Seit heute morgen wird der Chef des Axel-Springer-Verlags vorgeführt. Die Zeit veröffentlicht etliche mutmaßlich echte Nachrichten von ihm persönlich und aus seinem beruflichen Umfeld. Sieht so aus, als wäre Mathias Döpfner emsiger, um nicht zu sagen obsessiver Mail- und Chatnachrichtenproduzent. Döpfner ist nicht der erste und sicher auch nicht der letzte, dem sich – zu spät – eine bittere Wahrheit über unsere heutige Kommunikation aufdrängen dürfte: Wer schreibt, der bleibt. Und das ist gar nicht gut.
Das gesprochene Wort, vor allem in Form des Telefonats, ist auf dem Rückzug. Als ich vor knapp 30 Jahren mein Büro eröffnete, klingelte das Telefon alle paar Minuten. Wenn ich spätnachmittags von Gerichtsterminen zurückkam, stapelten sich die Rückrufbitten. Heute ist es meist angenehm still. Dafür läuft das E-Mail-Postfach über. Und das Piepen der Messenger-Dienste würde mich in den Wahnsinn treiben, hätte ich nicht irgendwann in den Tiefen irgendwelcher Untermenüs die Stummschaltung entdeckt.
Jeder „schreibt“ nur noch. Auch im Privaten. Vorher nicht schriftlich vereinbarte Telefonate gelten mittlerweile als leichte Form der Körperverletzung. Das kann man gut finden – bis es einen dann döpfnerisiert. Am augenfälligsten ist die flächendeckende Sorglosigkeit natürlich bei meiner Kernklientel. Also mutmaßlichen Straftätern. Oft muss der Staatsanwalt nur die CD mit den WhatsApp-Chats senden, die sich irgendwo immer auf dem Handy eines Mitglieds der betreffenden Labergruppe finden – oder im automatischen Backup in der Cloud. Eine Freispruchverteidigung aus Mangel an Beweisen schrumpft da schnell zur Strafmaßverteidigung. Und mündet im Stoßseufzer des Mandanten über sich selbst: „Wie kann man nur so bescheuert sein?“
Das gesprochene Wort hat in Punkten Vertraulichkeit deutliche Vorteile, nicht nur bei den harten und/oder smarten Jungs. Wer ein persönliches Gespräch oder Telefonat mitschneidet, muss erst mal auf die Idee kommen und das technisch umsetzen. Außerdem macht man sich strafbar (§ 201 StGB), und illegal mitgeschnittene Gespräche sind deswegen oft unverwertbar – auch im Zivilrecht. Natürlich kann der Staat schon mal mithören. Aber erst nach richterlicher Anordnung. Mit Wirkung in die Zukunft. Das ist etwas ganz anderes als die telefonbuchdicken Kladden, in denen man sich seine (Stand heute) liebsten Chatverläufe sogar ausdrucken lassen kann.
Jedes geschriebene Wort schleppt man wie einen Mühlstein mit sich rum. Unweigerlich. Und mutmaßlich auf ewig, denn irgendein Speichermedium findet sich wie gesagt fast immer. Auch privat kann einem die Schreibfreue auf die Füße fallen. Wenn sich eine Partnerschaft in Ablehnung wandelt. Oder eine Freundschaft in Hass. Chats und Mails lassen sich instrumentalisieren, das persönlich oder telefonisch gewechselte Wort hätte sich längst vaporisiert. (Im Gegensatz übrigens zu den heute so beliebten Sprachnachrichten.)
Man muss es ja nicht gleich so übertreiben, wie ein österreichischer Anwalt, mit dem ich einige Male das Vergnügen hatte. Wenn du mit ihm kommunizieren wolltest, musstest du ihn in Wien aufsuchen. Immerhin hat er es unbehelligt bis in den verdienten Ruhestand geschafft.