Chefärzte sind keine Götter

Auch Chefärzte sind keine Götter. Das zeigt ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz. Die Richter bestätigten die fristgerechte Kündigung eines Chefarztes, der seinen 90-jährigen Vater während einer Operation hatte zusehen lassen.

Zu dem merkwürdigen Vorfall kam es, weil der Senior angeblich Angst vor einer Kniegelenksspiegelung hatte, bei der eine Vollnarkose erforderlich ist. Um seinen Vater von der Risikolosigkeit zu überzeugen, nahm der 60-jährige Chirurg seinen Vater einfach mit in den Operationssaal. Dort durfte er auf einem Rollhocker sitzen und zusehen, wie sein Sohn und das Operationsteam einer Frau die Gallenblase entfernte.

Der Chefarzt hatte sich offenbar recht wenig bei der Sache gedacht. Immerhin sorgte er aber dafür, dass sein Vater sich die Hände desinfizierte und Operationskleidung anzog. Zu Anfang der Operation stellte er seinem Team den Gast noch launig vor:

Guten Morgen, das ist mein Vater. Der heißt natürlich auch C.. Er möchte sich heute die Operation gerne auf dem Fernseher anschauen.

Um die Privat- und Intimsphäre der Patientin, die nichts von dem Besucher wusste, machte sich der Chefarzt keinerlei Sorgen. Dabei hätte er dazu guten Grund gehabt, denn während des Eingriffs war die Patientin komplett entblößt. Zur Operationsvorbereitung war die Patientin ebenfalls unbekleidet gewesen. Die Einzelheiten der Operationsvorbereitung und des Eingriffs konnte der Vater, der etwa drei Meter entfernt inmitten von Patientenunterlagen an einem Tisch saß, über einen Monitor verfolgen.

Die Richter sehen in dem Verhalten des Chefarztes eine gravierende Verletzung seiner Dienstpflichten:

Der Schutz der Menschenwürde und der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gebieten es, dass bei derartigen Eingriffen nur Personen anwesend sind, die an der Durchführung der Operation beteiligt sind, d. h. die behandelnden Ärzte sowie das sonstige Klinikpersonal. Für andere Personen gilt dies nur dann, wenn es hierfür einen rechtfertigenden Grund gibt, etwa zur Ausbildung oder zur Installation oder Kontrolle des technischen Geräts. Die Anwesenheit von Personen, die der Operation nur zuschauen, verletzt die Intimsphäre der Patientin und degradiert sie zu einem Anschauungsobjekt.

Bei einer Verletzung der Intimsphäre sei es nicht geblieben. Der Chefarzt habe auch die Gesundheit der Patientin gefährdet:

Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Vater des Klägers seinen Ehering oder gar mehrere Ringe trug, ob er sich den Hygienevorschriften entsprechend desinfiziert hatte, ob er akut an einer Infektionskrankheit litt und wie weit er vom Operationstisch entfernt saß. Die Gegenwart jeder weiteren Person im Operationssaal erhöht die Gefahr einer Übertragung von Krankheitserregern, sei es dass die Person Keimträger ist, sei es dass sie vorhandene Keine aufwirbelt. Ist die Anwesenheit nicht erforderlich, handelt es sich um ein überflüssiges und vermeidbares Risiko.

Letztlich sieht das Landesarbeitsgericht auch eine Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht. Die herumliegenden Patientenunterlagen seien für den Vater des Chefarztes einsehbar gewesen. Ob dieser sich dafür interessierte oder nicht, spiele keine Rolle.

Das Gericht wandelte die fristlose Kündigung des Chefarztes allerdings in eine ordentliche Kündigung um. Es hielt dem Arzt zu Gute, dass er bislang ohne Beanstandungen gearbeitet habe. Außerdem habe er seinen Fehler nachträglich bereut. Der Chefarzt muss seinen Posten deshalb erst nach Ablauf der sechsmonatigen Kündigungsfrist räumen.

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 6. Dezember 2012, Aktenzeichen 2 Sa 402/12

Pressegesetze der Länder gelten nicht für den Bund

Die Landespressegesetze sind keine Grundlage, auf der Journalisten Auskunft von Bundesbehörden verlangen können. Das hat das Bundesverwaltungsgericht heute entschieden. Ganz rechtlos sind Journalisten gegenüber Bundesbehörden aber nicht. Sie können schon aus dem Grundrecht der Pressefreiheit einen “Minimalstandard an Auskunftsrechten” gegenüber Behörden durchsetzen.

Mit dem Urteil setzt das Bundesverwaltungsgericht eine jahrzehntelange Rechtspraxis außer Kraft. Bislang war es nämlich weitgehend unbestritten, dass sich auch Bundesbehörden an ihrem jeweiligen Sitz an das dort gültige Landespressegesetz halten müssen.

Das Bundesverwaltungsgericht will dies jedoch nicht anerkennen. Das Landesrecht gelte nicht für Bundesbehörden, weil das Gesetzgebungsrecht dem Bund zustehe. Nur habe der Bund bislang keine Regelungen für seine Behörden erlassen, so dass es für die Auskunftsansprüche der Presse keine spezielle Rechtsgrundlage gebe. Jedoch ergebe sich aus dem Grundrecht der Pressefreiheit, dass Journalisten gegenüber Bundesbehörden Antworten auf Fragen erhalten müssen, soweit nicht “berechtigte schutzwürdige Interessen Privater oder öffentlicher Stellen an der Vertraulichkeit von Informationen entgegenstehen”.

Geklagt hatte ein Journalist, der über Ex-Nazis im Bundesnachrichtendienst und dem Vorgängerdienst “Organisation Gehlen” recherchierte. Er verlangte vom Bundesnachrichtendienst Auskunft, wie viele offizielle und inoffizielle Mitarbeiter Mittglied der NSDAP, der SS, der Gestapo oder der Abteilung „Fremde Heere Ost“ waren.

Diese Auskunft erhält der Journalist allerdings nicht. Das Bundesverwaltungsgericht schränkt den Auskunftsanspruch nämlich dahingehend ein, dass die Presse nur Informationen verlangen darf, die tatsächlich vorliegen. Die Behörde sei aber nicht verpflichtet, die erfragten Tatsachen erst zu recherchieren. Der Bund hatte geltend gemacht, die Zahl der vorbelasteten Mitarbeiter nicht zu kennen. Auch eine Unabhängige Historikerkommission, die bereits eingesetzt ist, habe noch keinen Abschlussbericht vorgelegt.

Mit der Entscheidung hat der Bundestag eine neue Aufgabe erhalten. Er darf nun die Auskunftsansprüche der Medien gegenüber Bundesbehörden in ein Gesetz gießen. Es wird interessant sein, wie lange das dauert. Und wie viele Auskunftsverlangen bis dahin unter Hinweis auf eine angeblich fehlende Rechtsgrundlage abgeschmettert werden.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 20. Februar 2013, Aktenzeichen  6 A 2.12

Weitere Hintergründe im Rechercheblog Der Westen

Wer ist künftig das Volk?

Der Slogan “Wir sind das Volk” darf wieder auf T-Shirts gedruckt und auch sonst benutzt werden. Das Deutsche Patent- und Markenamt hat die bisher eingetragene Marke gelöscht. Inhaber waren die Stadt Leipzig und einige DDR-Bürgerrechtler.

Durchgesetzt hat die Löschung eine heute in Dänemark lebende Frau. Sie lebte früher in der DDR und war, so berichtet die Leipziger Volkszeitung, 1988 von der Stasi verhaftet und im Frauengefängnis Hoheneck eingesperrt worden. Die Frau hatte 120 Flugblätter mit der Überschrift “Was ist ein Staat ohne sein Volk – NICHTS” verteilt. Einer ihrer Mitstreiter hat nach ihren Angaben das erste Transparent mit dem Slogan “Wir sind das Volk” angefertigt.

Ihren Kampf gegen die von der Stadt Leipzig in Beschlag genommene Marke begründet die Frau damit, dass niemand private Rechte an dem Slogan “Wir sind das Volk” halten dürfe. Die Stadt Leipzig hatte die Marke damit gerechtfertigt, dass sie Neonazis abhalten will, den Spruch in Beschlag zu nehmen.

Der Löschungsantrag ging nach dem Bericht der Leipziger Volkszeitung schon deshalb durch, weil die Markeninhaber den Slogan selbst nicht benutzt haben. Eine Marke darf aber nur gehalten werden, wenn sie auch wirtschaftlich verwertet wird. Das hat die Stadt Leipzig nach eigenen Angaben aber nie gewollt. Gegen die Löschung soll, so die Stadt, kein Rechtsmittel eingelegt werden.

Uhland-Gymnasium

Heute erscheint im Klöpfer & Meyer-Verlag der zweite Roman meines Berliner Rechtsanwaltskollegen Lothar Müller-Güldemeister. Er heißt “Uhlandgymnasium” und erzählt, wie aus einem jugendlichen Straftäter ein von Skrupeln geplagter Rechtsanwalt wird, der auf der Suche nach der Vergangenheit erneut in tödliche Machenschaften verstrickt wird.

Aus der Ankündigung:

Ein Roman, der sich jeder Einordnung in die gängigen Genres und Klischees entzieht. Schülertragödie und Adoleszenzgeschichte, Gerichtsthriller, Krimi, Gesellschaftskritik, Heimatroman, Heldenreise: "Uhlandgymnasium" hat von allem etwas.

Aber nichts von Langeweile.

"Humanistischer" Primaner auf kriminellen Abwegen erst, dann Anwalt mit Skrupeln und Zweifeln. Zwei weit auseinanderliegende Tage im Leben des Konstantin Raffay. Zwei Tage, nach denen nichts mehr ist wie es war.

Zwei packend erzählte Kapitel Zeitgeschichte.Ein Julitag in den Sechzigerjahren. Ein nächtlicher Einbruch. Ein tödlicher Schuss auf den Wachhund. Das erste Mal , mit der Mutter eines Mitschülers. Die Generalprobe der Unterprima für die Aufführung von Sophokles "Aias". Der Plan für einen Bankraub. Der Verrat am besten Freund; das alles zusammen: Für lange Zeit der letzte Tag, den Konstantin, genannt Primus , Schüler am altehrwürdigen Tübinger Uhlandgymnasium, in Freiheit verbringt.

Neununddreißig Jahre später zwingt ein Millionenprozess am Tübinger Landgericht den Rechtsanwalt Konstantin Raffay, wieder in die Stadt zu kommen, die er nie mehr hatte betreten wollen – und aufs neue gerät er in ein tödliches Dilemma.

Damals war es seine Sucht nach Abenteuer gewesen, die ihn in den Abgrund gezogen hat. Jetzt ist es seine Sucht nach Gerechtigkeit, die droht, das Gleiche zu tun. Denn was damals passiert ist, ist noch nicht zu Ende, unerbittlich laufen die Schicksalsfäden der beiden Tage aufeinander zu.

Lothar Müller-Güldemeister hat drei Exemplare des Romans zur Verfügung gestellt, die ich hier im law blog verlosen darf. Wer das Buch gewinnen möchte, hinterlässt bitte bis zum 4. März einen Kommentar zu diesem Beitrag. Bitte eine gültige E-Mail-Adresse angeben, da die Gewinner per Mail benachrichtigt werden. Der Verlag wird den Glücklichen das Buch dann direkt übersenden.

Natürlich gibt es “Uhlandgymansium” auch im gut sortierten Buchhandel. Und bei Amazon.

Space Night vor der Rettung?

Gibt es doch noch Hoffnung für die beliebte Space Night im Bayerischen Fernsehen? Weil die GEMA-Gebühren zu sehr gestiegen sind, wollte der Sender das Programm mit imposanten Bildern aus der Weltraumfahrt eigentlich einstellen. Nun prüft der Bayerische Rundfunk ernsthaft einen Umstieg auf Musik, die unter CC-Lizenzen steht.

Zwar steht entgegen ersten Berichten noch nicht fest, dass der Bayerische Rundfunk sich tatsächlich traut, GEMA-pflichtiger Musik den Rücken zu kehren. Doch immerhin bestätigte eine Sprecherin heise online, der Sender erwäge ernsthaft diese Option. Danach würden erst alte Folgen der Space Night mit Musik unter CC-Lizenz neu vertont, in Kürze könnten auch neue Sendungen produziert werden.

Die Abkehr von der GEMA wäre ein wichtiges Signal. Nämlich, dass in Deutschland zumindest Nischenprogramme im Fernsehen möglich sind, bei denen die GEMA nicht die Hand aufhält.

Eine humorvolle Betrachtung des Themas liefert auch Markus Kompa.

Gericht wendet sich gegen Ungleichbehandlung gleichgeschlechtlicher Partner

Das Bundesverfassungsgericht hat heute die Rechte eingetragener Lebenspartner gestärkt. Auch diese dürfen künftig das Kind ihrer Partner adoptieren, auch wenn es sich nicht um ein leibliches Kind handelt. Damit erlauben die Richter die sogenannte Sukzessivadoption. Bisher war es nur Eheleuten möglich, das nicht leibliche Kind ihres Partners zu adoptieren.

Unter anderen war eine Ärztin vor das Verfassungsgericht gezogen. Ihre Partnerin hatte 2004 ein Kind aus Bulgarien adoptiert. Doch der Wunsch der Ärztin,  nun ebenfalls formell als Mutter anerkannt zu weden, hatte vor den Gerichten keinen Erfolg.

Das Verfassungsgericht musste nun prüfen, ob die Ungleichbehandlung gegenüber Ehepaaren gerechtfertigt ist. Argument war im wesentlichen, dass nicht leibliche Kinder Gefahr laufen, im Falle einer Adoption in Familien “durchgereicht” zu werden. Für Ehepartner sahen die Gerichte diese Gefahr jedoch bislang nicht, da die eheliche Lebensgemeinschaft in der Regel gefestigt ist.

Eben das bejahen die Verfassungsrichter nun auch uneingeschränkt für gleichgeschlechtliche Lebenspartner. Kernaussage:

Es ist davon auszugehen, dass die behüteten Verhältnisse einer eingetragenen Lebenspartnerschaft das Aufwachsen von Kindern ebenso fördern können wie die einer Ehe.

Folglich sieht das Gericht keinen Grund für eine Ungleichbehandlung. Das Gesetz zur eingetragenen Lebenspartnerschaft muss nun bis spätestens Ende nächsten Jahres geändert werden. Allerdings dürfen die Vorschriften für die Sukzessivadoption schon jetzt nicht mehr angewendet werden.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 19. Februar 2013, Aktenzeichen 1 BvL 1/11 und BvR 3247/09

Diebe, die aus dem Nichts auftauchen

Die Warnung klingt fast zu gut, um nicht echt zu sein. Zumal sie – angeblich – aus der Feder der Kasseler Polizei stammt. Der alarmierende Text rauscht momentan durch die sozialen Netzwerke:

Achten Sie auf Zettel auf der Heckscheibe Ihres Autos. Dies ist die neue Methode für Kfz-Diebstahl (dies ist kein Witz!)

Sie gehen auf dem Parkplatz zu ihrem Auto, öffnen und steigen ein. Sie starten den Motor und legen den Rückwärtsgang ein. Wenn Sie beim Rückwärtsfahren durch Ihre Heckscheibe schauen, bemerken Sie ein Stück Papier in der Mitte der Heckscheibe. Sie halten an, steigen aus dem Auto um das Papier zu entfernen, da dies Ihre Sicht behindert.

Wenn Sie die Rückseite des  Autos erreichen, taucht der Autodieb aus dem Nichts auf. Er steigt ein und fährt los. Sie stehen da und er fährt mit hoher Geschwindigkeit davon.

Und wisst ihr was? Ich wette, Eure Brieftasche oder Geldbörse ist noch im Auto. So, jetzt hat der Autodieb Ihr Auto, Ihre Adresse, Ihr Geld, Ihre Schlüssel. Ihr Heim und Ihre Identität sind nun in den Händen der Diebe. Sie sind bestens organisiert, und viele Autofahrer gehen auf diese Weise in die Falle.

Wenn Sie einen Zettel auf der Rückseite Ihres Autos bemerken, versperren Sie Ihre Autotüren, starten Sie und fahren Sie weg. Den Zettel entfernen Sie  später.

In Straßburg soll die dreiste Masche ihren Anfang genommen und sich dann in Frankreich verbreitet haben. Nun soll die Verbrechenswelle auch nach Deutschland schwappen.

Dummerweise ist die Polizei keineswegs alarmiert. Denn bislang hat es, so auch Presseberichte, tatsächlich noch keinen einzigen bekannten Diebstahl auf diese Art und Weise gegeben. Woher der Text stammt, ist unbekannt. Der als Absender genannte Polizist war es jedenfalls nach eigenem Bekunden nicht.

Richter winken biometrischen Reisepass durch

Das Bundesverfassungsgericht möchte sich nicht näher mit dem biometrischen Reisepass befassen. Obwohl verfassungsrechtliche Bedenken auf der Hand liegen, wiesen die Richter nun Beschwerden der Schriftstellerin Juli Zeh und eines Rechtsanwalts aus formalen Gründen ab. Die Antragsteller, so das Gericht, hätten sich zu oberflächlich mit der Thematik befasst.

Schon seit 2005 wird im Reisepass ein Foto des Inhabers gespeichert, 2007 kamen Fingerabdrücke hinzu. Wer seitdem einen Reisepass haben möchte, muss sich mit dieser Praxis arrangieren. Viele Bürger haben das mittlerweile auch getan, aber die grundlegenden Zweifel bleiben. Datenschützer bezweifelten von Anfang an, dass die neuen Reisepässe mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung vereinbar sind.

Auch das Bundesverfassungsgericht sieht die juristischen Probleme. Die Richter zählen in ihrem Abweisungsbeschluss sogar auf, was bisher weitgehend unbeantwortet im Raum steht. Kern ist natürlich die Frage nach der Verhältnismäßigkeit. Immerhin werden alle Antragsteller nun so behandelt, wie man es bislang nur von Beschuldigten in Strafverfahren kennt.

Hinzu kommen erhebliche Bedenken zum Datenschutz. Elektronisch lesbare Dokumente können leichter “abgeschöpft” werden. Das gilt nicht nur für mögliche Hackerangriffe. Auch bei der Ein- und Ausreise in andere Länder oder bei Passkontrollen vor Ort ist oft nicht klar, welche Daten gegebenenfalls dort gespeichert werden. Überdies haben Gerichte auch erhebliche Zweifel daran geäußert, ob der biometrische Reisepass mit dem Europarecht vereinbar ist.

Eine ganze Latte von Problemen also. Das Bundesverfassungsgericht duckt sich jedoch davor weg. Stattdessen richtet sich an die Beschwerdeführer der Vorwurf, sich mit einzelnen Fragen nicht im ausreichenden Umfang beschäftigt zu haben. Fast bedauernd heißt es dann, die aufgeworfenen Fragen könnten deshalb nicht beantwortet werden.

Ich kenne die Beschwerdeschrift nicht. Es dürfte auch eher unwahrscheinlich sein, dass sich die Antragsteller auf bloße Floskeln beschränkt haben. Aber in jedem Fall ergibt sich ja schon aus dem Beschluss des Verfassungsgerichts selbst, dass die Problematik nachvollziehbar herausgearbeitet wurde.

Wenn sich ausgerechnet das höchste Gericht auf einen formalen Standpunkt zurückzieht, hinterlässt das einen bitteren Nachgeschmack. Immerhin fordern die Verfassungshüter ja immer wieder von anderen Gerichten, dass diese die formalen Hürden für ein Verfahren nicht zu hoch hängen. Das Verfassungsgericht hat schon hunderte Entscheidungen kassiert, in denen Gerichte den Eindruck erweckten, sie wählten den bequemen Weg, um sich nicht mit der Sache beschäftigen zu müssen.

Von daher ist es schon merkwürdig, dass offene Fragen, die uns alle betreffen, nun schlichtweg nicht höchstrichterlich beantwortet werden. Womöglich spielt es auch eine Rolle, dass sich die Richter einige Jahre Zeit für diesen an sich wichtigen Fall genommen haben (das Aktenzeichen stammt aus dem Jahr 2009). Mittlerweile ist der biometrische Reisepass schon hunderttausendfach ausgegeben worden. Vielleicht will man schon einfach deshalb nicht mehr dran rühren.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 30. Dezember 2012, Aktenzeichen 1 BvR 502/09

Nachtrag: Link zur Verfassungsbeschwerde

Weiter keine Füllmenge auf Tintenpatronen

Wenn man einen Tintenstrahldrucker kauft, ist man erst mal erfreut. Über den Preis. Jedenfalls kriegt man bei Druckern überraschend viel Elektronik fürs Geld. Mit den Geräten selbst wollen die Hersteller aber auch kein Geld verdienen. Das sprudelt dann beim Kauf der Nachfüllpatronen. Die sind nämlich extrem teuer und gelten oft als Mogelpackungen. Jedenfalls enthalten viele Modelle nämlich erstaunlich kleine Tintenmengen.

Die Aufsichtsbehörden in Baden-Württemberg wollten jetzt durchsetzen, dass auf Druckerpatronen steht, wie viel Tinte sie enthalten. Nur so, meinte die Behörde, könne der Verbraucher das Preis- / Leistungsverhältnis vergleichen. Was für andere Fertigverpackungen längst gilt, stieß bei einem Patronenhersteller aber auf wenig Gegenliebe. Die Firma wehrte sich gegen die Ordnungsverfügung der Behörde – und bekam jetzt am Verwaltungsgericht Stuttgart recht.

Die Verwaltungsrichter sehen einen gravierenden Unterschied zwischen üblichen Fertigpackungen und Tintenpatronen. Die Tinte sei nur Inhaltsstoff eines technischen Geräts, nicht aber das verpackte Produkt selbst. Aus der Entscheidung:

Der Verbraucher will beim Kauf von Druckerpatronen nicht primär Tinte kaufen, sondern eben eine für seinen Drucker passende Druckerpatrone als (gebrauchs-)fertige Einheit. Mit der Tinte allein kann er – anders als im Falle von Nachfüllpackungen – nichts anfangen.

Praktisch bedeutet dies, dass auf Tintenpatronen auch künftig nur die Stückzahl der Patronen, nicht aber die Tintenfüllmenge angegeben werden muss. Der betroffene Hersteller machte im Prozess außerdem geltend, er schreibe auf jede Patrone, wie viele Seiten voraussichtlich mit einer Patrone gedruckt werden können. Aller diese Angabe ist bislang nur freiwillig.

Verwaltungsgericht Stuttgart, Urteil vom 16. Januar 2013, Aktenzeichen 12 K 2568/12

Jens Ferner zum gleichen Thema