Schlüsselfragen

Es dürfte kein ganz einfacher Fall werden, den ein 40-Jähriger aus Neubrandenburg seinem (künftigen) Anwalt in die Kanzlei bringt. Der Mann war gegen Mittag am Steuer seines Wagens mit 2,88 Promille aufgefallen. Die Polizisten stellten seinen Führerschein sicher. Weil es schon frühere Trunkenheitsfahrten gab, stellten sie auch seinen Autoschlüssel und das Fahrzeug sicher.

Dies allerdings wollte der Mann wohl so nicht auf sich sitzen lassen. Weil der Abschleppdienst nicht sofort kommen konnte, stand das Auto unbeobachtet auf der Straße. Nachdem ihm auf der Wache eine Blutprobe entnommen worden war, holte der Mann den Zweitschlüssel aus seiner Wohnung. Dann kehrte er zu seinem Auto zurück, setzte er sich laut Zeugenaussagen ans Steuer und parkte das Fahrzeug ordentlich vor seinem Wohnhaus.

Logischerweise erschien die Polizei erneut. Ein erneuter Atemalkoholtest ergab nun 2,95 Promille. Also erneute Blutprobe. Die wurde aber erst entnommen, nachdem die Polizei den Verbleib des Zweitschlüssels geklärt hatte. Weil der 40-Jährige nichts dazu sagen wollte, mussten die Beamten suchen. Der Zweitschlüssel lag im Backofen.

Nicht auszudenken, wenn der Mann sogar noch einen Drittschlüssel hat. Oder das Geld, um sich ein anderes Fahrzeug zu besorgen. Dann allerdings verlangt der Anwalt garantiert Erschwerniszulage.

Das Rotlicht und die Haltelinie

90 Euro sollte mein Mandant bezahlen. Wegen eines Rotlichtverstoßes an der Ampel. Das hätte ihm auch einen Punkt in Flensburg gebracht. Aber eine kritische Nachfrage lohnt sich öfter, als man vielleicht denkt.

Mein Mandant ist fremd in der Stadt am Rhein, in welcher ihn ein Ordnungshüter stoppte. Der Polizist habe ihm vorgeworfen, bei rot „über die Ampel“ gefahren zu sein. Und zwar „mit der ganzen Autolänge“. Diskussion unerwünscht.

Das Ordnungsamt hat den Bußgeldbescheid natürlich erlassen, und zwar anhand der vom Beamten übermittelten Daten. Das ist ein juristischer Blindflug. Eine Schilderung des Sachverhalts fügen Polizisten meist gar nicht bei. In Zeiten von „Massenverfahren“ begnügt man sich mit Datum, Uhrzeit, Ort, Kfz-Kennzeichen, Personalien und Übermittlung des Bußgeldtatbestandes. Auf meine Rückfrage hin musste der Beamte allerdings eine Stellungnahme abgeben.

Danach hatte er meinen Mandanten tatsächlich beobachtet, wie dieser die Haltelinie überfuhr. An dieser Stelle wird es allerdings interessant: „Der Wagen stoppte, wobei nur noch das Heck auf der Haltelinie“ stand.

Aber HALLO, das ist doch kein Rotlichtverstoß. Dieser liegt nicht schon vor, wenn ein Auto über die Haltelinie fährt. Sondern nur, wenn der Wagen tatsächlich in den Bereich rauscht, der von der Ampel geschützt wird. Das kann mitunter auch ein Fußgängerüberweg sein, der noch vor der Ampel liegt, aber hinter der Haltelinie. So einen Überweg gibt es an der fraglichen Stelle aber nicht.

In dem Text des Beamten taucht drei Mal der Begriff Haltelinie auf, den von der Ampel geschützten Bereich thematisiert er dagegen nicht. Man darf also fast ein bisschen davon ausgehen, dass der Polizist (noch) nicht so richtig internalisiert hat, was den von ihm zur Anzeige gebrachten Rotlichtverstoß überhaupt ausmacht.

Das bloße Überfahren der Haltelinie ist zwar auch nicht ok. Aber das „Delikt“ kostet 10 Euro Verwarnungsgeld und damit auch keinen Punkt in Flensburg. Der Mandant war von unserem juristischen Erfolg etwas berauscht. So spekulierte er, ob das ein Geschäftsmodell des Polizisten sein könnte, damit er eine – offiziell natürlich nirgends existierende – Knöllchenquote seine Polizeipräsidenten erfüllt. Für so was habe ich natürlich keinerlei Anhaltspunkte. Aber berauscht hat mich das glückliche Ende dieses kleinen Falles ehrlich gesagt auch ein bisschen.

Zum Pflichtverteidiger „befördert“

Mir ist es – natüüüüürlich – noch nicht passiert, aber es gibt schon mal Zwistigkeiten zwischen Mandant und Verteidiger. Am Ende steht die Kündigung des Mandats, was gerade in einer laufenden Hauptverhandlung Probleme mit sich bringt. In erster Linie für das Gericht. Die Terminsplanung gerät ins Schwimmen, das schätzt kein Gerichtsvorsitzender.

Am elegantesten ist es, wenn der Vorsitzende den Ball wieder ins Feld von Anwalt und Mandant zurückspielt. Beispiel ist ein aktueller Fall. Dort setzte der Vorsitzende den durch Rausschmiss beschäftigungslos gewordenen Wahlverteidiger auf die Gehaltsliste des Staates. Er ernannte ihn zum Pflichtverteidiger. Der Anwalt protestierte zwar dagegen, aber er war erst mal dienstverpflichtet. So konnte weiterverhandelt werden.

Der Anwalt wehrte sich vor Gericht erfolglos gegen seine Bestellung als Pflichtverteidiger. Zur Sicherung des laufenden Verfahrens sei das durchaus denkbar, meint das Oberlandesgericht Brandenburg. Sonst könnte jeder Angeklagte das Verfahren dadurch torpedieren, dass er zu einem günstigen Zeitpunkt seinen Wahlverteidiger feuert und die Verhandlung platzen lässt. Dem nun quasi dienstverpflichteten Anwalt ist so was zuzumuten, es sei denn das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und Mandant ist komplett zerrüttet. Das ist allerdings etwas anderes als ein bloßer Streit über die Strategie. Nachweis also sehr schwierig.

Auf der Seite des Angeklagten, der sich ebenfalls wehrte, sah die Sache anders aus. Der Vorsitzende hat nämlich den Fehler gemacht, ihn nicht vor der Bestellung seines bisherigen Verteidigers zum Pflichtverteidiger anzuhören. Genau das ist in § 142 Abs. 5 StPO aber vorgeschrieben. Der Angeklagte darf sich einen Anwalt wünschen. Das Gericht hätte zwar wichtige Gründe finden können, dem Wunsch des Angeklagten nicht zu entsprechen. Aber um die Anhörung kommt es halt nicht herum, so das Oberlandesgericht Brandenburg.

Die betreffende Stellungnahmefrist für den Angeklagten muss auch bei einem Anwaltswechsel im laufenden Verfahren angemessen sein. Deshalb lässt sich, so das Oberlandesgericht, selbst ein Platzen des Prozesses nicht immer vermeiden. Der Zweck heiligt halt nicht jedes Mittel.

Der Beschluss ist bei Rechtsanwalt Detlef Burhoff nachzulesen.

Darf man vor der Polizei flüchten?

Wir waren vor Gericht in Geständnislaune. Ja, mein Mandant hatte im Stadtpark einige Gramm Marihuana bei sich. Außerdem hatte er auch schon was davon geraucht, so dass ihm auf seiner Parkbank nichts auffiel – bis sich zwei Kripo-Beamte zu ihm gesellten. Und dann war es natürlich zu spät…

… oder auch nicht. Mein Mandant nutzte die eher lockere Gesprächsatmosphäre, um sich schnellen Fußes zu entfernen. Die beiden Polizisten hatte er schon abgehängt. Bei einem Motorradpolizisten gelang ihm das aber nicht. Vorläufige Festnahme. Später eine Anklage wegen des Besitzes von Betäubungsmitteln.

Die Polizisten waren im Gericht eigentlich gut drauf. Die Männer von der Kripo erkannten neidlos an, dass mein Mandant besser in Form war. Der Krad-Polizist lobte meinen Mandanten fürs prompte Stehenbleiben, als er die Sirene aufheulen ließ. Nur der Vertreter der Staatsanwaltschaft schoss quer. Der Rechtsreferendar hielt ein besonders schneidiges Plädoyer. Kernsatz:

Strafschärfend ist zu Lasten des Angeklagten ganz erheblich zu berücksichtigen, dass er geflohen ist.

Klingt erst mal plausibel. Entspricht aber leider nicht der Rechtslage. Das deutsche Strafrecht respektiert seit jeher den Freiheitsdrang des Menschen. Abhauen als solches ist nicht strafbar. Wer also vor der Polizei davon läuft, darf deswegen nicht härter bestraft werden. Siehe auch dutzende Gerichtsurteile.

Ich sagte in meinem Plädoyer bewusst gar nichts Großartiges zu dem Fluchtvorwurf. So kriegte der Richter die Gelegenheit, dem Vertreter der Staatsanwaltschaft höflich, aber bestimmt die Rechtslage zu erklären. Das Urteil selbst fiel am Ende noch einen Tick milder aus, als ich es ohnehin erhofft hatte.

Todesfall Luise: Kinder können nicht bestraft werden

Der gewaltsame Tod der 12-jährigen Luise durch Messerstiche könnte aufgeklärt sein. Die Staatsanwaltschaft gab heute bekannt, dass es zwei Tatverdächtige gibt. Es handelt sich um zwei Mädchen, 12 und 13 Jahre alt. Laut den Ermittlern haben die Kinder die Tat eingeräumt.

Können die Mädchen für ihre Tat bestraft werden? Diese Frage lässt sich eindeutig beantworten. Sie können nicht. Denn nach deutscher Rechtslage gelten Kinder als schuldunfähig (§ 19 StGB). Fehlt die Schuld, ist eine Bestrafung schlicht nicht möglich. Demgemäß gilt das Jugendstrafrecht auch erst für Personen über 14 Jahren (§ 1 JGG).

Die Altersgrenze von 14 Jahren ist starr ausgestaltet. Das heißt, selbst bei schwersten Delikten ist eine Bestrafung von Kindern nicht erlaubt. Natürlich muss das zuständige Jugendamt schauen, ob es bei den Tatverdächtigen Hilfsbedarf gibt. Der Blick der Jugendämter ist aber immer nur in die Zukunft gerichtet und am Erziehungsgedanken orientiert. Sanktionen wegen eines Fehlverhaltens in der Vergangenheit dürfen diese Träger nicht verhängen.

Die Polizei wird die Tatumstände natürlich nach Möglichkeit klären. Dem Staatsanwalt bleibt aber nichts anderes übrig, als das Verfahren am Ende ohne Anklage oder sonstige Folgen einzustellen.

Keine Faxe ans Gericht

Herr S. fand sich in einem abgeschlossenen Raum der Psychiatrie wieder. Am frühen Abend komme der Richter, wurde ihm gesagt. Der Richter werde über seine vorläufige Zwangsunterbringung entscheiden. Freundlicherweise hatte man Herrn S. immerhin sein Handy gelassen. Bei der Suche nach einem Anwalt fiel ihm mein Name ein – und so hatte ich ihn am Telefon.

Die Sache spielt zu weit weg, Unterbringungsrecht bearbeite ich auch nicht. Aber immerhin konnte ich Herrn S. einen Anwaltskollegen vor Ort empfehlen. Der war aber zunächst nicht zu sprechen. Deshalb gab ich Herrn S. den Tipp, per Fax einen Antrag bei Gericht zu stellen, dass ihm der Anwalt beigeordnet wird – auch schon für die für den späten Abend geplante Anhörung durch den Richter.

Herr S. ging, ebenso wie ich, davon aus, es sei in einem Rechtsstaat selbstverständlich, dass sich ein vorläufig Untergebrachter jederzeit ans Gericht wenden darf. Doch die Ärztin belehrte Herrn S., das Gericht nehme nur Briefe an. Keine Faxe Er müsse das Schreiben in die normale Post geben. Was bei den Postlaufzeiten natürlich unheimlich Sinn macht. Im übrigen hatte die Ärztin keine Erklärung dafür, wie denn ihre Klinik selbst eilige Unterbringungsanträge bei Gericht stellt. Auch per Briefpost? Na, dann viel Glück bei den künftigen Strafanzeigen wegen Freiheitsberaubung.

Vorsicht an der Bahnsteigkante

Manche Mandanten haben ein sonniges Gemüt. So jener, der mit dem Brief eines Amtsgerichts zu mir kam. Das Gericht erwäge den Erlass eines Strafbefehls, wurde dem Mandanten mitgeteilt. Er möge binnen einer Woche einen Pflichtverteidiger benennen. Sonst werde ihm ein Pflichtverteidiger vom Gericht bestellt.

Besonders erfreut war der Mandant vom Servicegedanken. Fand er super, dass er sogar einen Anwalt vom Gericht bekommt. Tja, in der Justiz wird der Servicegedanke halt noch groß geschrieben.

Das mit dem Strafbefahl gefiel dem Mandanten auch. Sicher hat er Mist gebaut. Aber jetzt könne er doch auf die ersehnte Geldstrafe hoffen. Mehr als 90 Tagessätze, also etwas bis zur Eintragungsgrenze für Vorstrafen, dürften doch kaum werden. Sagt Rechtsanwalt Dr. Google.

Ich durfte den Überbringer schlechter Nachrichten spielen. In mehrfacher Hinsicht. Den Pflichtverteidiger gibt es im Strafbefehlsverfahren nur, wenn der Richter eine Haftstrafe verhängen will. Ohne Verteidiger dürfen nur Geldstrafen verhängt werden, mit Verteidiger Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr.

Die vermeintlich großzügige gerichtliche Beiordnung eines Anwalts ist letztlich eine Mogelpackung, jedenfalls in finanzieller Hinsicht. Wenn der Beschuldigte verurteilt wird, muss er die Verfahrenskosten tragen. Zu diesen gehören auch die Honorare, die das Gericht an den Pflichtverteidiger zahlt. Mehr als ein Kredit ist die Beiordnung also nicht.

Allerdings gab es natürlich doch noch eine positive Seite. Nichts wird im Strafverfahren so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Das steht wahrscheinlich auch bei Google, stimmt aber. Auch wenn der Richter sich schon recht deutlich positioniert hat, ist eine Geldstrafe nicht ausgeschlossen. Nicht mal eine Einstellung. Der Instanzenzug steht ja quasi noch im Bahnhof, auf der anstehenden Reise kann viel passieren…

Richter machen Druck bei Cannabis-Freigabe

Im Koalitionsvertrag ist die kontrollierte Freigabe von Cannabis für Erwachsene vereinbart. Der Besitz von einer angemessenen Menge für den Eigenbedarf soll straffrei bleiben – irgendwann. Bis dahin müssten schon mal dringend notwendige Liberalisierungen erfolgen, fordert die Neue Richtervereinigung.

Die Kriminalisierung von Cannabiskonsumenten sei ungerechtfertigt, weil der Konsum von Alkohol und Tabak je nach Konsumform fast immer gefährlicher sei. Trotz der drohenden Strafen sei der Besitz von Cannabis weit verbreitet. Eine staatlich überwachte Abgabe sei daher ein viel effektiveres Mittel als die Kriminalisierung.

Konkret fordert die Neue Richtervereinigung, den Besitz von bis zu 30 Gramm Cannabis für den Eigenbedarf straffrei zu machen. Damit wäre es auch mit den höchst unterschiedlichen Grenzwerten in den einzelnen Bundesländern vorbei. Auch das Fahrerlaubnisrecht müsse angepasst werden. Heute verlören täglich Menschen ihren Führerschein, obwohl der letzte Konsum schon Tage vorbei sei, sich aber noch „nicht aktive Restmengen“ in ihrem Blut finden. Es bedürfe konkreter Grenzwerte, wie etwa beim Alkohol.

Die Liberalisierung würde auch Ressourcen bei Polizei und Justiz freimachen. Immerhin werden nach Angaben der NRV in Deutschland jedes Jahr 180.000 konsumbezogene Ermittlungsverfahren geführt.

Riesige Probleme durch Strafverschärfung

Hauptsache, Verbrechen. Dies war das Motto der früheren Justizministerin Christiane Lambrecht. Mit der Mindeststrafe von einem Jahr Gefängnis wollte sie weg vom Vorwurf des zu laxen Umgangs mit dem Besitz und der Verbreitung von Kinderpornografie. Nun zeigt sich, dass die Gesetzesverschärfung zum Jahresanfang 2022 zu riesigen Problem führt und den Rechtsstaat beschädigt.

Mittlerweile haben Amtsrichter den neuen § 184b StGB vor das Bundesverfassungsgericht gebracht. Die Landesjustizminister forderten im November, die Neuregelung rückgängig zu machen. Nun nehmen sich laut Medienberichten Politiker der Regierungskoalition den Bedenken an und wollen eine Änderung prüfen. Ob und inwieweit der Bundesjustizminister mit im Boot ist, scheint momentan allerdings noch unklar.

Hauptkritikpunkt ist, dass schon der Besitz eines einzigen strafbaren Bildes zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr führt. Genannt werden etwa Beispiele, in denen Eltern auf dem Handy ihres Kindes fragwürdige Inhalte finden und diese zur Warnung an andere Eltern weiterleiten. Auch Spaßbilder und -videos, die in häufig riesigen Chatgruppen geteilt, aber nicht unbedingt vom einzelnen zur Kenntnis genommen werden, sind ein Problem. Aufgefallen ist irgendwann auch, dass die Berufsgruppe der Beamten besonders betroffen ist. Bei der nun zwingenden Mindeststrafe müsste ein Beamter entlassen werden, überdies verlöre er seine Pensionsansprüche.

Es fehlt bei der Neuregelung also erkennbar an der Möglichkeit, minder schwere Fälle als solche zu behandeln. Der minder schwere Fall ist sonst im Gesetz regelmäßig eingebaut, um Härten abzufedern. „Staatsanwälte brauchen die Möglichkeit, bei Bagatellfällen von der Strafverfolgung absehen zu können“, sagt etwa der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Johannes Fechner. Nach seiner Meinung binden solche Fälle zu viel Personal bei Polizei und Justiz. Diese Kräfte fehlten bei der Verfolgung des in der Realität stattfindenden Missbrauchs.

Ihren Fingerabdruck, bitte

Der Fingerabdrucksensor auf dem Handy ist eine bequeme Sache. Aber wie weit reicht der Schutz, wenn wenn die Polizei an die Daten im Handy gelangen möchte? Keinen Zentimeter, wie eine aktuelle Entscheidung des Landgerichts Ravensburg zeigt.

Ein Beschuldigter hatte sich geweigert, sein Handy zu entsperren. Er war vor allem nicht bereit, den passenden Finger auf den Fingerabdrucksensor zu legen. Der Ermittlungsrichter ordnete an, dass dem Mann Fingerabdrücke abgenommen werden. Mit den Prints entsperrte die Polizei selbst das Handy.

Diese Maßnahme ist nach Auffassung des Landgerichts Ravensburg durch § 81b Abs. 1 StPO gedeckt. Dieser Paragraf lässt die Abnahme von Fingerabdrücken zu, soweit dies für das Strafverfahren notwendig ist. Natürlich war die Vorschrift nie und nimmer dafür gedacht, biometrische Sperren zu umgehen. Als sie in Kraft trat, war das Leben noch 100 % analog, und es ging um den Vergleich von Tatortspuren oder Identifizierung von Personen.

Doch für die Ravensburger Richter ist das kein großes Problem. Sie meinen, der „statische Wortlaut“ sei eben „technikoffen“ formuliert. Der Gesetzgeber habe ja schon mehrfach Gelegenheit gehabt, die Vorschrift zu begrenzen. Mit anderen Worten: Passt was nicht, wird es passend gemacht.

Die Entscheidung wird schnell die Runde machen. Und dann soll man beim Polizeikontakt also künftig nicht nur seinen Ausweis zeigen, sondern je nach Gesprächsverlauf auch noch seinen Fingerabdruck hergeben, damit die Beamten „mal auf das Handy schauen können“. Das fängt übrigens schon bei der durch andere Urteile entfachten Jagd auf Blitzer-Apps an. Zumal in dem Fall zwar ein Richter entschieden hat. Das ist aber an sich gar nicht notwendig. Die Abnahme von Fingerabdrücken steht nicht mal unter Richtervorbehalt.

Die Lehre aus dem Beschluss? Wer vorausschauend denkt, deaktiviert die Fingerabdrucksperre. Ein Passwort muss man in Deutschland bislang nicht herausgeben. Auch kann man bislang nicht gezwungen werden, ein Entsperrmuster zu zeichnen.

Nachlesen kann man den Beschluss im Burhoff Blog.

Mission Impossible

Manche Fälle sind eine Mission Impossible. Am Mittwoch einer meiner Mandanten festgenommen. Aufgrund eines neu gegen ihn ausgestellten Haftbefehls. Ihm werden Betrugstaten zur Last gelegt. Angeblich Fluchtgefahr.

Nun ja, als Verteidiger schaut man dann natürlich immer: Wie lässt sich der Haftgrund entkräften? In diesen Fall gibt es einen ganz besonderen Umstand. Der Mandant ist nämlich vor einiger Zeit zu einer vierjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Dabei ging es nicht um Betrug. Das klingt jetzt viel, aber dank des Bundesgerichtshofs erging dieses Urteil in einer Neuauflage des Prozesses. Im ersten Urteil hatte der Mandant noch fünfeinhalb Jahre gekriegt. Die vier Jahre sind nun aber rechtskräftig, beim erneuten Revisionsanlauf waren die Revisionsrichter weniger gnädig.

Wie das so bei rechtskräftigen Urteilen ist, folgte die Ladung zum Strafantritt auf dem Fuß. Bis nächsten Dienstag hätte der Mandant seine vierjährige Haftstrafe ohnehin antreten müssen. Damit habe ich in der neuen Angelegenheit beim Haftrichter argumentiert. Der Mandant wurde nämlich ganz brav zu Hause verhaftet. Obwohl er nun seit langer Zeit weiß, dass ihm eine Haftstrafe bevorsteht. Wenn er wegen des unmittelbar bevorstehenden Haftantritts nicht wegläuft, warum sollte er es dann wegen der neuen Vorwürfe tun?

Aber wenig überraschend sah es der Haftrichter genau anders herum. Die neuen Vorwürfe erhöhen nach seiner Meinung den Fluchtanreiz. Natürlich sah der Richter mein Dilemma: Selbst wenn ich nun sofort eine Haftprüfung beantrage, dürfen bis zur Verhandlung zwei Wochen vergehen. Bis dahin hätte die Strafhaft des Mandanten ohnehin schon begonnen. Und eine Beschwerde? Kaum vorstellbar, dass das Landgericht bis zum heutigen Freitag entscheidet – und dem Mandanten so noch ein Wochenende in Freiheit gewährt. Am Montag wäre eine positive Entscheidung ohnehin weitgehend für die Katz. Die Strafhaft muss der Mandant wie gesagt am Dienstag antreten.

Den Mandanten konnte ich nur damit trösten, dass ihm die Untersuchungshaft bis Dienstag am Ende angerechnet wird. Er kommt so oder so ein paar Tage früher raus. Begeisterung sieht allerdings anders aus.

Auf der Lauer

Wo ist die Polizei, wenn man sie mal braucht? Für einen Herbsttag im Jahre 2022 kann ich es euch sagen. Lesen wir doch die Strafanzeige:

Die Beamten (Dez. Bekämpfung Straßenkriminalität) observierten das Freigelände im Übergangsbereich zum dortigen Berufskolleg. Sie konnten beobachten, wie der Beschuldigte J. sich einen Joint drehte. Der Beschuldigte S. stand daneben. Beide Beschuldigten konsumierten den Joint. … Der Beschuldigte J. hatte noch eine geringe Menge (ca. 1 Gramm) Marihuana in der Tasche. Die Durchsuchung des Beschuldigten S. verlief ergebnislos. Beide wurden nach Ende der Maßnahme zurück in die Berufsschule entlassen.

Auch gegen meinen Mandanten, Herrn S., wurde ein Ermittlungsverfahren auf den Weg gebracht. Zur Erinnerung: S. ist derjenige, der nur am Joint gezogen hat. Der Vorwurf lautete: „Besitz von Betäubungsmitteln.“

Außer Spesen nichts gewesen, kann man als Anwalt dazu nur sagen. Mein Mandant hat keine Betäubungsmittel besessen. Er hat höchstens welche konsumiert. Das ist ein gravierender Unterschied. Denn der Konsum als solcher ist in Deutschland nicht strafbar, der Besitz aber schon. Wer also an einem fremden Joint zieht, an Ort und Stelle fremdes Kokain schnupft oder an der Bong eines anderen mitraucht, begeht keine Straftat.

Dem zuständigen Staatsanwalt war die Rechtslage natürlich bekannt. Er stellte das Verfahren gleich von sich aus ein. Richtigerweise hätten die Beamten aber gleich einen Anfangsverdacht gegen meinen Mandanten verneinen und von einer Anzeige absehen müssen. Das ist keine Lappalie, denn nun gelangt die Akte womöglich zum Straßenverkehrsamt. In einer Kommune mit Nulltoleranzpolitik kann das den Führerschein kosten, selbst wenn mein Mandant gar nicht mit dem Auto unterwegs war. Wäre natürlich nicht so super, für einen angehenden Mechatroniker.

Kommt Zeit, kommt Einstellung

Wie die Zeit vergeht. Im Januar 2020 musste mein Mandant eine Hausdurchsuchung über sich ergehen lassen. Die Polizei nahm seinen Desktop-Rechner, ein Tablet, externe Festplatten und Speicherkarten mit. Wie in solchen Fällen üblich, fragten die Polizisten vor Ort nach den Passwörtern für die Hardware. Allerdings kannte mein Mandant seine Rechte. Er sagte überhaupt nichts zur Sache. Zugangsdaten gab er schon gar nicht raus. Auch verweigerte er jede Auskunft darüber, ob und wie seine Datenträger verschlüsselt sind.

Wir erhielten Akteneinsicht und stellten fest, dass es für den Tatvorwurf keine tragfähigen Beweise gibt. Bislang. Es kam also im Zweifel darauf an, was sich auf den beschlagnahmten Datenträgern befand. Die allerdings hatte mein Mandant verschlüsselt. Er meinte zwar, dass er an sich nichts zu verbergen hat, weil er die fragliche Straftat nicht begangen hat. Andererseits hatte er aber keinerlei Lust, dass sich die Polizei durch das digitale Abbild seine Lebens wühlt.

Nach drei Jahren liegt nun das Ergebnis der Ermittlungen vor. Im Februar 2023 schaute sich ein Auswerter bei der Kriminalpolizei erstmals die Datenträger an. Bis dahin hatten sie wohl in einem der vielen Kartons geschlummert, die auf vielen Polizeidienststellen rumstehen. Der Beamte stellte fest: Die Datenträger sind ja verschlüsselt. Er rief darauf hin den Staatsanwalt an, der folgendes zu Papier brachte:

Eine erste Auswertung hat nach Angaben von Kriminalkommissar J. ergeben, dass alle Datenträger verschlüsselt sind. Im Hinblick auf den Zeitablauf und den nicht sonderlich schweren Vorwurf ist eine kosten- und zeitaufwendige Entschlüsselung – sofern überhaupt möglich – nicht verhältnismäßig. Das Verfahren wird nach nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

Was am Anfang noch für eine Hausdurchsuchung reichte, ist nach so langer Zeit halt nur noch lästiger Ballast, der das sonstige Tagesgeschäft zum Stocken bringt. Die Zeit ist mitunter der beste Verbündete eines Beschuldigten. Ihr glaubt gar nicht, mit welcher Engelsgeduld ich das mittlerweile meinen Mandanten erkläre.

Richterin soll ins Gefängnis

Die Strafrichter am Landgericht Stade springen nicht gerade zimperlich mit einer Kollegin um. Sie verurteilten eine Amtsrichterin wegen Rechtsbeugung ( § 339 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten. So eine Strafe kann nicht zur Bewährung ausgesetzt werden. Außerdem würde die Richterin neben ihrem Amt auch alle Pensionsansprüche verlieren.

Die Juristin soll in mindestens 15 Fällen Betroffene in die Psychiatrie eingewiesen haben, ohne sie vorher persönlich anzuhören. Dabei ist eine Anhörung zwingend vorgeschrieben (§ 332 FamFG). Sie darf nur bei besonderer Dringlichkeit unterbleiben. Aber selbst dann muss die Anhörung unverzüglich nachgeholt werden. In vielen Fällen hatte die Richterin die Betroffenen aber gar nicht angehört, einige erst nach etlicher Zeit (20 bzw. 50 Tage).

Die Richterin berief sich auf hohe Arbeitsbelastung. Deshalb habe sie nicht vorsätzlich gehandelt. Der Vorsatz ist der Knackpunkt. Richtern kann zwar oft eine fehlerhafte Rechtsanwendung vorgeworfen werden. Das bedeutet aber nicht, dass ihnen auch bewusst war, dass sie den Boden des Gesetzes komplett verlassen haben und dies auch wollen. Auch in dem Fall in Stade war dies das Kernproblem. Deshalb plädierte sogar die Staatsanwaltschaft für einen Freispruch.

Das Gericht verwies jedoch darauf, dass die Angeklagte nachweislich von Kollegen auf die zwingende Praxis hingewiesen wurde. Sie soll darauf aber gesagt haben, sie vertrete eine andere Auffassung und habe einfach weitergemacht. Hieraus leitet das Gericht ein „systematisches Vorgehen“ ab, aus dem sich ein Vorsatz begründen lässt.

Gegen das Urteil kann die Noch-Richterin Revision einlegen.

Bericht in der Legal Tribune Online

Fristen gelten bis zum letzten Tag

Eigentlich wollte sich ein Leistungsempfänger gegen einen Bußgeldbescheid des Jobcenters wehren. Dafür hatte er zwei Wochen Zeit. Am Tag des Fristablaufs erkrankte er jedoch nachweislich so heftig, dass er den Einspruch nicht mehr einlegen konnte. Er musste sich bis zum Bundesverfassungsgericht hochklagen, damit er seine Rechte nicht verliert.

Grundsätzlich kann man Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erhalten, wenn man eine Frist unverschuldet versäumt hat. Krankheit ist der klassische Grund. Das Jobcenter wehrte sich jedoch mit der Begründung, es habe ja niemand den Mann gezwungen, bis zum letzten Tag zu warten. So sah es auch das Amtsgericht Diepholz.

Das Bundesverfassungsgericht stellt sich dem entgegen. Fristen seien zwar wichtig, um rechtliche Sachverhalte abschließend zu klären. Allerdings habe der Bürger umgekehrt das Recht, Fristen bis zum Schluss zu nutzen. Dem Mann könne also gerade nicht vorgehalten werden, er hätte sich früher um den Einspruch kümmern können. Das sei mit einem effektiven Rechtsschutz nicht zu vereinbaren.

Wenn man eine Frist unverschuldet versäumt, muss man schnellstmöglich Wiedereinsetzung beantragen, in dem man den Einspruch oder den zulässigen Rechtsbehelf nachholt. Gleichzeitig muss man die widrigen Umstände glaubhaft machen, hier zum Beispiel durch ein Attest. Das Ganze muss im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht innerhalb von einer Woche nachgeholt werden. Diese Nachholfrist beginnt in dem Augenblick, in dem der Grund für die Verhinderung wegfällt (Aktenzeichen 2 BvR 653/20).