Auch Erstberatung kostet Geld

Um die Erstberatung beim Anwalt ranken sich einige Legenden. Unter anderem jene, wonach insbesondere der erste telefonische Kontakt stets kostenlos ist, selbst wenn der Anwalt schon mal Ratschläge erteilt. Das ist so nicht richtig; das Amtsgericht Wiesbaden stellt dies in einer aktuellen Entscheidung klar.

Ein Mandant will schon bei der telefonischen Terminvereinbarung und zu Beginn des persönlichen Gesprächs darauf hingewiesen haben, dass er den Anwalt nicht bezahlen kann. Das Amtsgericht Wiesbaden sieht den Anwaltskunden in der Pflicht, so einen Hinweis an den Anwalt zu beweisen. Und auch dessen Einverständnis, den Betreffenden kostenlos zu beraten.

Das gelang dem Mandanten nicht, weil das Gericht seine Beweismittel aus formalen Gründen ablehnte. Unabhängig vom Einzelfall weist das Amtsgericht Wiesbaden aber darauf hin, dass der Anwalt zumindest bei einer Erstberatung nicht von sich aus darauf hinweisen muss, dass er für seine Tätigkeit eine Rechnung stellen wird.

Das Gericht geht also davon aus, dass jeder potenzielle Mandant grundsätzlich davon ausgehen muss, dass schon die ersten Ratschläge eines Anwalts Geld kosten. Der Betreffende wurde dementsprechend verurteilt, eine Erstberatungsgebühr von 179,15 Euro an den Rechtsanwalt zu zahlen.

Ich persönlich weiß, dass es die Legende von der kostenlosen Erstberatung gibt. Deshalb sage ich gerade in Telefonaten immer, ab wann ich gerne bezahlt werden möchte. Das schafft klare Verhältnisse. Auch wenn es durchaus immer mal wieder Mandanten gibt, die sich an meine Worte später nicht erinnern können. Aber solche Erfahrungen sind doch eine seltene Ausnahme.

Amtsgericht Wiesbaden, Urteil vom 8. August 2012, Aktenzeichen 91 C 582/12 (18)

Meine täglichen Straftaten

Ich glaube, ich habe mich im letzten Monat vier bis fünf Mal strafbar gemacht. Das dürfte in etwa auch mein langjähriger Durchschnitt sein, so dass ich es auf hunderte Straftaten bringe – zumindest wenn es nach den Maßstäben der Würzburger Justiz geht. Die hat nämlich nun einen Anwalt verurteilt, weil dieser einen Durchsuchungsbeschluss kritisierte.

Der Jurist hatte in einer Hauptverhandlung moniert, ein Durchsuchungsbefehl genüge nicht den verfassungsrechtlichen Grundsätzen. Der Richter habe keine eigenständige Prüfung vorgenommen. Obwohl der Richter, der den Beschluss erließ, die Sache als “erledigt” betrachtet, kam die Sache vor Gericht. Die Landgerichtspräsidentin stellte als Dienstherrin des Richters nämlich auch einen Strafantrag, dem die örtliche Staatsanwaltschaft offensichtlich mit einer Anklage nachgekommen ist.

Die Äußerungen des Anwalts betrachtet die zuständige Amtsrichterin nun als “üble Nachrede”, was sie mit einer Geldstrafe quittierte. Wenn das so stimmt, was im Bericht der Main Post steht, müssen sich Strafverteidiger künftig wohl überlegen, ob sie um Würzburg einen großen Bogen machen. Oder ihre Mandanten durch vorauseilende Bückhaltung gegenüber der örtlichen Justiz verraten.

Die zitierte Kritik ist nämlich nicht nur harmlos, sondern auch Alltag für einen Strafverteidiger. Ebenso wie für Richter, die solche Eingaben halt nun mal auf den Schreibtisch bekommen. Derartige Kritik an Durchsuchungsbeschlüssen formuliere ich, wie gesagt, ein paar Mal im Monat. Leider. Gerade bei Durchsuchungsbeschlüssen nicken halt nun mal viele Richter einfach ab, was ihnen die Staatsanwaltschaft vorlegt. Ich erspare mir hier Einzelheiten. Regelmäßige Leser wissen, wie viele fragwürdige Beschlüsse ich hier schon vorgestellt habe.

Aus der Kritik an einem Beschluss eine Beleidigung zu Lasten des Richters zu machen, ist schon ein starkes Stück. Noch heftiger wird das Ganze aber dadurch, dass die Amtsrichterin in der Urteilsbegründung die Argumente des Anwalts sogar noch bestätigt haben soll. So berichtet es die Main Post:

Die Vorsitzende sagt, dass der Beschluss vielleicht nicht den Vorgaben des BVerfG entsprochen habe. Aber die obersten Hüter der Verfassung hätten „keine Ahnung von der Realität“. Die Justiz habe weder genügend Zeit, noch genügend Personal, um Beschlüsse so zu prüfen, wie das Verfassungsgericht es sich vorstellt.

Aha, der Anwalt hatte in der Sache recht. Aber was er sagte, ist trotzdem eine Beleidigung, weil fehlende Zeit und zu wenig Personal es am Gericht unmöglich machen, Beschlüsse nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ordnungsgemäß zu prüfen. Schuld an der Misere sind also nicht Richter, die wegen des pünktlichen Feierabends schon mal Fünfe gerade sein lassen. Oder geizige Justizminister. Sondern der Überbringer der Botschaft.

Ich bin mir nicht sicher, ob der Richterin bewusst ist, dass Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts unmittelbare Bindungswirkung für alle Richter in Deutschland haben. Dass sie somit, ich begebe mich nun doch auf glattes Parkett, offen erklärt, die Würzburger Justiz verstoße sehenden Auges gegen geltendes Recht, weil die “Realität” wichtiger ist als das vom angeblich so weltfernen Bundesverfassungsgericht (mit-)geschaffene Recht.

Die Vorsitzende attestiert ihren örtlichen Richterkollegen also faktische Rechtsbeugung und findet das anscheinend auch noch in Ordnung. Vielleicht sollte man sich mal überlegen, ob darin nicht auch eine üble Nachrede liegt. Ich kann mir kaum vorstellen, dass jeder Würzburger Ermittlungsrichter so eine Dienstaufassung hat.

Ähnlich problematisch sind übrigens auch die Worte, welche die Richterin in Richtung Bundesverfassungsgericht sagt. Die Aussage, Verfassungsrichter hätten keine Ahnung von der Realität, ist ja auch nicht gerade von Pappe.   

Zum Glück kann die Richterin nicht über sich selbst urteilen und somit selbst im schlimmsten Fall auf einen Freispruch hoffen. Nämlich durch einen verständigeren Kollegen, der weiß, dass der Kampf ums Recht nicht nur mit Blümchen-Rhetorik ausgefochten werden kann. Man hätte sich nur gewünscht, der nun verurteilte Anwalt wäre auch sogleich an einen solchen Richter geraten.

Amtsblatt muss Amtsblatt heißen

Locker, flockig, bürgernah. Viele Stadtverwaltungen gehen neue Wege, wenn sie mit dem Bürger kommunizieren. Doch dem Wunsch nach weniger Bürokratendeutsch sind Grenzen gesetzt. So muss das Amtsblatt tatsächlich auch Amtsblatt heißen. Dies hat das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen entschieden.

Die Stadt Castrop-Rauxel hatte zwar den Aufstellungsplan für einen Bebauungsplan veröffentlicht. Dies geschah aber in einer Rathaus-Publikation, die sich „Aus dem Rathaus… Amtliche Bekanntmachungen der Stadt Castrop-Rauxel“ nannte. Nach der geltenden Rechtslage, unter anderem den Beschlüssen des Stadtrats Castrop-Rauxel, werden öffentliche Bekanntmachungen aber im “Amtsblatt der Stadt Castrop-Rauxel” bekanntgemacht.

Für das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen ist das eine wesentliche Formalie. Deshalb müsse das Amtsblatt auch Amtsblatt genannt werden – zumindest im Untertitel. Überdies sei stets der Geltungsbereich anzugeben. Im entschiedenen Fall hatte der etwas lockerere Titel die Folge, dass der Aufstellungsplan nicht als “ortsüblich bekanntgegeben” gilt. Deshalb darf die Stadt Castrop-Rauxel den Plan einer Bürgerin nicht entgegenhalten und ihre Bauvoranfrage deshalb zurückstellen.

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Beschluss vom 11. Oktober 2012, Aktenzeichen 9 L 954/12

Mappus wird baden gehen

Der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus zieht vor Gericht, um die Löschung der Daten von seinem Dienstcomputer zu erzwingen. Dabei sollte das eigentlich gar nicht notwendig sein. Mappus selbst hatte nach Presseberichten bei seinem Abgang die Daten in einer fragwürdigen Aktion löschen lassen, die Löschung jedenfalls nicht verhindert. Doch dumm für den Politiker: Es fanden sich Kopien bei einem externen Dienstleister, welche die Staatsanwaltschaft prompt beschlagnahmte.

Mit seiner nunmehr angekündigten Klage gegen die aus seiner Sicht überraschend aufgetauchten Daten wird Mappus baden gehen. Für deutsche Strafverfolger ist es nämlich ziemlich unerheblich, aus welcher Quelle sie an die Daten gekommen sind.

Wenn die Staatskanzlei des früheren Ministerpräsidenten schlampte und nicht dafür sorgte, dass bei einer Computerreparatur von einer Firma erstellte Sicherungskopien wieder gelöscht wurden, ist dies zwar ein schlechtes Zeichen für den staatlichen Datenschutz. Der Fehler von Regierungsmitarbeitern ändert aber nichts daran, dass die Sicherungskopien vollwertige Beweismittel für die Strafverfolger sind.

Ein eventueller Datenschutzverstoß wäre strafprozessual nur interessant, wenn er auf die Kappe von Polizei und Staatsanwaltschaft ginge. Hätten die Ermittler etwa dafür gesorgt, dass Daten vorsorglich ausgelagert werden, wäre dies ohne richterlichen Beschluss kaum rechtmäßig. Zu dem Zeitpunkt, als der Dienstleister aber in Mappus Büro Daten sicherte, dürfte der ehemalige Ministerpräsident noch nicht wegen des EnBW-Deals beschuldigt gewesen sein. Es ist also mehr als unwahrscheinlich, dass Ermittler ihre Finger im Spiel hatten.

Ein Staatsanwalt haftet nur für eigene (Grund-)Rechtsverstöße. Von juristischen Fehlern Dritter darf er normalerweise bedenkenlos profitieren. Wenn Mappus jammert, eigentlich dürfte es die Daten gar nicht geben, ist das juristisch also ohne jede Substanz.

Ebenso sein Hinweis, es handele sich auch um private Daten. So what? Bei jeder Hausdurchsuchung sackt die Polizei alle Datenträger ein. Inhaltlich gibt es gar keine Unterscheidung zwischen privaten und geschäftlichen Daten, es sei denn vielleicht, es handelt sich um solche aus der Intimsphäre. Maßgeblich ist im Kern nur, ob die Informationen für den Fall von Bedeutung sind oder nicht.

Gut möglich, dass Mappus vielleicht später mal das Land oder die IT-Firma auf Schadensersatz in Anspruch nehmen kann, wenn es eine Datenschutzpanne bei der Erstellung der Sicherungskopien gab. Die Staatsanwaltschaft kann diese Frage aber kalt lassen. Dementsprechend ist auch nicht damit zu rechnen, dass ein Gericht dem ehemaligen Ministerpräsidenten nun zur Seite springt. Und das ist unabhängig davon, ob der Mann mittlerweile in Ungnade gefallen ist oder nicht.

Spiegel online / Welt online

Vielen Dank für den Hinweis

Vor kurzem habe ich von einer Polizeibeamtin erzählt, die sich an die Stelle eines Richters setzt. Jedenfalls erweckt sie im Brief an einen Mandanten den Eindruck, sie könne nicht nur eine erkennungsdienstliche Behandlung (Fingerabdrücke und Fotos) anordnen. Sondern auch eine Speichelprobe, damit das DNA-Muster meines Mandanten in der Wiesbadener Zentralkartei gespeichert werden kann.

Richtig ist, dass man einer Speichel- oder Blutprobe freiwillig zustimmen kann. Aber auch nur schriftlich. Leistet man freiwillig keine Unterschrift, hat die Polizei überhaupt keine eigene Kompetenz, die Probe durchzusetzen. Vielmehr muss ein Richter entscheiden.

Ich habe mich über das Schreiben etwas aufgeregt, weil es dem Bürger eine Pflicht gegenüber der Polizei vorgaukelt, die er so nicht hat. Immerhin fällt die Antwort auf meine Beschwerde versöhnlich aus. Die Polizistin schreibt:

Vielen Dank für den Hinweis. Sie haben Recht, die Entnahme der DNA-Probe ist nicht mit der Anordnung der ED-Behandlung in Verbindung zu setzen. Sie beruht auf freiwilliger Basis und darüber hinaus kann durch mich über die Staatsanwaltschaft beim zuständigen Amtsgericht ein Beschluss zur Abnahme beantragt werden.

Ich interpretiere die mal so, dass die Beamtin künftig keine Speichelproben mehr “anordnet”.

Besonders erfreulich finde ich aber, dass es sogar in der Sache selbst Bewegung gibt. Nach “erneuter Prüfung” sieht die Polizei nämlich überhaupt keine Notwendigkeit mehr, die DNA meines Mandanten speichern zu lassen. Es wird also auch kein Antrag bei Gericht gestellt.

Und sogar auf die Fotos und Fingerabdrücke, welche die Polizei selbst hätte anordnen dürfen, wird laut dem Schreiben nun ausdrücklich verzichtet.

Noch mehr Polizisten beim Ku Klux Klan

Zwei deutsche Polizisten im Ku Klux Klan. Diese Nachricht löste vor einigen Wochen Bestürzung aus. Bedauerliche Einzelfälle, so lautete die Beschwichtigungsstrategie der verantwortlichen Stellen. So ganz wird sich das womöglich nicht halten lassen. In Verfassungsschutzpapieren soll von mindestens drei weiteren Beamten aus Baden-Württemberg die Rede sein, die sich dem „European White Knights of the Ku Klux Klan“ angeschlossen hatten. Das berichtet die Frankfurter Rundschau.

Quelle für die Informationen soll ein hochkarätiger V-Mann des Verfassungsschutzes sein. “Corelli”, auch als “HJ Tommy” bekannt, gehörte selbst zu den Mitbegründern des europäischen Rassisten-Netzwerks. Nach seinen Berichten hatten neben den bereits bekannten zwei Polizisten mindestens drei weitere Beamte Kontakt zum Ku Klux Klan oder waren sogar dort Mitglied. Unter diesen Polizisten soll auch eine Beamtin aus dem Drogendezernat in Stuttgart gewesen sein.

Bei den nun bekanntgewordenen Fällen wird sich auch die Frage stellen, wie die Polizeiführung darauf reagierte. Die ersten beiden Beamten erhielten immerhin eine Zurechtweisung, die denkbar niedrigste Sanktion bei der Polizei. Sie hatten sich intern damit gerechtfertigt, überhaupt nicht gewusst zu haben, dass der Ku-Klux-Klan rassistisch eingestellt ist.

Die drei weiteren Polizisten sollen laut Frankfurter Rundschau gänzlich unbehelligt geblieben sein. Wahrscheinlich haben sie zu Protokoll gegeben, dass sie den Ku-Klux-Klan mit einem Gesangverein verwechselt haben.

Aber im Ernst: Die Enthüllungen im Rahmen des NSU-Komplexes nehmen von Tag zu Tag neue Dimensionen an. Immer mehr wird deutlich, welche verhängnisvolle Triebkraft die deutschen Geheimdienste in der rechten Szene entwickelten. Man könnte ja auch mal die Frage stellen, wieso es ausgerechnet ein V-Mann ist, der solche Vereine wie den europäischen Ableger des Ku Klux Klan mitgründet. Womöglich sogar mit dem Geld, das ihm der Verfassungsschutz zahlte.

Natürlich kann man sich darauf herausreden, dass die Sachen schon rund zehn Jahre zurückliegen. Ein Trost wäre das aber nur, wenn sicher wäre, dass sich seitdem etwas verbessert hat. Angesichts der täglichen Enthüllungen, die bis in die jüngste Vergangenheit gehen, spricht dafür aber nun gar nichts.

Vielmehr stellt sich die Frage, ob Ausmisten überhaupt noch hilft. Selbst wenn, es dürfte bei den bestehenden Strukturen höchstens bei der Polizei möglich sein, aber nicht mehr beim Verfassungsschutz. Der Laden ist offensichtlich völlig aus dem Ruder gelaufen. Ich persönlich bin deshalb mittlerweile dafür, unsere Demokratie wirklich mal zu schützen – und den Verfassungsschutz aufzulösen. 

Wer hat hier ‘ne Macke?

Die Verkehrsüberwachung in Peine fühlt sich nicht nur für die Straßen zuständig. Sie kontrolliert die Bürger auch im Internet. So liest die Behörde mit, was Facbook-Nutzer auf der Seite “Blitzer Peine” zu sagen haben. Eine 24-Jährige, die via Facebook über eine mobile Radarkontrolle vor einem stationären Blitzer schimpfte, bekam die amtliche Kontrolldichte nun hautnah zu spüren. Der Behördenleiter drohte ihr höchstpersönlich in einem Brief die Vorladung zur medizinisch-psychologischen Untersuchung an.

Offenbar geriet der Blutdruck des Beamten ins Wallen, weil die Frau sich öffentlich über eine mobile Radarfalle ärgerte, die ausgerechnet kurz vor einer stationären Blitzkiste aufgebaut war. Auf Facebook machte sich die Frau wie folgt Luft:

Die spinnen doch ey … ich würde die am liebsten mit eiern beschmeißen … fahre da jeden Tag lang!

Der Landkreis Peine beließ es nicht dabei, die Äußerung zur Kenntnis zu nehmen. Nein, die hauseigene Internetstreife ermittelte offenbar die Adresse der Facebook-Nutzerin, und der Amtsleiter persönlich ließ ihr ein Schreiben zukommen. In dem hieß es unter anderem:

Ihren Äußerungen zufolge verfügen Sie über ein gewisses Maß an Konfliktpotenzial, welches im Straßenverkehr und als Führerin eines Kraftfahrzeugs nicht angebracht ist.

Falls die Frau weiter “auffällig” werde, müsse sie zum Idiotentest. Nachdem Medien diese amtliche Unverschämtheit aufgriffen, ruderte der Landkreis gestern zurück. Der Amtsleiter sei über das Ziel hinausgeschossen, vermeldete die Behörde. Ob der verantwortliche Beamte nun wegen seines schriftlich offenbarten Konfliktpotenzials selbst zur medizinisch-psychologischen Untersuchung geladen wird, wurde leider nicht gesagt.

Allerdings bleibt die Behörde dabei, dass ihre grundsätzliche Linie richtig ist. Wenn auf “Blitzer Peine” Beleidigungen oder gar Aufrufe zu Gewalt gegen Sachen zu lesen seien, würden die entsprechenden Facebook-Nutzer tatsächlich mit einem Idiotentest bedroht. Dass ein Straßenverkehrsamt sich für Äußerungen im Internet zuständig fühlt, die aller Wahrscheinlichkeit nicht am Steuer eines Wagens getippt wurden, befremdet mittlerweile sogar den niedersächsischen Verkehrsminister Jörg Bode. Dieser will sich die peinliche Praxis näher ansehen, denn:

Das ist schon ein Ding. Wir leben Gott sei Dank in einem freien Land, in dem jeder seine Meinung frei äußern darf.

Bericht in der HAZ

Keine Tricks mit der Steuerklasse

An sich darf man die Steuerklasse nach Belieben wechseln. Einer Begründung bedarf es nicht. Wenn die Steuerklasse allerdings gewechselt wird, um gegenüber der öffentlichen Hand Geld zu sparen, kann dies gegen Treu und Glauben verstoßen. So sah es das Bundesverwaltungsgericht im Fall eines Vaters, der durch einen Steuerklassenwechsel am Kostenbeitrag für seinen pflegebedürftigen Sohn sparen wollte.

Der behinderte Sohn war in einer stationären Einrichtung untergebracht. Die monatlichen Kosten beliefen sich auf 6.500 Euro. Der Vater sollte einen Kostenbeitrag von 635 Euro leisten. Der Kostenbeitrag bemaß sich nach seinem Nettoeinkommen. Deshalb wechselte der berufstätige Mann von Steuerklasse III in Steuerklasse V, seine geringverdienende Ehefrau von V nach III. Hieraus ergab sich für den Vater ein wesentlich niedrigeres Nettoeinkommen, obwohl seine Brutto-Einkünfte sogar noch leicht gestiegen waren.

Das Jugendamt witterte Rechtsmissbrauch. Es lehnte eine Herabsetzung des Kostenbeitrags ab. Das Oberverwaltungsgericht gab dem Mann mit dem Hinweis recht, jeder könne seine Steuerklasse frei wählen. Ein Rechtsmissbrauch liege auch dann nicht vor, wenn der Betroffene öffentliche Kosten spare.

Das Bundesverwaltungsgericht sah es nun in letzter Instanz genau anders rum. Zwar habe der Bürger das Recht, seine Steuerklasse frei zu wählen. Im Einzelfall seien aber Treu und Glauben zu beachten. Werde die Steuerklasse offensichtlich nur gewählt, um Zahlungspflichten zu reduzieren, sei dies möglicherweise rechtsmissbräuchlich. Ob das der Fall ist, muss das Oberverwaltungsgericht klären. Dorthin wurde der Rechtsstreit zurückverwiesen.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 11. Oktober 2012, Aktenzeichen 5 C 22.11

Folterdrohung wird mit 3.000 Euro entschädigt

Der verurteilte Kindermörder Magnus Gäfgen erhält 3.000 Euro Schmerzensgeld vom Land Hessen, weil ihm Polizeibeamte bei den Ermittlungen Gewalt angedroht hatten. Das Land Hessen scheiterte damit mit der Berufung gegen ein entsprechendes Urteil des Landgerichts Frankfurt. Das Oberlandesgericht bestätigte heute die Entscheidung in vollem Umfang. 

Polizeibeamte des Landes Hessen hatten Gäfgen mit Gewalt gedroht, um den Aufenthaltsort des von Gäfgen entführten Kindes in Erfahrung zu bringen. Gäfgen selbst hatte wegen dieser Sache auf 10.000 Euro Schmerzensgeld geklagt, aber auf Rechtsmittel gegen die Entscheidung verzichtet. Lediglich das Land Hessen war in Berufung gegangen.

Das Oberlandesgericht Frankfurt bestätigt die Auffassung der ersten Instanz. Die Androhung erheblicher Schmerzen habe gegen das in der Strafprozessordnung verankerte Verbot der Drohung mit Misshandlung verstoßen. Außerdem seien die Grundrechte Gäfgens verletzt worden.

Das Verhalten der beiden Polizeibeamten sei – auch wenn es das Ziel hatte, das Leben des Kindes zu retten – weder polizeirechtlich noch strafrechtlich gerechtfertigt oder entschuldigt. Die beiden Polizisten hätten sich damit strafbar gemacht. Außerdem hatte das OLG zu berücksichtigen, dass auch der Europäische Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) auf eine Klage Gäfgens hin die Androhung erheblicher Schmerzen als Verletzung von Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) angesehen hat.

Der Gerichtshof hatte in der Vernehmungsmethode eine unmenschliche Behandlung gesehen. Die beiden Polizeibeamten hätten damit – so das OLG Frankfurt – bei allem Respekt für ihren Wunsch, das Leben des Kindes zu retten, schuldhaft ihre Amtspflichten verletzt. Dafür müsse das Land Hessen geradestehen.

Die Geldentschädigung sei auch angemessen. Die Strafurteile gegen die beiden Polizeibeamten alleine reichten nicht aus. Als Genugtuung komme lediglich eine Geldentschädigung in Betracht, die das Oberlandesgericht als “symbolisch” einstuft. Die Richter weisen auch darauf hin, dass Gäfgen erneut vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen könnte, wenn man ihm die Zahlung vorenthalte.

Das Oberlandesgericht hat keine Revision zugelassen.

OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 10. Oktober 2012, Aktenzeichen 1 U 201/11

Etwas, das man aushalten muss

Die heutige Musik von Joachim Witt (“Der Goldene Reiter”) ist eigentlich keiner Erwähnung wert. Auch über das Video zu seinem neuen Song “Gloria” wäre aller Voraussicht nach großflächig ein Mantel der Nichtbeachtung gelegt worden. Dagegen haben Witt und der Regisseur aber – vielleicht sogar unabsichtlich – vorgebaut, indem sie im Clip deutsche Soldaten Kriegsverbrechen begehen lassen.

Die Kämpfer mit deutlich erkennbaren schwarz-rot-goldenen Uniformstickern verhalten sich wenig heldenhaft. Unter anderem vergewaltigen sie eine Frau und meucheln eine Augenzeugin dieser Tat.

So viel Respektlosigkeit gegenüber der Truppe sorgte natürlich für gehörig Empörung. Neben diversen Soldatenverbänden und zahlreichen Facebook-Nutzern empörte sich sogar der Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus. Er sagte der B.Z.:

Beim nächsten Mal sollten die Macher erst das Hirn einschalten, bevor sie ein Video mit solchen Szenen veröffentlichen. Auch Künstler tragen bei aller Kunstfreiheit Verantwortung.

Witt selbst berichtet von Todesdrohungen und geht angeblich nur noch mit Leibwächtern aus dem Haus. Auf Facebook hat der Sänger mittlerweile erklärt, er sei früher selbst beim Bundesgrenzschutz gewesen und respektiere die Arbeit der Bundeswehr. Überdies:

Bei dem Video zu GLORIA handelt es sich unmißverständlich um eine Kunstform! Wir zeichnen in großen und anspruchsvollen Bildern ein apokalyptisches Horrorszenario!

Die Soldaten in diesem Video sind austauschbar! Wenn sich jemand und das tun augenscheinlich viele, auf Grund des dargestellten Hoheitszeichens auf den Uniformen, angegriffen oder gar beleidigt fühlen, entschuldige ich mich dafür!

Damit könnte die Sache eigenlich erledigt sein, würde sich jetzt nicht auch noch die Bundesfamilienministerin einmischen. Kristina Schröder hat nach eigenen Angaben auf zahlreiche Eingaben empörter Bürger reagiert und beantragt, “Gloria” auf den Index zu setzen. Das würde bedeuten, dass das Video unter 18-Jährigen nicht mehr zugänglich gemacht werden darf. In der Praxis bedeutet das ein komplettes Verbreitungsverbot.

Ist so ein Verbot gerechtfertigt?

Darüber muss die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien entscheiden. Sie orientiert sich an den § 4 und § 5 des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages. § 4 regelt Angebote, die auf jeden Fall unzulässig sind. Eine “Kriegsverherrlichung” (Nr. 7) ist Witts Video mit Sicherheit nicht, so dass eigentlich nur ein Punkt bleibt, nämlich Nr. 5:

… grausame und sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen …, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrückt oder die das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt …

Von Verherrlichung und Verharmlosung kann bei dem Video nicht die Rede sein. Auch das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs wird nicht menschenverachtend dargestellt, sondern mitleiderregend. Tatsächlich wird ohnehin kaum was dargestellt, sondern fast nur angedeutet. Insgesamt ist die Gewalt in dem Video nichts, was eine Einordnung unter §  4 rechtfertigen könnte. Es sei denn, man würde gleichzeitig auch das Vorabendprogramm zahlreicher Fernsehsender schließen.

Bleibt also nur der Auffangtatbestand des § 5. Dafür müsste der Clip eine entwicklungsbeeinträchtigende Wirkung auf Kinder und Jugendliche haben. Darüber kann man schon eher diskutieren, aber dann weniger wegen des Verhaltens der dargestellten Soldaten im engeren Sinn. Dass Dinge wie die gezeigten Gewalttaten in jedem Krieg vorkommen, lässt sich nämlich nicht leugnen.

Zu denken geben sollte den Befürwortern eines Verbots vielleicht auch, dass der Jugendschutz ausdrücklich die Verherrlichung des Krieges verbietet. Daraus wird man den Umkehrschluss ziehen dürfen, dass die Darstellung des wahren Gesichts des Krieges etwas sein kann, das Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung zu einer “eigenverantwortlichen und gemeinschäftsfähigen Persönlichkeit” (O-Ton Gesetz) fördern kann.

Abseits der Soldatenszenen ist die Bildsprache des Videos zwar mächtig. Sie geht aber offensichtlich nicht über das hinaus, was man aus tausenden anderer Clips, Serien und Filmen kennt. Bei denen käme aber niemand auf den Gedanken einer Indizierung.

Das Besondere an “Gloria” ist also lediglich der Umstand, dass deutsche Soldaten als Kriegsverbrecher gezeigt werden. Es mag sein, dass dies mancher nicht ertragen kann oder will. Eine Frage des Jugendschutzes ist es aber nicht. Der Jugendschutz kann deshalb nicht das bequeme Vehikel sein, um deutsche Soldaten “in Schutz” zu nehmen. Dafür bräuchten wir gesonderte Paragrafen, die es aber nicht gibt. Aus gutem Grund, denn auch die Bundeswehr ist nicht immun gegen Kritik.

Auch wenn man Witt gern die Geschmackspolizei auf den Hals hetzen möchte, hat er doch die Kunst- und Meinungsfreiheit auf seiner Seite. Die Indizierung seines Videos wäre von daher ein ganz schlechtes Signal.

Elektro-Post in den Knast

Heute spiele ich Elektronikversand. Das Gericht hat es einem inhaftierten Mandanten nämlich erlaubt, einen eBook-Reader im Gefängnis zu nutzen. So geht das Equipment nun auf die Reise:

rps20121009_141713

Das Ganze dient allerdings nicht dem Vergnügen, sondern hat einen sachlichen Hintergrund. Die originale Ermittlungsakte des Verfahrens füllt mittlerweile fünf Umzugskartons. Neue Aktenbestandteile kommen teilweise ohnehin nur noch in elektronischer Form. Außerdem gehören zu den Beweismitteln jede Menge Videos, Dateien von Telefonüberwachungen und E-Mail-Anhänge.  Also Unmengen Zeugs, das auf Papier so gut wie nicht darstellbar ist.

Allein eine komplette Kopie der bisher angefallenen Papierbestandteile der Ermittlungsakte für meinen Mandanten hätte um die 800 Euro gekostet. Eine Stange Geld; die Staatskasse hätte die Kosten zumindest vorstrecken müssen.

Natürlich ist es auch eine Frage, wo ein Untersuchungsgefangener, der ja auf ein paar Quadratmetern haust, solche Mengen an Unterlagen aufbewahren soll. Bei einem eBook-Reader sieht die Sache insgesamt erträglicher aus. Das Gerät kostet knapp 50 Euro, mit 16-GB-Speicherkarte und Steckeradapter sind es rund 65 Euro.

Ich weiß, dass mancher jetzt angesichts des Gerätes die Nase rümpft. Ich hätte dem Mandanten auch lieber einen Kindle oder sonst was Anständiges geschickt. Es musste aber faktisch der TouchMe der Thalia-Buchhandlung werden. Dieses Gerät kann nämlich nur über USB-Kabel gefüttert werden. Es besitzt keine Konnektivität für WLAN oder Mobilfunk. So was ist im täglichen Leben angenehm, im Knast aber tabu.

Deswegen kann ich Thalia nur dankbar sein, dass sie  so ein simples Gerät anbieten. (Vielleicht sollte ich ein paar bunkern.) Dankbar bin ich aber auch den Richtern. Sie haben erkannt, welche Vorteile ein eBook-Reader für den Angeklagten, die Staatskasse, aber auch für die Verteidigung bringt. Das nenne ich mal fair – und vor allem zeitgemäß.