Schlafen Sie gut heut‘ Nacht

Manche Ermittlungsakten lassen mich frösteln. Nicht wegen der Straftaten, welche Polizei oder Staatsanwaltschaft meinem Mandanten zur Last legen. Sondern wegen der für mich kaum noch nachvollziehbaren Bereitschaft, notfalls halt auch völlig Unschuldige zu verdächtigen. Und zwar mit einem Vorwurf, von dem man sich heute kaum noch reinwaschen kann. Zum Beispiel der Verbreitung von Kinderpornografie.

Genau diesen Albtraum erlebte in den letzten Monaten Herr J. Den Vorwurf eröffneten Kriminalbeamte Herrn J. frühmorgens im Beisein von Frau und Kindern, als sie zur Hausdurchsuchung im Einfamilienhaus des Herrn J. anrückten. Herr J., so hieß es in dem von einem Richter unterzeichneten Durchsuchungsbeschluss, werde verdächtigt, seit etlichen Monaten Kinderpornos im Tor-Netzwerk zu tauschen.

Nur ein einziges Indiz führte zu Herrn J. Nämlich eine seiner E-Mail-Adressen. Die lautet fdfoweoe68@web.de. Die Adresse lautet in Wirklichkeit anders, sie ist aber vergleichbar kryptisch beziehungsweise zufallsgeneriert. Herr J. nutzt die Adresse nur für Bestellungen, Preisausschreiben etc., wenn er seine Hauptadresse wegen Spamgefahr nicht angeben will.

Nun ist es nicht so, dass der angebliche Kinderporno-Tauscher im TOR-Netzwerk mit der Adresse fdfoweoe68@web.de aufgefallen wäre. Nein, dort nutzte er die (wiederum abgewandelte) E-Mail-Adresse blödfrau38aplumpaquatschalphacentauri@yahoo.de.

Die E-Mail-Adresse von Herrn J. taucht aber in „Unterlagen“ auf, welche Ermittler in Augenschein nahmen. Und zwar handelt es sich um die Daten, die der Kinderporno-Tauscher bei der Registrierung seiner Yahoo-Mail-Adresse hinterlassen hat. Dort gab er bei den Kontaktdaten als „sekundäre“ E-Mail-Adresse fdfoweoe68@web.de an. Bekanntermaßen verifizieren die weitaus meisten Mailanbieter solche Angaben in keinster Weise. Man kann als sekundäre E-Mail-Adresse also jede beliebige Zeichenfolge angeben. Hauptsache, sie wird vom System als E-Mail-Adresse erkannt.

So etwas ficht emsige Fahnder und Staatsanwälte aber heutzutage nicht mehr an. Leider aber auch nicht Richter, mögen sie nun unter Arbeitsüberlastung ächzen. Oder auch nicht. Der zuständige Staatsanwalt hielt in der Akte nur fest, die sekundäre E-Mail-Adresse beruhe zwar nur auf Angaben, die der Verdächtige selbst gemacht habe. Aber da es keine weiteren Ermittlungsansätze gebe, sei eine Hausdurchsuchung beim Inhaber dieser E-Mail-Adresse erforderlich. Vorher checkte die Polizei nur, wem die Adresse gehört. Nämlich meinem Mandanten, der bei web.de für die Registrierung seinerseits natürlich seine richtigen Personalien angegeben hat.

Weitere vorherige Ermittlungen? Keine. Niemand hielt es für nötig mal zu checken, wer denn der Mensch hinter fdfoweoe68@web.de ist. Und ob man nicht auf anderem Wege nähere Informationen bekommen kann, die den Betreffenden vielleicht als Verdächtigen ausschließen. Stattdessen wurde auf direktem Wege bei meinem Mandanten einmarschiert. Seine Hardware wurde beschlagnahmt und überprüft. Halt das volle Programm. Wobei es meinem Mandanten selbst überlassen blieb, seine Frau davon zu überzeugen, dass bei ihm keine Kinderpornografie zu finden sein wird.

Leider ist das nicht der einzige Fall aus meiner Praxis, in dem in letzter Zeit irgendwelche von dritter Seite eingegebenen Kontaktdaten für Durchsuchungsbeschlüsse ausreichten. Wobei die Ermittler in drei von vier Fällen ebenso falsch lagen wie bei Herrn J. Von daher dürfte es auch schwer fallen, irgendeine kriminalistische Erfahrung zu konstruieren, nach der (spätere) Straftäter bei der Registrierung von E-Mail-Accounts eher korrekte Kontaktdaten angeben, weil sie ja noch nicht daran denken, dass sie den Account später mal für illegale Zwecke nutzen werden.

Kurz gesagt: Wenn diese Praxis Bestand hat, kann an sich niemand mehr ruhig schlafen, der eine E-Mail-Adresse auf den eigenen Namen registriert hat. Es bedarf ja nur irgendeines Dritten, der gewillt ist, diese Adresse als „Spur“ zu hinterlassen. Und das möglicherweise sogar nur fahrlässig, weil er eine Fantasieadresse generiert, die aber in Wirklichkeit schon Sie nutzen. Oder ich.

Leider fehlt mir mittlerweile der Glaube daran, dass das Bundesverfassungsgericht wenigstens dieser Nullvariante des Anfangsverdachts einen Riegel vorschiebt.

Aber versuchen werde ich es mal.

Kein Wort zum Haftgrund

Weil er angeblich während der Arbeit ein Online-Spiel auf seinem Handy gespielt haben soll, ist der Fahrdienstleiter von Bad Aibling jetzt in Untersuchungshaft genommen worden. Bei dem Zugunglück kamen elf Menschen ums Leben.

Die Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Traunstein wirft allerdings Fragen auf. Im günstigsten Fall macht bei der Behörde jemand die Pressearbeit, der sein Handwerk nicht versteht und der deshalb der Öffentlichkeit wesentliche Informationen vorenthält. Oder es läuft juristisch gründlich was schief im Zugunglücks-Fall.

Schauen wir uns also die Pressemitteilung an. Darin steht im Kern, es habe sich herausgestellt, dass der Fahrdienstleister unmittelbar vor dem Unglück auf seinem Handy ein Online-Spiel gemacht hat. Hierdurch sei er mutmaßlich abgelenkt gewesen. Was, das ist völlig richtig, den Vorwurf der Pflichtverletzung verschärft und damit den Grad seiner möglichen Schuld erhöht.

Das alles betrifft aber nur eine der Voraussetzungen, die für einen Haftbefehl nötig sind. Nämlich den Tatverdacht. Dieser muss „dringend“ sein, wenn die Untersuchungshaft angeordnet werden soll.

Aber damit ist es eben nicht getan. Die Strafprozessordnung fordert zusätzlich auch einen Haftgrund. Der weitaus wichtigste Haftgrund ist die Flucht des Bechuldigten oder zumindest die Gefahr, dass er flüchtet. Daneben gibt es noch die Verdunkelungsgefahr und die Wiederholungsgefahr.

Zu dem zweiten Baustein eines Haftbefehls, dem Haftgrund, steht aber kein Wort in der Pressemitteilung. Gibt es Anhaltspunkte dafür, dass sich der Fahrdienstleiter ins Ausland absetzen will (Fluchtgefahr)? Eine höhere Straferwartung, über die in der Presse spekuliert wird, führt übrigens nicht automatisch zum Haftgrund der Fluchtgefahr. Vielmehr muss im Einzelfall immer sehr genau abgewogen werden, so der Bundesgerichtshof. Insbesondere gibt es keine Regel, dass Fluchtgefahr immer dann vorliegt, wenn keine bewährungsfähige Strafe mehr zu erwarten ist.

Oder hat der Mann womöglich versucht, Zeugen zu beeinflussen (Verdunkelungsgefahr)? Dann sollte die Staatsanwaltschaft halt etwas dazu sagen, denn ansonsten bleibt völlig unklar, was denn jetzt der zweite notwendige Baustein des Haftbefehls sein soll. Und wenn sie aus irgendwelchen Gründen nichts zu dem Haftgrund sagen will, dann sollte die Staatsanwaltschaft eben sagen, dass der Haftgrund bejaht wird, aber keine Einzelheiten bekanntgegeben werden.

Eine andere Möglichkeit ist, dass man es mit dem Haftgrund in diesem Fall mal nicht so genau genommen hat. Etwa um energisches Durchgreifen zu dokumentieren. Das wäre dann allerdings noch viel kritischer als eine verbesserungswürdige Pressearbeit.

Inlineskater müssen nicht nüchtern sein

Mit dem schönen Wetter werden jetzt auch wieder die Inlineskates rausgeholt. Wie ist das aber, wenn der Skater – etwa nach einem Stopp im Biergarten – über die Promillegrenzen Alkohol getankt hat? Die Staatsanwaltschaft Landshut wollte das als fahrlässige Trunkenheit im Straßenverkehr ahnden, wurde vom Landgericht aber ausgebremst.

Die Richter fanden es zwar nicht besonders gut, dass der Skater angetrunken auf der Straße rollte. Allerdings ändert das nach ihrer Auffassung aber nichts daran, dass Inlineskates juristisch gesehen keine Fahrzeuge sind – im Gegensatz zu Autos oder Fahrrädern. Wegen Trunkenheit im Straßenverkehr kann sich aber nur strafbar machen, wer tatsächlich ein „Fahrzeug“ im Sinne des Gesetzes lenkt.

In seiner ausführlichen Begründung legt das Landgericht Landshut dar, wieso Inlineskates nur „Sportgeräte“ sind und keine Fahrzeuge im Sinne der Straßenverkehrsordnung. Das hat aber auch zur Folge, dass Inlineskater die Fahrbahn eigentlich nur dann nutzen dürfen, wenn Zusatzschilder dies ausdrücklich erlauben.

Der angetrunkene Inlineskater kam im Ergebnis straffrei aus der Sache raus. Zu sicher sollte man sich angesichts des Gerichtsbeschlusses aber nicht fühlen. Es gibt nämlich auch Stimmen in der Fachliteratur und ein Urteil des Oberlandesgerichts Oldenburg, die Inlineskater doch als Fahrzeuge werten (LG Landshut Aktenzeichen 6 Qs 281/15).

Frau darf Leiche ihres Mannes nicht frisch halten

Eine Frau aus Bayern darf die Leiche ihres Ehemannes nicht konservieren, damit dieser erst am Tag einer großen Trauerfeier bestattet werden kann. Das Verwaltungsgericht Ansbach untersagte der Frau, die sterblichen Überreste ihres Gatten unter anderem mit dem Konservierungsmittel „Freedom Art“ frisch zu halten.

Der Verstorbene war eine bekannte Persönlichkeit im Raum Nürnberg. Seine Frau wollte eine Trauerfeier veranstalten, zu der Verwandte und Freunde des Verstorbenen aus aller Welt eingeladen werden sollten. Da so eine Feier innerhalb der gesetzlichen Bestattungsfrist von 96 Stunden nicht zu organisieren wäre, wollte sie mit chemischen Mitteln dafür sorgen, dass die Leiche ihres Mannes in den knapp vier Wochen ansehnlich bleibt.

Die Stadt Nürnberg lehnte eine spätere Beisetzung ab. Durch die Behandlung mit Chemikalien würden Böden und Grundwasser gefährdet, deshalb sei deren Einsatz verboten. Das Einfrieren der Leiche nur wegen der Bestattungsfeier wäre als Alternative pietätlos. Diesen Argumenten stimmten die Verwaltungsrichter zu. Die Würde des Verstorbenen und das sittliche Empfinden der Allgemeinheit gebieten es laut dem Gericht, die Bestattung nicht weiter als gesetzlich vorgesehen hinaus zu zögern.

Der Betroffenen sei zuzumuten, dass sie die Trauerfeier nach der Bestattung veranstaltet. Der Verstorbene wurde mittlerweile fristgerecht bestattet (Aktenzeichen AN 4 S 16.00522).

Nicht verhandelbar

Nicht jedes Mandatsanbahnungsgespräch ist von Erfolg gekrönt:

Guten Tag, Herr Vetter. Wir kennen uns noch nicht, aber ich brauche dringend Ihre juristische Hilfe. Vorab möchte ich aber darauf hinweisen, dass ich das Gespräch aufzeichne.

Das möchte ich aber nicht.

Doch, das mache ich immer. Zur Beweissicherung ist das nötig.

Ich möchte aber nicht mit Ihnen sprechen, wenn ein Band läuft.

Die Aufnahme ist nicht verhandelbar.

Gut, dann versuchen Sie Ihr Glück bitte bei einem anderen Anwalt.

Ja, mache ich. Schönen Tag noch.

Es geht jetzt um Politik, nicht um Paragrafen

Mit ihrem „Strafverlangen“ gegen den Satiriker Jan Böhmermann bringt die türkische Regierung Bundeskanzlerin Angela Merkel ohne jede Not in eine tü(r)ckische Situation. Nun muss die Bundesregierung – und das ist in der Konsequenz nun mal Merkel – entscheiden, ob sie der deutschen Justiz gestattet, die Ermittlungen gegen Böhmermann fortzusetzen und ihn sogar anzuklagen. Ohne „Ermächtigung“ der Regierung bestünde ein Verfahrenshindernis. So sieht es § 104a StGB ausdrücklich vor.

Mit dieser Vorschrift hat sich der Gesetzgeber natürlich was gedacht. Und das war nicht, dass die Bundesregierung jetzt an Stelle von Staatsanwälten und Richtern darüber brüten muss, ob Böhmermanns Spottgedicht nun noch von der Meinungs-, Presse- und insbesondere der Kunstfreiheit gedeckt ist. Vielmehr gibt das Ermächtigungserfordernis der Regierung die Möglichkeit, eine politische Entscheidung zu treffen. Nämlich jene, ob eine juristische Aufarbeitung der Causa im politischen Interesse der Bundesrepublik Deutschland ist. Oder eben nicht.

Deshalb geht es für Merkel und die beteiligten Ressorts nicht um Paragrafen, sondern ausschließlich um die sinnvollste Lösung im Interesse des Landes. Mit anderen Worten: Selbst wenn Merkel, was sie ja schon öffentlich gemacht hat, Böhmermanns Auftritt für eine Grenzverletzung hält, zwingt sie das nicht dazu, die deutsche Justiz zum Turnierplatz für die Ehre eines ausländischen Staatsoberhaupts zu machen.

Nach meiner Meinung hat Merkel viele gute Gründe, den Fall an dieser Stelle zu beenden. Sie könnte Herrn Erdogan in aller Freundschaft darauf verweisen, dass er jederzeit vor dem deutschen Zivilgericht klagen kann. Auf Unterlassung, zum Beispiel. Oder sogar auf 3 Milliarden Euro Schmerzensgeld.

Ich bin sehr gespannt, wessen Wohl Merkel wichtiger ist.

Wie oft muss man Mails lesen?

Wie oft muss ein Anwalt seine E-Mails lesen? Eine ebenso interessante wie strenge Sicht vertritt zu dieser Frage das Oberlandesgericht Jena.

Ein Jurist hatte – laut seinem Briefkopf – sein Büro um 8.00 Uhr geöffnet und um 8.56 Uhr für seinen Mandanten einen Schriftsatz ans Gericht geschickt. Dabei hatte er aber nicht zur Kenntnis genommen, dass der Mandant ihm kurz nach Mitternacht gemailt hatte, er wünsche doch keine anwaltliche Tätigkeit.

Die Gebühren für den Schriftsatz hat der Anwalt nicht verdient, meinen die Richter am Oberlandesgericht. Eröffne der Rechtsanwalt eine Kommunikation über E-Mail,so müsse er dafür sorgen, dass eine Kenntnisnahme eingegangener E-Mails jedenfalls während der üblichen Bürozeiten möglich ist und auch erfolgt.

Ob das Zeitfenster für die Kenntnisnahme von E-Mails grundsätzlich so klein ist, wage ich mal zu bezweifeln. Aber hier ging es ja auch „nur“ um Gebühren für letztlich überflüssige Arbeit. Vielleicht hätte der Anwalt einfach nicht seine Bürozeiten auf den Briefkopf schreiben sollen…

Zusammenfassung des Beschlusses auf haufe.de

Kranker darf Cannabis anbauen

Schwerkranke dürfen zu Hause Cannabis anbauen, wenn sie den Stoff aus medizinischen Gründen benötigen. Dies gilt zumindest dann, wenn sich der Kranke Cannabis aus der Apotheke nicht leisten kann. Mit dieser Entscheidung beendet das Bundesverwaltungsgericht einen langen Streit. Der an Multipler Sklerose erkrankte Betroffene hatte bereits im Jahr 2000 beantragt, selbst Cannabis anbauen zu dürfen.

Die Richter sehen kein grundsätzliches Verbot für einen kontrollierten Eigenanbau. So halten sie den Erkrankten für hinreichend zuverlässig, denn es spreche nichts dafür, dass er das Cannabis weitergibt. Durch Auflagen, zum Beispiel regelmäßige Kontrollen, könne die private Aufzucht auch hinreichend kontrolliert werden. Die „Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs“ sei damit gewährleistet. In diesem Fall gehe das Therapiebedürfnis des Klägers so weit, dass der Behörde letztlich kein Ermessen mehr bleibe. Sie müsse den Anbau genehmigen, dies gebiete das Grundrecht des Klägers auf körperliche Unversehrtheit.

Bei dem Kläger ist es aber so, dass dieser sich Cannabis aus der Apotheke, den sogenannten Medizinalhanf, finanziell nicht leisten kann. Seine Krankenkasse will die Kosten nicht übernehmen. Außerdem gibt es keine zugelassenen Arzneimittel, die genau so gut wirken. Die Entscheidung gibt also (noch) nicht unumschränkt grünes Licht für den Eigenanbau durch Menschen, die Cannabis aus medizinischen Gründen benötigen (Aktenzeichen 3 C 10.14).

Justiz ermittelt gegen Jan Böhmermann

Worüber ich am Montag eher noch spekuliert habe, wird jetzt Realität: Die Staatsanwaltschaft Mainz ermittelt gegen den Satiriker Jan Böhmermann wegen dessen Schmähgedichts gegen den türkischen Präsidenten Erdogan. Insgesamt seien rund 20 Anzeigen eingegangen, berichtet die Tagessschau.

Da auch die Türkei Vorschriften über den Ehrenschutz von Staatsoberhäupern hat und die diplomatischen Beziehungen bestehen, ist die gesetzliche Voraussetzung der Gegenseitigkeit erfüllt. Ob das Ermittlungsverfahren aber eventuell zu einem Ende geführt werden kann, hängt im wesentlichen von folgenden Voraussetzungen ab:

1. Der türkische Staatspräsident bzw. die türkische Regierung müssen ein Strafverlangen aussprechen.

2. Die Bundesregierung, vertreten durch das Auswärtige Amt, muss die Staatsanwaltschaft zur Strafverfolgung ermächtigen.

So lange nicht beides erfüllt ist, müsste die Staatsanwaltschaft das Verfahren am Ende ohne Sachenentscheidung einstellen. Es läge dann nämlich ein sogenanntes Verfahrenshindernis vor. Andere Verfahrenshindernisse sind zum Beispiel sind zum Beispiel Verjährung oder der Tod des Beschuldigten.

Warmes Wasser für harte Jungs

Ein Strafgefangener, der nicht körperlich arbeitet und keinen Sport treibt, hat keinen Anspruch auf tägliches Duschen. Allerdings reicht es auch nicht aus, wenn er sich in seiner Zelle mit kaltem Wasser waschen kann. Vielmehr muss er mindestens vier Mal in der Woche warmes Wasser nutzen können, so eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm.

Ein Gefangener hatte verlangt, täglich duschen zu können. Das lehnen die Hammer Richter jedoch auch in diesem Fall ab, siehe auch den älteren Beitrag (siehe auch den Beitrag „Wie wäre es mit Stroh?“). Sie halten es für ausreichend, wenn im Knast zwei Mal wöchentlich geduscht wird.

Allerdings sei es auch nicht ausreichend, wenn sich ein Gefangener mit kaltem Wasser in seinem Haftraum waschen muss. An mehr als der Hälfte der Tage müsse ihm warmes Wasser zur Verfügung stehen. Ansonsten, so das Gericht, bestehe gerade in der kalten Jahreszeit die Gefahr, dass Gefangene sich nicht waschen und die Körperhygiene vernächlässigen.

Wie der Gefangene jetzt warmes Wasser in seine Zelle bekommt, das soll nun die Vorinstanz klären. Ich vermute eher, dass er ab sofort zumindest in den Genuss von vier Duschen in der Woche kommen wird (Aktenzeichen 1 Vollz (WS) 529/15).

Facebooktime

Die aktuelle Ausgabe des Wirtschaftsmagazins brandeins gibt Einblick in den Arbeitsalltag einer Großkanzlei:

Man kommt manchmal auch mit sechs Stunden hin, sitzt dann aber trotzdem neun am Schreibtisch, weil Face Time erwartet wird“, sagt Kempen. „Facebooktime wäre eigentlich treffender, denn das macht man in der Zeit.

Insgesamt ein launiger Artikel aus einem juristischen Mikrokosmos, dessen Innenleben ich auch nur aus Erzählungen kenne.

Für die Schublade

Kunden von Prostituierten setzen sich künftig einem erhöhten strafrechtlichen Risiko aus. Zumindest wenn es nach der Bundesregierung geht. Das Kabinett beschloss heute einen Gesetzentwurf, nach dem auch Freier bestraft werden, wenn sie für Sex mit einer oder einem Zwangsprostituierten zahlen.

Bis zu fünf Jahre Haft soll es geben, wenn der Freier die persönliche oder wirtschaftliche Zwangslage oder die Hilflosigkeit einer Person ausnutzt. Die große Frage ist natürlich, anhand welcher Kriterien der Kunde die Zwangslage überhaupt erkennen könnte. Darauf gibt der Gesetzentwurf keine Antwort.

Selbst die Polizei scheint skeptisch, wie sie künftig die Kunden von Zwangsprostituierten überführen soll. „Dem Kunden muss einwandfrei nachgewiesen werden, dass er wusste oder wissen konnte, eine Zwangsprostituierte aufgesucht zu haben. Das sehe ich als polizeiliche Herausforderung“, sagt etwa Oliver Malchow von der Gewerkschaft der Polizei.

Dieses Gesetz darf also unter Symbolpolitik abgelegt werden. Und zwar in die gleiche Schublade wie die bereits verabschiedete Kondompflicht für das Sexgewerbe.

GEZ-Rebellin ist wieder frei

Gestern ging es hier im law blog um eine GEZ-Verweigerin, der das Ganze bisher 61 Tage Haft einbrachte. Nun ist sie wieder frei, berichtet stern.de.

Die 46-Jährige kam frei, weil der Mitteldeutsche Rundfunk seinen Haftantrag zurückgenommen hat. Mit diesem Antrag wollte die Rundfunkanstalt erzwingen, dass die Betroffene eine eidesstattliche Versicherung über ihre Vermögensverhältnisse abgibt. Die Rundfunkanstalt hatte wegen 190 Euro nicht gezahlter Beiträge vollstreckt.

Wieso der MDR nun einen Rückzieher macht, ist bisher leider nicht bekannt.

Loveparade: Wie kann der Prozess an einem Gutachter scheitern?

Die Loveparade-Katastrophe aus dem Jahr 2010 wird nicht in einem Strafprozess aufgearbeitet. Zumindest vorläufig nicht. Das Landgericht Duisburg lehnt die Zulassung der Anklage ab. Die Staatsanwaltschaft Duisburg wollte sechs Mitarbeiter der Stadt Duisburg und vier Mitarbeiter des Veranstalters wegen fahrlässiger Tötung verfolgen. Die Panik bei der Loveparade forderte 21 Todesopfer.

Der Beschluss soll 460 Seite umfassen. Man kann also davon ausgehen, dass sich das Landgericht Duisburg sehr detailliert mit der Frage auseinandersetzt, ob ein „hinreichender Tatverdacht“ vorliegt. Dieser hinreichende Tatverdacht ist für die Zulassung der Anklage erforderlich. Er liegt vor, wenn nach der Aktenlage eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Verurteilung besteht – also mehr als 50 Prozent.

Der Prozess scheitert nun laut der bislang veröffentlichten Pressemitteilung allerdings aus überschaubaren Gründen. Es handelt sich um das zentrale Beweismittel der Staatsanwaltschaft: einem Gutachten des britischen Panikforschers Keith Still. Die Erwägungen des Sachverständigen seien inhaltlich und methodisch mangelhaft, meint das Landgericht. Überdies sei der Sachverständige aus mehreren Gründen befangen, unter anderem weil er sich öffentlich in Vorträgen einseitig zu dem Thema geäußert habe. Überdies habe sich der Sachverständige nicht als unabhängig verstanden, sondern der Meinung gewesen, ihn habe ein Sicherheitsunternehmen und eine englische Universität beauftragt.

Alle diese Punkte kommen nicht überraschend. So hatte das Landgericht Still mit 75 schriftlichen Fragen bombardiert, aus denen sich die Bedenken klar herauslesen ließen. Da stellt sich natürlich die Frage, wieso ein Prozess um die strafrechtliche Verantwortlichkeit für 21 Menschenleben jetzt an einem mangelhaften Gutachten und einem befangenen Gutachter scheitern muss. Dass möglicherweise aus formalen Gründen die Wahrheit nie aufgeklärt werden wird, dürfte nicht nur für die Angehörigen der Opfer schwer zu ertragen sein.

Angesichts der deutlichen Worte des Gerichts in Richtung des Gutachters stellt sich die Frage, wieso die Staatsanwaltschaft Duisburg nicht bereits frühzeitig in Alternativen gedacht hat. Es ist ja in großen Fällen durchaus möglich und auch üblich, mehrere Sachverständige zu beauftragen. Wieso geradezu krampfhaft an einem bis dahin weitgehend unbekannten „Panikforscher“ festgehalten wurde – rätselhaft.

Aber auch das Landgericht Duisburg macht es sich möglicherweise zu leicht. Die Strafprozessordnung sieht nämlich ausdrücklich vor, dass das Gericht vor Entscheidung über die Zulassung der Anklage „zur besseren Aufklärung der Sache einzelne Beweiserhebungen anordnen“ kann (§ 202 StPO).

Zwar wird immer betont, das Gericht dürfe natürlich nicht das komplette Ermittlungsverfahren neu aufrollen. Aber spätestens nachdem der Sachverständige sich durch seine Auftritte auch noch der Besorgnis der Befangenheit ausgesetzt hat, hätte es nach meiner Meinung juristisch ausreichend Spielraum gegeben, um auch nach Erhebung der Anklage ein vernünftiges Gutachten einzuholen. Wieso das Landgericht Duisburg von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch macht, wird das Oberlandesgericht Düsseldorf sicher prüfen. Wenn die Staatsanwaltschaft oder möglicherweise die Nebenkläger Beschwerde einlegen.

Ungeklärt bleibt in jedem Fall die Frage, ob mit den Mitarbeitern der Stadt und des Veranstalters überhaupt die „richtigen“ Personen angeklagt waren. Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte und andere Verantwortliche vor Ort waren ja bereits frühzeitig eingestellt worden. Die Vorwürfe gegen sie dürften mittlerweile verjährt sein.

Kunstfreiheit: Das Ding ohne Schranken

Die Bundeskanzlerin hat ja heute nichts besseres zu tun, als dem türkischen Präsidenten Erdogan mit Kurzgutachten zur Frage auszuhelfen, ob Jan Böhmermanns Spottgedicht denn von den Grenzen der Presse- und Meinungsfreiheit gedeckt war. Es passiert ja sonst auch gerade nichts in der Welt.

Die Kunstfreiheit hat die Kanzlerin, wenn man den Berichten glauben darf, bei ihrer Betrachtung leider vergessen. Dabei ist Satire ja leider Gottes allzu oft auch Kunst, und diese wiederum ist nach aktueller Fassung des Grundgesetzes immer noch nicht von ausdrücklichen Gesetzesschranken eingehegt. Ganz im Gegensatz zur erwähnten Presse- und Meinungsfreiheit.

Aber mit dieser lässlichen Sünde fällt es auch gleich bedeutend leichter, dem angepissten Herrn Erdogan etwas nach dem Mund zu reden. Würde mich nicht wundern, wenn das den empfindsamen Präsidenten anstachelt, die Kanzlerin noch etwas mehr in die Bredouille zu bringen.

Dazu müssten Herr Erdogan oder seine Helfer mal ins Strafgesetzbuch schauen. Das enthält in § 103 StGB nämlich eine besondere Vorschrift, die für ihre Zwecke passen könnte wie die Faust aufs Auge. Demnach wird die Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes nämlich deutlich härter bestraft als die von „normalen“ Menschen. Während es sonst schon mal mit Geldstrafe abgeht, stehen hier saftige Strafen im Raum. Im Fall der „verleumderischen Beleidigung“ sind es bis zu fünf Jahre Knast. Für ein Verbaldelikt.

Das Ganze würde jedoch nur funktionieren, wenn Erdogan in Deutschland das macht, was er zu Hause ständig macht. Nämlich Strafanträge stellen. Dann wäre in der Tat die Bundesregierung am Zug. Sie müsste nämlich entscheiden, ob sie – bei Vorliegen einiger anderer Voraussetzungen – eine „Ermächtigung“ zur Strafverfolgung erteilt (§ 104a StGB). Ohne grünes Licht von Merkel würde also nichts laufen.

Das wäre wirklich ein interessanter Lackmustest zur Frage, wie weit sich die Bundesregierung erdoganisieren lassen würde. Nach den heutigen Worten der Kanzlerin würde ich da für nichts die Hand ins Feuer legen. Der Herr Böhmermann müsste sich trotzdem nicht großartig sorgen. Das Urteil sprächen am Ende Richter, die von der Kunstfreiheit schon mal etwas mehr gehört haben dürften und die Herrn Erdogan weniger verpflichtet sein dürften als unsere Kanzlerin.

Nachtrag: Weil es in den Kommentaren zu diesem Beitrag anders dargestellt wird: Der § 103 StGB gilt bei Staatsoberhäuptern auch dann, wenn sie sich nicht in Deutschland aufhalten. Nur bei anderen Regierungsmitgliedern ist es erforderlich, dass sie sich zum Zeitpunkt der Beleidigung in Deutschland befinden.

Nachtrag 2: Das Auswärtige Amt geht davon aus, dass Jan Böhmermann sich strafbar gemacht haben könnte