CleanIT stellt ACTA in den Schatten

ACTA ist zwar in der Versenkung verschwunden, doch innerhalb der Europäischen Union wird weiter fleißig an einer Überwachung des Internets und einer Einschränkung der Bürgerrechte gearbeitet. CleanIT heißt ein jetzt ins Blickfeld gerücktes EU-Projekt. Dessen Name ist durchaus Programm.

Die im Ressort der EU-Kommissarin Cecilia Malmström, einer Befürworterin von Netzsperren, angesiedelte Projektgruppe schlägt einen Maßnahmenkatalog vor, dessen Kontrolldichte der des Iran oder anderer autoritärer Staaten kaum nachsteht. Das entsprechende Dokument hat die Bürgerrechtsiniative “European Digital Rights” jetzt veröffentlicht.

Während sich CleanIT auf der offiziellen Homepage als potentielle Taskforce im Kampf gegen den Terrorismus präsentiert, enthüllt die Lektüre des aktuellen Berichts die wahren Dimensionen des Projekts. Zwar ist auch darin immer wieder von “Terrorismus” die Rede. Es wird aber noch nicht mal der Versuch unternommen, diesen Begriff zu definieren.

Stattdessen ergibt sich aus jedem Absatz des Dokuments, dass in Wirklichkeit eine umfassende Infrastruktur zur Kontrolle des Netzes geplant ist, und zwar in Bezug auf unerwünschte Inhalte jeder Art. Ansonsten ist der umfassende Maßnahmenkatalog kaum zu erklären.

In einem ersten Schritt ist geplant, Internetprovider künftig für “terroristische Aktivitäten” haftbar zu machen. Dies soll praktisch dazu führen, dass Provider von sich aus quasi als Privatpolizei jedweden Content löschen oder zumindest sperren, den sie als riskant betrachten. Im Zusammenarbeit mit den Polizeibehörden sollen möglichst bald außerdem “automatische Detektionssysteme” implementiert werden, die fragwürdigen Content ermitteln.

Außerdem in der Planung sind Meldebuttons für “terroristische Inhalte” und eine strikte Klarnamenpflicht in Foren und sozialen Netzwerken. Anbieter aus dem Bereich Web 2.0 sollen nicht nur verpflichtet werden, ihre Nutzer rechtssicher zu identifizieren. Soziale Netzwerke sollen sogar dafür Verantwortung tragen, dass Nutzer nur echte Profilfotos von sich hochladen.

Das sind nur Ausschnitte aus dem Horrorkatalog. “European Digital Rights” fasst weitere Empfehlungen des Papiers zusammen:

  • Aufhebung aller gesetzlichen Bestimmungen, die der Filterung/Überwachung der Internetanschlüsse von Angestellten in Betrieben entgegenstehen
  • Strafverfolgungsbehörden sollen die Möglichkeit erhalten, Inhalte zu entfernen, "ohne [dass sie sich an] die arbeitsintensiven und bürokratischen Prozeduren wie Notice&Takedown halten" müssen
  • "Wissentlich" auf "terroristische Inhalte" zu verlinken soll "ganz genauso" strafbar sein wie "Terrorismus" selbst (wobei sich der Vorschlag nicht auf Inhalte bezieht, die von einem Gericht als illegal eingestuft wurden, sondern ganz allgemein auf unbestimmte "terroristische Inhalte")
  • Anbieter von Filtersystemen für Endnutzer und deren Kunden sollen zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie "illegalen" Aktivitäten nicht melden, die sie über die eingesetzten Filter identifiziert haben
  • Regierungen sollten die Hilfsbereitschaft von ISPs als Kriterium für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen heranziehen
  • Soziale Netzwerke und Plattformen sollen Sperr- und "Warn"systeme einführen –
  • Unternehmen sollen Uploadfilter installieren, um hochgeladene Inhalte zu kontrollieren und sicherzustellen, dass gelöschte Inhalte – oder ähnliche Inhalte – nicht wieder hochgeladen werden

Insgesamt gehen die Ideen von CleanIT weit über das hinaus, was man von ACTA kennt. Sie ergänzen sich im übrigen offensichtlich mit dem Grundkonzept eines anderen EU-Projekts namens INDECT. Dieses soll Verbrechen durch vorsorgliche Beobachtung aller Bürger verhindern. Auch INDECT setzt auf umfassende Kontrollen offline wie online.

An keiner Stelle wird in dem Papier dargelegt, wie groß die angebliche terroristische Bedrohung durch Internetaktivitäten angeblich ist. Ebenso wenig findet sich eine Abwägung, ob und inwieweit die Maßnahmen mit europäischen und nationalen Grund- sowie Bürgerrechten vereinbar sind. Auch eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit fehlt.

Die nächste CleanIT-Konferenz soll am 5. November in Wien abgehalten werden. Zu den wichtigsten Gästen werden wohl wieder die Hersteller von Überwachungs- und Filtersoftware gehören.

“Sie bitten um Abmeldung”

Was ist schon das Einrichten eines Büros gegen dessen Auflösung? Zu der gehören, neben der Plackerei zugunsten sauber hinterlassener Räume, auch die kleinen juristischen Schritte. Beispielsweise die Kündigung des Vertrages mit den Stadtwerken, der Telefongesellschaft, der Betriebsversicherung. Und dazu gehört – fast vergessen – die Abmeldung bei der Gebühreneinzugszentrale.

Diese GEZ hatte zwischendurch zwar fleißig kassiert, aber dennoch immer wieder gequengelt und Auskunft verlangt: dieses Büro, dieser Betrieb sei ihr gar nicht bekannt. Die Mahnungen hat der Inhaber, ebenso fleißig, ignoriert.

Jetzt allerdings weiß er kaum noch weiter. Er hat kürzlich den Betrieb und die Geräte bei der GEZ abgemeldet. Und der geschrieben: „Wir melden zum 1. September 2012 alle hier vorhandenen Geräte ab und kündigen zum o.a. Zeitpunkt jegliche Verpflichtung“. Um ja kein Missverständnis entstehen zu lassen, hat er sogar noch betont: „Zum o.a. Zeitpunkt und danach gibt es hier keine anmeldepflichtigen Geräte mehr“.

Und er hat – sicher ist sicher – wissen lassen: „Ihre schriftliche Bestätigung dieses Schreibens erreicht uns (nur noch) über ein Postfach“. Doch hat er mit der, sagen wir: Beharrlichkeit der GEZ gerechnet? Hätte er besser. Die schreibt jetzt zurück.

Zunächst macht sie aus dem jahrelangen Gebührenzahler, also aus dem Kunden, einen auf Knien angekrochenen, um Gnade flehenden Petenten. Sie schreibt dem Mann: „Sie bitten um Abmeldung“. Um dann in diesem Sinne weiterzumachen: „Wir haben sie zunächst nicht durchgeführt, da aus dem Schreiben nicht zweifelsfrei hervorgeht, dass die Geräte tatsächlich nicht mehr vorhanden sind“.

Denn, so behauptet es die GEZ: „Die bloße Erklärung, dass es die Geräte nicht mehr gibt, reicht für eine Abmeldung nicht aus“. Die Rechtsgrundlage für derlei Unterstellung holt sich die GEZ aus dem Rundfunkgebührenstaatsvertrag. Dort heißt es: „Die zuständige Landesrundfunkanstalt kann vom Rundfunkteilnehmer oder von Personen, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass sie ein Rundfunkempfangsgerät zum Empfang bereithalten und dies nicht oder nicht umfassend nach § 3 Abs. 1 und 2 angezeigt haben, Auskünfte über Grund, Höhe und Zeitraum ihrer Gebührenpflicht verlangen“.

Tatsächliche Anhaltspunkte?

Die GEZ nennt keine – woher will sei auch nehmen? Also dreht sie die Beweislast um. Und verlangt: „Teilen Sie uns bitte Tatsachen mit, die belegen, dass die Geräte nicht mehr vorhanden sind“. Das will der Kunde jetzt gerne tun.

Er wird zum Recyclinghof eilen, dort die Herausgabe der längst zu Elektronikschrott verlangten Rundfunkgeräte verlangen. Und diesen Müll der GEZ schicken. Bevor die ihren nächsten produziert. (pbd)

Steuer-CDs sind nicht kostendeckend

Die vom Land Nordrhein-Westfalen angekauften Steuer-CDs sind anscheinend  nicht so ergiebig, wie das öffentlich gern behauptet wird. Die Landesregierung räumte jetzt auf eine Anfrage der Piratenfraktion ein, dass rund 90 Prozent der eingeleiteten Strafverfahren ohne negative Folgen für die Betroffenen eingestellt werden.

Insgesamt haben die nordrhein-westfälischen Ermittlungsbehörden 3.413 Verfahren eingeleitet, die auf angekauften Steuerdaten beruhen. 903 Verfahren sind mittlerweile abgeschlossen – mit einem eher durchwachsenen Ergebnis.

So gab es gerade elf Strafbefehle. 80 Verfahren wurden gegen Zahlung von Auflagen eingestellt. 812 von 903 Verfahren endeten jedoch mit einer schlichten Einstellung wegen geringer Schuld oder mangelnden Tatverdachts. In solchen Fällen müssen die Betroffenen keinen Cent Strafe zahlen. 

Die Höhe der verhängten Geldstrafen beläuft sich nach Angaben der Landesregierung auf 2,8 Millionen Euro. Demgegenüber stehen nach Medienberichten etwa 9 Millionen Euro, die das Land den Verkäufern der Steuer-CDs gezahlt hat.

Das Projekt Steuer-CDs ist also noch nicht einmal kostendeckend. Man kann allenfalls die Mehreinnahmen durch Selbstanzeigen hinzuzählen. Hier spricht die Landesregierung von 400 Millionen Euro. Allerdings kommen diese Zahlungen von Bürgern, die gar nicht auf den Steuer-CDs verzeichnet waren. Es bleibt also offen, wie viele der Selbstanzeigen in einem Zusammenhang mit dem Ankauf der Datenträger stehen.

Daniel Schwerd hat die Anfrage für die Piratenfraktion gestellt. Sein Fazit:

Nicht die Verfolgung von Straftätern steht im Vordergrund, sondern es geht wohl darum, Steuerhinterzieher zu erschrecken und zu Selbstanzeigen zu bewegen. Die auf den CDs befindlichen Personen sind, soweit es die bereits beendeten Verfahren betrifft, in der absoluten Mehrzahl unschuldig.

Diese Personen werden, so Schwerd, dazu benutzt, um Steuersünder zu bluffen.

Keine Wahrheitsfindung um jeden Preis

Das Internet soll kein rechtsfreier Raum sein. Aber auf der anderen Seite darf Strafverfolgung im Internet nicht frei von den prozessualen Schranken und den Bürgerrechten stattfinden, wie wir sie im wirklichen Leben kennen. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) lehnt deshalb Vorschläge ab, die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger im Interesse einer größeren Effizienz der Strafverfolgung im Internet aufzuweichen.

„Das betrifft den Schutz der Bürgerinnen und Bürger, aber auch des Anwaltsgeheimnisses vor staatlichem Zugriff mit informationstechnischen Spähprogrammen“, sagte Rechtsanwalt Dr. Friedwald Lübbert, DAV-Vizepräsident, auf dem Deutschen Juristentag in München. Auch im Internet dürfe es keine Wahrheitsfindung um jeden Preis geben. Deshalb sei die pauschale Forderung nach Eingriffsbefugnissen unter Verwendung von Ermittlungstechniken, die denen der Internetkriminalität ebenbürtig sind („auf Augenhöhe“), abzulehnen.

Soweit der Präsident des Bundeskriminalamtes Jörg Ziercke fordert, einen neuen Straftatbestand der „Datenhehlerei“ einzuführen, weist der DAV auf die Notwendigkeit hin, dies nicht nur mit Blick auf Internetaktivitäten mit „geklauten Identitäten“ zu prüfen. Vielmehr müssten folgerichtig auch andere Formen des Ankaufs illegaler Daten erfasst werden. „Damit meinen wir auch den Ankauf illegal beschaffter Steuerdaten aus dem Ausland“, sagte der DAV-Vizepräsident.

Thüringer LKA jagt Klopapierdieb

Auch wenn es um mögliche Straftäter in den eigenen Reihen geht, ist die Polizei unerbittlich – jedenfalls in Thüringen. Dort fahndeten Beamte des Landeskriminalamtes über ein Jahr lang nach einem Klopapierdieb in der Behörde. Sogar Überwachungskameras kamen zum Einsatz.

Schauplatz war die LKA-Außenstelle Waltersleben im Ilmkreis, berichtet der MDR. Putzfrauen hatten dort gemeldet, aus “Liefersäcken” kämen immer mal wieder Toilettenpapierrollen abhanden. Als interne Ermittlungen nichts fruchteten, installierten Experten der “Abteilung 3” eine Überwachungskamera im betreffenden Flur nahe der Toilette. Für die Techniker muss das ein lauer Job gewesen sein. Sie überwachen laut MDR sonst Extremisten und die organisierte Kriminalität.

Für den Fall soll außerdem ein Beamter des Staatsschutzes abgestellt worden sein. Er wertete die Videobänder aus. Leider erfolglos, denn ein Dieb wurde darauf nicht festgehalten. Das Landeskriminalamt ließ aber nicht locker. Die Behörde beantragte bei der Staatsanwaltschaft sogar die Genehmigung für eine zweite Videokamera. Das lehnte die Staatsanwaltschaft aber ab.

Auch intern soll es Kritik gegeben haben. Die Rechtsabteilung des LKA Thüringen monierte nach dem Bericht, es habe keine ausreichende datenschutzrechtliche Prüfung gegeben. Das Verfahren selbst ist mittlerweile ergebnislos eingestellt, die Aufnahmen aus dem Zeitraum November 2010 bis Februar 2012 sollen vernichtet worden sein.

Kredit: 48 Prozent Zinsen sind zu viel

Eine Grundschuld mit einem Zinssatz von 48 Prozent ist sittenwidrig und darf nicht ins Grundbuch eingetragen werden. Das hat das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht entschieden.

Ein Pfandleihunternehmen aus Hannover schloss im September 2011 mit dem Eigentümer eines Grundstücks in Hohwacht einen Vertrag über einen Kredit von 10.000 Euro. Vereinbart waren Zinsen von 1 % pro Monat (12 % pro Jahr) und "Gebühren" von 3 % pro Monat (36 % pro Jahr).

Als Sicherheit sollte der Eigentümer eine Grundschuld an seinem Grundstück über 15.000 Euro zuzüglich 48 % Zinsen pro Jahr bestellen und sich der sofortigen Zwangsvollstreckung unterwerfen. Vor Abschluss des Darlehensvertrags hatte der Grundstückseigentümer bereits bei einem Notar eine entsprechende Urkunde errichten lassen. Die Grundschuld musste zu ihrer Wirksamkeit noch im Grundbuch eingetragen werden.

Das Grundbuchamt Plön wies die Beteiligten darauf hin, dass es den vereinbarten Zinssatz als sittenwidrig ansehe. Gegen diesen Hinweis legte der Pfandleiher Beschwerde ein. Für seinen Geschäftszweig, so argumentierte er, seien die Zinsen und Gebühren angemessen.

Dieser Auffassung ist das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein nicht gefolgt. Vielmehr erkennen auch die Richter ein ein besonders grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung. In der derzeitigen Niedrigzinsphase seien für einen durch Grundpfandrecht (Grundschuld oder Hypothek) gesicherten Kredit Zinsen in der Größenordnung von allenfalls 5 % pro Jahr üblich, jedenfalls aber von weit unter 10 % pro Jahr.

Grundschuldzinsen würden erfahrungsgemäß gewöhnlich im unteren zweistelligen Bereich, nämlich mit etwa 15 % eingetragen. Die Grundschuldzinsen, deren Eintragung hier in Höhe der im Darlehensvertrag vereinbarten Zinsen von 48 % pro Jahr verlangt werde, liege weit oberhalb des üblichen Zinssatzes.

Der Pfandleiher könne sich auch nicht darauf berufen, dass der Zinssatz von 48 % pro Jahr der Regelung in § 10 Pfandleihverordnung entspreche, wonach der Pfandleiher neben monatlichen Zinsen von 1 % pro Monat auch ein weiteres Entgelt für die Kosten seines Geschäftsbetriebes fordern darf. Der Kredit sei nämlich gar keine Pfandleihe.

Bei der Pfandleihe werde ein Darlehen gewährt gegen Verpfändung beweglicher Sachen als Faustpfand. In der Regel handele es sich um Gebrauchsgegenstände. Bei der Pfandleihe hafte der Darlehensnehmer nicht mit seinem gesamten Vermögen, sondern seine Haftung sei auf den verpfändeten Gegenstand beschränkt. Hier dagegen habe der Pfandleiher einen Darlehensvertrag ohne Begrenzung abgeschlossen und sich dafür eine Sicherung an einer unbeweglichen Sache geben lassen.

Damit hat das Unternehmen nach Auffassung der Richter den Anwendungsbereich der Pfandleihverordnung verlassen. Im Ergebnis bewertet das Gericht – wenig überraschend – den Vertrag als sittenwidrig und damit nichtig.

Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 5. September 2012, Aktenzeichen 2 W 19/12

Meldegesetz: Schlupflöcher für Datenhändler

Der Streit ums Meldegesetz geht weiter. Dabei könnte alles so einfach sein: Politiker müssten sich nur darauf besinnen, was im ursprünglichen Gesetzentwurf vorgesehen war. Danach durften Meldeämter die Daten der Bürger künftig nur verkaufen, wenn diese vorher ausdrücklich zugestimmt haben. Eine einfache, saubere Lösung. Die aber offensichtlich der Lobby der Datenhändler gegen den Strich geht. Nun wird erneut herumgedoktert – als nächstes am Freitag im Bundesrat.

Den Verantwortlichen scheint zwar klargeworden zu sein, dass sie am Ende mit dem vom Bundestag bereits beschlossenen Gesetz nicht durchkommen werden. So hat die verabschiedete Fassung die ursprünglich vorgesehene Einwilligungslösung in ihr Gegenteil verkehrt. Plötzlich sollen die Bürger dem Verkauf ihrer Daten ausdrücklich widersprechen müssen. Ganze 57 Sekunden brauchte der wegen eines EM-Fußballspiels der deutschen Nationalmannschaft spärlich besetzte Bundestag, um diese wohl in letzter Minute von entsprechend interessierten Politikern umgedrehte Fassung abzunicken.

Offenbar wusste manche Fraktion gar nicht, was sie da tat. Denn angesichts des Proteststurms erklärten sogar die Regierungsparteien, so sei das alles nicht gemeint gewesen. Nun ist es Aufgabe des Bundesrates, eine Gesetzesänderung vorzuschlagen, die dann über den Vermittlungsausschuss mit dem Bundestag beraten werden kann.

Hierzu gibt es auch eine Beschlussempfehlung. Auf den ersten Blick kehrt sie sogar zur Einwilligungslösung zurück. Aber nur auf den ersten Blick. Denn das Schlupfloch ist bereits eingebaut. Bürger sollen ihre Einwilligung nämlich nicht bei den Meldeämtern geben, sondern gegenüber Adresshändlern, Direktmarketingfirmen und anderen Unternehmen, die sich bei den Behörden Meldedaten besorgen wollen.

Mit anderen Worten: Den betreffenden Firmen wird die Möglichkeit eingeräumt, sich das Einverständnis zum Adresshandel über das Kleingedruckte zu besorgen. Solche Erklärungen sind in der Regel zwar unwirksam. Aber nachdem die Auskunft schon gelaufen ist, dürfte sich nur eine winzige Gruppe Betroffener dazu aufraffen, juristisch gegen den Adressverkauf vorzugehen. Zumal man ja noch nicht einmal notwendigerweise davon erfährt, wenn sich eine Firma unter Berufung auf ein angebliches Einverständnis Meldedaten besorgt.

Überdies ist noch nicht mal beabsichtigt, dass die Meldeämter überhaupt prüfen, ob ein Einverständnis vorliegt. Es soll ausreichen, wenn der Anfrager behauptet, der Bürger habe eingewilligt. Außerdem sollen die Firmen die Einverständniserklärungen nur vorlegen müssen, wenn das Meldeamt dies verlangt. Man kann sich vorstellen, wie oft dies tatsächlich geschehen würde.

Der Bundesrats-Vorschlag ist also nach Kräften so gestaltet, um das Zustimmungserfordernis ins Leere laufen zu lassen. Man braucht wohl nicht lange zu spekulieren, wem wir es zu verdanken haben, dass es noch immer nicht zur einfachen, sauberen Lösung langt, die da lautet: kein Handel mit hoheitlich erhobenen Daten ohne schriftliches Einverständnis des Bürgers.

Übrigens: Morgen ist Opt-out-day.

Internet-Law zum gleichen Thema

Bericht auf Zeit Online

Blitzer-Apps sollen erlaubt werden

Vekehrsexperten von CDU und FDP wollen Radarwarner legalisieren. Dabei haben sie offenbar vor allem Blitzer-Apps im Auge, wie sie heute für jedes Smartphone und Navigationsgerät erhältlich sind. Wie der Focus unter Bezug auf die Saarbrücker Zeitung berichtet, halten die Politiker das bislang geltende Verbot von Blitzerwarngeräten für nicht mehr “zeitgemäß”.

Der Gedanke ist nachvollziehbar – und im Ergebnis auch richtig. In der Tat ist die bislang geltende Regelung überholt. Sie lautet:

Dem Führer eines Kraftfahrzeuges ist es untersagt, ein technisches Gerät zu betreiben oder betriebsbereit mitzuführen, das dafür bestimmt ist, Verkehrsüberwachungsmaßnahmen anzuzeigen oder zu stören. Das gilt insbesondere für Geräte zur Störung oder Anzeige von Geschwindigkeitsmessungen (Radarwarn- oder Laserstörgeräte).

Die Formulierung stammt aus einer Zeit, als die Geräte selbst die Messimpulse von Radarfallen aufspürten. Das ist heute aber nicht mehr Stand der Technik. Blitzer-Apps funktionieren über die Meldungen von Vekehrsteilnehmern, also per Schwarmintelligenz. Stationäre Anlagen werden einfach in Karten eingetragen. Der klassische Radarwarner hat also ausgedient, zumal er moderne Geräte, die zum Beispiel mit Induktionsschleifen arbeiten, gar nicht mehr erfassen kann.

Bislang ist unklar, ob Blitzer-Apps in Smartphones und Navigationsgeräten überhaupt noch unter das Verbot fallen. Weder Handys noch Navis sind nämlich in erster Linie dafür “bestimmt”, vor Radarfallen zu warnen, wie es das Gesetz fordert. Vielmehr dienen sie (auch) etlichen anderen Zwecken.

Gerichtliche Entscheidungen gibt es so gut wie nicht. Das liegt natürlich auch daran, dass die Polizei den Einsatz solcher Geräte nur schwer nachweisen kann. Beamte müssten sich bei Verkehrskontrollen Handys und Navis ansehen. Oder die Geräte beschlagnahmen, wenn der Autofahrer den Zugangscode nicht rausrückt.

Es ist schon höchst zweifelhaft, ob solche Zugriffe überhaupt rechtmäßig wären. Immerhin finden sich auf Smartphones viele persönliche Daten des Autofahrers, außerdem die meist offenen Zugänge zu E-Mail-Accounts, sozialen Netzwerken und Cloud-Speichern, um nur einige Beispiele zu nennen. Es würde also ganz erheblich in sensible Rechtsbereiche des Bürgers eingegriffen. Dass die Polizei bei allgemeinen Verkehrskontrollen “einfach mal so” in den Handys der Angehaltenen nach Blitzer-Apps schnüffelt, erscheint vor diesem Hintergrund fast undenkbar.

Die heutige Regelung hat auch andere Graubereiche. So steht es ja ohnehin jedem Beifahrer frei, eine Blitzer-App auf seinem Handy laufen zu lassen. Der Paragraf richtet nämlich ausdrücklich nur an den Fahrzeugführer. Außerdem ist es seit langem üblich, dass Radiosender ganz aktuell vor Radarfallen warnen. Selbst Polizei und Kommunen geben an vielen Orten die Messorte auf den eigenen Internetseiten bekannt. Wieso dann nicht auch Mobiltelefone oder Navigationsgeräte vor Blitzern warnen dürfen, erscheint mir kaum nachvollziehbar.

Also Daumen hoch für diese Idee.

Presse kann keine Notrufe rausverlangen

Ein Journalist hat vor Gericht vergebens versucht, die Kölner Polizei zur Herausgabe von zwei Notrufen zu zwingen. Der Reporter der Bild-Zeitung wollte die Tonbandaufzeichnungen oder zumindest Abschriften von Gesprächen haben,  in denen sich das Opfer einer Gewalttat kurz vor seinem Tod an die Polizei gewandt hatte.

Das Verwaltungsgericht Köln lehnte den Eilantrag des Journalisten ab. Die Weitergabe könne die laufenden Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft gefährden. Außerdem seien die Interessen des Verstorbenen und insbesondere seiner Angehörigen zu berücksichtigen. Deren Schutz überwiege zumindest derzeit.

Verwaltungsgericht Köln, Beschluss vom 13. September 2012, Aktenzeichen 13 L 1121/12

Hamburger Fälle für Hamburger Richter

Das Hamburger Landgericht arbeitet am Anschlag. So jedenfalls formuliert es Gerichtspräsidentin Sibylle Umlauf in einem aktuellen Bericht des Hamburger Abendblatts (kostenlos nur über Google News abrufbar, Suchbegriff: “Hamburgs Richter”). Wegen akuter Personalnot müssten vielleicht sogar Verdächtige vorzeitig aus der Untersuchungshaft entlassen werden. Schon sechs Große Strafkammern hätten einen Eingangsstopp, weil sie neue Haftsachen nicht bewältigen können.

Die Gerichtspräsidentin beklagt ständige Einsparungen und Stellenstreichungen. Eines allerdings erwähnt sie nicht: Hamburgs Gerichtsbarkeit leistet sich immer noch den Luxus zweier Zivilkammern, die sich praktisch ausschließlich mit Pressesachen beschäftigen. Dabei geht das Einzugsgebiet der hanseatischen Richter weit über Hamburg hinaus.

Tatsächlich strömen aus ganz Deutschland Kläger nach Hamburg, wenn sie juristisch etwas im Äußerungsrecht erreichen wollen. Möglich macht dies der “fliegende Gerichtsstand”. Danach kann man gegen unliebsame Veröffentlichungen an jedem Ort klagen, an dem das Medium erhältlich ist.

Weil es in Hamburg Buchläden, Zeitungskioske und reichlich Internet gibt, fühlen sich die dortigen Presserichter seit jeher berufen, auch Rechtsstreite zu entscheiden, in denen weder der Kläger noch der Beklagte in Hamburg wohnt oder ansässig ist. Das geschieht ohne Not, denn gesetzlich vorgeschrieben ist der fliegende Gerichtsstand keineswegs. Es waren erst Richter selbst, welche die Paragrafen der Zivilprozessordnung so interpretiert haben.

Jedenfalls kann man das mit dem fliegenden Gerichtsstand juristisch auch anders bewerten – wenn man denn will. Einige Gerichte haben in letzter Zeit den fliegenden Gerichtsstand auch mit guten Gründen verneint. Es bedürfte also nur einer gewissen Einsicht der zuständigen Richter, damit in Hamburg Jahr für Jahr nicht mehr hunderte einstweilige Anordnungen beantragt und Prozesse geführt werden, die dort eigentlich nichts verloren haben.

Diese Verfahren würden sich nicht nur geschmeidig auf die 115 weiteren Landgerichte in Deutschland verteilen lassen. Es würde auch wieder mehr Gerechtigkeit herrschen, wenn sich Kläger nicht mehr das “genehmste” Gericht aussuchen können, sondern ihr Glück am örtlich tatsächlich zuständigen Gericht versuchen müssten. In Hamburg würden dagegen beträchtliche Ressourcen frei.

Aber so weit wird es natürlich nicht kommen. Selbst wenn sie es wollte, kann die Hamburger Gerichtspräsidentin die Presserichter nicht anweisen, ihre Liebe zum fliegenden Gerichtsstand aufzukündigen. Dem steht die richterliche Freiheit entgegen. Helfen kann am Ende nur der Gesetzgeber. Ein klarstellender Satz in der Zivilprozessordnung würde reichen, damit Hamburger Richter sich wieder um Hamburger Fälle kümmern.

“Ich schenke dir ein Nutzungsrecht”

Was wie ein Geschenk aussieht, muss keines sein. Diese schmerzliche Erfahrung musste jetzt ein Mann machen, dem seine damalige Freundin zum Geburtstag einen Sportwagen vor die Bürotür gestellt hat. Der Wagen war mit einer Schleife geschmückt, und der Mann bekam auch einen Autoschlüssel. Dennoch ist er nicht Eigentümer geworden, meint das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein.

Kurz vor dem 60. Geburtstag ihres Freundes hatte die Beklagte das Cabrio für 50.000 Euro gekauft. Am Jubeltag erschien sie mit dem Wagen an seiner Arbeitsstelle und drückte ihm den Schlüssel in die Hand. Eine rote Schleife zierte das schicke Auto.

Auch wenn der Mann das Auto später nutzen durfte, behielt die Frau den Kfz-Brief und einen Zweitschlüssel für sich. Das schöne Geschenk war aber kein Kitt für die Beziehung. Es kam zur Trennung, die Frau holte sich das Auto mit ihrem Zweitschlüssel zurück. Der Mann verlangte die Rückgabe des Wagens und zog schließlich vor Gericht.

Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein meint, der Ex-Freund sei nicht Eigentümer des Fahrzeugs. Aus dem Urteil:

Er konnte und durfte den tatsächlichen Vorgang – das Vorfahren der Beklagten in dem mit Schleife geschmückten Fahrzeug, Gratulation zum Geburtstag und Übergabe eines Schlüssels – nicht dahin verstehen, dass ihm schlüssig ein Schenkungsangebot auf Übereignung des Fahrzeugs gemacht worden ist.

Angesichts des erheblichen Fahrzeugwertes hätte es schon nahegelegen, den etwaigen Willen zur Schenkung und Übereignung des PKW auch in Worten zum Ausdruck zu bringen, was aber nicht geschehen ist. Die Möglichkeit gerade sein "Traumfahrzeug" auf unbestimmte Zeit nutzen zu können, kann sich in dieser Situation als durchaus denkbares und ansehnliches Geschenk darstellen.

Dieses Nutzungsverhältnis, das die Richter als Leihe ansahen, hatte die beklagte Fahrzeuginhaberin aber schriftlich gekündigt, so dass der Kläger das Cabrio auch aus diesem Grund nicht weiter behalten durfte.

Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 22.05.2012, Aktenzeichen 3 U 69/11