Abmahnung für Googles Mail-Scanner

Die Verbraucherzentralen legen sich weiter mit Google an. Die Datenschutzerklärung des Konzerns entspricht nach ihrer Meinung noch immer nicht dem deutschen Recht.

So hält es der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) für unzulässig, dass Google sich das Recht einräumt, die E-Mails seiner Kunden automatisiert zu scannen. Auf dieser Grundlage soll dann personalisierte Werbung eingeblendet werden. Der vzbv hält das für rechtswidrig, weil es an einer wirksamen Einwilligung in diese intensive Art der Datenauswertung fehle.

Der vzbv hält eine ausdrückliche und gesonderte Einwilligung des Nutzers in das Scannen der Mails für zwingend erforderlich. Die globale Zustimmung zu der ellenlangen Datenschutzerklärung, in welcher der E-Mail-Scan erwähnt werde, reiche nicht aus.

Außerdem beanstandet der vzbv eine Klausel, nach der nur für die Weitergabe „sensibler Kategorien“ von personenbezogenen Daten eine ausdrückliche Einwilligungserklärung notwendig ist. Eine Unterscheidung zwischen „sensiblen“ und anderen personenbezogenen Daten ist nach Ansicht des vzbv mit den deutschen Datenschutzvorschriften nicht vereinbar.

Google soll nun bis zum 26. Januar eine Unterlassungserklärung abgeben. Ansonsten will der vzbv klagen.

Vermieter muss selbst an Abrechnung denken

Vermieter müssen jährlich eine Betriebskostenabrechnung erstellen. Wichtig ist dabei, dass die Abrechnung spätestens innerhalb eines Jahres nach Ende des Abrechnungszeitraums (z.B. Kalenderjahr) vorliegen muss (§ 556 BGB).

Diese Frist hatte ein Vermieter für das Jahr 2012 verpasst. Dennoch wollte er von seinem Mieter noch knapp 1.000 Euro Nachzahlung. Seine Begründung: Die Frist galt für ihn nicht, denn der Mieter habe ihn nicht an die Betriebskostenabrechnung erinnert.

Dieser Argumentation erteilt das Landgericht Berlin eine Absage. Der Vermieter müsse selbst an die Frist denken. Sein Mieter müsse sich dagegen keine Gedanken machen oder sich aktiv melden. Anders könne es höchstens sein, wenn schon konkreter Streit bestehe. Das war aber nicht der Fall (Aktenzeichen 63 S 73/15).

Kein Tempolimit am „Ende der Autobahn“

Das Schild „Ende der Autobahn“ bedeutet keine Geschwindigkeitsbegrenzung. Das Oberlandesgericht Hamm hob die Verurteilung eines Autofahrers auf, der auf der Autobahn 52 im Stadtgebiet Essen das Schild passiert hatte und dann mit 76 km/h geblitzt wurde. Der Mann sollte ein Bußgeld zahlen, weil innerorts nur Tempo 50 erlaubt sei.

Laut dem Oberlandesgericht bedeutet das Schild nur, dass die besonderen Regeln für die Autobahn nicht mehr gelten. Daraus ergebe sich aber noch kein besonderes Tempolimit. Tempo 50 hätte an der Stelle höchstens dann gegolten, wenn dies angeordnet war oder der Autofahrer noch ein Ortseingangsschild passiert hätte. Dass dies der Fall war, hatte die Vorinstanz aber nicht festgestellt.

Das Oberlandesgericht Hamm weist darauf hin, dass es noch einen weiteren Grund für Tempo 50 geben kann. Wenn sich für den Autofahrer eindeutig ergibt, dass er durch eine geschlossene Ortschaft fährt. Ob die Bebauung so dicht war, hatte das Gericht aber auch nicht geprüft. Die Vorinstanz muss den Fall neu prüfen.

Das Urteil halte ich für sehr nachvollziehbar. Allerdings muss man beachten, dass zum Beispiel auf Landstraßen erst mal grundsätzlich eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h gilt. Hier hätte es dann wohl keines besonderen Schildes bedurft, wenn der Mann dort 26 km/h zu schnell gefahren wäre.

Testament sollte ordentlich sein

Wer ein Testament wirksam errichten beziehungsweise eines ordentlich fälschen möchte, sollte auf die äußere Form und einigermaßen nachvollziehbare Aussagen Wert legen. Sonst ist das Ganze möglicherweise vergebliche Müh‘. Ein „Zettel“-Testament kann nämlich unwirksam sein, wie jetzt das Oberlandesgericht Hamm entschieden hat.

Die Erblasserin verstarb im Juli 2013, und das im stolzen Alter von 102 Jahren. Zu ihrem Nachlass gehörte ein Haus in Lübbecke. Im Jahr 1986 soll die Verstorbene ihr Haus einem ihrer Sohne vermacht haben. Allerdings fand sich die Erbeinsetzung laut den Feststellungen des Gerichts nur auf zwei Schrifstücken: einem ausgeschnittenen Papierschnipseln mit einer größe von 8 x 10 cm, außerdem noch auf einem mehrfach gefalteten Stück Pergamentpapier.

Auch der Inhalt war eher dürftig. Die Überschrift lautete „Tesemt“, dann folgte das Wort „Haus“ und darunter „Das für H.“, wobei der Name des Sohnes ausgegschrieben war. Die Kinder des mittlerweile verstorbenen H. wollten das Haus übereignet haben. Vergeblich. Sowohl die äußere Form als auch der dürftige Inhalt sprechen nach Meinung der Richter dafür, dass es sich allenfalls um Entwürfe gehandelt hat. Die Erblasserin habe die deutsche Sprache und Grammatik nachgewiesenermaßen beherrscht. Das angebliche Testament enthalte aber Schreibfehler und enthalte noch nicht mal einen vollständigen Satz.

Die Richter berücksichtigten auch, dass die beiden möglichen Testamente mit anderen Unterlagen ungeordnet in einer Schatulle gefunden wurden. Außerdem halten sie es nicht für nachvollziehbar, wieso die Verstorbene im Jahr 1986 gleich zwei inhaltlich gleichlautende Testamente gemacht haben sollte.

Etwas mehr Sorgfalt kann also beim Testament nicht schaden. Ein ordentlicher Ausdruck mit Unterschrift ist allerdings auch keine gute Idee. Denn das Testament muss nicht nur eigenhändig unterzeichnet, sondern insgesamt mit der Hand geschrieben sein (Aktenzeichen 10 W 153/15).

Es lag an der Kapuze

Nicht jede Kontrolle eines dunkelhäutigen Menschen ist ein Fall des Racial Profiling, so das Verwaltungsgericht Köln in einem Urteil Die Richter mussten über einen Vorfall im Bochumer Hauptbahnhof entscheiden.

Der dunkelhäutige Kläger hatte am Abend des 12. Novembers 2013 im Hauptbahnhof Bochum seine damalige Lebensgefährtin abholen wollen. Während er an einem Aufzug zum Gleis wartete, verlangten Bundespolizisten seinen Ausweis. Den Ausweis wollte der Mann aber zunächst nicht zeigen. Er fühlte sich nur aufgrund seiner Hautfarbe kontrolliert; das sei ihm schon etliche Male passiert.

Das Gericht befragte die beteiligten Polizeibeamten als Zeugen. Diese sagten aus, den Kläger nicht alleine wegen seiner Hautfarbe kontrolliert zu haben. Der Mann habe sich nämlich ungewöhnlich und auffällig verhalten. Nachdem er die Beamten gesehen habe, habe er sich im Bahnhofsgebäude eine Kapuze aufgezogen und diese noch weiter ins Gesicht gezogen, als er an den Polizeibeamten vorbeigegangen sei. Sodann habe er sich hinter dem Aufzugsschacht versteckt und immer wieder nach den Beamten gesehen.

Angesichts dessen hätten die Beamten davon ausgehen dürfen, dass der Kläger Straftaten begehen könnte. Dabei hätten sie auch zutreffend ihre Lageerkenntnisse über Straftaten (insbesondere Drogendelikte und Gepäckdiebstähle, vor allem durch männliche Täter aus Nordafrika)sowie die Gefährdung durch die salafistische Szene im Bahnhofsbereich zu Grunde gelegt.

Einen Teilerfolg hatte die Klage doch. Die Beamten hatten sich auf der Wache den Personalausweis des Mannes doch noch zeigen lassen, obwohl sich nach dem Gespräch mit der Lebensgefährtin der Verdacht bereits vollständig zerstreut hatte. Für die Identitätskontrolle habe es zu diesen Zeitpunkt keine rechtliche Grundlage mehr gegeben, so das Gericht (Aktenzeichen 20 K 7847/13).

Die Ratte als „singulärer Vorfall“

Eine Ratte im Hotelzimmer? Da fühlte sich ein Mallorca-Urlauber wohl auf der sicheren Seite. Er meldete eine Minderung von 50 % für seine Pauschalreise an. Vor dem Amtsgericht Köln fand er aber kein Verständnis für sein Problem. Der einmalige „Besuch“ eines Nagers ist nämlich noch kein Reisemangel, so das Gericht.

Ratten und sonstiges Ungeziefer haben allerdings auch nach Meinung des Richters grundsätzlich nichts in einem Hotel zu suchen. Rund um die Hotels in südlichen Regionen seien Ratten aber keine unübliche Erscheinung – auch dank des Massentourismus. Deshalb komme es darauf an, ob die Ratten wegen Hygienemängeln in dem Hotel selbst leben. Oder ob sie von außen in das Zimmer eingedrungen sind.

Der Kläger hatte selbst behauptet, die Ratte sei wahrscheinlich über ein Vordach ins Zimmer seines Hotels in Cala d`Or gekommen, als er bei eingeschaltetem Licht lüftete. Da so etwas kein zweites Mal passierte und der Kläger auch nicht behauptet hatte, das Hotel selbst sei verdreckt, handele es sich um einen „singulären unangenehmen Vorfall, der … aber als zufällig betrachtet werden muss“.

Auch das Auftreten nur einer Ratte könne zwar Ekel und Angst auslösen. Hierbei handele es sich aber um „subjektive Empfindungen, die einer objektiven Grundlage zunächst entbehren“. Die Klage wurde abgewiesen (Aktenzeichen 142 C 78/15).

Eigenhändige Unterschrift

Rechtsmittelschriften muss der Pflichtverteidiger selbst unterschrieben. Sonst sind sie nicht wirksam. Darauf weist der Bundesgerichtshof in einem Beschluss vom 16. Dezember 2015 hin.

In dem Fall hatte ein Kanzleikollege des Pflichtverteidigers die Revisionsbegründung unterschrieben. Das ist unzulässig, so der Bundesgerichtshof. Der Pflichtverteidiger müsse stets selbst unterschreiben.

Solche Fehler passieren natürlich in Büros, wo die Anwälte die Post mit für ihre Kollegen unterschrieben, die gerade unterwegs sind. Was bei Verteidigern ja vorkommen soll.

Dagegen gib es aber für Anwälte immerhin die Möglichkeit, bürointern zumindest einen Dauervertreter zu bestimmen. Das ist an sich sogar vorgeschrieben, wenn ein Anwalt länger als eine Woche nicht in seiner Kanzlei sein kann, zum Beispiel wegen Krankheit oder Urlaub (§ 53 BRAO). Wäre der Bürokollege vom Pflichtverteidiger als Vertreter bestellt gewesen, hätte er die Unterschrift wohl leisten dürfen.

Den (Dauer-)Vertreter darf jeder Anwalt selbst jeweils ein Kalenderjahr bestimmen. Wirksam wird die Bestellung aber erst wirksam, wenn sie der Anwaltskammer schriftlich mitgeteilt wird. Das war hier nicht passiert (Aktenzeichen 4 StR 473/15).

Zum Gericht oder zum Neujahrsempfang?

Mit dem neuen Jahr, für das ich allen Lesern nur das Beste wünsche, beginnt auch wieder die Saison der Neujahrsempfänge. Eine Tradition gerade bei Behörden und behördenähnlichen Institutionen, etwa Großkanzleien. Bei so einem Anlass zu fehlen mag in der Tat tödlich sein – aber die Anwesenheitspflicht vor Gericht geht dem immer noch vor. So zumindest sieht es das Oberlandesgericht Hamm in einem neuen Beschluss.

Ein Geschäftsmann war seinem Termin in einer Bußgeldsache ferngeblieben. Wegen eines Neujahrsempfangs, zu dem er nach eigener Auffassung unbedingt musste. Dazu das Gericht:

Die öffentlichrechtliche Verpflichtung, zu einem bestimmten Zeitpunkt vor Gericht zu erscheinen, geht der Wahrnehmung privater Angelegenheiten, zu denen auch die Berufsausübung gehört, grundsätzlich vor. Anders ist die Situation nur dann, wenn berufliche Belange unaufschiebbar und von so großem Gewicht sind, dass deren Zurückstellung für den Betroffenen mit gravierenden, insbesondere wirtschaftlichen Nachteilen verbunden wäre, so dass dem Betroffenen das Erscheinen zum Termin billigerweise nicht zugemutet werden kann.

Als Betroffener muss man also im Zweifel nachvollziehbar belegen, wie superwichtig das soziale Ereignis ist. Diesen Nachweis blieb der Betroffene hier nach Auffassung der Richter schuldig, so dass sein Einspruch gegen den Bußgeldbescheid zu Recht verworfen wurde (Aktenzeichen 1 RBs 162/15).

Makler sind gefährlich. Oder so.

Rechtsanwalt und Immobilienmakler – das passt nicht zusammen. So sieht es jedenfalls der Anwaltsgerichtshof Berlin. Er entzog einem Anwalt die Zulassung, der gleichzeitig als Geschäftsführer einer Immobilienfirma arbeitete.

Die Richter betrachten die Doppeltätigkeit als gefährlich. Ein Rechtsanwalt erlange Kenntnisse von den Vermögensverhältnissen seiner Mandanten. Als Makler habe er ein Courtageinteresse und sei versucht, an der „Umschichtung“ des Mandantenvermögens zu verdienen. Potentielle Mandanten könnten deshalb begründete Zweifel an der Unabhängigkeit und Kompetenz des Rechtsanwalts entwickeln. Das beeinträchtige auch das Ansehen der Rechtsanwaltschaft insgesamt.

Dass Maklerverbände dies umgekehrt auch so hochnäsig sehen, ist bislang nicht bekannt (Aktenzeichen II AGH 6/14).

Das letzte Wort ist nicht das letzte Wort

Manchmal ist das Gesetz erfrischend deutlich. Ein Zitat aus der Strafprozessordnung:

Dem Angeklagten gebührt das letzte Wort.

Aber es wäre ja auch zu einfach, sich mal an diese Vorgabe zu halten. Stattdessen gibt es vom Bundesgerichtshof erfundene Ausnahmen noch und nöcher, weil Richter immer mal wieder nach dem letzten Wort doch noch etwas mehr sagen als den Satz: „Das Gericht zieht sich jetzt zur Beratung zurück. Ein Urteil ergeht in etwa einer Stunde.“

So zum Beispiel ein Vorsitzender am Landgricht Dresden. Der hatte nach dem letzten Wort des Angeklagten für das Protokoll festgestellt, dass es keine Verständigung gab. An sich gehört diese Feststellung ans Ende der Beweisaufnahm. Danach bekam der Angeklagte nicht mehr ein weiteres Mal das letzte Wort.

Korrekt, sagt der Bundesgerichtshof in einem aktuellen Beschluss. Mit der Begründung, es handele sich ohnehin nur um eine Information, die keinen Einfluss auf das Urteil haben könne. Na ja, jedenfalls ist es schon eine wichtige Tatsache, die da mitgeteilt wird. Immerhin geht es um die Frage Deal oder nicht Deal.

Aber halten wir unabhängig vom Einzelfall folgende Erkenntnis fest:

Das letzte Wort ist auch nicht mehr das, als was es mal gedacht war (Aktenzeichen 5 StR 467/15).

Die Zeitung aus der 1. Klasse

Darf man mit einem 2.-Klasse-Ticket in der Bahn eine Zeitung aus der 1. Klasse „mitgehen“ lassen? Diese Frage wirft die aktuelle Geschichte eines Lehrers auf. Der Mann war mit einem Ticket 2. Klasse im ICE auf das Klo in der 1. Klasse ausgewichen und hatte sich bei der Gelegenheit am Ständer mit den Tageszeitungen bedient.

Der Fahrgast behauptet, nicht gewusst zu haben, dass die Gratiszeitungen in der 1. Klasse nur für Fahrgäste der 1. Klasse sind. Der Schaffner bezichtigte ihn, so wird berichtet, des Diebstahls und und sorgte mit Hilfe einer Polizistin dafür, dass der Mann den Zug verließ. Obwohl der Fahrgast die Zeitung freiwillig zurückgelegt hatte.

Betrachten wir die Sache der Einfachheit halber von hinten. Das Verhalten des Zugbegleiters geht im Ergebnis verdächtig in Richtung Nötigung. Denn es ist einem Fahrgast überhaupt nicht untersagt, mit einem 2.-Klasse-Ticket die 1. Klasse zu betreten. Nach Ziff. 2.6.2 der Beförderungsbedingungen der Bahn ist das Betreten der 1. Klasse ein durch schlüssiges Handeln erklärter sogenannter „Übergang“. Dieser verpflichtet den Fahrgast, den Differenzbetrag zur 1. Klasse zu zahlen. Zulässig ist der Übergang zu jedem beliebigen Zeitpunkt (Ausnahme: Zugbindung).

Den Übergang muss man auch keineswegs mitteilen, bevor man mit der Fahrkarte 2. Klasse in die 1. Klasse geht. Vielmehr genügt es im ICE und IC, wenn man „bei der Prüfung der Fahrkarten unaufgefordert meldet“, dass man keine Fahrkarte für die 1. Klasse hat. Man muss also nicht auf den Zugbegleiter zugehen oder ihn gar suchen. Vielmehr darf man abwarten, bis er zu einem kommt (Ziff. 3.8.2 der Beförderungsbedingungen). Diese Regelung gilt ausdrücklich auch für den Übergang (Ziff. 3.8.3).

Es kann also keine Rede davon sein, dass der Fahrgast sich keine Zeitung nehmen durfte, bloß weil er kein Ticket für die 1. Klasse hatte. Vielmehr ist auch die Selbstbedienung selbst erst mal höchstens ein schlüssiger Beleg für die Nutzung der 1. Klasse, ebenso wie schon das reine Betreten der 1. Klasse selbst.

Bis zur Kontrolle, die aktiv vom Zugbegleiter ausgehen muss, war der Fahrgast demnach berechtigt, sich eine Tageszeitung aus dem Ständer zu nehmen. Ebenso wie er berechtigt war, sich mit seinem Ticket 2. Klasse in der 1. Klasse hinzusetzen und die Füße auszustrecken. Und zwar ohne Angst, als Schwarzfahrer zu gelten. Im Zweifel hätte er nämlich immer nur für die 1. Klasse nachlösen müssen. Bis dahin hätte er sich also während seines gesamten Aufenthalts in der 1. Klasse einschließlich des Griffs nach der Zeitung rechtmäßig verhalten. Somit geht der Vorwurf des Schaffners grundsätzlich ins Leere.

Aber hinsetzen und bei einer eventuellen Kontrolle ein Ticket nachlösen – das wollte der Fahrgast ja gar nicht. Er wäre wahrscheinlich ganz einfach in die 2. Klasse zurückgegangen und hätte die Zeitung dort gelesen. Aber kann das aus einem rechtmäßigen Verhalten nachträglich ein unrechtmäßiges Verhalten machen? Kann also aus einem durch schlüssiges Handeln erfolgten Übergang im Sinne der Beförderungsbedingungen im nachhinein so was Böses wie ein Diebstahl werden?

Wohl kaum, zumal eigentlich auch hier die Beförderungsbedingungen der Bahn weiterhelfen. Diese lassen den Übergang nämlich ausdrücklich auch für „Teilstrecken“ zu. Daraus ist zu folgern, dass es nun rein gar keine Verpflichtung gibt, nach dem Übergang in die 1. Klasse zumindest so lange in der 1. Klasse auszuharren, bis man kontrolliert wird. So hätte es für den Fahrgast letztlich völlig gereicht, dass er nach der Rückkehr an seinen Platz in der 2. Klasse bei der Kontrolle angegeben hätte, dass er eine Teilstrecke in der 1. Klasse zurückgelegt hat. Was er aber gar nicht musste, weil ihn der Schaffner wohl gesehen und angesprochen hat, so dass sich gar nicht die Frage nach seiner „Ehrlichkeit“ stellt.

Aber selbst wenn er die kurzzeitige „Nutzung“ der 1. Klasse abgestritten und sich damit der Möglichkeit des Nachlösens beraubt hätte, wäre der Fahrgast jedenfalls nicht zum Dieb geworden. Vielmehr hätte er ein erhöhtes Beförderungsentgelt zahlen müssen. Und die Bahn hätte ihn dann allenfalls der Beförderungserschleichung, aber nicht des Diebstahls beschuldigen können.

Falls der eine oder andere Bahnfahrer jetzt Lust auf Gratislektüre in der Bahn bekommen hat, wünsche ich viel Spaß. Legt dem Schaffner aber bitte keine Ausdrucke dieses Beitrags vor…

Papa und seine Erziehungsberechtigte

Der Ruhestand ist weiß Gott kein Segen. Das hat kurz vor Weihnachten einer meiner Mandanten erlebt. Mit seinen knapp 80 Jahren musste er mit Klagen und Strafanzeigen drohen – und das seiner eigenen Tochter.

Die Tochter lebt zwar etwas weiter entfernt, hat das Leben meines Mandanten aber gut im Blick. Jedenfalls kam sie mehr oder weniger per Ferndiagnose zu dem Ergebnis, dass mein Mandant altersbedingt nicht mehr Auto fahren darf.

Zunächst mal hat sie meinen Mandanten wohl beim Straßenverkehrsamt gemeldet. Doch dort dürfte man auf die Rechtslage verwiesen haben. Das Lebensalter als solches ist kein Grund, eine Fahrerlaubnis in Frage zu stellen.

So löste die Tochter das „Problem“ halt selbst. Kurzerhand tauchte sie in der Wohnung meines Mandanten auf, nahm ihm die Wagenschlüssel ab und nahm sein Auto mit. Mit der klaren Ansage, dass er es nur wiederkriegt, wenn er seinen Führerschein zurückgibt und mit einem Käufer für das Auto kommt.

Mein Mandant ging nach diesem Auftritt erst mal zur Polizei. Die Polizei nahm eine Anzeige auf. Und dann passierte – tagelang nichts. Na ja, so kam dann ich ins Spiel. Telefonisch war die Tochter für mich nicht zu sprechen, also setzte ich ein Schreiben auf, erklärte ihr in kurzen Worten die Rechtslage und erlaubte mir, eine eher knappe Frist zur Rückgabe des Autos zu setzen.

Wie nicht anders zu erwarten, änderte die Tochter nach Erhalt des Briefes ihre negative Grundhaltung gegenüber Telefonaten. Wie das bei Fällen mit großer Selbstbetroffenheit häufig geschieht, kam ich bei dem Gespräch wenig zu Wort und musste mich verfluchen lassen. Außerdem trage ich persönlich ab sofort die Verantwortung, wenn mein Mandant mit seiner Dreckskarre ein Kind totfährt.

Na ja, nachdem sie Luft abgelassen hatte, folgte die Tochter immerhin meiner Empfehlung, doch vielleicht mal selbst einen Anwalt zu fragen. Einen, der nicht so voreingenommen ist wie ich. Das ist manchmal gar kein schlechter Tipp. Denn was sollen die Kollegin bzw. der Kollege denn schon raten – außer das Auto zügig wieder vor die Tür meines Mandanten zu stellen?

Die betreffende Anwältin hatte sicher auch keine einfache Besprechung mit der Dame. Sie löste das aber ganz geschickt. Ihr zweiseitiges Schreiben wiederholte noch mal alles Böse, was es über meinen Mandanten zu sagen gibt. Und über mich. Es endete dann völlig unvermittelt mit dem Satz:

Meine Mandantin wird das Auto Ihrem Auftraggeber morgen vor die Tür stellen. Sie lehnt jede Verantwortung ab.

Der Wagen kam pünktlich zurück. Jetzt wird es sicher noch mal interessant, was die Polizei mit der Anzeige macht. Und auch über meine Kostenberechnung muss der Mandant sich noch Gedanken machen. An sich müsste die ja seine Tochter zahlen…

Mieterhöhung: Zustimmung ist nicht widerrufbar

Wer gegenüber dem Wohnungsvermieter einer Mieterhöhung zustimmt, kann diese Erklärung nicht widerrufen. Auch nicht nach dem Fernabsatzgesetz. Dies hat das Amtsgericht Berlin-Spandau entschieden.

Der Mieter eines Einfamilienhauses hatte einer Mieterhöhung zunächst zugestimmt, wollte sich nach einigen Monaten aber nicht mehr daran halten. Seinen Widerruf begründete er auch. Er machte vor Gericht geltend, auch ein Mieterhöhungsverlangen sei nichts anderes als ein Fernabsatzvertrag nach § 312c BGB. Deswegen stehe ihm ein gesetzliches Widerrufsrecht zu.

Das Amtsgericht Berlin-Spandau erteilt dem eine Absage. Das Gericht begründet ausführlich, warum Mieterhöhungsverlangen nicht als Fernabsatzverträge einzuordnen sind. Im Ergebnis bleiben Mieter also auch künftig daran gebunden, wenn sie der Erhöhung zustimmen. Tun sie dies nicht, was ihr Recht ist, muss der Vermieter vor Gericht auf die Zustimmung klagen (Aktenzeichen 5 C 267/15).

Schnapspralinen

Heute mal wieder ein Gastbeitrag der Polizei-Pressestelle:

Am Montag, gegen 16.00 Uhr, kam eine 46-Jährige aus Landshut völlig aufgelöst zur Polizeidienststelle und zeigte folgenden Vorfall an:

Der 11-jährige Sohn hatte von der 67-jährigen Oma zu Weihnachten eine Schachtel Pralinen geschenkt bekommen. Bei einer Kostprobe kam zum Vorschein, was bis zu diesem Zeitpunkt keinem aufgefallen war, alle Pralinen waren mit Alkohol gefüllt. Die 11-jährige Tochter bemerkte dies noch rechtzeitig und spuckte die Pralinen sofort wieder aus. Anstatt den Sachverhalt mit der Oma familienintern zu klären, sah sich die erboste Mutter veranlasst, die Polizei damit zu beauftragen.

Mit einem Telefonat seitens des wachhabenden Beamten konnte der „Kriminalfall“ schnell geklärt werden. Die 67-Jährige gab glaubhaft zu Protokoll, dass ihr der Umstand betreffend der „Schnapspralinen“ nicht bewusst war. Sie wollte der Enkelin lediglich eine kleine Freude bereiten. Somit gelang es der Polizei in dieser Angelegenheit entsprechend zu vermitteln und den viel gerühmten Weihnachtsfrieden wiederherzustellen.

Die Oma hatte das Unrecht ihres Verhaltens eingesehen und zeigte nach den mahnenden Worten des Polizisten die nötige Reue. Damit war der Fall abgeschlossen und konnte zu den Akten gelegt werden.

„Im Interesse der Allgemeinheit“

In einem Prozess vor dem Verwaltungsgericht geht es darum, ob mein Mandant bei der Polizei von sich Fotos machen lassen und seine Fingerabdrücke abgeben muss. Dazu ist er nach dem Gesetz in seinem Bundesland verpflichtet, wenn auch künftig Straftaten von ihm zu erwarten sind. Also über jene Tat hinaus, wegen der er bereits einen Strafbefehl bekommen hat.

Die Polizei begründet die Wiederholungsgefahr wie folgt:

Es darf daher im konkreten Interesse der Allgemeinheit nicht unterstellt werden, dass es sich um ein einmaliges Fehlverhalten gehandelt hat. Die Gefahr der Wiederholung besteht auch insbesondere deshalb, weil ein Sexualdelikt immer von einer besonderen Veranlagung oder Neigung des Täters geprägt ist. Schon deshalb muss von einer Wiederholungsgefahr, auch bei erstmaliger Begehung, ausgegangen werden.

Schauen wir uns die Aussagen mal an. „Im Interesse der Allgemeinheit“ darf also nicht unterstellt werden, dass es sich um ein einmaliges Fehlverhalten gehandelt. Mit anderen Worten: Wer einmal erwischt wurde, hat bislang doch sowieso nur Glück gehabt.

Es mag zwar sein, dass die Unschuldsvermutung im Verwaltungsrecht nicht so streng gilt wie in der Strafprozessordnung. Dass man aber einfach sagt, so lange du nicht belegst, dass du nur eine Straftat begangen hast, so lange gehen wir davon aus, dass du Mehrfachtäter bist, war mir bislang neu.

Wenn das zieht, ist künftig jede Gegenrede aussichtslos. Wie soll man denn belegen, dass man keine Straftaten begangen hat?

Interessant ist auch die Behauptung, dass ein Sexualdelikt immer von einer besonderen Veranlagung oder Neigung geprägt ist. Es wäre, um das naheliegendste Beispiel aufzugreifen, zum Beispiel einfach, wenn nur pädophil veranlagte Menschen Kinder missbrauchen. Tatsächlich gehen die weitaus meisten Missbrauchsfälle von Kindern aber auf das Konto von Menschen, die gar nicht pädophil im engeren Sinne sind.

Nun ja, lassen wir den Hinweis mal so stehen. Er dient ja auch nur zur rhetorischen Unterfütterung des Fazits vom Ganzen: Eine Wiederholungsgefahr muss schon bei erstmaliger Begehung angenommen werden, Ausnahmen gibt es nicht. Wobei die Betonung natürlich ganz stark auf muss liegt.

Als Anwalt regt man sich übrigens nur bedingt über so eine Argumentation auf. Schöner kann ein Polizeibeamter nämlich nicht dokumentieren, dass er sein Handwerk zumindest beim Abfassen von Bescheiden nicht versteht. Denn wenn das Gesetz der Behörde wie im vorliegenden Fall ein „Ermessen“ einräumt, muss der Beamte dieses Ermessen auch ausüben. Das tut er aber gerade nicht, wenn er auch noch hinschreibt, dass ihm nur eine bestimmte Entscheidung möglich ist.

Auch Verwaltungsrichter lesen derartiges in so kondensierter Form eher ungern. Deshalb bin ich jetzt erst mal guter Dinge, wenn die Sache demnächst verhandelt wird.