Trinkgeld-Bewacherinnen

Toilettenfrauen sind keine einfachen „Trinkgeld-Bewacherinnen“. Selbst wenn sie selbst keine Reinigungsarbeiten durchführen, müssen sie nach dem Tariflohn im Reinigungsgewerbe bezahlt werden, urteilte das Landessozialgericht Berlin.

Die Sozialversicherung hatte beanstandet, dass eine Berliner Firma ihren Toilettenfrauen nur zwischen 3,60 bis 4,50 Euro Stundenlohn zahlte. Der Tarifvertrag für das Gebäudereinigerhandwerk verlangt aber einen Mindestlohn, der bei sechs bis acht Euro pro Stunde liegt.

Die betroffene Firma, die Kundentoiletten in Einkaufszentren betreut, soll nach dem Urteil nun 118.000 Euro Sozialabgaben nachzahlen.

Doch damit nicht genug: Die Richter sehen deutliche Anhaltspunkte für Betrug. Und zwar gegenüber den Trinkgeldgebern. Diese gingen regelmäßig davon aus, dass die diensthabende Reinigungskraft das Geld bekommt. Tatsächlich müssen die Toilettenfrauen das Geld vollständig an den Toilettenpächter abführen (Aktenzeichen L 9 KR 384/12).

Früherer Beitrag zum Thema

Bitte lächeln – auf eigene Kosten

Gesetzlich Krankenversicherte müssen seit dem Jahresanfang eine elektronische Gesundheitskarte haben. Sofern sie Wert darauf legen, ohne Scherereien von einem Arzt behandelt zu werden. Die Karte gibt es für Personen ab 15 Jahren nur noch mit Foto. Die Frage ist, wer trägt die Kosten für das Bild?

Das wollte ein Kassenpatient gerichtlich klären lassen. Er hatte 24,40 Euro für das Foto bezahlt. Da er sich ansonsten nicht hätte fotografieren lassen, wollte er das Geld von seiner Krankenkasse zurück.

Allerdings sehen die Richter am Landessozialgericht Rheinland-Pfalz keine Erstattungspflicht der Kasse. Wie schon die Vorinstanz meint das Gericht, das Gesetz verpflichte den Versicherten, seine Kasse mit einem Foto zu versorgen. Kostenerstattung sehe das Gesetz nicht vor. Deshalb bleibt der Patient auf den Kosten sitzen, wie so viele andere auch (Aktenzeichen L 5 KR 32/14 NZB).

Kein Grund zum Fummeln

Ich weiß nicht, wie viel Geld ein Düsseldorfer Bankkunde am Automaten abheben wollte. Der Betrag, den er für seine missglückte Aktion später als Schadensersatz und Schmerzensgeld forderte, ging aber mit einiger Sicherheit über sein Tageslimit hinaus.

5.000 Euro wollte der Mann von der Bank, weil er sich bei der Geldentnahme aus dem Bankautomaten die Finger einklemmte. Ein Finger war sogar gebrochen, als sich der Bankkunde dem bissigen Zugriff irgendeiner Klappe oder eines Hebels wieder entziehen konnte.

Das Landgericht Düsseldorf befand nun: Die Bank ist für das Malheur nicht haftbar zu machen. Mit dem Finger in einen funktionierenden Geldautomaten zu geraten, sei eine „fernliegende und nicht absehbare Gefahr“. Immerhin, so das Gericht, würden die Geldscheine bei der Ausgabe etwa daumendick über der Klappe aus dem Ausgabeschacht herausgeschoben. Einen Grund, dann im kurzzeitig offenstehenden Ausgabeschacht zu fummeln, konnte das Gericht deswegen nicht erkennen.

Der Kläger hat nach Auffassung der Richter auch nicht belegen können, dass so etwas schon mal vorgekommen ist. Nur dann hätte die Bank eventuell Vorsorge treffen müssen. Was möglicherweise nun bedeutet, dass die Sache bei einem erneuten Unfall nun vielleicht anders ausgehen könnte. Wobei ich jetzt niemanden auf falsche Gedanken bringen möchte (Aktenzeichen 6 O 330/13).

Gefahren im Modehaus

Bekleidungsgeschäfte müssen Kleiderständer so gestalten, dass kleine Kinder sie nicht einfach umwerfen können. Das Oberlandesgericht Hamm sprach nun einem vierjährigen Mädchen Schadensersatz und Schmerzensgeld zu. Die Kleine hatte in einem Modehaus an einem Ständer mit Gürteln gezogen und diesen umgeworfen.

Das Kind wurde unter dem Kleiderständer begraben, der auf leicht beweglichen Rollen stand. Der Zinke eines Gürtelhalters verletzte den Sehnerv eines Auges. Folgeschäden nicht ausgeschlossen.

Das Oberlandesgericht Hamm sieht das Modehaus in der Pflicht, sich auf Kinder einzustellen. Kleiderständer dürften nicht mit so geringer Kraft umgeworfen werden können, wie sie ein vierjähriges Mädchen aufbringt.

Ein Mitverschulden der Eltern sieht das Gericht nicht. Sie hätten ihre Tochter, die in der nur etwa fünf Meter entfernten Spielecke spielen sollte, ausreichend im Auge gehabt. Außerdem sei fraglich, ob die Eltern das „kindliche Verhalten“ ihrer Tochter noch rechtzeitig hätten vermeiden können (Aktenzeichen 6 U 186/13).

Spam durch die Hintertür

Unverlangte Werbung ist auch dann verboten, wenn sie quasi durch die Hintertür kommt. Zum Beispiel in Form von Auto-Replys auf Kundenmails, an die Unternehmen Reklame anhängen. Dies hat das Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt entschieden.

Ein Versicherungskunde hatte seinen Vertrag gekündigt. Statt die Kündigung zu bestätigen, schickte die Versicherung zunächst eine Eingangsbestätigung. Diese lautete:

Sehr geehrte Damen und Herren,

vielen Dank für Ihre Nachricht. Wir bestätigen Ihnen hiermit den Eingang Ihres Mails. Sie erhalten baldmöglichst eine Antwort.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre XXX

Übrigens: XXX per SMS kostenlos auf Ihr Handy. Ein exklusiver Service nur für XXX Kunden. Infos und Anmeldung unter www.xxx.de
Neu für iPhone Nutzer: Die App XXX, inkl. Push Benachrichtigungen für XXX und vielen weiteren nützlichen Features rund um XX und XXX: http://itunes.apple.com/de/app/xxx
***Diese E-Mail wird automatisch vom System generiert. Bitte antworten Sie nicht darauf.***

Der Kunde hatte vorher nicht zugestimmt, von der Versicherung Werbung zu erhalten. Er wandte sich deswegen an den Datenschutzbeauftragten der Versicherung. Dieser antwortete ebenfalls per Auto-Reply, der vorstehende Werbetext war natürlich wieder inklusive.

Letztlich musste das Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt die Sache entscheiden. Das Gericht verweist erst mal auf den mittlerweile eindeutigen Grundsatz, nach dem jeder Anspruch darauf hat, von unerbetener Reklame per E-Mail verschont zu bleiben.

Das gelte auch für Auto-Replys, an die Werbebotschaften angehängt sind. Auch wenn ein geschäftlicher Kontakt bestehe und die Initiative für die Mail-Korrespondenz vom Kunden ausgegangen sei, müsse dieser den Text lesen und überprüfen, ob die Nachricht von Bedeutung ist – gerade wenn man so ein wichtiges Schreiben wie eine Kündigungsbestätigung erwartet. Das sei eine unzumutbare Belästigung.

Die verklagte Versicherung will gegen das Urteil Berufung einlegen.

Nähere Informationen / Link zum Urteil

Kaution ist nicht antastbar

So lange das Mietverhältnis läuft, ist die Kaution unantastbar. Der Vermieter darf nicht einmal dann auf die Kaution zurückgreifen, wenn er sich das im Vertrag vorbehalten hat, urteilt der Bundesgerichtshof in einer heute bekanntgegebenen Entscheidung.

Eine Mieterin hatte wegen Mängeln die Miete gemindert. Den Minderungsbetrag ließ sich der Vermieter aus der Kaution auszahlen. Er berief sich auf einen Klausel im Mietvertrag, wonach er auch vor dem Ende des Mietverhältnisses an das Geld darf.

Dies ist nach Auffassung des Bundesgerichtshofs jedoch unzulässig. Die Kaution sei eine Sicherheit für die Abwicklung des Mietverhältnisses nach dessen Ende. Einen vorheriger Zugriff sehe das Gesetz nicht vor. Entsprechende Vertragsklauseln seien deshalb unzulässig (Aktenzeichen VIII ZR 234/13).

… und dann mit dir im Wald allein

Die deutschen Jäger geraten in Verdacht, Datenkraken zu sein. Jäger sollen nämlich großflächig stationäre „Wildkameras“ im deutschen Wald aufgestellt haben, mit denen sie aber auch Spaziergänger und andere Waldbesucher filmen. Datenschützer wollen das nicht hinnehmen.

Der rheinland-pfälzische Landesdatenschutzbeauftragte Edgar Wagner spricht von bis zu 100.000 Kameras, die bereits im Wald Videoaufnahmen machen. Massenhaft tauchen die Geräte erst seit kurzem auf, seitdem die Technik verfügbar und vor allem extrem preiswert geworden ist.

Natürlich dienen die Kameras den Jägern in erster Linie dazu, Wildbewegungen in ihrem Revier zu überwachen. Aber ebenso wie ein Eber löst natürlich auch jeder Spaziergänger den Bewegungssensor aus. Und selbst wenn gerade keine Kamera scharf gestellt ist, bleibt auf jeden Fall der „Chilling Effect“, der von jeder Überwachung ausgeht.

Der rheinland-pfälzische Datenschützer sieht keine Rechtsgrundlage für die Cams. Diese seien nur in an besonderen Stellen zulässig, Wildbrücken etwa. Deshalb droht Wagner unbeugsamen Jägern nun Bußgelder bis zu 5.000 Euro an; er will das gegebenenfalls auch vor Gericht bringen. Der rheinland-pfälzische Landesjagdverband hält die Wildkameras dagegen für ein wichtiges Arbeitsmittel der Jäger, da diese ihr Revier besser betreuen könnten. Die Jäger wollen deshalb Musterprozesse führen.

Auch in Schleswig-Holstein sind die Wildkameras mittlerweile ein Thema. Der Abgeordnete Patrick Breyer (Piraten) fordert Taten von der Regierung, nachdem auch das Unabhängige Landesdatenschutzzentrum rechtliche Zweifel geäußert hat.

Bericht in der PC-Welt

Mordfall Peggy: Freispruch naht

Der im Mordfall Peggy angeklagte Ulvi K. kann auf einen Freispruch hoffen. Gestern rückte der Psychiater Hans-Ludwig Kröber von seinem Gutachten in der ersten Prozessauflage ab. Seinerzeit hatte der Sachverständige K.s Angaben für durchaus glaubhaft gehalten.

Nunmehr relativerte Körber seine Einschätzung, berichtet die Süddeutsche Zeitung. Möglicherweise habe K. verschiedene Erlebnisebenen vermischt, auch in zeitlicher Hinsicht.

Deshalb sei es möglich, dass K. aufgrund des Drucks der zahlreichen Vernehmungen „ein plastisches Bild von einer erfundenen Situation“ gezeichnet habe. Demnach könne ein „falsches, wenn auch plausibles Geständnis“ vorliegen.

Das Gericht teilte heute mit, es werde die Beweisaufnahme vorzeitig beenden. Der Vorsitzende äußerte, bis zum heutigen Tag sei kein einziger Sachbeweis gefunden worden, der Ulvi K.s Geständnis belegen kann.

Was ist ein Strafverteidiger?

Was ist ein Strafverteidiger? Über diese Frage muss sich wahrscheinlich das Amtsgerichts Fürstenfeldbruck demnächst den Kopf zerbrechen. Dort ist ein gelernter Mechatroniker wegen Titelmissbrauchs angeklagt.

Der Mann hatte von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, für einen mutmaßlichen Schwarzfahrer im Strafverfahren als „Verteidiger“ aufzutreten. Das ist in kleineren Fällen auch für Nichtjuristen durchaus möglich. Auch wenn – zum Glück für uns Anwälte – kaum jemand mal was von dieser Vorschrift gehört hat. Einzige Hürde ist die Zulassung als Verteidiger, über die das Gericht auf Antrag entscheiden muss.

Dem Mechatroniker war es gelungen, den Richter davon zu überzeugen, dass er die – nicht besonders hohen – Anforderungen erfüllt, um als Verteidiger für den angeblichen Schwarzfahrer aufzutreten. Zur Anklage gegen ihn kam es, weil er fälschlicherweise den (eindeutig geschützten) Titel „Rechtsanwalt“ geführt haben soll. Und zwar bei der örtlichen Polizei, wo er seinen „Mandanten“ nach dessen Festnahme abholte.

Im Polizei-Protokoll soll jedenfalls vermerkt sein, der Beistand habe sich als „Rechtsanwalt“ ausgegeben. Das jedoch bestreitet der Mechatroniker. Er sagt, er habe sich lediglich als Strafverteidiger vorgestellt. Nur habe der Polizist das wohl mit Rechtsanwalt „übersetzt“ und so ins Protokoll geschrieben. Dafür sei er aber nicht verantwortlich, da er sich nicht selbst als Rechtsanwalt bezeichnet habe.

Eine durchaus geschickte und, wie ich finde, vielversprechende Verteidigungsstrategie. Einen geschützten Titel „führt“ man nämlich nur dann, wenn man sich aktiv als Rechtsanwalt, Arzt etc. ausgibt. Dass andere dich so bezeichnen, ist deren Problem.

Sollte der Polizist also eigenmächtig aus dem „Strafverteidiger“ einen „Rechtsanwalt“ gemacht haben, wäre der Betroffene wahrscheinlich vom Haken. Denn der Titel „Strafverteidiger“ wird vom Gesetz nicht geschützt.

Helfen könnte dem Mann auch ein ebenfalls wenig bekannter Umstand: Als vollwertige Strafverteidiger, die keine besondere Zulassung vom Gericht benötigen, können nicht nur zugelassene Rechtsanwälte, sondern durchaus auch andere Personen auftreten. Zum Beispiel Juraprofessoren. Nicht mal im Kern ist der Begriff Strafverteidiger also identisch mit Titel Rechtsanwalt.

Ein Urteil wurde in der Sache allerdings noch nicht gefällt. Der Mechatroniker war seinerseits mit einem Nichtanwalt als Beistand erschienen, den das Gericht allerdings aus Zweifeln an seiner Qualifikation nicht zuließ. Dagegen wurde dann prompt Beschwerde eingelegt, über die jetzt erst vor der Hauptsache entschieden werden muss.

Bericht auf merkur-online.de

Mit extrascharfer Sauce

Derzeit kriegen wir einen schönen Einblick, was Polizeiarbeit im Alltag bedeutet. Da geht es meist weniger um großangelegten Betrug oder gar Kapitalverbrechen. Sondern um die kniffelige Frage, ob ein Döner als Waffe missbraucht worden ist.

Genau das wird dem Dortmunder Fußballprofi Kevin Großkreutz zur Last gelegt. Fest steht nur: Großkreutz ließ sich am Sonntag im Kölner Nachtleben treiben und wollte einen Döner essen. Und zwar einen mit extrascharfer Sauce. Doch schon ab diesem Punkt gibt es höchst unterschiedliche Versionen.

Ein Kölner sagt, Großkreutz habe ihm den Döner ins Gesicht geworfen, was wegen der extrascharfen Sauce, die der betreffende Laden als Spezialität vertreibt, tierisch in den Augen gebrannt habe. Vorausgegangen waren möglicherweise „Großkreutz“-Rufe aus dem Publikum auf dem Boluevard. Oder aber, wie Großkreutz sagt, gezielte Provokationen in Form spontaner Gesänge, von denen er sich beleidigt fühlte.

Großkreutz sagt, er habe sich geärgert und den Döner auf die Erde geworfen. Aber auf keinen Fall ins Gesicht des Betreffenden, der ein Köln-Trikot getragen haben will. Der Imbissbuden-Besitzer soll sich erinnern, dass Großkreutz den Döner geworfen hat. Unklar ist nach seiner Aussage aber wohl bislang, wohin der Döner flog.

Die Polizei muss nun klären, was passiert ist. Eine wirklich spannende und dramatische Aufgabe. Aber allenfalls deswegen, weil der Verdächtige ein Promi ist. Ansonsten aber reden wir über die typische Dutzendware, die nicht nur den Arbeitsalltag von Streifenbeamten, sondern auch den von Kriminalkommissaren diktiert – und blockiert.

Aber vielleicht schaffen es die Beteiligten ja noch, die Sache aus der Welt zu schaffen. Das mutmaßliche Opfer könnte dann seinen Strafantrag zurücknehmen. Ich glaube kaum, dass ein Staatsanwalt Wert unbedingt Wert auf die Klärung der Frage legt, ob ein extrascharfer Döner ein „gefährliches Werkzeug“ ist.

Recht und Respekt

Der Strafprozess um die Verantwortlichen des Bankhauses Sal. Oppenheim bot gestern eine Überraschung. Zumindest aus Sicht des zuständigen Staatsanwalts. Dieser fühlte sich von der Entscheidung eines wichtigen Zeugen, die Auskunft zu verweigern, so provoziert, dass er dieses Verhalten im Gerichtssaal als „Unverschämtheit“ titulierte und auch ansonsten kräftig vom Leder zog.

Vor Gericht erschienen war Thomas Middelhoff, Ex-Bertelsmann und Arcandor-Manager. Wenn man von ihm einiges sagen kann, dann dieses: Er steckt derzeit bis über den Hals in Rechtsstreitigkeiten. Er führt Schadensersatzprozesse, er ist auf Schadensersatz verklagt, und auch die Strafjustiz ist an Middelhoff interessiert.

Vor allem letzteres ist natürlich für Middelhoff ein Grund gut zu überlegen, ob er vor Gericht was sagen will. Er entschied sich, dies nicht zu tun. Vor allem, weil der Focus am Wochenende über neue Ermittlungen gegen Middelhoff berichtet hatte. Sagte zumindest Middelhoff.

Das Ganze führt halt nun mal zu einem Auskunftsverweigerungsrecht eines Zeugen. So steht es in der Strafprozessordnung. Was den Staatsanwalt aber nicht daran hinderte, Middelhoff des fehlenden Respekts vor der Justiz zu zeihen und öffentlich sogar über die Notwendigkeit einer „Missbrauchsgebühr“ für vermeintlich renitente Zeugen zu sinnieren.

Da stellt sich in der Tat die Respektfrage – und zwar in Bezug auf den Staatsanwalt. Sein einziges Argument war wohl, dass Middelhoff bis zur Hauptverhandlung eher Bereitschaft für eine Aussage signalisiert hatte. Middelhoffs Sinneswandel, der die Terminsplanung des Gerichts sicher etwas durcheinanderwirbelt, allerdings als „Missbrauch“ zu klassifizieren, offenbart ein fragwürdiges Verständnis zu den prozessualen Rechten eines Zeugen.

Der Staatsanwalt übersieht, dass ein Auskunftsverweigerungsrecht nun mal besteht. Oder eben nicht. Besteht es nicht und beruft sich der Zeuge trotzdem darauf, kann der Staatsanwalt vor Gericht was dagegen unternehmen. Zum Beispiel Zwangsgelder festsetzen oder den Zeugen sogar ins Gefängnis werfen lassen, um ihn zu einer Aussage zu zwingen.

Der Staatsanwalt hat am gestrigen Verhandlungstag aber nichts in die Richtung beantragt. Was die Schlussfolgerung zulässt, dass der Zeuge Middelhoff mit seiner Einschätzung, er müsse nichts sagen und wolle das nun auch nicht, richtig lag. Von Middelhoff zu erwarten und es gar öffentlich zu fordern, dass er aus „Gefälligkeit“ gegenüber dem Gericht dennoch aussagt, dreht Rechte und Pflichten im Strafverfahren komplett um.

Insofern war nicht Middelhoffs Auftritt ein Desaster, sondern der des Anklagevertreters.

Bericht im manager-magazin

Mit dem Dritten sieht man alles

Vor einem Jahr habe ich über eine neuartige Video-Überwachung durch die hessische Polizei berichtet. Polizisten tragen dabei nicht Papageien, sondern Kameras auf der Schulter. Die Kameras sollen eventuelle Attacken auf Polizisten verhindern, die in Hessen ein großes Problem sein sollen.

Ein Pilotversuch in Frankfurt soll nun so erfolgreich gewesen sein, dass die Bodycams bald auch in Wiesbaden und Offenbach zum Einsatz kommen. Das hessische Innenministerium beruft sich darauf, dass sich im Testzeitraum die Übergriffe auf Polizisten spürbar verringert hätten. Von 27 auf 20. Binnen eines halben Jahres. Ich bin kein großer Statistiker, aber die Basis dieser Feststellung scheint mir doch recht dünn, und zwar zahlenmäßig und zeitlich. Wäre interessant, mal die Streubreite über einen längeren Zeitraum zu kennen und sich die neuen Fälle darauf anzuschauen, ob Übergriff früher auch gleich Übergriff heute ist.

Wiesbaden und Offenbach wurden nun als weitere „Bodycam“-Städte ausgewählt, weil es dort besonders häufig zu Übergriffen kommen soll. Insgesamt soll es im letzten Jahr 375 Fälle gegeben haben. Die meisten ereignen sich nach Angaben der hessischen Polizei zwischen 21 und 4 Uhr. Bei 46 Prozent stünden die Verdächtigen unter Alkoholeinfluss. Ob sich allerdings gerade Betrunkene überhaupt von solchen Kameras abschrecken lassen, das scheint bislang keineswegs belegt. Oder anders gesagt: Psychologisches Geschick und mehr Manpower würden der Polizeiarbeit vielleicht besser tun, als ein Dokumentationstrupp (jeder Polizist mit Bodycam muss eine Weste mit dem Aufdruck „Videoüberwachung“ tragen).

Immerhin, das sollte man auch festhalten, dürfen die Kameras nur eingeschaltet werden, wenn Angriffe gegenüber Polizeibeamten zu befürchten sind. Die Dauerüberwachung des öffentlichen Raumes, heißt es, sei nicht zulässig. Überdies müssen Aufnahmen sofort gelöscht werden, wenn sie nicht gebraucht werden.

Diese Zurückhaltung ist natürlich auf der einen Seite lobenswert, wenn man schon solche Kameras haben will. Andererseits ist es aber auch interessant, dass die Bodycams tatsächlich durchweg von offizieller Seite nur als „Maßnahme zum Schutz von Polizeibeamtinnen und -beamten“ angepriesen werden. Dabei gäbe es doch auch die Möglichkeit, fehlerhafte Abläufe auf Seiten der Polizei zu dokumentieren. Jedenfalls theoretisch. Sie wird aber noch nicht mal erwähnt.

Die hessischen Grünen finden die Bodycams übrigens gut.

Früherer Beitrag zum Thema

Kein Doppel-Storno

Hat ein Verbraucher einen Vertrag wirksam widerrufen, muss er dies nicht noch einmal bestätigen. Deshalb wies das Amtsgericht München jetzt die Zahlungsklage gegen eine Frau ab, von der ein „doppelter Widerruf“ verlangt wurde.

Die Kundin hatte einen Schwimmkurs gebucht, ihn aber online widerrufen. Das durfte sie nach dem Fernabsatzgesetz ohne Angabe von Gründen. Für den Widerruf verwendete sie das Stornierungsformular, das der Händler bereit stellte. Laut dem Unternehmen hätte die Frau aber noch einmal einen Link unter der Stornierungsbestätigung klicken müssen, damit das Storno wirksam wird.

Für so ein Prozedere gebe es keine Grundlage, befindet das Amtsgericht München. Ein einmal abgeschickter Widerruf, also solcher wird der Stornowunsch ausgelegt, müsse nicht noch einmal bestätigt werden. Dem Händler sei es anhand der Daten auch problemlos möglich gewesen, den Widerruf zuzuordnen (Aktenzeichen 261 C 3733/14).

Beredtes Schweigen

Vor dem Landgericht Frankfurt (Oder) begann heute der Prozess gegen den sogenannten Maskenmann. Dem 46-jährigen Angeklagten werden mehrere Mord- und Totschlagsversuche, Körperverletzung und räuberische Erpressung vorgeworfen.

Als Maskenmann wird der Angeklagte bezeichnet, weil er bei seinen Taten meist eine Imkermaske getragen haben soll und deshalb praktisch nicht erkennbar war. Die gesamte Anklage stützt sich deshalb vorwiegend auf Indizien.

Angesichts dieser Vorgeschichte ist es natürlich ein Statement, wie sich der mutmaßlich „Maskenmann“ heute bei Gericht vorführen ließ (Foto). Sein Gesicht versuchte er offenbar mit einem Schnellhefter zu verhüllen, wobei die klare Vorderseite allerdings auf seinem Gesicht lag. So mussten die Redaktionen das Gesicht offenbar sogar noch nachverpixeln.

Besser kann man als ansonsten schweigender Angeklagter wohl kaum sagen:

Ich war’s nicht.

Anwälte als Hartz-IV-Abzocker

Die Zahl klingt erst mal beeindruckend: Fast 40 Millionen Euro soll die Bundesagentur für Arbeit im Jahr 2012 investiert haben. Für Anwaltshonorare. Allerdings geht es nicht die Kosten irgendwelcher externer Berater. Sondern um Anwaltsgebühren wegen verlorener Hartz-IV-Verfahren.

Das hält aber zumindest Spiegel online nicht davon ab, der Sache einen bemerkenswerten Spin zu geben. Statt die hohe Zahl von Prozessen zu beklagen, welche bei der Arbeitsagentur offenkundig in die Hose gehen, werden die prozessführenden Anwälte in die Nähe von Gierhälsen gerückt. Dazu dienen dann plastische Beispiele, wonach einzelne Kanzleien mit Hartz-IV-Klagen bis zu 300.000 Euro Gebühren eingenommen haben sollen.

Jeder einzelne Cent, den die Arbeitsagentur an die Anwälte überweisen musste, beruht allerdings auf einem eigenen Fehlverhalten der Behörde. Sie hat sich eben nicht rechtmäßig verhalten und Anspruchsberechtigten Sozialleistungen vorenthalten. Das kann an den schlecht gemachten Gesetzen liegen. Aber auch an dem Verhalten der einzelnen Jobcenter, welche die Vorschriften mitunter sehr kassenfreundlich auslegen.

Dass Anwälte, was wohl vorkommt, massenweise Verfahren um die gleiche Sache führen können, liegt halt daran, dass die Agentur ebenso massenweise vorher die Vorgaben der Sozialgerichte missachtet. Was trotz der hohen Erfolgsquote für die Arbeitsagentur immer noch lukrativ sein könnte. Betroffene wehren sich nämlich nur gegen einen Bruchteil der Bescheide, die Masse unrechtmäßiger wird klaglos geschluckt.

Interessante Hintergründe berichtet mein Anwaltskollege Christian Wolf in seinem Blog. Wolf vertritt Hartz-IV-Empfänger vor Gericht.

Grundlage für den SpOn-Artikel ist das druckfrische Buch „Vorsicht Rechtsanwalt: Ein Berufsstand zwischen Mammon und Moral“ von Joachim Wagner,der auch mit mir im Vorfeld über die Anwaltszunft gesprochen hat. Ob ich es bis ins Buch geschafft habe, weiß ich allerdings noch nicht.

Nachtrag: Spiegel online hat jetzt auch einen ausführlichen Beitrag von Joachim Wagner zum Thema