Polizei darf E-Mail-Account nicht dauerhaft kapern

Wenn die Polizei E-Mails auf Servern beschlagnahmt, darf sie den Account des Betroffenen nicht auf unabsehbare Zeit in Beschlag nehmen. Vielmehr muss dem Inhaber des E-Mail-Kontos nach vertretbarer Zeit wieder der Zugang ermöglicht werden. Dies hat das Amtsgericht Düsseldorf entschieden.

Gegen einen meiner Mandanten läuft ein Strafverfahren. Bei den Ermittlungen stießen Polizisten auch auf ein E-Mail-Konto, das mein Mandant genutzt hat. Bei der Hausdurchsuchung gab mein Mandant freiwillig Nutzernamen und Passwort für das Konto heraus. Die Polizei änderte sofort das Passwort und hatte von da an nur noch allein Zugriff auf die E-Mails.

Grundsätzlich ist dagegen nichts einzuwenden, meint das Amtsgericht Düsseldorf. Die Polizei dürfe das E-Mail-Konto zunächst abschotten, weil sonst die Gefahr bestehe, dass der Beschuldigte noch eigenmächtig Daten ändert. Allerdings entfalle die Berechtigung für eine Beschlagnahme, sobald die E-Mails ausgewertet seien. Das war schon nach wenigen Tagen der Fall.

Die Entscheidung ist richtig, denn die weitere Überwachung des Kontos kann nur durch einen gesonderten Beschluss angeordnet werden. Dennoch waren die Beamten in meinem Fall aber nicht bereit, die “Hoheit” über das E-Mail-Konto wieder abzugeben, nachdem sie die dort vorhandenen Mails kopiert hatten. Ich weiß nicht, ob sie ernsthaft eine verkappte Telekommunikationsüberwachung planten oder schlicht nur keine Lust hatten, das Passwort zurückzusetzen. Jedenfalls musste jetzt erst mal das Amtsgericht entsprechende Anweisung geben.

Amtsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 10. September 2012, Aktenzeichen 150 Gs 1337/12

Mehr Bratwurst als Hähnchen

Die Bezeichnung eines Snacks als "Hähnchen-Kebab" ist irreführend, wenn das Produkt nicht aus gewachsenen Fleischstücken, sondern aus fein zerkleinertem Fleisch besteht und deshalb „schwammig im Biss“ ist. Mit dieser Begründung hat das Verwaltungsgericht Berlin die Klage eines Herstellers von Fertiggerichten aus Niedersachen abgewiesen. Der Produzent hatte sich gegen die lebensmittelrechtliche Beanstandung eines Berliner Bezirksamtes gewehrt.

Nach Angaben des Herstellers wird sein „Hähnchen-Kebab“ hergestellt, indem das Hähnchenfleisch mit Kochsalz und Gewürzen in einem Mischer vermengt und mittels einer Füllmaschine in einen Kunstdarm gefüllt wird. Die Kebab-Rohlinge würden dann erhitzt, herunter gekühlt und in die vorgesehene Stückgröße geschnitten. Abschließend werde alles tiefgekühlt und verpackt. Der Produktionsprozess ähnelt somit dem von Bratwurst.

Auf der Verpackung selbst beschreibt die Firma ihr Produkt so: „aus Hähnchenfleisch zubereitet, arttypisch gewürzt, durchgegart und geschnitten, tiefgefroren“. Der Hersteller hatte vor Gericht argumentiert, „Kebab“ sei ohnehin nur eine Phantasiebezeichnung. Die Angabe „aus Hähnchenfleisch zubereitet“ mache deutlich, dass es sich nicht um gewachsenes Fleisch handele. Die Berliner Lebensmittelaufsicht sah jedoch eine Irreführung des Verbrauchers. Sie monierte auch, dass die Verpackung echte Fleischstücke zeigt.

Dieser Auffassung schloss sich das Verwaltungsgericht Berlin an. Ein nennenswerter Teil der Verbraucher verstehe „Kebab“ als Kurzform von „Döner-Kebab“. Nach den Leitsätzen des Deutschen Lebensmittelbuches besteht Hähnchen-Döner-Kebab aus dünnen Fleischscheiben ohne die Verwendung von zerkleinertem Fleisch. Der Verbraucher habe die Erwartung, es handele sich um Hähnchenfleischscheiben „wie gewachsen“; diese Erwartung werde durch die Beschreibung des Produktionsprozesses auf der Verpackung nicht verändert.

Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 12. September 2012, Aktenzeichen VG 14 K 48.11

Nachtrag: Tierfutter ins Döner gemischt

Drei Vornamen

Der erfundene Name des Herrn ist: Meier. Seine Vornamen Karl-Heinz Friederich Alexander sind auch fiktiv. Aber in der Realität gibt es diesen Mann, auch wenn er drei anders klingende Vornamen hat. Doch woher kennt ausgerechnet die Staatsanwalt Düsseldorf alle diese Vornamen, und zwar die richtigen? Das will er wissen, dieser Meier. Also fragt er die Staatsanwaltschaft. Doch die schweigt beharrlich.

Meier hatte in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer einer Firma eine Strafanzeige erstattet. Weil in seinem Betrieb ein PC lahmgelegt worden war. Mit einem Trojaner, mit dem Geld abgezockt werden sollte.

Die Staatsanwaltschaft hat Meier neulich davon informiert, das Ermittlungsverfahren sei eingestellt worden. Diese Nachricht ist jedoch nicht an die betroffene Firma adressiert, sondern an die private Anschrift des Herrn Meier. Zweitens zählt die Staatsanwaltschaft fein säuberlich seine drei Vornamen auf, eben Karl-Heinz Friederich Alexander. Das hat stutzig gemacht. Herr Meier hat der Behörde seine vollständig ausgeschriebenen Vornamen in der Anzeige nicht genannt.

Hat also die Staatsanwaltschaft beim Einwohnermeldeamt gecheckt, ob es diesen Geschäftsführer Meier wirklich gibt. Oder hat die Polizei diese Daten ermittelt und weitergegeben? Oder – das wäre allerdings fragwürdig – haben Polizei und Staatsanwaltschaft diese Daten in ihrer Datenbank namens Mehrländer-Staatsanwaltschafts-Automation, MESTA genannt, weil Herr Meier vor vielen, vielen Jahren mal eines kleineren Vergehens bezichtigt wurde?

Franz Kafka, der Erfinder surrealer bis bedrohlicher Geschichten, er soll beim Vorlesen eigener Texte regelrechte Heiterkeitsanfälle bekommen haben. Herrn Meier ist nicht danach zumute.

Er grübelt. Er hat im Paragraphen 12 des Datenschutzgesetzes NRW diesen Satz gelesen „Das Erheben personenbezogener Daten ist nur insoweit zulässig, als ihre Kenntnis zur rechtmäßigen Erfüllung der Aufgaben der erhebenden Stelle erforderlich ist“. Der Verstoß gegen die Vorschrift ist eine Ordnungswidrigkeit.

Das könnte die Lösung sein: Womöglich belastete sich jemand bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf selber mit der Auskunft – und verweigert sie deshalb? Bei diesem Gedanken lächelt Herr Meier doch noch. Warum man ihm aber nicht einfach sagt, woher man seine Vornamen hat, ist und bleibt allerdings weniger lustig.  (pbd)

Übrigens: Am Donnerstag ist OptOut-Day

Bundestag muss Guttenberg-Gutachten rausgeben

Das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) erfasst auch Dokumente der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages. Dies hat das Verwaltungsgericht Berlin entschieden. Der Bundestag muss nun Gutachten herausgeben, die der frühere Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg als Bundestagsabgeordneter angefordert, aber auch für seine Doktorarbeit verwendet hat.

Ein Journalist hatte beantragt, ihm Zugang zu insgesamt acht Dokumenten der Wissenschaftlichen Dienste und des Sprachendienstes des Deutschen Bundestages, die Karl-Theodor zu Guttenberg angefordert und für seine Dissertation verwendet hat, zu gewähren.

Der Deutsche Bundestag hatte das mit der Begründung abgelehnt, das IFG sei nicht anwendbar. Die Zuarbeit der Wissenschaftlichen Dienste und des Sprachendienstes sei der Mandatsausübung der Abgeordneten zuzurechnen und daher als Wahrnehmung parlamentarischer Angelegenheiten vom Informationszugang ausgenommen. Außerdem seien die Gutachten urheberrechtlich geschützt.

Das Verwaltungsgericht Berlin sieht dies anders. Vom Anwendungsbereich des IFG sei nur der Kern parlamentarischer Angelegenheiten ausgenommen. Die Arbeit der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages falle nicht hierunter, sondern sei Verwaltungstätigkeit, auch wenn die Anfragen der Abgeordneten an die Wissenschaftlichen Dienste mandatsbezogen seien.

Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste seien Grundlage für die parlamentarische Arbeit der Abgeordneten, nicht aber bereits selbst parlamentarische Tätigkeit. Der Schutz des geistigen Eigentums stehe dem Anspruch nicht entgegen. Die Bundestagsverwaltung sei Inhaberin der Nutzungsrechte. Ihr Erstveröffentlichungsrecht sei durch die Herausgabe nicht verletzt, weil nur der Kläger und nicht die Allgemeinheit Kopien erhalte.

Wegen grundsätzlicher Bedeutung hat das Verwaltungsgericht die Berufung zum Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg und die Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen.

Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 14. September 2012, VG 2 K 185.11

Vertragspanne beim Bundeskriminalamt

Das Bundeskriminalamt hat möglicherweise nachlässig Verträge ausgehandelt. Das gilt jedenfalls für seine Beziehungen zur Firma DigiTask, die den Bundestrojaner programmiert hat. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar kann den Quellcode der Überwachungssoftware nicht einsehen, weil DigiTask von ihm eine Geheimhaltungsabrede verlangt und außerdem 1.200 Euro pro Tag und Mitarbeiter für “Consulting”-Dienstleistungen berechnen will.

Über seine Probleme, Zugang zum Quellcode der Software zu erhalten, berichtet Schaar in einem Brief an den Innenausschuss des Bundestages. Der Chaos Computer Club hat das Schreiben veröffentlicht. Schaar berichtet darin, das Bundeskriminalamt habe zwar auf DigiTask eingewirkt, dass er den Quellcode erhält. Die Firma habe aber Gehimhaltung und Geld verlangt. Dies hält Schaar für unzumutbar.

Leider muss das Bundeskriminalamt den Datenschutzbeauftragten an DigiTask verweisen. Denn, so stellt Schaar mit Bezug auf den Quellcode fest:

Bereits während des ersten Beratungs- und Kontrollbesuchs im Bundeskriminalamt wurde mir mitgeteilt, dass der Quellcode der Software dort nicht vorliegt.

Schaar weist darauf hin, er sei gegenüber DigiTask nicht weisungsbefugt. Das Unternehmen unterliege auch nicht seiner Kontrolle. Die Verantwortlichen für das Dilemma verortet der Bundesdatenschutzbeauftragte im Bundeskriminalamt:

Daher bleibt mir lediglich festzustellen , dass der Quellcode nicht dokumentiert ist und vom BKA für eine datenschutzrechtliche Kontrolle nicht bereitgestellt werden
kann . … Letztlich hätte dies aber bereits bei der Bestellung der Software in den Verträgen mit dem Hersteller geregelt werden müssen , und zwar nicht nur im  Hinblick auf die Gewährleistung der externen  Datenschutzkontrolle durch den BfDl, sondern auch , damit das BKA seinen Obliegenheiten als verantwortliche Stelle hätte nachkommen können.

Rechtsanwalt Thomas Stadler merkt in seinem Blog dazu an:

Dass Behörden des Bundes und der Länder im Bereich eingriffsintensiver Software mit zweifelhaften Klitschen wie DigiTask zusammenarbeiten und sich noch nicht einmal vertraglich den Zugriff auf den Quellcode und die Entwicklerdokumentation einräumen lassen, ist nicht nur lächerlich, sondern im Hinblick auf die Schutzpflichten des Staates für die Grundrechte der Bürger in höchstem Maß bedenklich. Das wird leider immer deutlicher.

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Der ungehorsame Bauer und die Radarfalle

Ziviler Ungehorsam kennt viele Facetten. Als besonders beharrlich auf diesem Gebiet hat sich ein Landwirt aus der Region Karlsruhe erwiesen. Weil er in eine mobile Tempomessung gerauscht war, blockierte er die Messanlage. Zuerst mit seinem Kastenwagen, kurz darauf sogar mit einem Traktor samt Anhänger. Nun streitet die Justiz, ob und wie das zu bestrafen ist.

Der Landwirt scheint zum Äußersten entschlossen gewesen zu sein. Er ließ nämlich den Messbeamten mit dem Kastenwagen, den er in die Tempofalle gesteuert hatte, allein und holte seinen Traktor. Grund war vermutlich, dass ihm der Messbbeamte angedroht hatte, den Kastenwagen abschleppen zu lassen. Das war bei dem Traktor nicht mehr möglich. Der Bauer hatte diesen kurzerhand nicht nur anstelle des Kastenwagens vor den Blitzer postiert. Er ließ auch den Frontlader herunter. Wie jeder weiß, der sich mit landwirtschaftlichen Geräten auskennt, kann ein Trecker mit heruntergelassenem Frontlader nicht abgeschleppt werden.

Immerhin konnte die herbeigerufene Polizei den Landwirt überzeugen, dass er den Traktor besser versetzt. Dennoch war die Messanlage über eine Stunde nicht im Einsatz. Das wollte die Justiz nicht auf sich sitzen lassen. Sie klagte den Landwirt wegen Nötigung an. Das Amtsgericht verurteilte ihn deswegen auch zu einer Geldstrafe. Am Oberlandesgericht Karlsruhe, das über die Revision des Bauern zu entscheiden hat, konnte man sich mit dem Tatvorwurf der Nötigung jedoch nicht anfreunden.

Die Richter weisen darauf hin, dass der Landwirt keine Gewalt gegen den Messbeamten ausgeübt hat, sondern allenfalls gegen die Messanlage:

Selbst wenn man unterstellt, dass hier jede einzelne Geschwindigkeitsmessung von dem Messebeamten selbst ausgelöst wurde, liegt keine Gewalt im Sinne einer körperlichen Zwangswirkung auf den Messbeamten vor. Denn der Messbeamte hätte das Messgerät ohne Weiteres weiterhin bedienen können. Nur weil Messvorgänge selbst wegen des den Sensor verdeckenden Kastenwagens sinnlos gewesen wären (und immer wieder nur der Kastenwagen fotografiert worden wäre), hätte der Messbeamte davon abgesehen, das Gerät zu bedienen. Dies stellt jedoch allein einen psychischen Zwang dar, der nicht unter den Gewaltbegriff fällt.

Damit ist der freche Verkehrsteilnehmer aber nicht aus der Sache raus. Das Oberlandesgericht hat nämlich einen anderen Paragrafen entdeckt, den es für anwendbar hält. Es ist § 316b Strafgesetzbuch. Die Vorschrift bestraft die “Störung öffentlicher Betriebe”. Die große Frage ist nur, ob eine mobile Blitzanlage wirklich eine “der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit dienende Einrichtung oder Anlage” im Sinne des Gesetzes ist.

Das Oberlandesgericht Karlsruhe bejaht dies. Problem: Das Oberlandesgericht Stuttgart hat schon mal geurteilt, dass eine Tempomessung keine “Anlage” ist, die der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dient. Die Stuttgarter Richter befanden, das Messgerät sei keine “Anlage”, sondern nur eine dem Betrieb der Bußgeldstelle dienende Sache.

Bei so einer Meinungsverschiedenheit muss der Bundesgerichtshof entscheiden. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat die Sache deshalb eine Etage höher gereicht. Nun werden wir bald aus  dem Mund der höchsten Richter erfahren, ob und wie man eine Radarfalle sabotieren darf. Oder eben auch nicht.

Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 17. August 2012, Aktenzeichen 2 (7) Ss 107/12 – AK 57/12

Das Jurion Strafrecht Blog zum gleichen Thema

Ein unverständlicher, aber richtiger Freispruch

Ein Urteil des Landgerichts Essen sorgt für Unverständnis und Diskussionen. Die Richter haben einen Mann freigesprochen, der in Marl eine 15-Jährige vergewaltigt haben soll. Das Gericht vermochte den Vorwurf nicht zu bejahen. Die Vorsitzende der Strafkammer wird von der Lokalpresse mit den Worten zitiert, „wenn man etwas nicht will, muss man das deutlicher machen. Er wusste ja nicht, dass sie das gar nicht wollte“.

Auch wenn diese Begründung auf den ersten Blick seltsam klingt, ist sie im Kern doch richtig. Denn das Geschehen reichte eben nicht, um eine Vergewaltigung nach dem Maßstab zu bejahen, den das Strafgesetzbuch aufstellt.

Das Mädchen soll mit dem 31-jährigen Mann in dessen Wohnung nach durchzechter Nacht allein gewesen sein. Seine Lebensgefährtin und eine andere Frau soll der Mann vorher aus der Wohnung geschickt haben. Dann habe er mit der 15-Jährigen Sex gehabt, wobei diese alles nach eigenen Angaben über sich ergehen ließ. Sie will lediglich einmal gesagt haben, “nein, ich will das nicht”.

Um den Fall richtig zu bewerten, braucht man eigentlich nur nur den ersten, hier maßgeblichen Absatz des § 177 Strafgesetzbuch zu lesen. Diese Vorschrift beschreibt, was unter einer Vergewaltigung zu verstehen ist:

Wer eine andere Person

1.
mit Gewalt,

2.
durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder

3.
unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist,

nötigt, sexuelle Handlungen des Täters oder eines Dritten an sich zu dulden oder an dem Täter oder einem Dritten vorzunehmen, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.

Der Angeklagte hat keine Gewalt angewendet. Er hat das Mädchen auch nicht mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben bedroht. Damit scheiden die beiden ersten Alternativen aus. Dass die 15-Jährige sagte, sie wolle das nicht, wird vom Gesetz gar nicht für wichtig gehalten. Das mag irritieren, ist aber so. Relevant wäre ihre Äußerung erst, wenn der Angeklagte darauf mit Gewalt oder erheblichen Drohungen reagiert hätte.

Bleibt nur die Variante Nr. 3, die schutzlose Lage. Hierzu soll die Richterin erklärt haben, das diese schutzlose Lage schon nach den Angaben des Mädchens nicht vorlag:

Es hätte weglaufen oder Hilfe rufen können, aber es hat alles über sich ergehen lassen. Das reicht nicht, um jemanden zu bestrafen.

Die Worte der Richterin klingen hart, sind im Ergebnis aber richtig. Jedes Gericht muss, so will es das Gesetz, bei einem Vergewaltigungsvorwurf prüfen, ob das mögliche Opfer die Möglichkeit hatte, sich den sexuellen Handlungen zu entziehen. Oder Hilfe herbeizurufen. Ebenso stellt sich die Frage, ob der mögliche Täter bei Gegenwehr vielleicht sogar abgelassen hätte.

Entschließt sich das mögliche Opfer dazu, sexuelle Handlungen einfach zu erdulden und liegt keine schutzlose Lage vor, ist dies im Ergebnis keine strafbare Vergewaltigung. Das mag man kritisch sehen, entspricht aber der aktuellen Gesetzeslage.

Wer eine Strafschärfung fordert, muss sich auch über die Konsequenzen im Klaren sein. Wenn man objektive Anzeichen für eine Vergewaltigung nicht mehr für nötig erachtet, stünde es künftig im Belieben jedes Beteiligten, bloß mit der eigenen (nachträglichen) Bewertung und entsprechenden Angaben bei der Polizei einvernehmlichen Sex in eine Straftat umzudeuten.

law blog – ab heute mit Partner

Das law blog wird ab heute mit der ARAG aus Düsseldorf, einem der großen deutschen Versicherungshäuser, kooperieren. Dabei ist beiden Partnern wichtig, dass dieses Blog so bleibt, wie es ist.

Die einzige Änderung für die Leser wird, so hoffen wir, eine Bereicherung sein. Experten der ARAG werden eigene, extra für das law blog konzipierte Beiträge zu aktuellen Urteilen und rechtlichen Themen veröffentlichen. Artikel, die vom Kooperationspartner stammen, sind klar gekennzeichnet.

Geplant sind ein bis zwei ARAG-Beiträge pro Woche. Auf die sonstigen Inhalte des law blog nimmt der Kooperationspartner keinen Einfluss. Das Design des law blog bleibt unverändert. Es wird also keine Werbebanner oder ähnlich nerviges Zeug geben.

Die Zusammenarbeit gibt mir die Möglichkeit, das law blog auch inhaltlich attraktiver zu machen. Neben den lesenswerten Beiträgen der ARAG-Experten eröffnet sich mir selbst die Möglichkeit, mehr Zeit und Energie in gute Artikel für dieses Blog zu investieren.

Das Team der ARAG und ich freuen uns auf die Kooperation. Wir legen dann gleich mal los.

Bericht in der Wirtschaftswoche

Der Flip-Flop-Mythos und andere Legenden

Beitrag Wilde Arag Lawblog

Ganz klar: Mit Flip-Flops oder offenen Sandalen darf man nicht Autofahren! Ganz klar? Im Laufe der Zeit haben sich viele solcher (Rechts-)Legenden verbreitet und halten sich hartnäckig. Einige davon beleuchte ich heute in meiner Lawblog-Premiere:

Autofahren mit Flip-Flops

Gleichgültig, ob mit Flip-Flops, High-Heels oder barfuß – Autofahren geht mit jedem oder sogar ganz ohne Schuhwerk. Verbote in diese Richtung gibt es nicht, daher droht bei einer Verkehrskontrolle auch kein Bußgeld. Aber: Auch der dünn-beschuhte Autofahrer sollte in der Lage sein, dem Straßenverkehr angemessen, reagieren zu können. Geschieht nämlich ein Unfall, der womöglich auf das Schuhwerk zurückzuführen ist, wird unter Umständen nicht nur eine Strafe wegen Verletzung der Sorgfaltspflicht fällig (OLG Bamberg, Az.: 2 Ss OWI 577/06) – man kann auch noch Probleme mit seiner Versicherung bekommen. Daher macht es durchaus Sinn, auch bei Flip-Flop-Wetter zum Fahren festere Schuhe anzuziehen.

Mittelspur-Blockierer

Das Rechtsfahrgebot besagt, dass möglichst rechts gefahren wird. Was im Umkehrschluss jedoch nicht heißt, dass sobald auf einer mehrspurigen Straße rechts eine Lücke auftaucht, diese auch genutzt werden muss. Beispiel Autobahn: Der mittlere Fahrstreifen darf auch über längere Zeit befahren werden, wenn er nicht zum Überholen genutzt wird. Dabei dürfen andere Verkehrsteilnehmer allerdings nicht behindert werden. Dauerhaft mit Tempo 100 auf der linken Spur fahren, wäre so ein Fall. Bei einem solchen Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot sind 80 Euro und sogar ein Punkt in Flensburg fällig.

Rechts überholen

Rechts überholen darf man nicht! Auch dies ist nicht ganz richtig. Zwar darf man nicht aus Ärger über einen Links-, oder Mittelspurkriecher einfach rechts überholen, aber bei zähfließendem Verkehr auf der Autobahn beispielsweise spricht nichts dagegen. Allerdings muss die Geschwindigkeit ähnlich wie auf der linken Spur sein und der Autofahrer natürlich gut aufpassen.

Parklücke freihalten

„Steig schon mal aus und stell dich in die Lücke“ – doch der so losgeschickte Beifahrer ist kein Garant für das Anrecht auf die Lücke. Denn das Besetzen des Parkplatzes ist nicht erlaubt und kann ein Bußgeld nach sich ziehen. Zudem lebt man als „Parkplatz-Markierer“ gefährlich, denn die Gerichte kommen hier zu verschiedenen Einschätzungen. So unterstützte das Oberlandesgericht Naumburg einen Fahrer, der eine den Parkplatz freihaltende Frau am Knie touchierte. Durch die langsame Fahrweise habe für sie keine Gefahr bestanden (Az.: 2 Ss 54/97).

Zettel an der Windschutzscheibe

Ob an fremden oder am eigenen Wagen – der Zettel an der Windschutzscheibe ist in den meisten Fällen nicht ausreichend, um einem anderen Verkehrsteilnehmer etwas mitzuteilen. Parkt man unerlaubterweise im Halteverbot und möchte dem Abgeschleppt-Werden vorbeugen, sollte man sicherheitshalber nicht nur die Handynummer notieren, sondern auch den kurzzeitigen Aufenthaltsort, Datum und Uhrzeit. Zudem sollte man auch in der Lage sein, innerhalb weniger Minuten zu seinem Auto zu gelangen. All das bietet zwar keinen gesetzlichen Schutz, jedoch die Möglichkeit, unter Umständen vor Gericht beweisen zu können, dass das Abschleppen unverhältnismäßig war.

Beschädigt ein Fahrer versehentlich ein anderes parkendes Auto, reicht ein hinterlassener Zettel auf gar keinen Fall! Hier heißt es: suchen oder warten. Wenn dies zu aufwendig ist beziehungsweise zu lange dauert, rate ich auch bei einem Bagatellschaden dazu, die Polizei zu informieren. So kann der Vorwurf der Fahrerflucht nicht einmal entstehen.

Mehr aktuelle Rechtstipps und Urteile unter: http://www.arag.de/rund-ums-recht/

Groupon muss mit “Titel”handel pausieren

Das Internetportal Groupon darf nach einer Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin keine Gutscheine für bestimmte Ehrendoktor- und Ehrenprofessorentitel anbieten.

Groupon bot Rabattgutscheine für solche Titel an, unter anderem  die Ausstellung von Ehrendoktor- und Ehrenprofessorentiteln einer "Miami Life Development Church". Unter den angebotenen Bereichen fanden sich beispielsweise “Angel Therapy”, “Exorcism”, “Immortality” oder “Ufology”.

Mit sofort vollziehbarem Bescheid vom 7. Juni 2012 untersagte die Behörde Groupon, Gutscheine für Titel zum Kauf anzubieten, die Hochschulgraden, Hochschultiteln oder Hochschultätigkeitsbezeichnungen zum Verwechseln ähnlich seien. Hiergegen wandte sich Groupon mit dem Einwand, die Bezeichnungen seien erkennbar scherzhaft. Deshalb bestehe keine Verwechslungsgefahr.

Die 3. Kammer des Berliner Verwaltungsgerichts wies den Eilantrag zurück. Die Vermittlung der Vergabe von Titeln, die Hochschulgraden, Hochschultiteln oder Hochschultätigkeitsbezeichnungen zum Verwechseln ähnlich seien, sei nach dem Berliner Hochschulgesetz verboten. Für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr sei auf einen durchschnittlichen Betrachter abzustellen.

Nach diesem Maßstab seien die von der "Miami Life Development Church" vergebenen Bezeichnungen Hochschulgraden und -titeln zum Verwechseln ähnlich. Die für die Titelvergabe zur Auswahl stehenden, angeblich kirchlichen „Fachbereiche“ wiesen eine deutliche Ähnlichkeit zu allgemein anerkannten wissenschaftlichen Fachbereichen auf.

So könne etwa die Bezeichnung “Psychic Sciences” von einem flüchtigen Betrachter leicht mit „Psychologie“ verwechselt werden. Andere „Fachbereiche“ besäßen zwar bei Übersetzung in die deutsche Sprache offensichtlich keine Ähnlichkeit zu allgemein anerkannten wissenschaftlichen Fachbereichen; die Beurteilung setze aber differenzierte Englischkenntnisse voraus, über die der durchschnittliche Betrachter nicht verfüge.

Bei bloß oberflächlicher Betrachtung sei daher gerade nicht ohne weiteres erkennbar, dass es sich bei den Titeln um „Phantasiegebilde“ oder „Scherzartikel“ handele. Gegen den Beschluss ist die Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zulässig.

Verwaltungsgericht Berlin, Beschluss vom 4. September 2012, Aktenzeichen VG 3 L 216.12

Mannheims Polizei und das Arztgeheimnis

Die Mannheimer Polizei hatte am Wochenende viel Stress mit dem kurdischen Jugendmarsch. Es gab Randale, Verletzte, Festnahmen. Daneben wirft die Polizei den Veranstaltern aber auch Falschinformationen vor. Das liest sich so:

Bei den genannten Gewahrsamsnahmen befand sich auch ein 23-Jähriger. Gegen ihn wird wegen des Verdachts des Widerstands zum Nachteil eines Polizeibeamten ermittelt. Während der polizeilichen Maßnahmen fiel den Beamten lediglich eine geringfügige Verletzung an der Unterlippe auf. Nach der Vernehmung begann der 23-Jährige mit einem Bein zu humpeln, was jedoch beim Verlassen des Polizeipräsidiums wieder verschwunden war.

Seitens der Veranstalter wurde dann gegen 23.00 Uhr der Vorwurf laut, dass der 23-Jährige "schwer verletzt" bei der Polizei entlassen worden sei und keine ärztliche Hilfe bekommen hätte. Durch sie wäre er erst ärztlicher Hilfe in einem Krankenhaus zugeführt worden.

Dies entspricht nicht den Tatsachen und das Polizeipräsidium Mannheim weist solche Vorwürfe entschieden zurück.

Die Rückfrage bei dem behandelten Arzt bestätigte, dass der 23-Jährige lediglich einen geringfügig geschwollenen Fuß gehabt hätte. Ein Schock oder einen bedrohliche Situation bestand nicht. Der Mann wurde nach ambulanter Behandlung entlassen.

Das Polizeipräsidium Mannheim bedauert, dass von kurdischer Seite mit solchen wohl gezielten Fehlinformationen die sich an Recht und Ordnung orientierte Polizeiarbeit diffamiert werden soll.

Was die Auskunft des Arztes angeht, hat sich die Mannheimer Polizei jedenfalls nicht an “Recht und Ordnung” gehalten. Man darf wohl davon ausgehen, dass der 23-Jährige angebliche Simulant den Krankenhausarzt kaum von der ärztlichen Schweigepflicht gegenüber der Polizei entbunden hat.

Der Arzt hat sich also nach den Umständen strafbar gemacht, als er der Polizei auf “Rückfrage” Auskunft gab. Da der Polizei eigentlich klar sein musste, dass der Patient kaum mit der Weitergabe seiner Krankengeschichte einverstanden sein dürfte, könnte der verantwortliche Beamte wegen Anstiftung zum Verrat von Privatgeheimnissen dran sein. Und zwar unabhängig davon, ob er gegenüber dem Arzt den Eindruck erweckt, dieser sei zur Auskunft verpflichtet.

Wobei natürlich, wie immer in solchen Fällen, die Betonung auf könnte liegt. Weil es ja wahrscheinlich sowieso niemanden interessiert.

Soll Kinderpornografie straffrei werden?

Der Besitz von Kinderpornografie soll legalisiert werden. Diesen Vorschlag macht Rick Falkvinge, Gründer der schwedischen Piratenpartei. Seine Idee stieß schon innerhalb weniger Stunden nach Veröffentlichung auf eine breite Front der Ablehnung. Neben vielen anderen hat sich auch der Vorsitzende der Piratenpartei Deutschland, Bernd Schlömer, entschieden von Falkvinges Vorstellungen distanziert.

Ich möchte nachfolgend erläutern, warum Falkvinges Argumente nicht stichhaltig sind. Dazu beleuchte ich die gesellschaftspolitische Dimension und juristische Einzelfragen, die Falkvinge aufwirft.

Zu kaum einen Thema dürfte es einen ähnlich hohen gesellschaftlichen Konsens geben, wie er für die ablehnende Haltung zu sexuellem Missbrauch von Kindern besteht. Es bedarf keiner Meinungsumfragen, um sicher annehmen zu können, dass die ernsthaften Befürworter pädophiler Handlungen in Deutschland eine verschwindend kleine Minderheit sind.

Auch die Frage, ob es so etwas wie einvernehmliche sexuelle Beziehungen unter Beteiligung von Kindern geben kann, ist jedenfalls vom Gesetzgeber mittlerweile eindeutig beantwortet.

Das sexuelle Selbstbestimmungsrecht von Kindern ist in Deutschland derzeit absolut geschützt. Das heißt sexuelle Kontakte eines Erwachsenen zu einem Kind sind auch dann strafbar, wenn das Kind äußerlich „eingewilligt“ hat. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass grundsätzlich gar keine Einwilligungsfähigkeit eines Kindes besteht; ein wie auch immer als „Zustimmung“ interpretiertes Verhalten des Kindes ist juristisch unbeachtlich.

Kindern wird also ein umfassender Schutzraum zugebilligt, der ihnen eine ungestörte, das heißt eingriffsfreie sexuelle Entwicklung ermöglicht. Kinder sind nach deutschem Recht Personen bis zum Alter von 14 Jahren. Auch die weitaus meisten Rechtsordnungen anderer Länder orientieren sich in etwa an dieser Altersgrenze.

Das vom Gesetzgeber festgelegte absolute Schutzalter für Kinder entspringt sicher nicht dem luftleeren Raum. Auch hier kann man davon ausgehen, dass eine Altersgrenze von 14 Jahren jedenfalls breiter gesellschaftlicher Konsens ist. Aktuelle Bestrebungen, gerade auch auf europäischer Ebene, das Schutzalter auf 18 Jahre auszuweiten, belegen mittelbar, dass die Bürger die bisherige Altersgrenze eher als Minimal- und nicht als Maximallösung ansehen.

Die vorstehenden Erwägungen betreffen zunächst den tatsächliche Missbrauch von Kindern. Sie gelten aber im Kern auch für Kinderpornografie.

Dazu muss einleitend gesagt werden: Was gemeinhin als Kinderpornografie umschrieben wird, sollte auch dokumentierter Kindesmissbrauch genannt werden. Denn es handelt sich (heute) in den weitaus meisten Fällen um Videoaufnahmen und Fotostrecken real stattfindender sexueller Kontakte unter Beteiligung von Kindern.

Über den richtigen Umgang mit dokumentiertem Kindesmissbrauch gibt es durchaus unterschiedliche Ansichten. Das zeigt nicht nur die Initiative Rick Falkvinges. Auch in der Vergangenheit ist die Strafbarkeit in Frage gestellt worden. Das gilt weniger für die Herstellung (diese ist ja Teil des unmittelbaren Missbrauchs), aber durchaus für die Verbreitung und insbesondere für den Besitz solchen Materials.

Die wesentlichen Argumente der Strafbarkeits-Gegner lauten wie folgt:

– Das Film- oder Fotomaterial fügt nach seiner Herstellung keinem Kind mehr Leiden zu.

Das ist nur vordergründig richtig. Tatsächlich verletzt schon die Existenz, aber gerade auch die Verbreitung der Bilder immer und wieder wieder die Persönlichkeitsrechte der missbrauchten Kinder.

Dies geschieht auf denkbar schwerste Art und Weise. Auch Kleinstkinder können sich später auf solchem Material wiedererkennen, wobei das durch die beteiligten Personen, aber auch durch die Umgebung (z.B. das eigene Kinderzimmer, von dem es ja auch andere Aufnahmen gibt) oft auch nach langer Zeit wirklich möglich ist. Bei missbrauchten Kindern im Alter von acht, zehn oder gar 13 Jahren, die ja schon eigenständige Persönlichkeiten sind, gilt dies noch viel mehr.

Das sind keine theoretischen Erwägungen. Ich war erst vor kurzem in eine Strafsache involviert, in der ein Deutscher seine drei Töchter im Alter von 9 bis 12 Jahren schwer missbraucht und dies dokumentiert hat. Durch die Festnahme des eigenen Vaters blieb es den mittlerweile jeweils fünf Jahre älteren Betroffenen nicht erspart, über den eigentlichen Missbrauch hinaus auch noch zu erfahren, dass die Videos mit ihren nicht anonymisierten Gesichtern seit Jahren in einschlägigen Tauschbörsen kursieren. Dies führte bei den Mädchen zu einer erneuten Traumatisierung.

Gerade in Zeiten, in denen Ermittlungsbehörden rigoros gegen die Verbreitung von Kinderpornografie vorgehen und entsprechend viele Täter festnehmen, sind das auch keine Einzelfälle. Vielmehr kommt es immer wieder vor, dass Missbrauchsopfer später auf schmerzliche Art und Weise mit der Dokumentation des eigenen Missbrauchs konfrontiert werden.

– Die Freigabe von Kinderpornografie könnte den tatsächlichen Missbrauch eindämmen.

Es gibt in der Tat einige Studien aus anderen Ländern, die besagen, dass eine Zugänglichkeit kinderpornografischen Materials das reale Missbrauchsrisiko senken kann. Ähnliche Argumente gibt es ja auch für den Bereich legaler Pornografie. Deren weitgehende Verfügbarkeit wird heute von einigen Wissenschaftlern als eine Mitursache dafür gesehen, dass Sexualstraftaten statistisch bundesweit eher rückläufig sind.

Unabhängig von der Belastbarkeit solcher Studien wird dagegen eingewandt, dass frei verfügbare Kinderpornografie einladend oder gar anstiftend wirken kann, gerade auch für nicht pädophil veranlagte Menschen. (Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass nur Pädophile Kinder missbrauchen. Ein beachtlicher Teil des Missbrauchs findet durch nicht pädophil Veranlagte statt, und zwar oft aus Mangel an „normalen“ sexuellen Kontakten.)

Selbst wenn man einen missbrauchsdämpfenden Effekt von Kinderpornografie bejahen wollte, wäre die freie Verfügbarkeit derartigen Materials als Mittel zur Triebabfuhr, der Stammtisch würde von Wichsvorlagen sprechen, gesellschaftlich aus meiner Sicht jedenfalls nicht zu vermitteln.

Diskussionsfähig scheint allenfalls die kontrollierte Überlassung solchen Materials zu sein, falls es aus ärztlicher Sicht im Rahmen einer Therapie sinnvoll ist.

– Mit Kinderpornografie wird kein Geld verdient.

Nach meiner Erfahrung aus zahlreichen Fällen gibt es tatsächlich keinen Markt, der die Herstellung solchen Materials lukrativ macht. Selbst die wenigen Bezahlseiten im Netz verkaufen lediglich den dokumentierten Kindesmissbrauch, welcher in einschlägigen Foren, Tauschbörsen und über Messenger-Dienste seit jeher kostenlos erhältlich ist.

Tatsächlich gibt es nach meiner Kenntnis kein Material, das auf eine kommerzielle Produktion hindeutet. Vielmehr handelt es sich bei den Aufnahmen neueren Datum sowohl von der Technik als auch vom „Setting“ her um private Missbrauchssituationen. So weit es sich um kommerzielles Material handelt, stammt dies aus einer Zeit, in dem die Produktion in den jeweiligen Ländern noch straflos oder jedenfalls nicht eindeutig strafbar war.

Ich war vor kurzem in einem Großverfahren tätig, in dem gegen Verantwortliche für eines der größten Kinderporno-Foren verhandelt wurde, das es nach Auffassung der Ermittlungsbehörden jemals in Europa gab. Es bestand Einigkeit darüber, dass auf diesem Forum so gut wie alles gepostet war, was in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten an Kinderpornografie in Europa im Netz veröffentlicht wurde. Bei keinem einzigen der vielen tausend Videos und Fotoserien gab es Anhaltspunkte dafür, dass diese mit gewerblichem Hintergrund produziert wurden.

Allerdings stellt sich die Frage, ob dokumentierter Kindesmissbrauch bloß deswegen straffrei bleiben sollte, weil damit kein Geld verdient wird. Der Gesetzgeber hat hier, wie ich meine, den korrekten Weg eingeschlagen. Er belegt die kommerzielle Herstellung und Verbreitung kinderpornografischer Schriften mit deutlichen Strafschärfungen.

Nun präsentiert Rick Falkvinge einige weitere Bedenken, die wenigstens in der Zukunft dazu führen sollen, den Besitz kinderpornografischen Materials straffrei zu belassen.

Schauen wir, ob Ricks Argumente stichhaltig sind.

Falkvinge nennt zunächst den technischen Fortschritt. Wer zum Beispiel künftig mit einer Google-Brille sein gesamtes Leben videografisch dokumentiere, laufe Gefahr, unfreiwillig Kinderpornografie herzustellen. Beobachte er zum Beispiel zufällig den Missbrauch eines Mädchens in einem Park, sei er bereits im Besitz von Kinderpornografie und damit strafbar.

Zu so einem Argument lässt sich eigentlich nur sagen: Es gibt immer wieder extreme Lebenslagen, für welche die Gesetze schlicht nicht zugeschnitten sind. Allerdings ist dies auch kein durchgreifendes Problem. Denn nach deutschem Recht wäre die Aufnahme jedenfalls gerechtfertigt oder zumindest entschuldigt, wenn der Betreffende sie (auch) macht, um der Polizei später Beweismaterial zur Verfügung zu stellen.

Falkvinge behauptet auch, es sei nicht risikolos möglich ist, etwa versehentlich heruntergeladene oder per E-Mail zugesandte Kinderpornografie an die Polizei zu übergeben. Denn der Betroffene besitze das Material bereits und sei somit strafbar. Dadurch würden viele solche Filme und Fotos lieber vernichten, als zur Polizei zu gehen. Hierdurch werde die Aufklärung erschwert.

Das ist in der Tat ein Punkt, über den man diskutieren kann. Es kommt durchaus vor, dass Polizeibeamte erst mal auch eine Straftat des Empfängers vermuten, wenn dieser eine Anzeige macht. Besitz im formalen Sinne liegt ja spätestens ab dem Zeitpunkt vor, in dem der Empfänger das Material zur Kenntnis genommen hat.

Allerdings ist dies ein Problem, das es auch in anderen Rechtsbereichen gibt. So hatte ich letztes Jahr einen Mandanten, der auf einem Autobahnrasthof einen Turnbeutel gefunden hat. Erst zu Hause merkte er, dass keine stinkigen Schuhe drin waren, sondern Tütchen mit einem dreiviertel Kilo Kokain. Bei einer Polizeikontrolle hätte er ebenso unangenehme Fragen beantworten müssen, wie sie der unfreiwillige Empfänger von Kinderpornografie gestellt bekommt.

Wie auch immer, so ist dieses Argument Falkvinges aber doch allenfalls dafür geeignet, für solche Fälle Klarstellungen ins Gesetz aufzunehmen. Es würde zum Beispiel eine Regelung reichen, dass Besitz jedenfalls dann nicht strafbar ist, wenn der Empfänger das Material nicht aktiv beschafft hat und sich nach Erhalt innerhalb von 24 Stunden bei der Polizei meldet. Wegen dieser unbestreitbaren individuellen Risiken eine Legalisierung des Besitzes von Kinderpornografie zu fordern, geht jedenfalls nicht nur einen, sondern viele große Schritte zu weit.

Weiterhin sieht Falkvinge die Meinungsfreiheit in Gefahr, wenn zum Beispiel Journalisten oder Abgeordnete nicht investigativ in der Kinderpornoszene recherchieren können. Richtig ist in diesem Zusammenhang, dass auch Journalisten und Abgeordnete – in Deutschland ist der Fall Jörg Tauss in guter Erinnerung – sich ohne rechtliches Risiko kein authentisches Bild über das Ausmaß der Kinderpornoszene machen können.

Selbst wenn man dies als relevant einstuft, bedarf es zur Lösung noch keiner Legalisierung des Besitzes von Kinderpornografie. Schon heute sieht das Gesetz Ausnahmen für Polizeibeamte, Staatsanwälte und Richter vor. So weit diese von dem Material aufgrund ihrer Berufspflichten Kenntnis nehmen dürfen, ist das nicht strafbar. (Das ist auch der Grund, warum ich als Strafverteidiger inhaltliche Aussagen über Kinderpornografie machen kann.)

Es spräche aus meiner Sicht nichts dagegen, die Ausnahmevorschrift moderat zu erweitern. Die generelle Legalisierung des Besitzes von Kinderpornografie ist aber nicht notwendig.

Letzlich weist Falkvinge darauf hin, dass der energische Kampf gegen Kinderpornografie im Netz als Türöffner für Zensur- und Kontrollwünsche der Contentindustrie dient.

Diese Debatte haben wir bereits im Rahmen des Websperren-Gesetzes geführt. Hier kam der deutsche Gesetzgeber immerhin zu der Einsicht, dass Websperren ein ungeeignetes Mittel sind. Gerade auch vor dem Hintergrund, dass die Stopschild-Infrastruktur offensichtlich missbrauchsanfällig für andere Interessengruppen ist. So wurde ja schon unmittelbar nach Inkrafttreten des Gesetzes gefordert, dass auch rechte und hetzerische Seiten gesperrt werden müssen. Und selbstverständlich auch Filesharing-Börsen sowie Filehoster.

Natürlich ist es auch nach dem Erfolg gegen das Websperren-Gesetz notwendig, sich gegen Zensurpläne für das Netz zu stellen. Allerdings greift Falkvinge zu kurz, wenn er meint, mit der Legalisierung des Besitzes von Kinderpornografie entfalle der Hauptanreiz für derartige Maßnahmen. Genauso gut können Hetzseiten jeder politischen oder religiösen Färbung als Rechtfertigung für Internetzensur dienen.

Dagegen hat sich inzwischen der Ansatz „Löschen statt sperren“ in Deutschland, Europa und sogar weltweit bewährt.

Alles in allem hat es also seinen guten Grund, wenn die Piratenpartei Deutschland keine Bereitschaft zeigt, über eine Legalisierung des Besitzes von Kinderpornografie nachzudenken.

Vielmehr ist es richtig, diese Perpetuierung des realen Kindesmissbrauchs zu ächten und auch strafrechtlich zu verfolgen. Wichtig ist dabei aber ebenso, die Verhältnismäßigkeit im Auge zu behalten und zu verhindern, dass mit Hilfe des Strafgesetzes sachfremde Motive verfolgt oder gar Hexenjagden betrieben werden.

Dieser Beitrag ist auch auf dem Bundesportal der Piratenpartei und auf golem.de veröffentlicht.