Zeuge geht einen trinken

Im NSU-Prozess ist heute morgen ein Zeuge nicht erschienen, weil er nach eigenen Angaben auf dem Weg zum Prozess in München in einer Kneipe noch was trinken musste. So lautete jedenfalls die telefonische Entschuldigung, welche der Zeuge laut dem Vorsitzenden Richter auf der Geschäftsstelle hinterließ.

Auch wenn man vor Gericht natürlich grundsätzlich die Wahrheit sagen soll, erstreckt sich die Wahrheitspflicht im engeren Sinne nur auf die eigentliche Zeugenaussage. Also auf das, was der Zeuge im Zeugenstand erklärt. Wer die Umstände einer möglichen Verhinderung telefonisch oder in einer Nachricht etwas kreativer formuliert als der ausgebliebene Zeuge, verhält sich demnach zwar nicht korrekt. Er begeht aber kein strafbares Aussagedelikt, wenn er der Deutschen Bahn die Schuld in die Schuhe schiebt. Oder einer Autopanne.

Das Schlimmste, was einem auch nachträglich nicht ausreichend entschuldigten Zeugen passieren kann, ist ein Ordnungsgeld. Dieses kann allerdings schnell mal ein paar hundert Euro betragen. Außerdem hat das Gericht die Möglichkeit, dem Zeugen die Kosten des Verhandlungstermins aufzuerlegen. Das kann richtig teuer werden, vor allem wenn Anwälte, Sachverständige oder Zeugen angereist sind.

Im Wiederholungsfall bleibt es möglicherweise nicht beim Ordnungsgeld. Der Zeuge kann dann zwangsweise vorgeführt werden, was für ihn möglicherweise eine unangenehme Wartezeit, meist eine Nacht im Polizeigewahrsam, bedeuten kann.

Esel sollen nicht einsam bleiben

Einsame Esel haben Hilfe verdient, jedenfalls wenn sie echte Esel sind. Das Verwaltungsgericht Trier musste sich jetzt mit so einem armen Tier beschäftigen.

Ein Eselhengst wurde auf einem Privatgrundstück ganz allein gehalten, und das seit mehreren Jahren. Nach Feststellungen des Amtstierarztes zeigte das Tier bereits Verhaltensauffälligkeiten, was auf fehlende Gesellschaft zurückzuführen sei.

Auch ein Esel habe Anspruch auf soziale Kontakte, meinte nun das Gericht. Dies ergebe sich aus dem Grundsatz, dass Tiere artgerecht gehalten werden müssen. Sie ordneten nun die „Vergesellschaftung“ des Tieres an. Das bedeutet, der Halter muss entweder weitere Esel anschaffen. Oder sein Tier abgeben.

Da ältere Esel aber mitunter ihr Revier störrisch verteidigen, müsse bei dem Tier geprüft werden, ob sich sein Aggressionspotenzial verringern lasse. Hierzu gebe es auch geeignete Maßnahmen, etwa die Kastration. Was der Esel letztlich davon hält, bleibt Spekulation (Aktenzeichen 6 K 1531/13.TR).

Terrier Pauli siegt vor Gericht

Terrier-Mischling Pauli ist acht Jahre alt und stammt aus dem Tierheim. Sein Frauchen hat für ihn „nur“ 175 Euro bezahlt. Aber macht ihn das Pauli zu einem Hund zweiter Klasse? Nein, befindet das Amtsgericht München in einem durchaus tierlieben Urteil.

Paulis Frauchen war in einem Tankstellenshop einkaufen. Pauli hatte sie vor der Tankstelle im Eigangsbereich angeleint. Das wiederum übersah ein Autofahrer, der in die Tankgasse zwischen Eingang und Zapfsäulen einbog. Er fuhr Pauli an, wobei sich der Hund eine Bänderschädigung an den Hinterläufen zuzog. Außerdem brach sich Pauli zwei Mittelfußknochen.

Für Paulis Operation und weitere Besuche beim Tierarzt zahlte das Frauchen insgesamt 2.200 Euro. Die Versicherung des Autofahrers wollte aber nichts, aber auf jeden Fall nicht so viel zahlen. So machte sie geltend, Pauli sei doch ganz billig gewesen. Außerdem sei er schon acht Jahre alt und auch ansonsten nicht mehr der Gesündeste.

So nicht, befand die zuständige Richterin. Sie verweist darauf, dass nach der Novelle des Tierschutzrechts im Jahr 1990 der Wert eines Tieres und sein Alter nur eine untergeordnete Rolle spielen. Tierarztkosten seien allenfalls dann unverhältnismäßig, wenn der Erfolg einer Therapie fragwürdig sei. Hier sei aber von vornherein klar gewesen, dass Pauli wieder gesund werden könnte.

Dennoch muss der Autofahrer nur 75 Prozent der Kosten erstatten. Das Gericht rechnete Paulis Halterin ein Mitverschulden an, weil sie Pauli nicht so fest angeleint hatte, dass nicht in die Tankgasse laufen konnte (Aktenzeichen 344 C 1200/13).

Zschäpe hat noch Möglichkeiten

Im Münchner NSU-Verfahren soll es heute nachmittag genau so weitergehen wie bisher. Der zuständige Senat des Oberlandesgerichts hat nach Medieninformationen den Antrag der Angeklagten Beate Zschäpe abgelehnt, ihre bisherigen Pflichtverteidiger auszutauschen.

Das Gericht hat Zschäpes Stellungnahme geprüft, schreibt etwa die FAZ. Nach Auffassung der Richter habe es die Angeklagte nicht geschafft darzulegen, dass das Vertrauenverhältnis zu ihren Anwälten nachhaltig erschüttert ist. Nur unter dieser Voraussetzung wird aber ein Pflichtverteidigerwechsel (oder die Bestellung weiterer Anwälte zu Pflichtverteidigern) für zulässig gehalten.

Die Entscheidung bahnte sich schon mit der Information an, dass Zschäpe nur eine sehr kurze Stellungnahme beim Gericht eingereicht hat. Es sprechen auch keine Informationen dafür, dass derzeit schon andere andere Anwälte für sie arbeiten. Ebenso wenig ist bislang bekannt, ob sich Zschäpes drei Pflichtverteidiger inhaltlich gegenüber dem Gericht geäußert haben.

Es sieht also derzeit so aus, als ob die Aktion ein Schnellschuss war. Zschäpe muss aber jetzt nicht zwangsläufig alleine mit ihren bisherigen Anwälten auskommen. Es steht ihr nach wie vor jederzeit frei, bis zu drei eigene Verteidiger als „Wahlanwälte“ zu beauftragen. Pflichtverteidiger werden auf diese Quote nicht angerechnet. Allerdings müssten sich dann erst mal Anwälte finden, die bereit sind, ohne Alimentierung durch die Staatskasse in den Fall einzusteigen.

Selbst wenn Zschäpe auf eigene Rechnung Anwälte organisiert, wird sie ihre bisherigen Pflichtverteidiger kaum los. Das Gericht wird kaum das Risiko eingehen, dass die Wahlverteidiger wieder abspringen und das Verfahren platzt, weil Zschäpe ohne Anwalt da steht. Die bisherigen Pflichtverteidiger würden also zur Verfahrenssicherung mit an Bord bleiben müssen.

Ob Zschäpe weiter mit ihnen kommuniziert, wäre eine andere Frage.

Cannabis-Eigenanbau ist nicht grundsätzlich illegal

Privater Cannabisanbau könnte in Deutschland bald legal werden – zumindest für schwerkranke Schmerzpatienten. Das Verwaltungsgericht Köln sprach heute ein Urteil, wonach die Behörden privaten Cannabisanbau zu therapeutischen Zwecken nicht grundsätzlich verbieten können. Vielmehr, so das Gericht, müsse jeder Einzelfall genau geprüft werden.

Gegen das Anbauverbot hatten fünf Menschen mit chronischen Schmerzen geklagt. Sie besitzen bereits eine Erlaubnis zum therapeutischen Konsum von Cannabisblüten. Sie wollten die notwendige Menge Cannabis aber selbst anbauen und verarbeiten, weil sie die Kosten für das von kommerziellen Anbietern hergestellte Cannabis nicht aufbringen können und auch ihre Krankenversicherungen nicht zahlen.

Das zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hatte den privaten Anbau aber grundsätzlich abgelehnt. Das Verwaltungsgericht Köln bewertet die Sachlage anders. Nach Auffassung des Gerichts kommt es maßgeblich darauf an, ob der Cannabisanbau so gestaltet werden kann, dass Dritte sich nicht an den berauschenden Blüten bedienen können.

In drei Fällen sah das Gericht die Voraussetzungen für gegeben an. Die Wohnungen der Patienten seien hinreichend „sicher“ gestaltet. In einem anderen Fall war das Gericht der Meinung, dass die Wohnung nicht für den Cannabisanbau geeignet ist. Ein Kläger blieb erfolglos, weil er noch nicht alle anderen zumutbaren Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft hat.

Der Aufsichtsbehörde bleiben nach Auffassung des Gerichts genug Möglichkeiten, den Anbau zu kontrollieren. Das richtige Instrumentarium seien entsprechend strenge Auflagen, aber eben kein pauschales Verbot.

Das letzte Wort ist damit jedoch wohl noch nicht gesprochen. Das Verwaltungsgericht hat die Berufung gegen die Urteile zugelassen (Aktenzeichen u.a. 7K 4447/11).

Keine Käfige für Angeklagte

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte beanstandet die russische Praxis, Angeklagte im Gerichtssaal in einen Käfig zu sperren. In einem Urteil spricht der Gerichtshof zwei Verurteilten insgesamt 20.000 Euro Schmerzensgeld zu.

Nach Auffassung des Gerichts ist die Käfighaltung von Angeklagten „unvereinbar mit den Maßstäben eines zivilisierten Verhaltens, das zu den Grundsätzen einer demokratischen Gesellschaft gehört“. Russland habe sich mit Unterzeichnung der Menschenrechtskonvention aber verpflichtet, genau diese Standards einzuhalten. Die Käfige seien als Herabwürdigung und Erniedrigung einzustufen.

Vor dem Richterspruch hatte sich bereits eine Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in diesem Sinne geäußert. Gegen das Urteil legte Russland aber Berufung ein, die nun aber keinen Erfolg hatte (Aktenzeichen 32541/08 and 43441/08).

Ein fürsorglicher Richter

Es kommt schon mal vor, dass Anwälte zu Verhandlungsterminen verhindert sind. Sie haben ja meist nicht nur einen Mandanten. So ging es mir neulich auch. Meist geht das mit der Terminsverlegung zivil ab. Am Ende telefoniert man sich halt zusammen, und es findet sich schon eine Lücke in den Terminkalendern. Aber bei einem Vorsitzenden Richter an einem Landgericht stieß ich neulich auf Granit. Er wollte den Verhandlungstermin partout nicht verlegen…

Interessanterweise führte er in unserer Korrespondenz keinerlei Gründe dafür an, warum er meinem Antrag nicht stattgeben kann. Ein Grund hätte sein können, dass das Gericht in absehbarer Zeit schlicht nichts frei hat. So eine Situation führt dann dazu, dass das Gericht die sachlichen Gründe auf beiden Seiten abwägt und halt auch begründet, warum der Termin nicht aufgehoben werden kann.

Ich erfuhr aber partout nicht, wieso bei einer Terminsverlegung die Welt untergehen muss. Deshalb legte ich außerordentliche Beschwerde ein. Darüber hätte dann das Oberlandesgericht entscheiden müssen. Wäre da nicht die Stellungnahme zu meiner Beschwerde gewesen, mit welcher der Richter nun doch schriftlich „begründete“, warum er den Termin nicht verlegen wollte.

Auch hier kein Wort von Terminsproblemen oder ähnlichem. Sondern der denkwürdige Satz, jetzt bitte festhalten, auch gerade aufgrund der Fürsorgepflicht des Gerichts für den Angeklagten erscheine es angemessen und zumutbar, dass dieser sich einen Rechtsanwalt sucht, der den anberaumten Termin auch wahrnehmen könne.

Die freie Anwaltswahl ist im Rechtsstaat ein ziemlich hohes Gut. Eigentlich sollte da ein Richter nicht reinreden und mitbestimmen wollen. Was hier ja mehr als offensichtlich versucht wurde. Das Ganze noch in den Deckmantel einer Fürsorgepflicht – also im Still guter Richter hilft Angeklagten gegenüber bösem Anwalt – zu hüllen, das war mir dann zu viel.

Mein Mandant lehnte den Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ab.

Der Richterin einer anderen Strafkammer, die über den Befangenheitsantrag entscheiden durfte, hatte wohl ein ähnlich schlechtes Gefühl. Sie gab dem Gesuch kommentarlos statt. Der Verhandlungstermin hat sich damit natürlich auch erledigt.

Das Ende des Abmahnwahns?

In meiner aktuellen Kolumne für die Website der ARAG beschäftige mich mit der Frage, ob die Abmahnflut beim Filesharing ihren Scheitelpunkt längst hinter sich gelassen hat.

Jedenfalls war es nie erfolgversprechender als heute, sich gegen solche Abmahnungen zur Wehr zu setzen. Das liegt an mehreren Faktoren, unter anderem nutzerfreundlicheren Gerichtsurteilen und der Abschaffung des fliegenden Gerichtsstandes.

Meine gesamte Bestandsaufnahme zum Theme Filesharing ist hier nachzulesen.

Abschiebehaft darf nicht im Knast vollzogen werden

Abschiebehäftlinge dürfen nicht in normale Gefängnisse eingesperrt werden. Der Europäische Gerichtshof erklärt diese Praxis in einem Urteil vom heutigen Tage für rechtswidrig. Das Urteil richtet sich in erster Linie gegen die Bundesrepublik Deutschland. Verhandelt wurden die Fälle von der Ausweisung bedrohter Ausländer, die in normalen deutschen Gefängnissen einsitzen mussten.

Die Rückführungsrichtlinie der EU untersagt im Normalfall ausdrücklich die Gefängnishaft für Menschen, die aus einem Mitgliedsland abgeschoben werden sollen. Vielmehr müssen die Mitgliedsstaaten Einrichtungen schaffen, die strikt von normalen Gefängnissen getrennt sind und im Zweifel lockerere Haftbedingungen bieten.

Daran hat man sich in Deutschland aber über viele Jahre nicht gehalten. Ihr Verhalten begründeten die betroffenen Bundesländer, etwa Bayern und Hessen, reichlich lapidar. Da es bei ihnen keine Einrichtungen für die Unterbringung von Abschiebehäftlingen gebe, müssten diese halt gemeinsam mit Strafgefangenen eingesperrt werden.

Die für Abschiebehaft zuständigen Richter am Landgericht München I und am Bundesgerichtshof hatten Zweifel, ob so ein pragmatisches Argument eine EU-Richtlinie faktisch außer Kraft setzen kann. Sie wandten sich an den Europäischen Gerichtshof, der über die Auslegung des EU-Rechts abschließend zu entscheiden hat. Die Antwort fiel jetzt recht deutlich aus. Danach haben Bundesländer die Pflicht, geeignete Unterbringungsmöglichkeiten zu schaffen. Das können sie ggf. auch gemeinsam mit anderen Ländern machen. Nichtstun, so das Gericht im Ergebnis, sei keine Alternative.

Klare Worte findet der Europäische Gerichtshof auch zu der Frage, ob ein Ausländer wirksam darin einwilligen kann, dass seine Abschiebhaft in einem Gefängnis vollzogen wird. Das Land Bayern hatte sich darauf berufen, eine Vietnamesin habe doch schriftlich ihrem Gefängnisaufenthalt zugestimmt. Eine derartige Erklärung, so der Europäische Gerichtshof, ist schlicht unbeachtlich (Link zum Urteil).

Anklage gegen Sebastian Edathy

Die Staatsanwaltschaft Hannover wird heute Anklage gegen den früheren Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy erheben. Vorgeworfen wird Edathy in der Anklageschrift der Besitz kinderpornografischer Bilder und Videos, berichtet die Deutsche Presseagentur.

Laut dem Bericht sollen Links zu Internetseiten Edathy überführen, welche Ermittler in einer Sicherheitskopie von Edathys Dienst-Laptop gefunden haben wollen. Edathy selbst hatte das Gerät im Februar 2014 als gestohlen gemeldet.

Wenn die Nachricht zutrifft, hätte man bei Edathy selbst also nicht unmittelbar strafbare Inhalte gefunden. Die Beweisführung wird für die Anklagebehörde deshalb mit Unwägbarkeiten behaftet sein. Die wichtigsten:

1. Links als solche sind nicht strafbar, auch wenn sie zu kinderpornografischen Seiten gehen. Wenn sich im System eines Computers also lediglich Links finden, sind diese allenfalls ein Indiz dafür, dass der Beschuldigte die Seiten aufgerufen hat. Das wäre dann im einzelnen zu belegen, auch, dass dies vorsätzlich geschah – und zwar durch Edathy selbst. Außerdem müsste vorab natürlich genau geklärt werden, welche Inhalte zum fraglichen Zeitpunkt tatsächlich hinter dem Link stecken.

Das kann gelingen, muss aber nicht. Nach meiner Erfahrung erheben Staatsanwälte in der Regel nur eine Anklage, wenn sich tatsächlich kinderpornografische Darstellungen im Besitz des Beschuldigten finden. Ob sich tatsächlich auch genau die Dateien finden, die Anlass für die Ermittlungen waren, spielt dabei allerdings keine Rolle.

2. Das Strafgesetzbuch stellt an der untersten Schwelle der Strafbarkeit den Versuch unter Strafe, sich den Besitz kinderpornografischer Schriften zu verschaffen. Das ist mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bedroht. Wie allerdings der Begriff des „Besitzes“ zu verstehen ist, ist nach wie vor nicht abschließend geklärt.

Es gibt Urteile, die schon vom Besitz ausgehen, wenn strafbare Inhalte am Computer nur betrachtet werden. Begründet wird der nun mal vom Gesetz geforderte „Besitz“ dann meist mit dem Argument, die Dateien würden beim Betrachten ja immerhin im Arbeitsspeicher des Geräts zwischengespeichert. Das soll dann Unterschied ausmachen, etwa zu dem Fall, dass jemand in der Wohnung eines Dritten dessen kinderpornografische Schriften betrachtet. In diesem Fall läge weder Besitz noch Besitzverschaffungswille vor. Mit der Folge, dass das bloße Betrachten in dieser Konstellation straflos bleibt.

Die sehr weitgehende Interpretation des Besitzbegriffs wird von Juristen kritisiert, mitunter auch von Instanzgerichten. Sie verweisen darauf, dass Besitz als tatsächliche Verfügungsgewalt definiert ist und deshalb auch eine zeitliche Komponente gegeben sein muss. Also der Wille, über die Darstellungen länger als nur für das unmittelbare Betrachten nötig zu verfügen. Das wiederum würde dann voraussetzen, dass der Betrachter die Inhalte willentlich abspeichert.

3. Fraglich wird natürlich auch sein, ob sich Edathy nicht auf ein Verwertungsverbot berufen kann. Er macht ja geltend, seine Immunität als Bundestagsabgeordneter sei nicht beachtet worden. Außerdem stellt sich nach wie vor die Frage, ob die Durchsuchungen bei Edatyh überhaupt hätten stattfinden dürfen, da er Auslöser der Ermittlungen ja der Kauf nicht strafbarer Videos gewesen ist. Man kann also durchaus darüber nachdenken, ob überhaupt ein Anfangsverdacht vorgelegen hat.

Das Landgericht Hannover hat Edathys Beschwerde in diesem Punkt zwar zurückgewiesen. Das bedeutet aber nicht, dass Edathy diese Einwände nicht auch noch im ja noch anstehenden Strafprozess weiter erheben kann. Zunächst wird jetzt aber das für die Anklage zuständige Gericht prüfen müssen, ob es die Anklage überhaupt zulässt.

Mastkamera muss eingefahren bleiben

Das Verwaltungsgericht Hannover stärkt die Versammlungsfreiheit. Nach einer aktuellen Entscheidung müssen es friedliche Demonstranten nicht hinnehmen, wenn die Polizei eine vier Meter hohe Mastkamera ausfährt, um die Veranstaltung filmen zu können.

Ein Teilnehmer der Demo „Farbe bekennen – für Demokratie und Vielfalt“ in Bückeburg im Januar 2012 hatte dagegen geklagt, dass die Polizei ihren Beweis- und Dokumentationstrupp in eine Art Voralarm versetzte. Zu diesem Zweck war die Mastkamera auf etwa zwei Meter ausgefahren, hat das Geschehen laut Polizei aber nicht gefilmt. Die Bereitschaft war nach Meinung der Polizei notwendig, weil es möglicherweise Ausschreitungen geben könnte.

Das Verwaltungsgericht Hannover verweist darauf, dass es auch eine „innere“ Versammlungsfreiheit gibt. Diese sei nicht mehr gewährleistet, wenn Demoteilnehmer den Eindruck hätten, dass die Polizei die gesamte Versammlung filmt. Schon die mögliche Beobachtung schrecke Menschen ab, von ihrem Grundrecht Gebrauch zu machen. Ob tatsächlich gefilmt wird, spiele hierbei keine Rolle.

Laut dem Gericht darf die Polizei nach dem niedersächsischen Versammlungsgesetz nur dann filmen, wenn ein unfriedlicher Verlauf der Versammlung unmittelbar bevorstehe. Diese konkrete Gefahr lag aber auch nach Angaben der Polizei nicht vor. Dass die eingefahrene Mastkamera erst nach ca. 40 Sekunden einsatzbereit ist, muss im Ernstfall hingenommen werden, so das Gericht (Aktenzeichen 10 A 226/13).

Links 949

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Beate Zschäpe mag ihre Anwälte nicht mehr

Die im Münchner NSU-Verfahren angeklagte Beate Zschäpe hat dem Oberlandesgericht heute mitgeteilt, sie habe kein Vertrauen mehr in ihre Verteidiger. Das twittert ARD-Korrespondent Holger Schmidt. Nach weiteren Meldungen hat der Strafsenat die Verhandlung für heute und morgen daraufhin abgesagt.

Noch ist unklar, worauf Zschäpe die Vorbehalte gegen ihre Verteidiger Anja Sturm, Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl stützt. Alle drei sind als Pflichtverteidiger tätig. Somit steht jedenfalls eines fest: Einfach feuern kann Zschäpe ihre Anwälte nicht. Das geht komplikationslos nur bei sogenannten Wahlanwälten. Diese sind nicht als Pflichtverteidiger vom Gericht beigeordnet. Der Angeklagte bezahlt sie – im Idealfall – aus eigener Tasche.

Das Gericht muss an sich nun prüfen, ob die Gründe für eine förmliche Entpflichtung der Anwälte, also die Aufhebung des Pflichtverteidigermandates, ausreichen. Hierzu bedarf es aber normalerweise eines schwerwiegenden Pflichtverstoßes durch den Anwalt. Oder das Vertrauen muss aus nachvollziehbaren Gründen so zerrüttet sein, dass es offensichtlich nicht mehr geht. Anders gesagt: Nur vorübergehende (oder gar eingebildete) Friktionen zwischen Angeklagtem und Anwalt reichen nicht aus.

Allerdings vermute ich, dass weder die bisherigen Anwälte noch Zschäpe ausgerechnet den Strafsenat zu tief in die Problematik blicken lassen wollen. Ein anderes Szenario erscheint viel wahrscheinlicher. Nämlich dass Zschäpe und die Anwälte das Gericht einvernehmlich um Auflösung der Mandate bitten. Gleichzeitig wird Zschäpe Anwälte benennen, die bereit sind, sie weiter zu verteidigen, ohne dass es zu Zeitverzögerungen – etwa durch einarbeitungsbedingte Verhandlungspausen – kommt.

Wichtigster Punkt dürfte allerdings die Zusage der neuen Anwälte sein, dass durch ihre Beiordnung keine Mehrkosten entstehen. Das würde bedeuten, sie könnten gegenüber der Staatskasse nur künftige Verhandlungstage abrechnen. Nicht aber die diversen allgemeinen Grundgebühren für sonstige Tätigkeiten, die zusätzlich anfallen. Bei einer kostenneutralen Lösung versperren sich Gerichte normalerweise keinem Wechsel des Pflichtverteidigers.

Sollte das nicht so laufen, könnte Zschäpe auch zunächst auf eigene Kosten weitere Anwälte an Bord holen. Bis zu drei Verteidiger kann jeder Angeklagte frei beauftragen. (Vorhandene Pflichtverteidiger zählen hierbei nicht.) Allerdings würden die dann eben zunächst ohne Pflichtverteidigermandat tätig werden müssen. Das Gesetz sagt zwar weiter, dass Pflichtverteidiger entpflichtet werden sollen, wenn sich gewählte Anwälte melden. Allerdings hat das Gericht das Recht, dies doch nicht zu tun – wenn es zur Sicherung des Verfahrens dient.

Davon würde der Strafsenat hier aber garantiert Gebrauch machen und nicht das Risiko eingehen, dass Zschäpe plötzlich eines Morgens ganz ohne Anwälte da sitzt. Zschäpe müsste sich also damit arrangieren, dass ihre bisherigen Anwälte sie neben den neuen Anwälten weiter verteidigen. Das wäre sicher keine angenehme Situation. Gerade nicht für Sturm, Stahl und Heer, die dann ja faktisch so was wie ein fünftes Rad am Wagen wären. Wehren könnten sich die drei Verteidiger allerdings kaum. Wie der Begriff Pflichtverteidigung schon sagt.

Gerichtsunterlagen gehören nicht ins Netz

Das Web 2.x machte uns alle zu Publishern – wenn wir es denn möchten. Das führt natürlich dazu, dass auch Betroffene von Strafverfahren Dokumente ins Netz stellen. Zum Beispiel die Anklageschrift. Das ist jedoch meist keine gute Idee, denn die Veröffentlichung ist ihrerseits eine Straftat. Dies hat das Bundesverfassungsgericht in einem aktuellen Beschluss bestätigt.

Ein Angeklagter hatte Teile der Anklageschrift und den Eröffnungsbeschluss des Gerichts auf seine Homepage gestellt. Hierfür kassierte er gleich noch eine Anklage – wegen verbotener Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen. Die Vorschrift untersagt die Veröffentlichung von amtlichen Dokumenten aus Ermittlungs- und Gerichtsakten, bevor diese in der Hauptverhandlung erörtert worden oder das Verfahren abgeschlossen ist.

Um diese Strafvorschrift gibt es immer wieder Ärger, denn sie schränkt die Meinungsfreiheit ein, und zwar ganz erheblich. Dennoch sieht auch das Verfassungsgericht einen praktischen Nutzen. Die Vorschrift soll demnach verhindern, dass Zeugen, Gericht und andere Beteiligte durch die Veröffentlichung beeinflusst werden. Mit einem vermeintlichen Schutz des Angeklagten vor sich selbst mochte das Gericht doch nicht argumentieren. Stattdessen weist es darauf hin, es könnten ja auch Mitangeklagte und Nebenkläger in ihren Persönlichkeitsrechten betroffen sein.

Das alles heißt freilich nicht, dass die fraglichen Dokumente tatsächlich „geheim“ bleiben müssen. Denn das Gesetz untersagt nur die Wiedergabe „im Wortlaut“. Es ist also durchaus zulässig, den Inhalt der Papiere in indirekter Rede mitzuteilen. Wer nicht nur scannen, sondern auch formulieren kann, ist hier klar im Vorteil. Trotz dieser Umgehungsmöglichkeit hält das Verfassungsgericht die Vorschrift im Ergebnis (noch) für nützlich. Immerhin, so meinen die Richter, erwecke nur die wörtliche Wiedergabe den „Eindruck amtlicher Authentizität“.

Strafbar ist übrigens auch nur die Wiedergabe des gesamten Dokuments oder „wesentlicher“ Teile (Aktenzeichen 2 BvR 429/12).

Schaum drüber

Schon mal gewundert, woher die unterschiedlichen Hinweise zur Haltbarkeit auf Kosmetikverpackungen herkommen? Das Landgericht Wuppertal erklärt diese komplexe Materie – es geht schließlich um EU-Verordnungen – anhand eines Nassrasierers mit integriertem Seifenblock.

Gestritten wurde darum, ob ein Rasierer mit dem schönen Namen Intuition Naturals Sensitive Care (Amazon Partner-Link) ein Mindesthaltbarkeitsdatum aufweisen muss. Klingt erst mal ungewöhnlich, da Rasierer eher als nicht verderblich gelten.

Allerdings beanstandete die Konkurrenz, der Hersteller umgebe seine Rasierklingen mit einem Seifenblock, der laut der Werbung bei der Nassrasur praktischerweise schäumt und ganz doll pflegt. Mit dieser Sonderausstattung, so das Gericht, sei erst mal eindeutig ein kosmetisches Produkt im Sinne der einschlägigen EU-Verordnung gegeben. Bei kosmetischen Produkten müsse die Mindesthaltbarkeit genannt werden, sofern das Produkt weniger als 30 Monate haltbar sind. Ist das kosmetische Produkt – wie die schäumenden Einmalrasierer – mehr als 30 Monate haltbar, muss auf der Packung nur stehen, wie lange es nach dem Öffnen verwendet werden kann.

Wieder was gelernt (Aktenzeichen 12 O 38/13).