widerrufsrecht. Der Kunde darf den Kauf rückgängig machen und erhält sein Geld zurück. Er muss dem Verkäufer nur innerhalb von zwei Wochen mitteilen, dass er vom Kauf Abstand nimmt. Die bestellte Ware kann er auch noch später zurücksenden.

Das mit der Frist klingt zunächst mal einfach, die Tücke steckt jedoch im Detail. Mit einem dieser Fälle hat sich jetzt das Amtsgericht Winsen beschäftigt. Ein Käufer hatte online bestellt, der Paktebote gab die Sendung jedoch bei seiner Nachbarin ab. Der Käufer erhielt die Sendung eine Woche später, erklärte den Widerruf jedoch erst nach mehr als zwei Wochen – wenn man die Widerrufsfrist mit der Übergabe an die Nachbarin anfangen lässt.

Das genau tut das Amtsgericht Winsen aber nicht. Nach Auffassung des Richters beginnt die Widerrufsfrist in solchen Fällen erst, wenn der Empfänger selbst das Paket entgegengenommen hat. Die Zeit bei der Nachbarin wird deshalb nicht in die zwei Wochen eingerechnet.

Zur Begründung weist das Gericht darauf hin, dass “freundliche Nachbarn” erst mal dem Empfänger helfen wollen, damit dieser schnell an seine Sendung kommt. Und ein bisschen auch dem Lieferdienst, damit der keine unnötigen Wege hat. Allerdings, so das Gericht, seien nette Nachbarn keine Empfangsbevollmächtigten des Käufers. Sie würden die gelieferte Ware ja auch nicht für den Besteller öffnen, testen oder anprobieren.

Es gebe auch immer wieder Fälle, in den Nachbarn Pakete annehmen, obwohl das vom Empfänger gar nicht gewünscht sei. Dazu heißt es im Urteil:

Der Paketdienst hat es in der Hand, ob er bei Abwesenheit des Empfängers noch einmal erscheint oder das Risiko eingeht, die Ware in der Nachbarschaft abzugeben. Der abwesende Empfänger kann einer "liebenswürdigen, aber schrecklichen neugierigen Nachbarin" schon zehnmal verboten haben, für ihn Ware entgegenzunehmen; macht sie es aber trotzdem, so ist der Empfänger dagegen machtlos. Der Paketdienst hingegen hat es in der Hand, zum Beispiel nur an solche Nachbarn etwas herauszugeben, die ihm eine schriftliche Berechtigung zum Sendungsempfang vorlegen.

Wenn die Sendung also beim Nachbarn landet, beginnt nicht schon damit die Widerrufsfrist zu laufen. Anders ist es allerdings, wen der Käufer seinem Nachbarn eine schriftliche Vollmacht erteilt hat. In diesem Fall, so das Amtsgericht Winsen, sei der Nachbar eine Art Stellvertreter des Kunden. Der Paketbote könne ihm deshalb das Paket rechtsverbindlich übergeben.

Amtsgericht Winsen, Urteil vom 28. Juni 2012, Aktenzeichen 22 C 1812/11

Keine Bearbeitungsgebühren für Kredite

Kreditnehmer können möglicherweise Geld von ihrer Bank zurückfordern. Das Oberlandesgericht Dresden hat Bearbeitungsgebühren bei Darlehen für grundsätzlich unzulässig erklärt. Viele Banken  nehmen bis zu zwei Prozent der Kreditsumme als Bearbeitungsgebühr. Das Urteil (Aktenzeichen 8 U 562/11) hat die Verbraucherzentrale Sachsen erstritten.

Über Bearbeitungsgebühren für Kredite wird seit langem gestritten. Regelmäßig verlangen Banken und Sparkassen diese Gebühr zusätzlich zu den Zinsen. In dem sächsischen Fall, der bis vor den Bundesgerichtshof ging, handelte es sich dabei um eine Bearbeitungsgebühr in Höhe von 2 Prozent vom ursprünglichen Kreditbetrag. Bei einem Darlehensbetrag von 10.000 € sind das immerhin 200 €.

Begründet haben die Geldhäuser ihre Forderung mit dem Beratungsaufwand und der Bonitätsprüfung des Kunden."Einmal mehr wollten damit Banken und Sparkassen sich für Tätigkeiten, die in ihrem eigenen Interesse liegen, vom Kunden bezahlen lassen", sagt Andrea Heyer, Finanzexpertin der Verbraucherzentrale Sachsen. "Dass dies unzulässig ist, ist bekannt – dennoch werden immer wieder derartige Preisklauseln kreiert."

Überdies akzeptieren viele Banken verbraucherfreundliche Urteile nicht. So haben im Fall der Bearbeitungsgebühr bereits andere Gerichte ähnlich entschieden wie nun das Oberlandesgericht Dresden. Zeigt sich allerdings in einem Verfahren, dass auch der Bundesgerichtshof wahrscheinlich zu Lasten des Kreditinstitutes entscheidet, wird durch den Anbieter die Revision zurückgenommen. So ist es nun auch wieder im aktuellen Fall.

Durch die Rücknahme der Revision leibt den anderen Unternehmen die Möglichkeit, weiterhin gegenüber ihren Kunden den Standpunkt zu vertreten, die Angelegenheit sei noch nicht höchstrichterlich entschieden. Zur Abwehr von Ansprüchen wird von Banken und Sparkassen des Weiteren auch immer wieder der Einwand der Verjährung vorgebracht. Auch hiervon sollten sich Kunden, so die Verbraucherzentrale Sachsen, nicht beeindrucken, sondern diese Frage zumindest individuell prüfen lassen.

Ein ungeliebtes Video

Weil er sich über das Video einer Nachbarschaftsinitiative empörte, hat sich ein Hannoveraner Bezirksbürgermeister an die Staatsanwaltschaft gewandt. Diese sollte nicht nur ermitteln, sondern den Streifen möglichst direkt auf Youtube löschen. Empörte Anwohner und der Bezirksbürgermeister mutmaßten strafbare Gewaltverherrlichung.

Dabei war der Streifen sogar mit Hilfe der öffentlichen Hand finanziert. 1.500 Euro erhielt die Nachbarschaftsinitiative im Stadtteil Linden-Nord fürs Material, um mit Unterstützung von Schauspielschülern ein dortiges Problem zu thematisieren. Das Viertel, im Schatten der als “Die drei warmen Brüder” bekannten Kraftwerksschornsteine gelegen, und insbesondere die Limmerstraße sind eine Partylocation, die nur selten zur Ruhe kommt.

Vor allem auswärtige Veranstaltungs- und Kneipenbesucher sollen es sein, die immer wieder Probleme verursachen. Alkoholexzesse und Drogengeschäfte werden beklagt, ebenso wie Gewaltausbrüche und der schnöde Missbrauch des öffentlichen Straßenraums als Urinal.

Die Nachbarschaftsinitiative Linden-Nord hat sich der Thematik beherzt angenommen und ihren Film auf Youtube gestellt:

Die durchaus drastischen Bilder, die aber letztlich für mehr Rücksicht auf die Anwohner und untereinander werben sollen, riefen Bürger und den Bezirksbürgermeister auf den Plan. Der Politiker schaute offenbar ins Strafgesetzbuch und stieß auf den Paragrafen 131, der Gewaltverherrlichung und –verharmlosung unter Strafe stellt, sofern bestimmte Bedingungen erfüllt sind.

Allerdings hat sich der zuständige Staatsanwalt in Hannover nicht von der allgemeinen Aufregung anstecken lassen. Er kam zu dem Ergebnis, eine strafrechtliche Relevanz des dargestellten Geschehens sei „unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt erkennbar”. Was im übrigen völlig korrekt ist, denn der Gewaltverherrlichungsparagraf ist für die ganzen harten Inhalte gemacht. Davon ist das Video meilenweit entfernt.

Und für Geschmacksfragen sind Staatsanwälte nicht zuständig.

Bericht in der HAZ

Polizisten als “Werkzeuge”

Das Amtsgericht Waiblingen hat einen 48-Jährigen wegen vorsätzlicher Körperverletzung wegen des Einsatzes von Pfefferspray verurteilt. Eine alltägliche Geschichte, aber mit einem besonderen Dreh. Das Pfefferspray hatte nämlich nicht der Betroffene verwendet, sondern Polizisten, die den Mann zur Räson bringen wollten.

Der 48-Jährige hatte sich aus einer Suchtklinik abgesetzt. Dort war er wegen eines Alkoholrückfalls eingeliefert worden. Pfleger befürchteten, er könne sich selbst oder anderen was antun. Unbegründet war die Sorge nicht; der Mann lief mit einer Axt und später mit einem Stein durch Winnenden.

Die herbeigerufene Polizei soll ihn mehrfache aufgefordert haben, seine “Waffen” abzulegen. Sonst werde Pfefferspray gesprüht. Da sich der Mann weigerte, passierte genau das. Durch die Schwaden erlitten Umstehende die üblichen Augenreizungen.

Der Staatsanwalt kam auf die Idee, den 48-Jährigen neben anderer Delikte auch wegen des Pfeffersprays anzuklagen. Juristisch spricht man in diesem Fall von “mittelbarer Täterschaft”; die Beamten gelten als “Werkzeuge” des eigentlichen Täters. Das ist jedenfalls ein origineller Kniff, der allerdings nicht ganz unbekannt ist. Polizeibeamte haben auch schon geklagt, weil sie bei der Verfolgung eines Verdächtigen Treppen runtergefallen sind oder Autounfälle hatten. Ohne die Flucht, so ihre Argumentation, wäre der Unfall ja nicht passiert.

Allerdings handelte es sich in diesen Fällen eher um die Frage des (zivilrechtlichen) Schadensersatzes. Hier wird jemand dafür bestraft, obwohl die Wahl der Mittel natürlich letztlich immer im Ermessen der Polizisten verbleibt.

Sofern die Idee auch anderswo aufgegriffen wird, ist das Konzept natürlich ausbaubar. Zum Beispiel bei Demonstrationen, wo es ja immer mal wieder zur Verletzung Unbeteiligter kommt. Aber dann wird die juristische Gegenwehr wohl auch heftiger sein als in Winnenden. Der Betroffene kam nämlich insgesamt noch recht günstig davon.

Bericht in der Lokalzeitung

Das schnelle Ende eines Verhandlungstages

Was den Zeitablauf angeht, sind Gerichtsverfahren nie verlässlich. Bist du als Anwalt mal zu spät, wartet bereits das Gericht. Bist du pünktlich, beginnt die Verhandlung garantiert nicht zum geplanten Zeitpunkt. Und haut alles hin, fehlt zumindest der Angeklagte. Solche Dinge lassen sich nicht vermeiden. Deshalb gehe ich damit auch gelassen um, so lange ich keinen bösen Willen unterstellen kann. Ebenso freue ich mich, wenn mir im Fall einer Verspätung gleiches widerfährt. Das ist bei Richtern übrigens die Regel, nicht die Ausnahme.

Es kommt eben immer auch auf den Ton an, mit dem man sich begegnet. Ein negatives Beispiel durfte ich heute bei einer Gerichtsverhandlung erleben. Die Strafkammer hatte morgens Programm durchgezogen und punkt 12 Uhr die Mittagspause ausgerufen. Die Pause sollte stattliche zwei Stunden betragen. Ab 14 Uhr war Programm vorgesehen.

Natürlich kann man über Sinn und Unsinn einer zweistündigen Mittagspause diskutieren. Gerade wenn viele Prozessbeteiligte Tag für Tag weit anreisen. Allerdings entscheidet über den Zeitplan das Gericht. Zwei Stunden reichen auch noch nicht für den Eindruck, man solle als auswärtiger Anwalt nur geärgert werden.

Mit zwei netten Kolleginnen, eine davon bloggt sogar,  und einem Kollegen saß ich die Zeit recht angenehm beim Italiener ab. Wir waren punkt 14 Uhr wieder im Gerichtssaal. Dort hatte das Gericht seinen üblichen, wie ich finde recht martialischen Auftritt. Die Justizbeamten, die eigentlich inhaftierte Angeklagte bewachen sollen, rufen nämlich jedes Mal bei Einzug der fünf Richter “Aufstehen”. Dabei ist juristisch längst geklärt, dass auch für ehrenwerte Strafrichter nur einmal aufgestanden werden muss – und zwar ausschließlich zu Beginn jedes Verhandlungstags.

Aber was tut man nicht alles, um unnötige Debatten zu vermeiden. Wir erhoben uns also samt und sonders, auch ohne dazu verpflichtet zu sein. Um dann vom Vorsitzenden des Gerichts wenige Sätze zu hören: Angekündigte Anträge könnten auch morgen gestellt werden, das Gericht habe eine Sach- und Rechtslage neu geprüft, deshalb sei der Verhandlungstag jetzt vorbei. Sprach’s, drehte das Mikro ab und verschwand eiligst im Beratungszimmer, seine Kollegen und die Schöffen im Schlepptau. Das Ganze ging so schnell, dass selbst Fragen nicht mehr möglich waren. Die Tür war zu, das Gericht verschwunden, noch bevor einer aus dem Saal das Wort ergreifen konnte.

Für mich sah das aus wie eine Flucht. Leider kann ich nur spekulieren, was der Grund für diesen höchst merkwürdigen Abgang war, der natürlich auch nicht gerade würdig wirkte. Es ist schon bedauerlich, dass nur Spekulation verbleibt. Auch wenn es natürlich dem Gericht freisteht, einen Verhandlungstag nach Belieben zu beenden, so wie es nervig lange Mittagspausen anordnet, finde ich doch, dass eine ganze Heerschar Prozessbeteiligter ein paar mehr Informationen verdient hat. Etwa zu dem Umstand, dass man uns zwei Stunden ausharren lässt für die schnöde Nachricht, dass wir zurück ins Büro fahren können.

Wenn mir ein Richter sonst erklärt, warum er mit einer dreiviertel Stunde im Verzug ist, reichen dafür einige Worte. Oft auch nur ein lakonisches Achselzucken. Oder eine kleine Geste des Bedauerns.  Ich will ja auch gar nicht wissen, worum es im Detail geht. Und selbst wenn, was ich vermute, das flüchtende Gericht heute einen eigenen Verfahrensfehler bemerkt hat und deshalb erst mal überlegen wollte, wie es das Problem löst, hätte man das mit etwas Offenheit ja auch so kommunizieren können, dass der überraschende Abbruch wenigstens nachvollziehbar wird und nicht das große Rätselraten bleibt. Und vor allem die Frage, was das mit der üppigen Mittagspause sollte.

Aschewolke ist höhere Gewalt

Flugausfälle wegen einer Vulkanaschewolke sind “höhere Gewalt”. Hierfür muss ein Reiseveranstalter keinen Schadensersatz leisten, entschied das Amtsgericht München.

Der spätere Kläger buchte bei einem Münchner Reiseunternehmen eine einwöchige Pauschalreise nach Mombasa in Kenia. Der für Mitte April 2010 geplante Rückflug wurde storniert, weil der Vulkan Eyjafjallajökull Asche spuckte. Der Reisende konnte erst sieben Tage später nach Hause fliegen.

Der Betroffene machte zusätzliche Hotelkosten von 180 Euro, Verdienstausfall in Höhe von 583 Euro sowie Telefonkosten in Höhe von 161 Euro geltend. Das Reiseunternehmen weigerte sich zu zahlen. Schließlich könne es für die Naturgewalten nichts.

Am Amtsgericht München hatte die Firma gute Karten. Zwar werde das Verschulden eines Reiseunternehmens grundsätzlich vermutet, so dass es seine Sache ist, sich zu entlasten. Allerdings sei auch dem Gericht bekannt, dass der Flugverkehr im fraglichen Zeitraum wegen der Aschewolke ruhte.

Ein derartiges von außen kommendes Ereignis sei nicht vorhersehbar. Es weise auch keinen betrieblichen Zusammenhang auf. Überdies sei eine Aschewolke nicht abwendbar. Es handele sich vielmehr um höhere Gewalt, für die ein Reiseveranstalter nicht verantwortlich gemacht werden könne.

Das das Reiseunternehmen keine Fluglinie ist, konnte sich der Kläger nicht auf die Europäische Fluggastrechteverordnung berufen. Das Urteil, das erst jetzt veröffentlicht wurde, ist rechtskräftig.

Urteil des Amtsgerichts München vom 18. August 2011, Aktenzeichen 222 C 10835/11

Die Legende vom “geistigen Eigentum”

Ich bin beeindruckt. Ein Schweizer Assistenzprofessor zerpflückt in wenigen Worten die Mär vom “geistigen Eigentum” und entlarvt sie als das, was sie in Wirklichkeit ist – “propagandistische Rhetorik”.

Florent Thouvenin, der an der Law School der Universität St. Gallen lehrt, hat einige unbequeme Wahrheiten im Gepäck. Zum Beispiel jene, dass die Idee des “geistigen Eigentums” relativ neu ist. Thouvenin verortet sie erst auf die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts. Erst mit dem massenweisen Nachdrucken von Büchern sei überhaupt die Idee entstanden, der Autor könne nicht nur Rechte an seinem Manuskript haben. Sondern auch an den darin festgehaltenen Ideen.

Die Anknüpfung ans Eigentum war damals in der Sache naheliegend. Bei Büchern handelt es sich nun mal um körperliche Gegenstände. Spätestens mit der Digitalisierung gibt es aber keine Rechtfertigung mehr, den für körperliche Dinge geltenden Eigentumsbegriff auch auf Inhalte zu erstrecken, die beliebig vermehrbar sind. Ein Fahrrad kann eben nur von einer Person genutzt werden. Was für digitale Güter aber offensichtlich nicht gilt, bei ihnen ist eine “nicht rivalisierende Nutzung” möglich.

Fast schon verblüffend ist auch Thouvenins Hinweis, dass digitale Güter in einer Gesellschaft an sich am besten genutzt werden, wenn sie für jedermann frei zugänglich sind. Das eigentliche Problem fasst der Jurist so zusammen:

Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht besteht bei öffentlichen Gütern damit ein Dilemma: Aufgrund der Nicht-Rivalität werden öffentliche Güter optimal genutzt, wenn die Nutzung durch jedermann frei erfolgen kann. Umgekehrt ist aber wegen der Nicht-Ausschliessbarkeit zu erwarten, dass öffentliche Güter auf dem Markt nicht in ausreichendem Umfang produziert werden, weil die Nutzung durch Dritte nicht verhindert oder von einem Entgelt abhängig gemacht werden kann.

Die Rechtfertigung für einen besonderen Schutz dieser Güter kann nach Thouvenins Auffassung nur darin liegen, eine gesellschaftlich ungewünschte Verknappung zu verhindern, weil möglicherweise zu wenige Kreative Lust haben, für Gotteslohn geistige Werke zu schaffen. Wie aber ist der Ausgleich zu gestalten? Völlig zu recht weist Thouvenin darauf hin, dass soziologische, ökonomische und juristische Aspekte auf einen Nenner gebracht werden müssen. Es muss also ein Ausgleich erzielt werden. Jedenfalls gibt es keineswegs einen faktischen Zwang, wegen der angeblichen Existenz “geistigen Eigentum” dieses um seiner selbst zu schützen.

Der Autor:

Der Begriff des geistigen Eigentums verstellt hier nur den Blick auf die wahre Komplexität, indem er mit propagandistischer Rhetorik versucht, die Gewährung von Ausschliesslichkeitsrechten an öffentlichen Gütern als vermeintlich zwingend hinzustellen.

Bei dieser, wie ich meine zutreffenden, Sicht der Dinge dreht sich manches um. Das wird vielen “Urhebern” nicht gefallen. Aber die Zeit scheint abgelaufen, in der sie kritiklos auf ihr schiefes Bild vom “geistigen Eigentum” pochen und Rechte reklamieren konnten, die ihnen bei objektiver Betrachtung gewährt werden können. Aber nicht müssen. 

Florent Thouvenins Kommentar in der NZZ

Unaufschiebbare Anträge

Kündigt ein Anwalt einen unaufschiebbaren Antrag an, weiß der Richter Bescheid. Er wird gleich wegen Befangenheit abgelehnt werden. Wobei “gleich” relativ zu sein scheint. Bisher dachte ich, unaufschiebbar bedeutet unaufschiebbar. Ich habe auch noch nicht erlebt, dass ein Gericht ernsthaft den Versuch macht, unaufschiebbare Anträge aufzuschieben. Bis heute.

Die Ankündigung eines unaufschiebbaren Antrags quittierte der Richter mit dem Hinweis, der Antrag könne zu gegebener Zeit gestellt werden, und zwar “ohne Rechtsverlust”. Das Gericht werde darauf zurückkommen, damit der Antrag gestellt werden könne. Offenbar zu einem Zeitpunkt, der dem Gericht genehm ist. Dann wollte er im normalen Programm weiter machen.

Ein ziemlich eigenwilliges Prozedere, wie sich auch am lautstarken Protest der Anwälte zeigte. Immerhin schreibt das Gesetz ja vor, dass Befangenheitsanträte ohne schuldhaftes Zögern gestellt werden müssen. Ob die Zusage des Gerichts reicht, das gehe auch noch später “ohne Rechtsverlust”, ist jedenfalls ein Risiko, das ich lieber nicht eingehen würde. Das dürfte in etwa so verlässlich sein wie die Zusage eines Handyverkäufers, dass man den Vertrag selbstverständlich auch noch nach Ablauf des Widerrufsrechts widerrufen kann, weil, “wir sind da sehr kulant”.

Nun ja, das Gericht zog sich wenigstens zur Beratung zurück. Offenbar hatten die weiteren Richter einen heilsamen Einfluss auf den Vorsitzenden und haben ihm verklickert, dass ein weiter unaufschiebbarer Antrag wahrscheinlich lauten würde, dass er wegen der Nichtentgegennahme unaufschiebbarer Anträge befangen ist.

Die unaufschiebbaren Anträge durften also gestellt werden. Und ich bin um eine merkwürdige Erfahrung reicher.

Auch Kölner Richter müssen sich was sagen lassen

(Kleine) Anwältin gegen Gerichtspräsident. Es sah auf den ersten Blick nicht unbedingt gut aus für die bloggende Juristin Heidrun Jakobs. Jakobs hatte einen deutlichen, kritischen Blogeintrag geschrieben, in dem sie sich über die Verfahrenspraxis einer Zivilkammer am Landgericht Köln äußerte. Der betreffende Richter beschwerte sich bei seinem Gerichtspräsidenten. Dieser wiederum war sich nicht zu schade, Jakobs bei der Anwaltskammer anzuschwärzen. Dabei warf er auch die Frage auf, ob Anwälte überhaupt bloggen dürfen.

Dieser Beitrag war der Stein des Anstoßes. Meine Meinung zum Brief des Gerichtspräsidenten habe ich hier gesagt. Nun hat die Sache ein Ende gefunden, noch dazu ein gutes. Die Anwaltskammer Koblenz hat die Beschwerde des Landgerichtspräsidenten zurückgewiesen. Aus den Gründen:

… dürfen Rechtsanwälte mit scharfen und überzogenen Formulierungen auch Kritik an Richtern üben, sofern die herabsetzende Äußerung nicht den Charakter einer Formalbeleidigung oder Schmähkritik annimmt.

Es muss die Auseinandersetzung in der Sache und nicht die Diffamierung der Person im Vordergrund stehen. In den Äußerungen der Kollegin, die 26. Kammer sei “als bankenfreundlich bekannt” ist ein Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot nicht zu sehen. Eine Diffamierung ebenfalls nicht.

Weiterhin ist in der Vermutung “dass die Kammer es verabsäumt habe, “diesen Vortrag zur Kenntnis zu nehmen” ebenfalls keine Verletzung des Sachlichkeitsgebots begründet. Wenn die Kollegin aufgrund der Auswertung des Urteils zu dem Ergebnis gelangt, dass Vortrag nicht berücksichtigt wurde, ist die Kritik an der nach ihrer Ansicht fehlenden Berücksichtigung ebenfalls nicht unsachlich.

Die Äußerungen der Rechtsanwältin waren also per se zulässig. Ob “Internet-Blogs” für Anwälte erlaubt sind, was der Gerichtspräsident ja auch wissen wollte, musste die Anwaltskammer gar nicht sagen. Aber auch das ist ja eine Antwort, zumindest ein bisschen.