Was muss man rauchen?

Es wird ja gern behauptet, in Deutschland würden Wohnungen zu oft ohne Rechtsgrundlage durchsucht. Aus meiner Sicht ist das völlig korrekt. Beleuchten wir mal einen aktuellen Fall.

Mein Mandant war nach Holland gefahren. Und machte dort das, was viele Touristen machen. Er rauchte einen Joint, und zwar in geselliger Runde. Das beobachtete eine Frau aus Deutschland, die er erst kurz zuvor im Hotel kennengelernt hatte. Wieder nach Hause zurückgekehrt, hatte die Dame nichts besseres zu tun, als meinen Mandanten bei der Polizei anzuzeigen.

Dabei konnte sie noch nicht mal eine großartige Geschichte erzählen. Halt nur von dem einen Joint, bei dem sogar unklar blieb, ob der Stoff von meinem Mandanten kam. Oder ob er nur mal an einem Joint von jemand anderem gezogen hat, der die Runde machte. Jedenfalls kein Wort von Drogenkäufen oder dem Import einschlägiger Ware über die Grenze.

Die Staatsanwaltschaft hätte das machen können, was eigentlich nahe lag. Das Verfahren gegen meinen Mandanten einstellen. Zunächst wegen der juristischen Zweifel, ob mein Mandant überhaupt ein Strafgesetz verletzt hat.

Das scheitert zwar nicht daran, dass er im Ausland war. Für Deutsche gilt das deutsche Betäubungsmittelstrafrecht auch im Ausland, wenn die fragliche Tat im betreffenden Land auch irgendwie strafbar ist. Aber schon die Frage nach dem strafbaren Besitz ließ sich aus der dürftigen Zeugenaussage nicht eindeutig beantworten. Ebenso kann es nur Konsum gewesen sein, wenn mein Mandant bei anderen nur mitgeraucht hat. Der Konsum von Drogen, die man gerade erst in die Finger bekommen hat, ist aber (nach wie vor) straflos.

Aber auch selbst wenn der Staatsanwalt überzeugt gewesen wäre, dass mein Mandant Drogen besessen hat, hätte er das Verfahren einstellen sollen. Der Betroffene ist nicht vorbestraft. Aus der Zeugenaussage ergaben sich, wie gesagt, auch keine Anhaltspunkte dafür, dass es um mehr als bloßen Eigenkonsum ging. Für diesen Fall sieht das Gesetz vor, dass das Verfahren in der Regel einzustellen ist.

Aber dazu kam es gerade nicht. Vielmehr entschloss sich der Staatsanwalt, die Wohnung meines Mandanten durchsuchen zu lassen. Er beantragte einen richterlichen Beschluss. Bis heute hätte ich meine Nebeneinkünfte aus Vortragshonoraren darauf verwettet, dass kein Richter die Durchsuchung absegnet.

Doch genau das geschah. Und zwar mit bemerkenswerter Begründung:

Es ist anzunehmen, dass der Beschuldigte aktuell im Besitz von Marihuana zum Eigenbedarf ist.

Weniger überraschend ist, dass der Richter in der sechszeiligen (!) Begründung kein Wort über die Verhältnismäßigkeit verliert, wie es eigentlich erforderlich ist. Schon seine Prämisse, es werde höchstens Marihuana zum Eigenbedarf gefunden, macht ihm ja eine vernünftige Argumentation unmöglich. Denn der Verdacht auf eine Straftat, die schon vom Gesetz her regelmäßig mit Einstellung zu quittieren ist, rechtfertigt – natürlich – keinen Grundrechtseingriff von der Dimension einer Hausdurchsuchung.

Genau das ist der Grund, warum selbst Polizisten zur Nachtstunde normalerweise nicht an eine Hausdurchsuchung denken und an “Gefahr im Verzug”, wenn sie bei einer Verkehrskontrolle jemanden mit 3 Gramm Gras erwischen. Dazu bedarf es dann schon deutlich mehr – zum Beispiel den Verdacht  auf Drogenhandel.

Dass aber ein Richter nicht merkt, dass seine eigene Begründung allenfalls zur Ablehnung des Antrags taugt, ist schon bemerkenswert. Wäre schon interessant zu erfahren, was man dafür rauchen muss.

Erfordernisse

Ich vergleiche die Polizei ja ungern mit Abzockern. Zum Beispiel solchen, die uns Abofallen andrehen. Aber bei dem Schreiben, das eine Düsseldorfer Kommissarin offenbar an Bürger zu richten pflegt, halte ich die Analogie durchaus für angemessen. Nicht, dass die Dame meinem Mandanten Geld aus der Tasche leiern möchte. Ihr geht es um eine DNA-Probe. Mit den Abzockern gemeinsam hat die Dame aber die Dreistigkeit, mit der ans Werk gegangen wird.

Es geht um eine erkennungsdienstliche Behandlung. Weil gegen meinen Mandanten einige Ermittlungsverfahren liefen, sollen ihm nun Fingerabdrücke abgenommen werden. Außerdem möchte die Polizei Fotos von ihm anfertigen. Das Ganze geschieht aus präventiven Gründen. Die Daten sollen also gespeichert werden, um meinen Mandanten bei künftigen Verfahren “als Tatverdächtigen ausschließen oder überführen zu können”, wie es in dem Schreiben so schön heißt.

So weit, so gut. Es ist das Recht der Polizei, so eine ED-Behandlung anzuordnen. Mein Mandant wird dagegen klagen, aber das ist ein anderes Thema. Allerdings belässt es die Kommissarin nicht dabei. Sie verlangt auch die Abgabe einer Speichelprobe. Aus ihrem Schreiben:

Sie wurden zuletzt erkennungsdienstlich behandelt, bisher wurde keine DNA-Probe von Ihnen abgegeben. Deshalb erachte ich die Fertigung von Fotos und Fingerabdrücken unter Beachtung der verwaltungsrechtlichen Vorschriften für erforderlich, verhältnismäßig und geeignet. Aufgrund der Ihnen zur Last gelegten Straftat gelten die gleichen Erfordernisse auch für die Entnahme DNA-Materials.

Der Treppenwitz an der ganzen Geschichte ist, dass die Frau “Vorschriften” zwar erwähnt, sie aber missachtet. Die Abgabe einer DNA-Probe gehört schon mal gar nicht zur erkennungsdienstlichen Behandlung im engeren Sinn. Weit schlimmer ist aber, dass die Polizei überhaupt nicht die Kompetenz hat, aus präventiven Gründen eine DNA-Probe anzuordnen, so wie es hier geschieht.

Eine DNA-Probe darf einzig und allein ein Richter anordnen. Selbst er muss eingehend begründen, warum die Probe erforderlich ist, zum Beispiel weil von dem Betroffenen weitere Straftaten zu erwarten sind.

Die Kommissarin könnte meinen Mandanten höchstens darum bitten, freiwillig eine DNA-Probe abzugeben. Das ist möglich, wenn der Betroffene darüber belehrt wird, dass er nicht dazu verpflichtet ist, und eine Einverständniserklärung unterzeichnet. Stattdessen erzählt die Polizistin was von gesetzlichen  “Erfordernissen” und erweckt den Eindruck, als sei mein Mandant verpflichtet, ihrer “Anordnung” Folge zu leisten.

Man kann ja fast nur hoffen, dass die Beamtin in der Polizeischule einfach zu wenig aufgepasst hat. Alle anderen Erklärungen für so ein Verhalten wären nämlich weit weniger schmeichelhaft.

Mal sehen, wie sich der Polizeipräsident zu der Sache stellt.

Tödliches Dings

Ich muss leider eine kleine Zwangspause ausrufen. Vielleicht nur bis morgen, längstens aber bis Donnerstag.

Die tödliche Männergrippe hat mich erwischt.

Prozess mit appsurdem Ergebnis

Das Landgericht Köln hat im Rechtsstreit um die Tagesschau-App deutschen Zeitungsverlagen Recht  gegeben  und  es  der ARD und dem NDR  untersagt, die  Tagesschau-App zu verbreiten oder verbreiten zu lassen. 

Allerdings gilt das Verbot nur für die Tagesschau-App vom 15. Juni 2011.  Eine  allgemeine  Aussage  zur  nach  dem  Rundfunkstaatsvertrag zulässigen Länge oder Ausführlichkeit von Texten in der App enthält das Urteil deswegen nicht. Dies bedeutet, dass die ARD zumindest momentan ihre Tagesschau-App weiter anbieten und mit Inhalten befüllen kann.

Das Landgericht folgte der Argumentation der Verlage,  wonach es sich bei der Tagesschau-App um ein nichtsendungsbezogenes presseähnliches Angebot handelt, das nach den Bestimmungen des Rundfunkstaatsvertrages unzulässig ist. Dies bedeute auch einen Wettbewerbsverstoß, so dass den Zeitungsverlagen ein Unterlassungsanspruch zusteht.

Das Angebot ist nach Auffassung des Gerichts geeignet,  als Ersatz  für die Lektüre von Zeitungen oder Zeitschriften zu dienen – mit einer  Informationsdichte, die an herkömmlicher “Presseerzeugnisse”, also Zeitungen und Zeitschriften,
heranreicht.  Daran  ändern nach Meinung der Richter auch Verknüpfungen mit  Hörfunk-  oder  Fernsehbeiträgen nichts. Zugleich sind die Angebote der App nicht hinreichend sendungsbezogen. Das  bedeutet,  ihnen  fehlt  der  ausdrückliche
Bezug zu einer konkreten Hörfunk- oder Fernsehsendung.

Bei diesen Fragen war nach Auffassung des Landgerichts auf das Angebot  in  seiner Gesamtheit abzustellen, so dass es für das Verbot ausreichte, dass die presseähnlichen  und  nicht  sendungsbezogenen  Beiträge  einen  breiten Raum
einnehmen, das Angebot auch optisch dominieren und so den Gesamteindruck wesentlich mitbestimmen. 

Ein generelles Verbot der App scheidet nach Auffassung der Kammer allerdings aus, weil die App das Genehmigungsverfahren nach dem Rundfunkstaatsvertrag durchlaufen hat. Weil sich das Verbot der App nur auf einen konkreten Tag in der Vergangenheit bezieht, kann die ARD sie nach derzeitigem Stand weiter anbieten.

Unklar ist noch, ob die an sich siegreichen Verleger nun einen juristischen Weg suchen und vor allem finden, um die App wirklich vom Markt zu bringen. Alternativ ist auch wieder im Gespräch, dass sich die Parteien an einen Tisch setzen und verhandeln. Dazu hatte das Kölner Landgericht die ARD und die Verleger mehrfach aufgefordert, da der Streit nur medienpolitisch, aber kaum juristisch beizulegen sei.

Landgericht Köln, Urteil vom 27. September 2012, Aktenzeichen 31 O 360/11

Gestandene Männer und Frauen

Ein Mindestalter für den Aufstieg in eine höhere Laufbahn ist im Beamtenrecht unzulässig. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschieden. Die Richter kippen damit eine Vorschrift in einer Laufbahnverordnung für Finanzämter, die eine Mindestaltersgrenze von 40 Jahren vorschreibt.

Den Klägerinnen, zwei Steuerhauptsekretärinnen in der Finanzverwaltung des Saarlandes, war die Zulassung zum Aufstieg für besondere Verwendungen für Steuerbeamte verweigert worden, weil sie noch nicht 40 Jahre alt waren. Ihre hiergegen gerichteten Klagen waren in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben.

Das Berufungsgericht hatte gemeint, die Mindestaltersregelung sei mit höherrangigem Recht vereinbar. Der Verordnungsgeber bewege sich mit der Annahme, dass Lebensältere im Sinne von "gestandenen" Männern und Frauen mit einer verfestigten Persönlichkeit eher als Vorgesetzte akzeptiert würden als Lebensjüngere, im Rahmen seines Gestaltungsspielraums.

Das Bundesverwaltungsgericht sieht das anders. Gemäß Art. 33 Abs. 2 des Grundgesetzes habe jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Dem Anwendungsbereich dieser Vorschrift unterfallen, so die Richter, auch Auswahlentscheidungen im Vorfeld der Verleihung eines öffentlichen Amtes, wie hier die Zulassung zu einer Ausbildung für einen Laufbahnaufstieg.

Ein Bewerber kann bei einer solchen Auswahlentscheidung nur dann wegen seines zu geringen Alters abgelehnt werden, wenn deswegen eine Beurteilung seiner Bewährung (noch) nicht möglich ist. Vom Lebensalter sind grundsätzlich keine Rückschlüsse auf die Eignung für das angestrebte Amt möglich.

Ebenfalls unzulässig sind demnach auch längere Mindestwartezeiten, die der Bewerber im Beamtenverhältnis oder in seinem bisherigen Amt verbracht haben muss; auch diese zielen darauf, ältere Bewerber den jüngeren ohne Rücksicht darauf vorzuziehen, wer der bessere ist. Die Nichteinbeziehung der Klägerinnen in die Auswahl aus Altersgründen verstieß zudem gegen die Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG).

Fragt sich nur, was nach diesem Urteil mit dem Mindestalter für Bundespräsidenten wird. Während man ab 18 Jahren schon in Parlamente einziehen, Minister und sogar Bundeskanzler werden kann, steht das erste Amt im Staate nur Bewerbern über 40 Jahren offen. So will es das Grundgesetz selbst, welches in dem vom Gericht zitierten Art. 33 Abs. 2 erstaunlicherweise etwas anderes postuliert.

Bundesverwaltungsgericht, Urteile vom 26. September 2012, Aktenzeichen 2 C 74.10 und 2 C 75.10

Geschmeidige Strafverfolger

Es war ein echter Großeinsatz: Nach einer DDoS-Attacke auf die Webseite der GEMA soll das Bundeskriminalamt mehr als 100 Wohnungen durchsucht haben. Die Betroffenen wurden der Computersabotage verdächtigt. So hoch die Ermittlungen anfangs aufgehängt waren, so zerschlägt sich jetzt anscheinend vieles in bedingtem Wohlgefallen. Jedenfalls scheint das Interesse der Strafverfolger nicht sonderlich groß, die vermeintlichen Übeltäter tatsächlich vor Gericht zu bringen.

In einem von mir betreuten Verfahren macht die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt nun ein Angebot, das man eigentlich nicht ausschlagen kann. Mein Mandant soll stolze  150 Euro an die Aktion Deutschland Hilft zahlen, dann wird das Verfahren eingestellt. Im Verhältnis zu den möglichen Anwalts- und Gerichtskosten und dem Risiko einer Vorstrafe ist das natürlich ein Klacks.

Sogar seinen Computer soll mein Mandant wieder erhalten. So eine geschmeidige Haltung der Staatsanwälte ist natürlich zu begrüßen. Sie wirft aber kein sonderlich gutes Licht auf die Umstände, wie es zu den etlichen Hausdurchsuchungen gekommen ist. Offenkundig besteht nämlich ein Missverhältnis zwischen dem Anlass und den gewählten Mitteln.

Die Aktionen der Polizei richteten sich nämlich nicht gegen echte Anonymous-Aktivisten. Anonymous soll die DDoS-Attacke auf den Weg gebracht haben. Im Visier waren vielmehr Menschen, die auf einer extra eingerichteten Seite einen Link geklickt haben, der ihren Computer in die DDoS-Attacke einband.

Es lag also auch für die Ermittler nahe, vorher mal zu überlegen, wie groß der Kollateralschaden bei den Hausdurchsuchungen sein würde. Längst nicht alle Teilnehmer dürften sich darüber klar gewesen sein, welche Tragweite dieser Klick haben kann.

Dazu kommt natürlich die bislang ungeklärte Frage, ob das bloße Klicken eines Links überhaupt eine strafbare Computersabotage sein kann. Auch stellt sich die Frage, ob die Seite der GEMA wirklich, wie es das Gesetz fordert, erheblich beeinträchtigt gewesen ist. Die DDoS-Attacke soll nämlich zur meisten Zeit nur den Effekt gehabt haben, dass die Webseite der GEMA langsamer lud als normal.

Letztlich hätte auch vorher klar sein müssen, dass die Durchsuchungen zig Unbeteiligte behelligen wird. Auch bei meinem Mandanten wurde erst mal das Elternhaus durchsucht, obwohl er schon längst nicht mehr dort wohnt. Zwar verhielt sich die Polizei hier umsichtig und packte nicht die Computer der Eltern ein. Von anderen Betroffenen habe ich aber gehört, dass ganze Familien ihrer kompletten Hardware beraubt wurden.

Ich will gar nicht sagen, dass die Strafverfolger nun nachträglich kalte Füße bekommen haben. Immerhin ist die jetzt dokumentierte Milde ja etwas, was mich und meinen Mandanten freut. Es bleibt aber doch ein wenig der Verdacht, dass mit der martialischen Aktion weniger Strafverfolgung, dafür umso mehr Abschreckung betrieben wurde.

Sieben Jahre zu Unrecht eingesperrt

Ein Franzose, der zu Unrecht mehr als sieben Jahre im Gefängnis saß, erhält knapp 800.000 Euro Schadensersatz vom Staat. Das Berufungsgericht in Rennes sprach ihm diese Summe zu. Eine 14-Jährige hatte fälschlicherweise behauptet, der Mann habe sie mehrfach vergewaltigt.

Im Jahr 2003 war der Betroffene zu 16 Jahren Haft verurteilt worden. Erst im Jahr 2008 erklärte die Frau, dass die Vorwürfe falsch waren. Der Mann will während seiner Haft Übergriffen ausgesetzt gewesen sein. Deshalb habe er sogar versucht, sich das Leben zu nehmen.

In Frankreich gilt die zugesprochene Summe nach Presseberichten als Rekordschmerzensgeld. In Deutschland würde ein derartiger Justizirrtum weit geringer “vergütet”. Denn bei uns gibt es zunächst mal nur pauschal 25 Euro für jeden Tag ungerechtfertigter Haft.

Bei den sieben Jahren und drei Monaten, die der Franzose eingesperrt war, käme man in Deutschland auf eine Entschädigung von 66.125 Euro. Daneben können aber noch konkrete Vermögensschäden geltend gemacht werden, zum Beispiel Verdienstausfall durch Verlust des Arbeitsplatzes.

Allerdings kann ich aus Erfahrung sagen, dass die deutsche Justiz in solchen Fällen meist verbissen um jeden Cent feilscht. Entschädigungsprozesse werden regelmäßig zu einer Kraft- und Geduldsprobe, selbst wenn keine überzogenen Ansprüche gestellt werden. Betroffene empfinden das oft als zweite Bestrafung.

“Mitbringen” ist kein Drogenhandel

Kaum ein strafrechtlicher Begriff ist schillernder als der des “Handeltreibens” mit Drogen. Mit Drogen handelt nach Auffassung vieler Gerichte schon, wer ein solches Geschäft ernsthaft plant. Das kann Gefängnis geben, obwohl noch gar nichts passiert ist. Also ein klassisches Gedankenverbrechen. So weit der Begriff des Handeltreibens auch verstanden wird, gibt es doch auch deutliche Grenzen. In einem aktuellen Urteil zeigt der Bundesgerichtshof eine davon auf.

Ein Kokainkonsument hatte vor, mehrfach eine größere Menge Stoff zu erwerben. Einen Teil wollte er selbst konsumieren, den Rest gewinnbringend verkaufen. Bei dieser Gelegenheit erklärte er sich bereit, einem Bekannten 5 beziehungsweise 15 Gramm mit zu besorgen. Diese Menge wollte er dem Bekannten aber zum Einkaufspreis geben.

Das Landgericht Düsseldorf hat den Angeklagten wegen Handeltreibens zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt, und zwar auch wegen des Stoffes, den er seinem Bekannten überlassen wollte. Begründung: Der Angeklagte habe insgesamt eine größere Menge kaufen können. Dafür habe er sich einen besseren Mengenrabatt versprochen. Das sei ein wirtschaftlicher Vorteil (“Eigennutz”), der für ein Handeltreiben ausreiche.

Der Bundesgerichtshof sieht das anders. Aus dem Beschluss:

Ob der Täter im Sinne eines Handeltreibens nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG eigennützig handelt, ist bezogen auf das konkret in Frage stehende Umsatzgeschäft zu beurteilen. Es muss sich gerade aus diesem Umsatzgeschäft ein eigener Nutzen für den Täter ergeben; dass ihm aus den Umständen des Erwerbs der umzusetzenden Betäubungsmittel Vorteile erwachsen, genügt für sich alleine nicht .

Daher liegt kein Handeltreiben vor, wenn der Täter zur Erzielung eines günstigeren Einkaufspreises auch für andere Abnehmer einkauft und diesen die Betäubungsmittel dann zum Einkaufspreis überlässt.

Es genügen also keine indirekten Vorteile, die sich aus dem Zusatzgeschäft ergeben. Diese Sicht der Dinge hat enorme praktische Bedeutung. Es kommt ja ziemlich häufig vor, dass Konsumenten anderen was “mitbringen” und lediglich den Einkaufspreis weiter berechnen. Für ein Handeltreiben reicht das dann jedenfalls nicht aus.

Im entschiedenen Fall reduzierte sich die Bewährungsstrafe enorm – von anderthalb Jahren Gefängnis auf sechs Monate und eine Woche. 

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27. März 2012, Aktenzeichen 3 StR 64/12

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Vor Gericht sind starke Worte erlaubt

Wer vor Gericht steht, darf auch mal etwas aufdrehen. Zumindest verbal. Äußerungen, die im wirklichen Leben als beleidigend gelten, können in Prozessen noch durchgehen. Das gilt zum Beispiel für die Äußerung, jemand sei schlicht zu faul zu arbeiten. So sieht es jedenfalls das Amtsgericht Königs Wusterhausen.

Der Richter wies die Klage gegen einen Anwalt ab, der das vernichtende Urteil über die Arbeitslust in einem Schriftsatz getroffen hatte. Im Verfahren machte eine Frau Unterhalt gegen ihren Vater geltend. Der Anwalt vertrat den Vater und lehnte jede Zahlungspflicht ab. Unter anderem mit dem Hinweis, der Lebenspartner der Tochter sei schlicht zu faul zu arbeiten. Hintergrund war, dass der Kläger mit seiner Lebensgefährtin schon zwei Kinder hatte, aber mit 27 Jahren noch das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg nachholte.

Die Behauptung, er sei zu faul zu arbeiten, wollte sich der Lebenspartner nicht bieten lassen. Das AG Königs Wusterhausen hielt seine Klage gegen den Anwalt bereits für unzulässig. Nach Auffassung des Richters haben auch Unbeteiligte am Prozess jedenfalls dann kein Rechtsschutzbedürfnis, wenn die Behauptungen  nicht völlig sachfremd sind und auch nicht wider besseres Wissen aufgestellt werden.

Diese Voraussetzungen lagen nicht vor. Das Gericht:

Angesichts des Alters und bisherigem Werdegang des Klägers muss die – hier polemisch überspitzte – Frage erlaubt sein, ob der Kläger nicht vorrangig gehalten ist, den Lebensunterhalt für seine Familie zu verdienen, anstatt sein Recht auf Bildung wahrzunehmen, wie er in der mündlichen Verhandlung dargelegt hat.

Im Prozess, so das Gericht, sei der Ehrenschutz eingeschränkt. Die Äußerung des Anwalts sei zwar eindeutig ehrverletzend. Doch vor Gericht müsse im Zweifel die freie Rede Vorrang haben, damit Prozessbeteiligte ohne übertriebene Scheu ihre Position verteidigen können.

AG Königs Wusterhausen, Urteil vom 11. April 2012, Aktenzeichen 20 C 569/11