Legal Highs verbleiben in einer Grauzone

“Legal Highs” sind ein großes Geschäft. Vor allem Internetshops bieten Kräutermischungen und synthetische Stoffe an, die eine ähnliche Wirkung wie Marihuana und andere weiche Drogen erzeugen. Die Wirkstoffe stehen allerdings oft (noch) nicht in der amtlichen Drogenliste – deshalb gelten sie nicht als Betäubungsmittel. Trotzdem wurden schon Anbieter von von Legal Highs zu Haftstrafen verurteilt. Ob das rechtmäßig ist, muss jetzt der Europäische Gerichtshof entscheiden.

Die Strafurteile gegen Shopbetreiber beruhen auf einem juristischen Trick. Manche Strafverfolger ordnen Legal Highs als Arzneimittel ein. Der Verkauf wäre ein Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz. Auch dafür können Haftstrafen verhängt werden.

Allerdings stößt es schon begrifflich auf Schwierigkeiten, bei Legal Highs von einem Arzneimittel zu sprechen. Denn die Konsumenten wollen sich zwar einen Kick verschaffen, tun dies aber eher auf Kosten ihres Körpers. Das Arzneimittelrecht beschäftigt sich aber nur mit Stoffen, die eine therapeutische Wirkung haben oder zumindest haben sollen.

Den Richtern am Bundesgerichtshof, die nun über das erste Strafurteil gegen eine Shopbetreiber zu entscheiden haben, stellt sich also im Kern eine Frage: Kann man von einem Arzneimittel sprechen, wenn der Konsument sich mit der Einnahme der Substanz nur schadet?

An sich tendiert der Bundesgerichtshof dazu, die Frage zu verneinen. Das erscheint auch sachgerecht, denn ansonsten wäre die Trennung zwischen Betäubungs- und Arzneimitteln nur noch theoretischer Natur mit der etwas absurden Folge, dass dann halt alles, was kein Betäubungsmittel ist, im Zweifel halt als Arzneimittel gelten kann.

Allerdings müssen zunächst europarechtliche Probleme gelöst werden. Das deutsche Arzneimittelrecht beruht in den entscheidenden Punkten mittlerweile auf einer EU-Richtlinie. Für deren Auslegung ist der Bundesgerichtshof nicht zuständig, sondern der Europäische Gerichtshof.

Bis eine Antwort aus Luxemburg eingeht, kann es noch dauern. Bis dahin arbeiten die Anbieter von Legal Highs weiter in einer Grauzone.

Online-Plattformen müssen für Impressum sorgen

Online-Plattformen müssen es gewerblichen Anbietern ermöglichen, auf einfachem Weg ein ordnungsgemäßes Impressum anzuzeigen. Das Oberlandesgericht Düsseldorf verurteilte jetzt einen Online-Markt, weil dieser im Anmeldeformular für seine Kunden keine Felder vorgesehen hat, in denen Werbetreibende die gesetzlich notwendigen Angaben machen können.

In dem Rechtsstreit ging es um eine Internetseite, über die vor allem gebrauchte Baumaschinen und Ersatzteile gehandelt werden. Die Verkäufer stellen dabei in Eigenregie ihre Angebote auf der Plattform ein, die dann wie eine Anzeige erscheinen.

Für das Oberlandesgericht steht außer Frage, dass auch die Werbetreibenden selbst der Impressumspflicht unterliegen. Diese seien Anbieter nach dem Telemediengesetz. Die Vorinstanz hatte das noch anders gesehen. Die Werbung sei eher mit Zeitungsanzeigen vergleichbar, für die brauche man auch kein Impressum.

Die Plattform müsse zwar die eingestellten Angebote nicht auf Vollständigkeit prüfen, befinden die Richter.  Eine umfassende Kontrollpflicht überspanne die Anforderungen. Jedoch:

Von der Beklagten kann allerdings verlangt werden, dass sie ihre Angebotsmaske Anlage, die derzeit für die streitgegenständlichen Angaben nicht einmal Felder vorsieht, anpasst und beispielsweise so gestaltet, dass die genaue Bezeichnung der gesetzmäßigen Firmierung sowie die streitgegenständlichen Angaben zum Handelsregister im Einzelnen abgefragt werden und im Falle des Freibleibens der Felder eine mit einer Belehrung über die Impressumspflicht versehene Aufforderung zur Überprüfung erscheint.

Es gehe nicht nur um Formvorschriften:

An der Beachtung der Impressumspflicht besteht ein nicht unerhebliches Allgemeininteresse, da der Rechtsverkehr auf diese Weise in die Lage versetzt wird, sich über die Identität eines gewerblichen Anbieters in elektronischen Medien Klarheit zu verschaffen. Angaben wie Identität, Rechtform und Anschrift des Vertragspartners, für deren Verifizierung wiederum die Handelsregisterinformationen nützlich sind, haben bestimmenden Einfluss auf den Vertragsschluss und entlasten zugleich auch die Marktteilnehmer von den Kosten einer eigenen Informationenbeschaffung.

Urteil vom 18. Juni 2013, Aktenzeichen I-20 U 145/12

Mein Punkt wird aufgeblasen

Zu den größten Ärgernissen im Leben eines Autofahrers gehören Punkte in Flensburg. Ich weiß das, weil es in kleineren Bußgeldverfahren fast nie ums Geld geht, sondern nur darum, ob man die Punkte wegbekommt. Meist dadurch, dass man den Richter überzeugt, es bei einer Verwarnung von unter 40 Euro zu belassen, für die es keine Punkte gibt.

Nach knapp 30 Jahren mit reiner Weste hat es mich im Januar 2013 erwischt – ich bin in eine Radarfalle bei Hannover gerauscht und seitdem mit einem Punkt gesegnet. Deshalb interessierte mich an der geplanten Reform der Verkehrssünderkartei besonders, wie die bisherigen Punkte ins neue System umgerechnet werden.

Heute hat der Bundesrat die Punktereform endgültig beschlossen, so dass sie am 1. Mai 2014 in Kraft treten kann. Als Kleinsünder freue ich mich nur verhalten. Denn meine Aussicht, mal die Fahrerlaubnis entzogen zu bekommen, steigt mit einem Schlag um mehr als 100 %.

Das liegt am Umrechnungskurs: Wer etwa 1 bis 3 Punkte hat, bekommt auf dem neuen Konto gleichermaßen einen Punkt. Auch im weiteren Verlauf ist die Tabelle gestaffelt, vier oder fünf Punkte werden beispielsweise ebenfalls bei der Umrechnung gleich behandelt und schrumpfen zu zwei Punkten.

Allerdings ist das mehr ein optischer Effekt. Denn künftig ist schon bei acht Punkten der Führerschein weg. Bisher musste man 18 Punkte sammeln. Mein Risiko, den Führerschein loszuwerden, steigt also mit der Neuregelung um mehr als das Doppelte. Ohne dass ich was dazu beigetragen hätte.

Auch wenn eine Reform natürlich nie ohne Pauschalisierungen geht – sonderlich gerecht erscheint mir das nicht. Im Strafrecht wäre so eine Regelung übrigens nicht denkbar. Da haben wir den Grundsatz, dass die Strafe nicht nachträglich verschärft werden darf. Überdies muss immer das mildeste Gesetz angewendet werden, auch wenn es erst nach der Tat in Kraft getreten ist.

Allerdings gehört die Verkehrssünderkartei nicht zum Strafrecht im engeren Sinn, auch wenn jeder Punkt gemeinhin als Strafe empfunden wird. Wir reden vielmehr übers Verwaltungsrecht, das kennt so ein strenges Rückwirkungsverbot nicht, auch wenn der Gesetzgeber natürlich nicht alles machen darf.  Vielleicht gibt es ja findige Kollegen, die eine Lücke finden – und womöglich für etwas mehr Gerechtigkeit für Kleinsünder wie mich sorgen.

Links 869

„Demokratie meint ja schließlich mehr als nur alle paar Jahre neu durchgeführte „Wahlen“, bei denen es eigentlich keine echten Alternativen zwischen mehreren Optionen mehr gibt“

Der Terror der Terrorbekämpfer

„Es ist unverständlich, dass Polizisten, die sich mit Zeugen und Beschuldigten ins Kämmerlein zurückziehen, hierzulande noch immer kein Band mitlaufen lassen müssen“

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Öffentlicher Raum

Der Vizepräsident des Bundeskriminalamtes möchte das Internet zum “öffentlichen Raum” erklären. Wer online kommuniziert, hätte demgemäß keinen Schutz seiner Privatsphäre zu beanspruchen. Das hat Behördenvize Jürgen Maurer bei einem Polizeikongress erklärt, berichtet Spiegel online. Damit spricht Maurer Bürgern Schutz vor staatlicher Überwachung ab. Wie das im Rahmen unserer Verfassung überhaupt möglich sein soll, verrät er allerdings nicht.

Ein Abschied von jeder Privatsphäre im Netz ist eine groteske und beängstigende Vision. Sie befriedigt ein pervertiertes Sicherheitsstreben in Richtung einer Totalüberwachung, wie es uns die amerikanische NSA und der britische Geheimdienst gerade in der Praxis “vorgestellt” haben – gegen unseren Willen. Anscheinend wecken die Arbeitsmöglichkeiten von Maurers Kollegen in den USA und England aber nicht nur Verachtung, um ein Wort der Kanzlerin in anderem Kontext aufzugreifen, sondern offensichtlich Begehrlichkeiten unserer Polizei.

Mit der Bestandsdatenauskunft und der (immer noch geplanten) Vorratsdatenspeicherung soll es also nicht getan sein. Hier benötigen die Behörden immerhin noch konkrete Anlässe, um auf Datenbestände zugreifen zu können. So niedrig die Schwelle hierfür auch sein mag. Online kommunizierte Daten dagegen als vogelfrei zu deklarieren, eröffnet dagegen den Zugriff nach Belieben. So wie wir die Online-Ausgabe der FAZ aufrufen dürfen, so einfach sollen Ermittler auf private Kommunikation zugreifen? Ersteres ist öffentlich, private Daten sollen es werden. Mal im Ernst: Welcher Beamte kann sich so was ausdenken, so lange er für sich in Anspruch nehmen möchte, noch wenigstens mit einem Bein auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen?

Klar ist nämlich: Privat- und Intimsphäre, aber ebenso die Korrespondenz und Geschäftsgeheimnisse von Unternehmen, sind nicht an einen Transportweg gebunden. Es gibt keinen Grundsatz dahingehend, dass das gesprochene Wort nur geschützt ist, so lange Personen direkt miteinander sprechen – und nicht via Skype. Gleiches gilt für E-Mails, Chats und all die anderen Formen, in denen private Informationen online übermittelt werden. Weil das Medium keinen Unterschied macht, hat das Bundesverfassungsgericht auch das “Recht auf informationelle Selbstbestimmung” ausgeformt und damit dem Grundgesetz ein notwendiges Update verpasst.

Überdies muss man sich vor Augen führen, dass heute praktisch alles zu diesem Internet gehört. Ein “Festnetz” im früheren Sinne gibt es für Telefongespräche zum Beispiel längst nichts mehr. Fast jeder Datenaustauch ist heute IP-basiert. Dadurch wird die Kommunikation aber doch nicht zweitklassig.

Wer das Internet zum öffentlichen Raum definiert, kann ebenso gut die Briefzensur wieder einführen. Eigentlich wäre es nur ehrlich, wenn der Vizepräsident des Bundeskriminalamtes auch dieses fordern würde (hier leisten die USA ja derzeit Vorarbeit). Einen großen Unterschied beim Raubbau unserer Grundrechte machte das dann auch nicht mehr.

Nachtrag: Ich habe leider übersehen, dass die Äußerung des BKA-Vizepräsidenten schon etwas älter ist. Dessen ungeachtet ist das Thema aber nach wie vor aktuell.

Private Nachrichten müssen privat bleiben

Für private Facebook-Nachrichten gilt, was auch für E-Mails gilt: Sie dürfen nicht ohne Einverständnis des Absenders veröffentlicht werden. Das Oberlandesgericht Hamburg untersagte jetzt dem Empfänger eines Schreibens, die Nachricht eines Autors an ihn zu veröffentlichen.

Der Autor hatte mit dem Betreffenden korrespondiert und ihm in einer privaten Nachricht via Facebook erklärt, warum er berechtigt einen Adelstitel führt. Diese Nachricht stellte der Empfänger ohne Einverständnis des Absenders in die Facebook-Gruppe “Wir schicken die Faker zur Hölle!” ein.

Die Richter sehen darin eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts. Jede sprachliche Äußerung sei Ausfluss der Persönlichkeit des Verfassers. Deshalb dürfe er auch entscheiden, ob und wie seine Äußerungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Ausnahmen gälten nur, wenn das berechtigte Informationsinteresse der Öffentlichkeit überwiege.

Das sei hier nicht der Fall. Der Betroffene sei keine Person des öffentlichen Interesses. Außerdem enthalte seine Nachricht zahlreiche Rechtschreibfehler; das stelle den Betroffenen zusätzlich bloß (Beschluss vom 4. Februar 2013, Aktenzeichen 7 W 5/13).

Zigarettenduft als Kündigungsgrund

Für eine Kündigung in der Probezeit muss der Arbeitgeber keine Begründung liefern. Tut er dies doch, muss er mit juristischem Ärger rechnen. Dies musste jetzt ein Arbeitgeber erfahren, der einer neuen Mitarbeiterin kündigte, weil diese angeblich nach Zigarettenrauch roch.

Die Frau hatte sich im März 2012 als Bürokraft bei der Firma beworben und zunächst einen halben Tag zur Probe gearbeitet. Ein paar Tage später fand ein Gespräch statt, in welchem die Bewerberin gefragt wurde, ob sie rauche. Außerdem wurde sie auf das Rauchverbot in dem Unternehmen hingewiesen. Die Frau erklärte, sie rauche zwar, werde sich aber ein Rauchverbot halten.

Nachdem sie an ihrem ersten Arbeitstag Tag zwei Stunden lang gearbeitet hatte, sprach die Firma eine Kündigung aus. Als Grund gab die Arbeitgeberin an, die Angestellte habe gravierend nach Rauch gerochen, nachdem sie noch unmittelbar vor Arbeitsbeginn vor der Tür eine Zigarette geraucht hatte. Darüber hätten sich Kolleginnen und Kunden beschwert.

Das Arbeitsgericht Saarlouis befand die Kündigung für treuwidrig und damit unwirksam. Zwar sei diese vorliegend nicht an den Maßstäben des Kündigungsschutzgesetzes zu beurteilen, aber auch in der Probezeit seien das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die allgemeine Handlungsfreiheit des Arbeitnehmers zu berücksichtigen.

Auch das Grundrecht aus Artikel 12 verlange, dass ein bereits begründetes Arbeitsverhältnis mit dem ernsthaften Willen der Zusammenarbeit geführt werde. Den Grundrechtsbereich des Arbeitnehmers betreffende Differenzen könnten ohne vorheriges Gespräch und die Gelegenheit zu reagieren nicht zu einer Kündigung führen, vor allem da die Klägerin nicht gegen das Rauchverbot im Betrieb verstoßen habe.

Normalerweise wird eine Probezeit von sechs Monaten vereinbart. Während der Probezeit beträgt die Mindestkündigungsfrist zwei Wochen (Urteil vom 28.05.2013, Aktenzeichen 1 Ca 375/12).

Avancen an Schüler sind ein Entlassungsgrund

Ein Lehrer, der einer 16-jährigen Schülerin explizit sein sexuelles Interesse an ihr mitteilt, darf vom Schulunterricht ausgeschlossen werden. Der Lehrer hatte über Monate mit seiner Schülerin über soziale Netzwerke gechattet und sie schließlich aufgefordert, mit ihm zu schlafen.

Der Fall wurde bekannt, als sich die Schülerin beim Rektor meldete. Ihr war die Sache zu viel geworden. Als Konsequenz verbot die Bezirksregierung Köln dem Lehrer mit sofortiger Wirkung die Tätigkeit an der Schule; außerdem kündigte sie seine Entlassung an.

Der Pädagoge wehrte sich vor Gericht. Er räumte zwar einen Fehler ein. Er sei auch damit einverstanden, an eine andere Schule versetzt zu werden. Das Unterrichtsverbot und die geplante Entlassung aus dem Beamtenverhältnis hielt er aber für unverhältnismäßig. Immerhin, so führte er an, sei es zu keinem Zeitpunkt zu tatsächlichen sexuellen Kontakten gekommen.

Das Verwaltungsgericht Aachen billigt die Maßnahmen der Bezirksregierung. Bereits “verbale sexuelle Kontakte” mit Schülern seien ein Grund, der die weitere Berufsausübung nicht zulasse (Beschluss vom 1. Juli 2013, Aktenzeichen 1 L 251/13).

Einfach mal plaudern

Welchen Wert “Zusagen” der Staatsanwaltschaft mitunter haben, zeigt sich gerade im Münchner NSU-Prozess. Obwohl den Anwälten der Angeklagten Beate Zschäpe zugesagt worden ist, dass ein mehrstündiger Gefangentransport Zschäpes nicht für einen Vernehmungsversuch benutzt wird, machte sich ein Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes genau daran. Er soll die Fahrt bewusst genutzt haben, mit Zschäpe ins Gespräch zu kommen,  um ihr nähere Angaben oder gar ein Geständnis zu entlocken.

Die Reise ging von der Justizvollzugsanstalt Köln-Ossendorf zum Gefängnis in Gera. Die Angeklagte sollte dort Gelegenheit bekommen, mit ihrer Mutter und Großmutter zu sprechen. Die Großmutter war gesundheitlich angeschlagen, so dass sie nicht nach Köln fahren konnte. Zschäpes Verteidiger Heer soll sich ausbedungen haben, dass seine Mandantin während des Transports weder förmlich vernommen oder “informatorisch befragt” wird – was in so einer Situation allerdings auf das Gleiche hinausläuft. Die Bundesanwaltschaft soll jedenfalls zugestimmt haben, dass Zschäpe während der Fahrt nicht vernommen wird.

Dennoch habe der Beamte versucht, mit Zschäpe ins Gespräch zu kommen. Er versuchte es mit dem Wetter, das auf Fehmarn immer anders sein soll auf dem Festland. Eine Antwort auf die Frage wäre aufschlussreich gewesen, weil Zschäpe auf Fehmarn Urlaub gemacht haben soll. Ein anderes Thema war der Brief, den der norwegische Massenmörder Anders Breivik an Zschäpe geschrieben haben soll. Und letztlich soll auch thematisiert worden sein, ob Zschäpe wirklich nicht aussagen wolle oder ob sie nur dem Rat ihrer Anwälte folge.

Zschäpes Anwälte halten das Gespräch für unverwertbar. Zu recht, meine ich. Man könnte ja noch darüber diskutieren, wenn die Verteidiger nicht vorher interveniert hätten, um ein Aushorchen ihrer Mandantin während des Transports zu verhindern. Dass aber entgegen einer entsprechenden Zusage dann doch versucht wird, etwas von Zschäpe zur Sache zu erfahren, ist im Kern eine verbotene Täuschung, die (auch) gegen das Fairnessgebot in der Europäischen Menschenrechtskonvention verstößt. Denn gerade in diesem Verfahren war von vornherein klar, dass jedes von der Angeklagten geäußerte Wort gegen sie verwendet werden wird, sofern dies möglich ist.

Deshalb ist es widersinnig, überhaupt anzunehmen, dass so etwas wie eine “informatorische Befragung” überhaupt möglich gewesen wäre. Ganz abgesehen davon, dass die Strafprozessordnung so eine Form der Befragung an sich gar nicht kennt.

Man kann aus der Angelegenheit jedenfalls Lehren ziehen, falls man mal mit der Polizei zu tun haben sollte. Vorsicht ist immer immer angebracht, wenn man als Beschuldigter gedrängt wird zu reden – und sei es angeblich nur “off the record”. Mit Ehrlichkeit ist da nämlich nicht unbedingt zu rechnen.

Bericht im Tagesspiegel

Bewegte Zeiten

Die Maschine des bolivianischen Präsidenten Evo Morales musste außerplanmäßig in Wien landen. Frankreich, Spanien und Portugal sollen dem Jet Überflugrechte verweigert haben, weil sie Whistleblower Edward Snowden an Bord vermuteten. Morales kam von einem politischen Besuch in Moskau und wollte nach Hause fliegen. Edward Snowden ist nach Angaben Russlands derzeit im Transitbereich des Moskauer Flughafens.

Snowden war nicht an Bord des Präsidentenflugzeugs, aber die Aktionen von Portugal und Frankreich werfen ein interessantes Licht auf die Aktivitäten, die wohl derzeit im Hintergrund laufen. Denn entweder setzen die USA alles daran, um an Snowden heranzukommen. Oder selbst Länder wie Frankreich, die derzeit nach außen hin Aufklärung über das amerikanische Überwachungsprogramm verlangen, praktizieren von sich aus vorauseilenden Gehorsam gegenüber den Vereinigten Staaten.

Die Verweigerung von Überflugrechten ist zwar grundsätzlich zulässig, da jeder Staat auch seinen Luftraum als Hoheitsgebiet betrachtet. Allerdings ist nicht mal ansatzweise erkennbar, welche nachvollziehbaren eigenen Interessen Frankreich und Portugal mit der Verweigerung der Überflugrechte verfolgen könnten. Von der Maschine des bolivianischen Präsidenten ging keinerlei Gefahr für die beiden Länder aus – selbst wenn Snowden sich an Bord befunden hätte.

Von daher ist das schon ein höchst ungewöhnlicher Vorgang. Dementsprechend fällt auch das Echo aus, insbesondere in Lateinamerika. Dort protestieren Politiker der meisten Länder vehement gegen die Behandlung von Morales, der sich völlig zu Recht düpiert und herabgesetzt fühlen soll. Die Frage ist nun in der Tat: Was passiert, wenn mal wieder Snowden-Alarm geschlagen wird? Wenn schon Präsidentenflugzeuge aufgrund von Gerüchten gestoppt und zu Zwischenlandungen auf dem “richtigen” Territorium gezwungen werden, dürfen sich normale Flugpassagiere durchaus auf bewegte Zeiten einstellen.

Der lockere Spruch des US-Präsidenten, er werde wegen Snowden keine Kampfjets aufsteigen lassen, hat deutlich an Lustigkeit verloren.

Prozess um Pfarrer König ausgesetzt

Das Verfahren gegen den Jenaer Jugendpfarrer Lothar König ist nach Presseberichten heute geplatzt. Das Gericht wird erst in vier bis sechs Monaten weiter verhandeln. Grund: Die Verteidigung hat etwa 200 Stunden ungeschnittenes Videomaterial zugespielt erhalten, das von der Polizei stammt. Die Bilder sollen König entlasten. Ihm wird vorgeworfen, während einer Demonstration in Dresden zu Gewalt aufgerufen und schweren Landfriedensbruch begangen zu haben.

Bei den Aufnahmen soll es sich um das Rohmaterial handeln, das eine Einsatzstaffel der Polizei gefertigt hat. Bislang lag dem Gericht das Material möglicherweise nicht vollständig vor. Königs Verteidiger Johannes Eisenberg hat mittlerweile schon erklärt, die jetzt aufgetauchten Bilder sprächen für Manipulation. Die Polizei habe wohl eine “Fälscherwerkstatt” betrieben.

Bei dem Prozess spielen Videos eine große Rolle. Schon mehrere Polizeibeamte kamen bei ihren Aussagen gegen König in Bedrängnis, weil sich ihre Darstellung der Ereignisse nicht mit den Bildern vereinbaren lässt, die Demonstrationsteilnehmer gemacht haben.

Wenn es tatsächlich zu einer so langen Unterbrechung kommt, muss das Verfahren gegen König komplett neu aufgerollt werden.

Nur ein Schlenker

Auch Gerichte machen Fehler. Zu den häufigsten gehört, sachfremde Erwägungen in die Entscheidung einfließen zu lassen.

Ich erinnere mich gerne, als ich einen mutmaßlichen Räuber verteidigte, der den Fahrtweg zu seinem ausgemachten Opfer nicht genau kannte. Deshalb kaufte er unterwegs an der Tankstelle einen Stadtplan. Das Landgericht wertete das strafschärfend. Nein, sagte der Bundesgerichtshof – so eine Vorbereitungshandlung sei schlicht “neutral”. Nicht alles, was man vielleicht moralisch oder sonstwie verwerflich hält, ist halt auch strafrechtlich relevant.

Fast noch offensichtlicher als der Stadtplanfehler ist die Argumentationspanne, die dem Landgericht Nürnberg Fürth nun unterlief. Auf der Anklagebank saß ein junger Mann. Er soll bei einer Demonstration Landfriedensbruch begangen und Widerstand geleistet haben. Das Gericht verschärfte das Urteil, weil der Bruder des Angeklagten Polizeibeamter ist. Wörtlich:

Von daher hätte erwartet werden können, dass der Angeklagte für andere Polizeibeamte, die pflichtgemäß das tun, was ihnen befohlen wird, etwas Verständnis aufbringt.

Das klingt entfernt nach umgekehrter Sippenhaft, und so kam die Botschaft beim Bundesgerichtshof auch an:

Diese Erwägung erweist sich als rechtsfehlerhaft, weil sich aus dem Umstand, dass der Bruder des Angeklagten ebenso Polizeibeamter ist wie die vom Angeklagten angegriffenen Geschädigten, keine gesteigerten Pflichten des Angeklagten für das verletzte Rechtsgut ergeben und sich dieser daher auf das Maß der der Tat innewohnenden Pflichtwidrigkeit nicht auswirkt

Auch wenn der Hinweis auf den Bruder sicher nur ein argumentativer Schlenker war, muss die Sache neu verhandelt werden (Beschluss vom 14. Mai 2013, Aktenzeichen 1 StR 122/13).