Gericht: Hautfarbe darf bei Kontrolle keine Rolle spielen

Mit einer Grundsatzentscheidung hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz gestern die Kontrolle einer jungen Familie durch Bundespolizeibeamte am 25.01.2014 für rechtswidrig erklärt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei die schwarze Hautfarbe der Kläger zumindest ein die Kontrolle mit tragendes Kriterium gewesen. Damit verstoße die Kontrolle gegen das Diskriminierungsverbot des Grundgesetzes, so die Richter. Es genüge, wenn die Hautfarbe Teil des „Motivbündels“ bei der Auswahl der zu kontrollierenden Person sei.

Die Eheleute G. aus Mainz befanden sich am 25.01.2014 für einen Tagesausflug mit ihren damals fünf und eineinhalb Jahren jungen Kindern in der regionalen Mittelrheinbahn von Mainz in Richtung Bonn. Im Verlauf der Fahrt wurden die heute 37-jährige Klägerin und der heute 40-jährige Kläger ohne Anlass und vor den Augen anderer Reisender von Beamten der Bundespolizei kontrolliert und die Daten ihrer Bundespersonalausweise wurden zur Datenprüfung an die Leitstelle weiter gegeben. Weitere Personen in dem Zug wurden nicht kontrolliert.

Das Gericht wollte nach einer umfangreichen Beweisaufnahme nicht ausschließen, dass die Hautfarbe der Kläger ein tragendes Kriterium für die Kontrolle war. Eine Auswahl der Personen bei Kontrollen, für die die Hautfarbe der Personen das alleinige oder zumindest ein ausschlaggebendes Kriterium sei, verstoße allerdings gegen das Diskriminierungsverbot des Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes.

Liege der Auswahl der kontrollierten Person ein Motivbündel zugrunde und sei dabei die Hautfarbe ein tragendes Kriterium unter mehreren, so sei über die bisherige Rechtsprechung hinausgehend ebenfalls ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG anzunehmen.

Eine Kontrolle in Anknüpfung an die Hautfarbe sei unzulässig. Die genaue Motivlage der die Kläger kontrollierenden Bundespolizeibeamten habe sich auch im Rahmen der umfangreichen Beweisaufnahme nicht feststellen lassen. Aufgrund der äußeren Umstände der Kontrolle und der teilweise unklaren Angaben der Zeugen sei der Senat nicht hinreichend davon überzeugt, dass die Hautfarbe der Kläger für ihre Kontrolle nicht doch mitentscheidend gewesen sei.

„Das Urteil des OVG ist ein Meilenstein für den Kampf gegen die rechtswidrige Praxis des Racial Profiling“, freut sich der Göttinger Rechtsanwalt Sven Adam, der die Kläger juristisch vertritt. „Denn von nun an wird die Bundespolizei nachweisen müssen, gerade nicht diskriminierend kontrolliert zu haben, wenn der äußere Anschein eine Kontrolle aufgrund der Hautfarbe naheliegt. Bislang stellte der Nachweis der Diskriminierung regelmäßig ein verfahrensrechtliches Problem dar, da die inneren Beweggründe der Polizeibeamten dem Beweis kaum zugänglich sind.“

Die Revision zum Bundesverwaltungsgericht wurde zugelassen (Aktenzeichen 7 A 11108/14.OVG).

Zirkusbär Ben ist jetzt nur noch Bär

Er heißt Ben, und er ist Deutschlands letzter Zirkusbär. Besser: Er war es. Denn Ben wird eine Rückkehr in die Manege wohl erspart bleiben. Der Verwaltungsgerichtshof München bestätigte heute in einer Eilentscheidung, dass das Ordnungsamt Ben bei seinem letzten „Gastspiel“ im niederbayerischen Plattling beschlagnahmen durfte.

Grund für das Eingreifen der Behörden war, dass Ben in dem Reisezirkus wiederholt über Stunden und Tage in einer dunklen, engen Box des Transportanhängers gehalten wurde. Hierbei wurde der Bär weder versorgt noch betreut. Die Missstände hatten Tierschützer bei den Behörden angezeigt. Bei der Überprüfung von Bens Situation ergab sich auch, dass das mobile Freigehege des Bären nicht ausreichend gesichert war.

Der Bär sei durch die reizarme Haltung in völliger Dunkelheit erheblich vernachlässigt worden, befinden die Richter. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte bestehe die Gefahr, dass der Zirkus es auch künftig nicht anders halten werde. Von daher sei es zulässig, dem Zirkus das Tier wegzunehmen. Hinzu kämen auch Sicherheitsbedenken wegen des mangelhaften Geheges.

Ben bleibt also weiter in einer behördlichen Auffangstation, wo er ausreichend versorgt wird und Freilauf hat. Der Zirkus kann jetzt noch das Hauptsacheverfahren vor Gericht betreiben (Aktenzeichen 9 CS 16.539).

VG Wort verteilte 50 % ihrer Einnahmen falsch

Seit Jahrzehnten schüttet die VG Wort 50 Prozent ihrer Einnahmen an Verlage aus. Dabei ist die Einrichtung eigentlich als eine Art GEMA für Schriftsteller, Autoren und Journalisten gedacht. Der Bundesgerichtshof beendet diese Praxis mit einem heute verkündeten Urteil.

Die VG Wort verteilt insbesondere die Kopierabgaben, welche Hersteller von Kopiergeräten, die Betreiber von Copyshops und Bibliotheken zahlen müssen. Auf die Klage eine Autors stellen die Richter fest, dass den Verlegern nach dem Urheberrechtsgesetz überhaupt keine eigenen Ansprüche auf eine Beteiligung an den Einnahmen der VG Wort zusteht. Zwar machten es die Verlage Autoren in der Regel erst möglich, ihre Texte zu verbreiten. Das sei aber keine „verlegerische Leistung“, die ohne rechtliche Grundlage einfach pauschal mit 50 % der Gesamteinnahmen abgegolten werden dürfe.

Die Praxis der VG Wort muss jetzt jedenfalls neu geregelt werden. Spannend wird sicher auch, ob und welchem Umfang Mitglieder der VG Wort Nachforderungen stellen können (Aktenzeichen I ZR 198/13).

Der supersichere Zeuge

Gerichte sollen die Wahrheit herausfinden. Insbesondere Strafgerichte stützen sich dabei in erster Linie auf Zeugen. Es gibt hunderte von Abhandlungen darüber, wie riskant das ist. Denn gerade die Wahrnehmungen von Zeugen sind nur in den seltensten Fällen richtig. Selbst wenn der Zeuge noch nicht mal absichtlich lügt.

Gestern hatte ich mal wieder das Vergnügen, diese Einschätzung aus erster Hand bestätigt zu erhalten. Es ging um eine angebliche Nötigung im Straßenverkehr. Der Zeuge, der eine Zeit lang neben dem Auto meines Mandanten fuhr, war sich so was von sicher: Auf dem Beifahrersitz saß eine ältere Frau, die mindestens 70 Jahre alt ist und starr geradeaus schaute.

Von dieser Beobachtung war der Zeuge nicht abzubringen. Auch nicht, als er hörte, dass es zwar eine Beifahrerin gab, die aber höchstens halb so alt ist wie er meinte. (Und die, ich sage es mal so, auch nicht unbedingt aussieht wie eine Seniorin.)

In dem Fall hatte ich allerdings ein gutes Gegenbeweismittel in der Hinterhand, um die tolle Beobachtungsgabe des Zeugen zu entkräften. Eine knappe Minute nach dem Vorfall war das Auto meines Mandanten von einer Radarfalle geblitzt worden. Das Foto war auch noch von ansehnlicher Qualität.

Ich hätte es dem selbstsicheren Zeugen gern vorgelegt und seine Reaktion gesehen. Aber der Richter wusste ja auch von dem Radarfoto. Er sah selbst, dass die so selbstsichere Beschreibung der vermeintlichen Seniorin auch die anderen Beobachtungen des Zeugen wackelig machte. Da war es nicht mehr schwer, um sich vom Vorwurf der Nötigung gegenüber meinem Mandanten zu verabschieden. Und zwar in Form einer (fairen) Verfahrenseinstellung gegen Zahlung einer Auflage.

So viel Glück hat man aber nicht immer bei Zeugen, die von sich selbst überzeugt sind.

Zwanziger darf Katar beleidigen

Der frühere DFB-Präsident Theo Zwanziger darf Katar ein „Krebsgeschwür des Weltfußballs“ nennen. So hatte Zwanziger sich im Juni 2015 in einem Interview des Hessischen Rundfunks geäußert.

Die Quatar Football Association, der offizielle Verband in dem Land, hatte gegen Zwanzigers Äußerung geklagt. Die 6. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf urteilte, die Bezeichnung „Krebsgeschwür“ sei zwar eine Beleidigung im Sinne von § 185 Strafgesetzbuch (StGB). Denn die Aussage sei im höchsten Maße schädlich für Katar.

Unterlassung kann der Fußballverband nach Auffassung des Gerichts trotzdem nicht verlangen. Denn die Aussage sei durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Der ehemalige DFB-Präsident habe die Aussage in Wahrnehmung des berechtigten Interesses getätigt, die öffentliche Debatte über die Vergabe der Fußball-WM nach Katar anzuregen und die Vergabeentscheidung zu kritisieren.

Es spreche auch nichts dafür, dass Zwanziger das Interview inszeniert habe, um von eigenem Fehlverhalten abzulenken. Im Hinblick auf die sportliche, wirtschaftliche und politische Bedeutung des Austragungsorts einer Fußballweltmeisterschaft sei der Zweck der Äußerung, die Augen der Öffentlichkeit kritisch auf die Arbeitsweise und Entscheidungsfindung der FIFA zu lenken, höher anzusetzen als der Ehrenschutz der Qatar Football Association.

Nach dem Urteil bekräftigte Zwanziger heute seine Kritik. Er sagte:

Ein Land, halb so groß wie Hessen, mit Menschenrechtsverletzungen und unerträglicher Hitze im Sommer, kann nach meiner Auffassung nicht Austragungsort sein für das mit den Olympischen Spielen größte Sportereignis der Welt.

LG Düsseldorf Aktenzeichen 6 O 226/15

Richter verabreicht Elektroschock

Ein Richter aus Maryland (USA) wurde zu einem Jahr Gefängnis auf Bewährung verurteilt. Er hatte einem Angeklagten in seinem Sitzungssaal einen Elektroschock mit 50.000 Volt verpassen lassen.

Das Überwachungsvideo aus dem Saal belegt, dass der Angeklagte ruhig an seinem Platz stand und zu seiner Verteidigung redete. Weil ihm die Ansprache wohl nicht zusagte, gab der Richter einem Wachtmeister den Befehl, den Taser einzusetzen („Mr. Sheriff, do it. Use it“). Den Vorfall kann man sich auf Youtube ansehen.

Selbst vor Gericht gestellt, bereute der Richter nun sein Verhalten. Er muss außerdem eine Strafe von 5.000 Euro zahlen. Sein Amt ist der 72-jährige Richter, der ohnehin nur noch in Telzeit arbeitete, auch los. Der oberste Gerichtshof von Maryland enthob ihn nach dem Vorfall seines Amtes.

Bericht in der Washington Post

Überführt

Aus einer Strafanzeige der Polizei zitiere ich den abschließenden Ermittlungsbericht. Dieser belegt kriminalistischen Scharfsinn höchster Güte:

Der Beschuldigte war Fahrer zur Unfallzeit, auch wenn die Zeugen den Fahrer nicht beschreiben können. Hätte der Beschuldigte den Pkw einer anderen Person zur Verfügung gestellt, hätte er dies mitteilen können, statt von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch zu machen. Stattdessen wurde sogar ein Rechtsanwalt eingeschaltet.

Keine Angaben zur Sache. Rechtsanwalt. Damit wäre wohl alles bewiesen. Es sei denn natürlich, der Staatsanwalt schmunzelt nach der Lektüre ebenso wie ich und stellt das Verfahren ein. Dafür spricht auch eine gewisse Erfahrung. Meine.

Angela Merkel: Dialektik, auf die Spitze getrieben

Die Bundesregierung erlaubt, dass Jan Böhmermann auf der Grundlage des § 103 StGB verfolgt wird. Das hat Kanzlerin Merkel heute persönlich bekanntgegeben. Aber nicht nur das. Vielmehr hat Frau Merkel auch gesagt, dass die Regierung das Sondergesetz für beleidigte Potentaten als überflüssig und nicht mehr zeitgemäß erachtet. Demgemäß will sie den § 103 StGB durch den Bundestag abschaffen lassen.

Anders gesagt: Der Staatsanwaltschaft wird durch die Ermächtigung eine Verfolgung Jan Böhmermanns erlaubt, obwohl diejenigen, die die Verfolgung nun erlauben, den Straftatbestand abschaffen wollen. Hierzu sage ich nur: Finde den Fehler. Dann hätte es völlig unabhängig von der Frage, ob unsere Justiz nichts besseres zu tun haben sollte, als die Ehre eines überempfindlichen autoritären Regierungschefs zu schützen, doch sehr nahegelegen, wenn die Bundesregierung von ihrer gesetzlichen Entscheidungskompetenz nach § 104a StGB Gebrauch gemacht hätte: Keine Ermächtigung, weil Majestätsbeleidigung ohnehin bald obsolet. Und kein Interesse daran, dass die Meinungsfreiheit bei uns Schaden nimmt.

Damit hätte die Bundesregierung keineswegs gegen die Gewaltenteilung verstoßen. Das Gesetz schaltet eine Opportunitätsprüfung („Ist die Strafverfolgung politisch gewünscht?“) vor, erst nach positiver Antwort auf diese Frage haben die Juristen das Wort. Gerade die Erkenntnis, dass § 103 StGB eigentlich längst abgeschafft gehört, wäre ein sehr nachvollziehbarer Grund gewesen, das Verfahren gegen Jan Böhmermann erst gar nicht beginnen zu lassen. Dabei muss man auch berücksichtigen, dass der Bundesregierung bei der Frage der Ermächtigung ein weiter Entscheidungsspielraum zusteht. Maßstab ist lediglich das Wohl des Volkes. Hätte sie daran etwas mehr gedacht, wäre Frau Merkel eine andere Entscheidung womöglich leichter gefallen.

Denn nun bahnt sich eine wahrlich absurde Situation an. Staatsanwälte dürfen nun ermitteln und je nach Ergebnis der Prüfung (deren Ergebnis keineswegs feststeht) Jan Böhmermann anklagen. Dann käme, wenn es nicht zu einer Einstellung kommt, ein Gerichtsverfahren in Gang. Es wird sicher nicht in drei Monaten beendet sein.

Und zwar schon deswegen nicht, weil weder Jan Böhmermann noch die Gerichte ein übertriebenes Interesse daran haben werden, zu einem schnellen Ergebnis zu kommen. Jedenfalls so lange, wie die Ankündigung von Frau Merkel steht, dass § 103 StGB möglichst schnell abgeschafft werden soll.

Zunächst mal ist Böhmermann nicht in Haft. Es besteht also keine Eile. Das bedeutet lange Wartezeiten, denn Richter müssen sich um dringende Sache kümmern. Gerade kleinere Strafprozesse ziehen sich, auch wegen der Belastung der Justiz mit Beleidigungspossen und sonstigem überflüssigen Kleinkram, gerne mal ins Unendliche.

Zum anderen sind weder Richter noch Staatsanwälte beruflich zu Autismus verpflichtet. Vielmehr werden sie sich bei einer absehbaren Abschaffung des Gesetzes nicht vordrängeln, um eine mögliche (rechtskräftige) Verurteilung Böhmermanns noch vor Abschaffung des Gesetzes hinzukriegen. Zumal sich ja ohnehin die interessante Frage stellt, ob es nicht sogar Rechtsbeugung wäre, wenn ein Richter kurz vor definitiver Abschaffung einer Strafnorm noch ein Urteil auf diese stützt.

Ach ja, das alles sind keine theoretischen Erwägungen. Nach § 2 StGB gilt nicht das Strafgesetz am Tattag, sondern im Falle einer Gesetzesänderung immer das mildeste Gesetz zum Zeitpunkt des Urteils. Wenn ein Paragraf völlig das Zeitliche segnen würde, gibt es also keine Grundlage für eine Verurteilung mit der Folge, dass das Verfahren eingestellt werden oder der Angeklagte sogar freigesprochen werden müsste.

Durchaus nachvollziehbar

Aus dem Vermerk einer Staatsanwältin:

Darüber hinaus stellte ich klar, dass das Verfahren sehr viel schneller hätte beendet werden können, hätte der Beschuldigte sich bereit erklärt, die passwortgeschützten Computer seitens der Polizei durch Angabe des Passwortes entschlüsseln zu lassen.

Dies räumte der Beschuldigte ein, teilte aber mit, dass die Polizei bei der bei ihm durchgeführten Durchsuchung derart brachial vorgegangen sei und ihm mit dem Anlagen von Handfesseln gedroht habe, so dass er sich nicht bemüßigt gesehen habe, der wenigen Minuten nach dieser Drohung geäußerten Bitte, doch die Passwörter mitzuteilen, nachzukommen.

Diese Erklärung erscheint mir durchaus nachvollziehbar.

Polizei Hagen giftet auf Facebook Gaffer an

Die Hagener Polizei hat einen wütenden Facebook-Post veröffentlicht. Unter der Überschrift „Schämt Euch, ihr Gaffer vom Hauptbahnhof“ echauffiert sich die Behörde darüber, dass bei einem Rettungseinsatz am Hauptbahnhof zahlreiche Menschen mit ihren Handys gefilmt und die Rettungskräfte behindert haben.

Aus dem Text:

Ihr solltet Euch was schämen, dass mehrere hundert von Euch mit dem Smartphone in der Hand die Rettungsarbeiten massiv behindert haben. Euch ging es nur darum, das verletzte Kind und die Landung des Hubschraubers zu filmen. Sogar mehrere Streifenwagen waren notwendig, um den Rettungskräften den nötigen Platz zu verschaffen. Polizisten in der Absperrung habt ihr gefragt, ob sie mal an die Seite gehen können, damit ihr besser filmen könnt. Unfassbar!

Um das Mädchen in Ruhe behandeln zu können, hat es die Feuerwehr mit weissen Tüchern verdeckt. Aber selbst das hat Euch nicht daran gehindert, mit Euren Smartphones in der Hand angelaufen zu kommen und über die Tücher zu gaffen. Das ist wirklich der Gipfel der Skrupellosigkeit.

Natürlich hat die Polizei in allen Punkten Recht. Sachlich gesehen. Was mich persönlich stört, ist der fast schon hysterische, anklagende Ton in der Facebook-Botschaft. Dieser Ton eskaliert und drängt die Angesprochenen verbal in eine Ecke. Eskalation ist eigentlich genau das, was Polizeibeamte vermeiden sollten. Von der Polizei erwarte ich dementsprechend eigentlich, dass sie sachlich, energisch und vor allem unaufgeregt bleibt – in jeder Situation. Ganz so, wie es der Header der Facebook-Seite verspricht. Dort bezeichnet sich die Hagener Polizei als „bürgerorientiert, professionell, rechtsstaatlich“.

Das anklagende Gequäke in dem Post vermittelt mir nicht gerade dieses Bild.

Kein Hartz IV bei Haftbefehl

Im Knast sind Kost und Logis gratis. Na ja, wenn einem der Staat die Kosten nicht doch wieder hintenrum in Rechnung stellt – zum Beispiel über die Verrechnung mit Arbeitslohn. Derartige Feinheiten beschäftigten das Sozialgericht Münster aber nicht, als es über die Forderung eines 40-Jährigen beriet. Der Mann wollte Sozialleistungen, obwohl er seit geraumer Zeit per Haftbefehl gesucht wird.

Der Mann war Ende 2015 zu einer Freiheitsstrafe von 14 Monaten verurteilt worden. Seine Haft trat er nicht an, weswegen er jetzt gesucht wird. Die Richter meinen durchaus nachvollziehbar, durch Bewilligung von Hartz IV würden sie dem Betroffenen helfen, sich zumindest vorübergehend vor dem Gefängnis zu drücken. Im Knast sei sein Lebensunterhalt auch vollständig gedeckt, so dass er nicht als bedürftig gelte (Aktenzeichen S 10 SO 37/15 ER).

Wie Herr Erdogan vor den Schiedsmann trat…

Wenn ich in Gedanken die möglichen weiteren Konstellationen der Causa Erdogan / Böhmermann durchspiele, komme ich auf eine besonders reizvolle Variante. Wie wäre es denn, wenn man die beiden Kontrahenten einfach dazu bringt, sich mal gründlich auszusprechen? Der richtige Ort für dieses Zusammentreffen wäre das Büro des Schiedsfrau bzw. des Schiedsmannes, der für Mainz zuständig ist.

So ein Schiedsverfahren ist ja der Regelfall bei normalen Beleidigungen. Und zwar dann, wenn der Staatsanwalt das öffentliche Interesse an einer Strafverfolgung verneint. Was eher die Regel denn die Ausnahme ist. Dann muss der Statsanwalt nicht tätig werden. Vielmehr kann er den Beleidigten auf die sogenannte Privatklage verweisen. Die Frage nach dem öffentlichen Interesse ist übrigens eine Sache, bei der niemand dem Staatsanwalt reinreden kann. Verneint der zuständige Staatsanwalt das öffentliche Interesse, könnte sich Erdogans Anwalt nirgends beschweren.

Vielmehr müsste der türkische Präsident dann überlegen, ob er eine sogenannte Privatklage erhebt. Die setzt allerdings in Rheinland-Pfalz und anderswo voraus, dass ein Schiedsverfahren stattgefunden hat. Und zwar in Anwesenheit der Streithähne. Der Ablauf wird auf auf der Seite des zuständigen Schiedsamtes von Mainz sehr anschaulich geschildert:

Sie sitzen an einem Tisch mit der zuständigen Schiedsperson und der Person, mit der Sie sich im Streit befinden und klären die strittige Angelegenheit.

Dies ist auch in den Fällen so, in denen Sie mit denen, mit denen Sie sich in Streit befinden, nicht mehr reden können.

Denn die rheinland-pfälzische Schiedsamtsordnung schreibt zumindest in Strafsachen das persönliche Erscheinen der Parteien vor und gibt im Falle der Nichtbefolgung den Schiedspersonen die Möglichkeit, ein Ordnungsgeld zu verhängen.

In einem mit Einfühlungsvermögen geführten Gespräch mit den sich Streitenden wird die Schiedsperson als „neutrale Person“, die durch den von ihr abgelegten Eid zur absoluten Verschwiegenheit und Unparteilichkeit verpflichtet ist, versuchen, die Parteien wieder ins Gespräch miteinander zu bringen, den Streit beizulegen und zwischen den „Parteien“ einen Vergleich zu schließen.

Gut, sicher wird der zuständige Staatsanwalt schon einige gedankliche Hürden überwinden müssen, um ausgerechnet in diesem Fall kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung zu sehen. Aber ausgeschlossen ist es wie gesagt nicht. Gerade für den ja nach wie vor denkbaren Fall, dass die Bundesregierung keine Ermächtigung dazu erteilt, dass für Erdogan der Sonderparagraf der Beleidigung eines Staatsoberhauptes gezogen wird. Das wäre zumindest ein deutliches Signal, dass die Strafverfolgungsbehörden sich vielleicht nicht unbedingt in den Geruch bringen müssen, Handlanger eines autoritären Staatsmannes zu sein.

Das endlose mediale Getöse allein muss kann ja auch nicht der Grund sein, zwingend ein öffentliches Interesse zu bejahen.

Wie gesagt, es bedürfte also nur eines bedingt mutigen Staatsanwalts, der Herrn Erdogan behandelt wie jede andere beleidigte Leberwurst. Und wer weiß, vielleicht reicht es am Ende ja sogar zu einem Friedensschluss unter echten Männern. Die Stadt Mainz brüstet sich jedenfalls mit einer Erfolgsquote von über 50 %.

Schlafen Sie gut heut‘ Nacht

Manche Ermittlungsakten lassen mich frösteln. Nicht wegen der Straftaten, welche Polizei oder Staatsanwaltschaft meinem Mandanten zur Last legen. Sondern wegen der für mich kaum noch nachvollziehbaren Bereitschaft, notfalls halt auch völlig Unschuldige zu verdächtigen. Und zwar mit einem Vorwurf, von dem man sich heute kaum noch reinwaschen kann. Zum Beispiel der Verbreitung von Kinderpornografie.

Genau diesen Albtraum erlebte in den letzten Monaten Herr J. Den Vorwurf eröffneten Kriminalbeamte Herrn J. frühmorgens im Beisein von Frau und Kindern, als sie zur Hausdurchsuchung im Einfamilienhaus des Herrn J. anrückten. Herr J., so hieß es in dem von einem Richter unterzeichneten Durchsuchungsbeschluss, werde verdächtigt, seit etlichen Monaten Kinderpornos im Tor-Netzwerk zu tauschen.

Nur ein einziges Indiz führte zu Herrn J. Nämlich eine seiner E-Mail-Adressen. Die lautet fdfoweoe68@web.de. Die Adresse lautet in Wirklichkeit anders, sie ist aber vergleichbar kryptisch beziehungsweise zufallsgeneriert. Herr J. nutzt die Adresse nur für Bestellungen, Preisausschreiben etc., wenn er seine Hauptadresse wegen Spamgefahr nicht angeben will.

Nun ist es nicht so, dass der angebliche Kinderporno-Tauscher im TOR-Netzwerk mit der Adresse fdfoweoe68@web.de aufgefallen wäre. Nein, dort nutzte er die (wiederum abgewandelte) E-Mail-Adresse blödfrau38aplumpaquatschalphacentauri@yahoo.de.

Die E-Mail-Adresse von Herrn J. taucht aber in „Unterlagen“ auf, welche Ermittler in Augenschein nahmen. Und zwar handelt es sich um die Daten, die der Kinderporno-Tauscher bei der Registrierung seiner Yahoo-Mail-Adresse hinterlassen hat. Dort gab er bei den Kontaktdaten als „sekundäre“ E-Mail-Adresse fdfoweoe68@web.de an. Bekanntermaßen verifizieren die weitaus meisten Mailanbieter solche Angaben in keinster Weise. Man kann als sekundäre E-Mail-Adresse also jede beliebige Zeichenfolge angeben. Hauptsache, sie wird vom System als E-Mail-Adresse erkannt.

So etwas ficht emsige Fahnder und Staatsanwälte aber heutzutage nicht mehr an. Leider aber auch nicht Richter, mögen sie nun unter Arbeitsüberlastung ächzen. Oder auch nicht. Der zuständige Staatsanwalt hielt in der Akte nur fest, die sekundäre E-Mail-Adresse beruhe zwar nur auf Angaben, die der Verdächtige selbst gemacht habe. Aber da es keine weiteren Ermittlungsansätze gebe, sei eine Hausdurchsuchung beim Inhaber dieser E-Mail-Adresse erforderlich. Vorher checkte die Polizei nur, wem die Adresse gehört. Nämlich meinem Mandanten, der bei web.de für die Registrierung seinerseits natürlich seine richtigen Personalien angegeben hat.

Weitere vorherige Ermittlungen? Keine. Niemand hielt es für nötig mal zu checken, wer denn der Mensch hinter fdfoweoe68@web.de ist. Und ob man nicht auf anderem Wege nähere Informationen bekommen kann, die den Betreffenden vielleicht als Verdächtigen ausschließen. Stattdessen wurde auf direktem Wege bei meinem Mandanten einmarschiert. Seine Hardware wurde beschlagnahmt und überprüft. Halt das volle Programm. Wobei es meinem Mandanten selbst überlassen blieb, seine Frau davon zu überzeugen, dass bei ihm keine Kinderpornografie zu finden sein wird.

Leider ist das nicht der einzige Fall aus meiner Praxis, in dem in letzter Zeit irgendwelche von dritter Seite eingegebenen Kontaktdaten für Durchsuchungsbeschlüsse ausreichten. Wobei die Ermittler in drei von vier Fällen ebenso falsch lagen wie bei Herrn J. Von daher dürfte es auch schwer fallen, irgendeine kriminalistische Erfahrung zu konstruieren, nach der (spätere) Straftäter bei der Registrierung von E-Mail-Accounts eher korrekte Kontaktdaten angeben, weil sie ja noch nicht daran denken, dass sie den Account später mal für illegale Zwecke nutzen werden.

Kurz gesagt: Wenn diese Praxis Bestand hat, kann an sich niemand mehr ruhig schlafen, der eine E-Mail-Adresse auf den eigenen Namen registriert hat. Es bedarf ja nur irgendeines Dritten, der gewillt ist, diese Adresse als „Spur“ zu hinterlassen. Und das möglicherweise sogar nur fahrlässig, weil er eine Fantasieadresse generiert, die aber in Wirklichkeit schon Sie nutzen. Oder ich.

Leider fehlt mir mittlerweile der Glaube daran, dass das Bundesverfassungsgericht wenigstens dieser Nullvariante des Anfangsverdachts einen Riegel vorschiebt.

Aber versuchen werde ich es mal.

Kein Wort zum Haftgrund

Weil er angeblich während der Arbeit ein Online-Spiel auf seinem Handy gespielt haben soll, ist der Fahrdienstleiter von Bad Aibling jetzt in Untersuchungshaft genommen worden. Bei dem Zugunglück kamen elf Menschen ums Leben.

Die Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Traunstein wirft allerdings Fragen auf. Im günstigsten Fall macht bei der Behörde jemand die Pressearbeit, der sein Handwerk nicht versteht und der deshalb der Öffentlichkeit wesentliche Informationen vorenthält. Oder es läuft juristisch gründlich was schief im Zugunglücks-Fall.

Schauen wir uns also die Pressemitteilung an. Darin steht im Kern, es habe sich herausgestellt, dass der Fahrdienstleister unmittelbar vor dem Unglück auf seinem Handy ein Online-Spiel gemacht hat. Hierdurch sei er mutmaßlich abgelenkt gewesen. Was, das ist völlig richtig, den Vorwurf der Pflichtverletzung verschärft und damit den Grad seiner möglichen Schuld erhöht.

Das alles betrifft aber nur eine der Voraussetzungen, die für einen Haftbefehl nötig sind. Nämlich den Tatverdacht. Dieser muss „dringend“ sein, wenn die Untersuchungshaft angeordnet werden soll.

Aber damit ist es eben nicht getan. Die Strafprozessordnung fordert zusätzlich auch einen Haftgrund. Der weitaus wichtigste Haftgrund ist die Flucht des Bechuldigten oder zumindest die Gefahr, dass er flüchtet. Daneben gibt es noch die Verdunkelungsgefahr und die Wiederholungsgefahr.

Zu dem zweiten Baustein eines Haftbefehls, dem Haftgrund, steht aber kein Wort in der Pressemitteilung. Gibt es Anhaltspunkte dafür, dass sich der Fahrdienstleiter ins Ausland absetzen will (Fluchtgefahr)? Eine höhere Straferwartung, über die in der Presse spekuliert wird, führt übrigens nicht automatisch zum Haftgrund der Fluchtgefahr. Vielmehr muss im Einzelfall immer sehr genau abgewogen werden, so der Bundesgerichtshof. Insbesondere gibt es keine Regel, dass Fluchtgefahr immer dann vorliegt, wenn keine bewährungsfähige Strafe mehr zu erwarten ist.

Oder hat der Mann womöglich versucht, Zeugen zu beeinflussen (Verdunkelungsgefahr)? Dann sollte die Staatsanwaltschaft halt etwas dazu sagen, denn ansonsten bleibt völlig unklar, was denn jetzt der zweite notwendige Baustein des Haftbefehls sein soll. Und wenn sie aus irgendwelchen Gründen nichts zu dem Haftgrund sagen will, dann sollte die Staatsanwaltschaft eben sagen, dass der Haftgrund bejaht wird, aber keine Einzelheiten bekanntgegeben werden.

Eine andere Möglichkeit ist, dass man es mit dem Haftgrund in diesem Fall mal nicht so genau genommen hat. Etwa um energisches Durchgreifen zu dokumentieren. Das wäre dann allerdings noch viel kritischer als eine verbesserungswürdige Pressearbeit.