Ich werde nur 3 Fragen stellen…

Mir wird die todsichere Verteidigungsstrategie skizziert:

Der Richter kann gar kein Verfahren eröffnen.

Zunächst einmal werde ich dem Richter zur Klärung der Rechtsunsicherheit 3 Fragen stellen, verlange seinen Amtsausweis, frage ob er ein staatlicher Richter ist und ob es sich um ein staatliches Gericht handelt. Diese Fragen kann er mir nicht mit „ja“ beantworten, da es keine staatlichen Gerichte und auch keine staatlichen Richter mehr gibt, es sei denn, sie sind ausdrücklich von den Alliierten dazu legitimiert.

Ich habe mir eine eidesstattliche Versicherung vorbereitet, die er mir dann bitte unterschreiben möchte. Wenn er das alles nicht macht, kann er kein Verfahren eröffnen. Dann macht er eine Aussageverweigerung wegen Eigenbelastung gem. § 55 Strafproz.O.

Ich poste das nur ungern und ausschließlich in Erfüllung meiner Chronistenpflicht. Immerhin mache ich mich als Strafverteidiger ja völlig überflüssig und darf mich damit quasi nach einem neuen Job umsehen.

Frau verschwindet mit Briefkastenschlüssel

Wer eine gerichtliche Frist versäumt, kann sich nicht darauf berufen, die eigene Ehefrau habe mit dem Briefkastenschlüssel das Weite gesucht. Mit genau dieser Entschuldigung kam jedenfalls ein 24-Jähriger vor dem Oberlandesgericht Hamm nun nicht weiter.

Der Mann konnte nach eigenen Angaben knapp elf Tage nicht an seine Post, weil ihn seine Frau mitsamt des Briefkastenschlüssels vorübergehend verlassen hatte. Deshalb versäumte er die Frist, um sich gegen einen Bewährungswiderruf zu wehren.

Das Oberlandesgericht Hamm verweigerte dem Betroffenen eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Jeder sei verpflichtet, regelmäßig der Post zu schauen. Der 24-Jährige hätte den Briefkasten von jemandem öffnen lassen können, der sich damit auskennt. Oder er habe zumindest bei seiner Frau auf Rückgabe des Schlüssels drängen müssen. Da er beides versäumt habe, habe er die Frist nicht unverschuldet versäumt.

Der Betroffene muss nun seine Freiheitsstrafe absitzen. Im Knast werden seine Gedanken voraussichtlich viel häufiger um Schlüssel kreisen (Aktenzeichen 4 Ws 103/16).

Alle erinnern sich genau, nur leider falsch

„Können vier Polizisten irren und mit ihrem Irrtum einen Angeklagten hinter Gitter bringen?“ Diese Frage stellt die Märkische Allgemeine in einem Prozessbericht. Die Antwort gibt es auch: Das geht – hier aber nur fast. Denn ein Gutachter deckte zumindest in zweiter Instanz auf, dass die Beamten die Unwahrheit gesagt hatten.

Es ging um die Festnahme eine Mannes wegen Drogenhandels. Die Beamten hatten behauptet, der Verdächtige sei mit seinem Auto auf der Flucht absichtlich auf sie zugefahren, obwohl ihr Auto bereits gestanden habe. Der Angeklagte beteuerte dagegen, er habe gar nicht gewusst, dass es sich um Polizisten handelte. Außerdem sei ihr Fahrzeug auch noch gefahren, so dass er einfach nicht ausweichen konnte.

Erst ein eigenes Gutachten, das der Angeklagte in zweiter Instanz vorlegte, entlarvte die Angaben der Polizisten als falsch. So könne sich der Unfall nicht zugetragen haben, lautete das Fazit des Sachverständigen. Das Polizeiauto habe keinesfalls gestanden. Am Ende kriegte der Angeklagte vom Landgericht Potsdam noch anderthalb Jahre wegen Drogenhandels – auf Bewährung. Das Amtsgericht Brandenburg an der Havel hatte zunächst auf zweieinhalb Jahre Haft befunden, die nicht mehr zur Bewährung hätten ausgesetzt werden können.

Missglückter Schülerspaß oder sexueller Angriff?

Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat entschieden, dass sexuelle Übergriffe eines Schülers gegenüber einer Mitschülerin auch dann einen Schulausschluss rechtfertigen, wenn diese von ihm als „Spaß“ verstanden wurden.

Ein Sechstklässler, 12 Jahre alt, solle eine Mitschülerin auf dem Nachhauseweg aufgefordert haben, „ihm einen zu blasen“. Er soll dabei auf die Elfjährige zugegangen sein, Hose und Unterhose heruntergezogen haben. Die Schule quittierte dieses Verhalten mit einem sofortigen Schulausschluss, nachdem die Eltern der Schülerin Strafanzeige erstattet hatten.

Der Schüler klagte gegen den Rauswurf aus der Schule, bekam aber vor dem Verwaltungsgericht im Eilverfahren kein Recht. Das Gericht glaubte ihm nicht, dass er tatsächlich auf der gegenüberliegenden Straßenseite gestanden habe und das ganze nur lustig gemeint gewesen sei. Das Gericht schließt aus den Angaben des Mädchens und eines anderen Schülers, dass der Schüler tatsächlich viel näher an dem Mädchen gestanden habe.

Obwohl der Schüler in seinem jungen Alter möglicherweise nicht die gesamte Tragweite seines Verhaltens überblickt habe, könne dies nicht als alterstypisches (vor-)pubertäres Verhalten angesehen werden. Denn es müsse auch dem Antragsteller klar gewesen sein, dass ein solches Verhalten die Grenze zum „Spaß“ bei weitem überschreite, zumal sich der Antragsteller und die Geschädigte nur vom Sehen gekannt hätten. Zu Lasten des Jungen wertete das Gericht auch, dass er schon früher Mitschüler beleidigt, provoziert oder auch körperlich angegangen habe.

Ein Verbleib des Antragstellers an der Schule lasse auch „eine Gefahr für die Erziehung und Unterrichtung, die sittliche Entwicklung und Sicherheit der Mitschüler befürchten“. Zudem dürfte es dem Mädchen auch nicht zumutbar sein, weiter dieselbe Schule wie der Antragsteller zu besuchen, da es im Schulhaus und Schulgelände stets zu einem Zusammentreffen kommen und die Geschädigte damit jederzeit mit der Tat konfrontiert werden könne.

Der 12-Jährige ist mittlerweile an einer anderen Schule (Aktenzeichen 12 K 2336/16).

Richter lassen Schockwerbung auf Zigarettenpackungen zu

Zigarettenhersteller müssen Schockbilder auf Zigarettenpackungen anbringen. Zumindest vorläufig. Das Bundesverfassungsgericht lehnt den Erlass einer einstweiligen Verfügung ab. Ein Zigarettenhersteller wollte damit das neu gefasste Tabakerzeugnisgesetz stoppen. Die Vorschriften verlangen drastische Gesundheitswarnungen auf jeder Zigarettenpackung. Die Pflicht gilt seit heute.

Die Richter sehen jedoch keinen Grund, die Vorschriften außer Kraft zu setzen. Das Gesetz beruhe auf Vorgaben der Europäischen Union. Es verfolge deshalb den wichtigen Zweck, das europäische Recht zu harmonisieren. Überdies gehe es um Gesundheitsschutz, und dieser sei ein „überragend wichtiges Gemeinwohlziel von Verfassungsrang“.

Die befürchteten wirtschaftlichen Einbußen des Herstellers seien dagegen nicht so gravierend. Insbesondere sei der Firma nicht der Nachweis gelungen, dass Schockwerbung ihre Existenz gefährdet. Das Gericht betont allerdings, es handele sich um eine vorläufige Abwägung. Ob die Schockwerbung tatsächlich verfassungsgemäß ist, wird erst im Hauptsacheverfahren geprüft (Aktenzeichen 1 BvR 895/16).

Niemals pusten, bloß nicht pinkeln

Wenn in einem Fall größere Mengen Alkohol eine Rolle spielten, konnte ich als Anwalt meinen Mandanten früher leicht beruhigen. Nach dem Motto: Kein Zusammenhang mit dem Straßenverkehr? Kein Risiko für den Füherschein. Diese Zeiten sind längst vorbei, wie beispielsweise ein Beschluss des Verwaltungsgerichts Trier zeigt.

Ein Mann war gut betankt (2,5 Promille) in Trier durch die Stadt gegangen. Er wurde beobachtet, wie er aus einem Fahrrad die Luft abließ. Außerdem habe er sich „äußerst aggressiv“ gezeigt, indem er mit den Füßen gegen Häuserwände, Straßenschilder und sonstiges Straßenmobiliar trat. Das erfuhr das Straßenverkehrsamt aus einem Polizeibericht. Die Behörde verlangte von dem Mann einen Idiotentest.

Zu Recht, findet das Verwaltungsgericht. Ein einmalig festgestellter erhöhter Alkoholwert sei allein zwar kein ausreichender Hinweis auf eine Untauglichkeit zum Führen von Kraftfahrzeugen. Doch biete das „auffällige Verhalten“ des Betroffenen „in der Gesamtschau“ Hinweise auf einen „Verlust der affektiven Steuerungsfähigkeit gegenüber der Umwelt“. Deshalb seien Zweifel an seiner Fahreignung erlaubt – auch ohne einen direkten Bezug zum Straßenverkehr.

Solche Gerichtsbeschlüsse sollten ein Warnsignal für alle sein, die an ihrem Führerschein hängen. Wie schnell wird man zum Beispiel auf einer Kneipentour in irgendeinen Polizeieinsatz verwickelt und zu einem Atemalkoholtest aufgefordert? Wenn so ein Ergebnis dann, kombiniert mit einigen fragwürdigen Anmerkungen, Eingang in den Polizeibericht findet, kann das also schon Ärger mit dem Straßenverkehrsamt nach sich ziehen. Und das, ich wiederhole es, obwohl der Tatvorwurf des Fahrens unter Alkoholeinfluss gar nicht zur Debatte steht.

Die Lehre aus einem so gestiegenen Risiko kann nur sein, grundsätzlich nicht zu pusten sowie Wisch- und Pinkeltests zu verweigern. Gleiches gilt für die berühmten Koordinationstests (z.B. auf der Linie gehen). Die Verweigerung eines Test ist nicht nur das gute Recht jedes Betroffenen, sondern auch sonst fast immer das richtige Mittel der Wahl. Fällt der Test positiv aus, muss man ohnehin zur Blutprobe. Nur im Fall der Weigerung besteht die Möglichkeit, dass der Polizist den Aufwand scheut und einen unbehelligt lässt (Aktenzeichen 1 L 1375/16 TR).

Dashcam-Videos können Verkehrssünder überführen

Ordnungsämter dürfen mit privaten Dashcam-Aufnahmen Verkehrssünder überführen – allerdings nur in Grenzen. Das Oberlandesgericht Stuttgart hält Dashcam-Bilder in einer Entscheidung für taugliche Beweismittel im Bußgeldverfahren. Im konkreten Fall konnte ein Rotlichtsünder nur überführt werden, weil ein anderer Autofahrer die Bilder seiner Dashcam zur Verfügung gestellt hatte.

Nach Auffassung des Gerichts spricht im Ergebnis nichts dafür, solche Aufnahmen als Beweismittel im Bußgeldverfahren abzulehnen. Da Dashcam-Videos aber in die Persönlichkeitsrechte der Beteiligten und aller Passanten eingriffen, müssten die Behörden stets abwägen. Bei relativ geringfügigen Verstößen hätten sie die Möglichkeit zur Einstellung des Verfahrens, vor allem wenn das Dashcam-Video der einzige Beweis sei. Das kam vorliegend allerdings nicht in Betracht, weil dem Betroffenen ein schwerer Verkehrsverstoß zur Last gelegt wurde. Er überfuhr die Ampel, als diese schon sechs Sekunden rot zeigte.

Auch für einen weiteren Fall mahnt das Gericht Zurückhaltung an. Nämlich insbesondere dann, wenn Bürger sich zu Hilfssheriffs aufschwingen und gezielt Jagd auf Verkehrssünder machen (Aktenzeichen 4 Ss 543/15).

WhatsApp muss Kunden in deutscher Sprache informieren

WhatsApp ist der beliebteste Messenger in Deutschland. Obwohl es also massenweise Kunden bei uns hat, stellt das Unternehmen seinen Nutzern bei Vertragsschluss keine Nutzungsbedingungen auf deutsch zur Verfügung. Vielmehr sollen die „Terms of Service“ und die Datenschutzerklärung in englischer Sprache akzeptiert werden. Gegen diese Praxis hat der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) nun erfolgreich geklagt.

Das Berliner Kammergericht schreibt in seinem Urteil, Alltagsenglisch sei hierzulande zwar verbreitet, nicht aber juristisches, vertragssprachliches und kommerzielles Englisch. Kein Kunde müsse damit rechnen, „einem umfangreichen, komplexen Regelwerk mit sehr, sehr vielen Klauseln“ in einer Fremdsprache ausgesetzt zu sein.

So lange die Bedingungen nicht ins Deutsche übersetzt sind, seien sämtliche Klauseln intransparent und damit unwirksam. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig (Aktenzeichen 5 U 156/14).

Abmahnung für Unitymedia

Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen mahnt Unitymedia ab. Unitymedia möchte ein WLAN-Netz aufbauen, in dem jeder Kundenrouter gleichzeitig als Hotspot dient. Jeder Kunde, der mitmacht, soll dann unterwegs alle sogenannten „WiFiSpots“ mit seinen Geräten nutzen dürfen.

Ich habe in meiner Wohnung Unitymedia und kann bestätigen, was die Verbraucherschützer jetzt monieren. Zwar hat Unitymedia ein Informationsschreiben geschickt. Allerdings ist es meine Aufgabe als Kunde, der Öffnung meines Routers als WiFiSpot zu widersprechen.

Die Verbraucherzentrale sieht darin eine unzulässige, einseitige Vertragserweiterung durch Unitymedia. So sähen die Bedingungen für den WifiSpot vor, dass der Kunde nach Aktivierung seinen Router nur für Neustarts vom Strom trennen darf. Das ist natürlich ein Albtraum für alle, die alle elektronischen Geräte ausknipsen, wenn sie schlafen gehen oder in Urlaub fahren.

Auf mögliche andere Bedenken oder Risiken geht die Verbraucherzentrale in ihrer Pressemitteilung nicht ein. So viele dürfte es auch nicht geben, denn Unitymedia versichert, dass der WiFiSpot keine Überschneidungen mit dem WLAN des Verbrauchers aufweise. So werde die Bandbreite des Kunden nicht angetastet. Außerdem sichert Unitymedia zu, dass das Unternehmen allein die Störerhaftung übernimmt.

Dennoch ist der Standpunkt der Verbraucherschützer nachvollziehbar, denn eine Vertragsänderung liegt allemal vor. Da wäre es nur fair, vom Kunden eine aktive Zustimmung einzuholen (was dann allerdings die Beteiligungsquote drastisch senken dürfte).

Ich persönlich bleibe erst mal dabei. Denn schlecht ist die Idee mit dem großflächigen WLAN-Netz jedenfalls nicht.

„Steinzeiternährung, Low Carb, Low Fat, Rohkost, Trennkost, Fruitarismus, Veganismus“

Berliner Schüler haben keinen Anspruch auf ein veganes Mittagessen. Das Verwaltungsgericht Berlin lehnte jetzt den Prozesskostenhilfeantrag eines Vaters ab. Der wollte für seine neunjährige Tochter vegane Kost an der Schule einklagen.

Der Vater berief sich auf ethische Gründe. Er machte geltend, diese Gründe seien genau so gewichtig wie religiöse oder gesundheitliche, auf die an Berliner Schulen Rücksicht genommen werde. Die Behörde verlangte dagegen ein ärztliches Attest, wenn das Kind ein veganes Mittagessen erhalten solle.

Das Verwaltungsgericht Berlin weist in seinem Beschluss darauf hin, die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfehle gerade keine vegane Ernährung für Kinder. Es gebe auch keine rechtliche Verpflichtung der Schulen, auf alle Ernährungsüberzeugungen Rücksicht zu nehmen. So gebe es beispielsweise Steinzeiternährung, Low Carb, Low Fat, Rohkost, Trennkost, Fruitarismus, Veganismus und andere Strömungen. So eine Vielfalt könnten Großküchen nicht bewältigen.

Das Mädchen habe die Möglichkeit, eigenes Essen mitzubringen und aufzuwärmen. Sie dürfe sich auch veganes Essen liefern lassen. Da es ohnehin schon ein vielfältiges Angebot in den Schulküchen gebe, äßen die Kinder sowieso nicht das Gleiche. Deshalb bestehe auch keine Gefahr der Ausgrenzung (Aktenzeichen 3 K 503.15).

Ein Anhang, der Erdogan vermutlich schäumen lässt

Pressemitteilungen deutscher Gerichte sind meist nicht wahnsinnig spannend formuliert. Das gilt auch für die offizielle Information über die einstweilige Verfügung, die das Landgericht Hamburg gestern gegen Jan Böhmermann erlassen hat.

Trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass die Leute in der Pressestelle (des insoweit zuständigen Oberlandesgerichts Hamburg) ihre Arbeit nicht nur als reine Routine empfinden – zumindest in dieser Sache. Oder wie anders ist es zu interpretieren, dass sie ihrer Pressemitteilung als Anhang die streitigen Textstellen aus Böhmermanns „Schmähgedicht“ beifügen? Die nun verbotenen Passagen haben sie freundlicherweise rot markiert. Jeder Interessierte, der eine Maus bedienen kann, vermag sie also auch künftig nachzulesen.

Ich finde das wirklich mutig. Denn wir können davon ausgehen, dass Präsident Erdogan Wert darauf legt, das Internet vom Schmähgedicht säubern zu lassen – sofern sich seine Erfolgssträhne gegen Böhmermann fortsetzt. Er müsste dann Hamburger Gerichte (siehe Impressum) vor Hamburger Gerichten verklagen. Das wäre sicher lustig. Ich persönlich wette aber darauf, dass die Vorgesetzten der Pressesprecher schon vorher weniger Rückgrat beweisen. Spätestens mit Erdogans Abmahnung wird der informative Anhang aus dem Word Wide Web verschwinden.

Das Hamburger Monopol

Das Landgericht Hamburg hat dem Satiriker Jan Böhmermann fast das ganze „Schmähgedicht“ untersagt, welches er in seiner Sendung „Neo Magazin Royale“ vorgetragen hatte. Der türkische Staatspräsident Erdogan hatte eine einstweilige Verfügung in Hamburg beantragt.

Wieso Hamburg? Es ist nicht bekannt, dass Erdogan dort einen Nebenpalast unterhält. Böhmermann wohnt in Köln. Sein Sender ZDF sitzt bekanntlich in Mainz. Mit Hamburg hat der Fall also erst mal rein gar nichts zu tun. Jedenfalls nicht mehr als mit Bielefeld, Augsburg oder Kleve. Trotzdem suchen die allermeisten Kläger über ihre Anwälte niemals den Gerichtsstand jener schönen Städte, an denen sich auch vollwertige Landgerichte finden. Stattdessen bevorzugen alle den Gerichtsstand der Hansestadt, wenn sie sich beleidigt, übel nachgeredet oder gar verleumdet fühlen.

In Hamburg sind sind sie auch willkommen. Denn dort sitzt seit Jahrzehnten die mit Sicherheit am besten beschäftigte Pressekammer der Republik. Der Grund für den Herdentrieb und die gute Beschäftigungsquote des Gerichts ist ganz einfach. Das Landgericht Hamburg gilt als die sicherste Bank, wenn es darum geht, im Äußerungsrecht für die Kläger zu entscheiden. Also im Ergebnis gegen die Meinungsfreiheit.

Diese merkwürdige Konzentration der Deutungshoheit im Äußerungsrecht wird nur möglich durch eine Sonderregelung in der Zivilprozessordnung. Während sich in praktisch allen anderen Zivilverfahren der Kläger am Wohnort des Beklagten sein Recht suchen muss, greift bei Äußerungssachen der sogenannte „fliegende Gerichtsstand“. Dieser macht eine Klage in Hamburg schon deswegen möglich, weil es dort unbestreitbar mindestens ein klassisches Fernsehgerät oder einen internetfähigen Rechner gibt, auf dem jemand das Neo Magazin Royale geguckt haben könnte.

So entscheiden die Hamburger Richter wie am Fließband Tag für Tag Fälle, die ansonsten null Bezug zu ihrem Einsatzort haben. Das führt nach meiner Meinung automatisch zu einem sich selbst verstärkenden Effekt: Nur mit einer berechenbar rigiden Rechtsprechung, wie man sie am eigentlich zuständigen Ort nicht erwarten könnte, bleibt der Pilgerstrom in den Norden im Fluss. Und die betreffenden Hamburger Richter auf ihrem „Spezialgebiet“ ausreichend beschäftigt und, ja auch das, mächtig.

Der Fall Böhmermann hat ja bereits zum Nachdenken im Grundsätzlichen angeregt. Regierung wie Opposition sind für eine Abschaffung des § 103 StGB (Majestätsbeleidigung). Vielleicht hat die Causa nach dem nun bekanntgewordenen Beschluss ja sogar genug Schub, um mal energisch diesen seltsamen fliegenden Gerichtsstand zu hinterfragen. Die Deutungshoheit der Hamburger Justiz über das, was in Deutschland gesagt werden darf und was nicht, gehört jedenfalls auf den Prüfstand.

Tierquälerei: Zirkus muss mit Vorwurf leben

Müssen Zirkusunternehmen sich von Tierschützern vorhalten lassen, Tiere zu quälen? Im Falle des Zirkus Krone beschäftigte diese Frage jetzt das Amtsgericht Tiergarten in Berlin. Am Ende entschied das Gericht für die Meinungsfreiheit.

Mitarbeiter des Bonner Vereins „Deutsches Tierschutzbüro“ hatten in einem Newsletter geschrieben: „Bestätigt! Der Zirkus Krone quält Tiere!“ Diesen Vorwurf konterte der Zirkus mit einer Strafanzeige wegen Beleidigung, was dann zu einem Strafbefehl wegen übler Nachrede, einer Unteform der Beleidigung, führte (§ 186 StGB).

Im Prozess präsentierten die Angeklagten Videoaufnahmen von der Tierhaltung im Zirkus Krone, darunter auch Elefanten, die nach ihrer Meinung viel zu wenig Auslauf haben und deshalb Ausfallerscheinungen zeigen. Die Richterin ließ es offen, ob tatsächlich Tierquälerei vorliegt. Jedenfalls seien die kritischen Äußerungen von der Meinungsfreiheit gedeckt, so wie es § 193 StGB an sich auch vorsieht.

Bericht im Berliner Tagesspiegel

Filesharing: Keine Haftung für Erwachsene

Zum Thema Filesharing hat der Bundesgerichtshof gestern ein wichtiges Urteil verkündet. Danach sind Inhaber eines Internetanschlusses nicht verpflichtet, volljährige Mitbewohner, Besucher oder Gäste zu überwachen oder zu belehren, wenn sie diese über den eigenen Anschluss surfen lassen.

In dem entschiedenen Fall hatte eine Frau Besuch aus Australien. Sie gab ihrer Nichte und deren Lebensgefährten das Passwort fürs WLAN. Später sollte sie 755,80 € Schadensersatz zahlen, weil ihre Besucher einen Film aus einer Tauschbörse gezogen hatten. Das Landgericht hatte die Frau auch zu Zahlung verurteilt.

Zu Unrecht, befindet der Bundesterichtshof. Dem Inhaber eines Internetanschlusses sei es nicht zumutbar, Mitbewohner oder Besucher darüber zu belehren, dass sie kein Filesharing betreiben dürfen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn der Betreffende keine konkreten Anhaltspunkte hat, dass so was geplant ist. Ebenso wenig gibt es nach Auffassung des Gerichts eine Überwachungspflicht.

Außerdem hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass der Streitwert bei Filesharing-Abmahnungen nicht pauschal berechnet werden darf. Vielmehr muss immer im Einzelfall geprüft werden, ob es sich um einen aktuellen Titel handelt handelt und welchen Marktwert er hat (Link zur Pressemitteilung).

Dein WLAN, dein Risiko

Der Jubel ist groß: Auch in Deutschland soll wirklich freies WLAN bald möglich sein. Die politischen Hürden scheinen seit gestern frei gemacht. Die Große Koalition hat sich offenbar dazu durchgerungen, die sogenannte Störerhaftung des WLAN-Betreibers abzuschaffen.

Die Begeisterung scheint mir allerdings verfrüht. Denn für private WLAN-Betreiber gibt es neben der Störerhaftung noch zumindest ein anderes anderes handfestes Risiko, sich mächtig Ärger einzufangen. Noch dazu ist dieses Risiko derzeit kaum beherrschbar. Die nun geplante Abschaffung der Störerhaftung wird daran erst mal nichts ändern.

Ich rede davon, dass ein Nutzer eines künftig freien WLAN ohne Kenntnis des Betreibers kinderpornografisches Material rauf- oder runterlädt. Das ist keine theoretische Gefahr. Gerade in Filesharing-Netzen, aber auch in Foren wird nach wie vor eifrig getauscht. Und zwar so viel, dass sich die Behörden in mehreren Bundesländern personell gut besetzte Zentralstellen leisten, die praktisch nur mit der Verfolgung von Kinderpornografie beschäftigt sind.

Wie ich aus aktuellen Fällen weiß, hat sich die Tauschszene in letzter Zeit weitgehend über das TOR-Netzwerk abgeschottet. Allerdings gilt TOR mittlerweile als korrumpiert. Gerade in den letzten Monaten feiern die Behörden immer wieder Ermittlungserfolge durch neuere technische Möglichkeiten, das TOR-Netzwerk zu penetrieren. Ganz vorne sind die Polizeibehörden bzw. Geheimdienste aus dem angelsächsischen Raum. Diese versorgen ihre deutschen Kollegen verstärkt mit Listen von Nutzern, die trotz der vermeintlichen Anonymität des TOR-Netzwerks enttarnt wurden.

Parallel zur Entwertung des (ja ohnehin in diesem Punkt missbrauchten) TOR-Netzwerks werden die Kinderporno-Tauscher also verstärkt die Augen nach Möglichkeiten aufhalten, ihrer illegalen Beschäftigung weiter nachzugehen. Dafür käme es natürlich gelegen, wenn künftig in den deutschen Städten und Gemeinden nach dem Wegfall der Störerhaftung eine Unzahl von WLAN statt der Passwortabfrage ein „Herzlich willkommen, viel Spaß beim Surfen“ zeigt.

Das Dilemma für die Ermittlungsbehörden ist greifbar. Sie überwachen einschlägige Tauschbörsen und Foren. Mitunter mischen sie auch munter mit, indem sie von enttarnten Nutzern die Accounts kapern. In der Regel bleibt als Ermittlungsergebnis erst mal immer nur eins: die IP-Adresse eines Anschlusses, über den kinderpornografisches Material empfangen oder geschickt wurde. Die IP-Adresse führt aber immer nur zu der Person, die den Internetanschluss angemeldet hat.

Lediglich mit diesen Informationen werden dann heute Durchsuchungsbeschlüsse beantragt. Und Gerichte geben diesen Anträgen statt. Das heißt, es erfolgt sofort eine Hausdurchsuchung, ohne dass der Betroffene vorher angehört wird. Die Hardware an Ort und Stelle wird beschlagnahmt, sofern darauf Beweismittel vermutet werden. Beschuldigter ist im Normalfall immer der Inhaber des Anschlusses. Und zwar völlig unabhängig davon, wer tatsächlich Kinderpornografie über seinen Anschluss getauscht hat.

Faktisch muss der Anschlussinhaber im Laufe der weiteren Ermittlungen seine Unschuld beweisen. Das gelingt ihm meist auch. Denn die Ermittler werden seinen Rechner untersuchen und, wenn er nicht der Täter ist, keine Kinderpornografie auf seinem Rechner finden. Ein Tatnachweis ist damit nicht möglich. Das Verfahren wird eingestellt.

Aber das geschieht oft erst nach Wochen. Oder gar Monaten. So lange steht der Anschlussinhaber unter Verdacht. Kinderpornografie ist ein ganz anderer Verdacht, als wenn der Vorwurf etwa lautet, über das WLAN sei ein Paketbetrug begangen oder ein ausländisches Staatsoberhaupt beleidigt worden. Wobei auch das Fälle sind, bei denen die Ermittler möglicherweise beim Anschlussinhaber anklopfen. Allerdings sind die Auswirkungen in der Regel völlig verschieden. Während sich meist alles andere in den Griff kriegen lässt, habe ich über den Tatvorwurf Kinderpornografie schon Menschen zerbrechen sehen, beruflich wie privat.

Ich sehe derzeit nicht, dass auch das neue Gesetz die dargestellte Ermittlungspraxis ändert. Müssten die Strafverfolgungsbehörden aufgrund der neuen Regelungen künftig davon ausgehen, dass der Betreiber eines privaten, offenen WLAN durch ein Providerprivileg geschützt ist, könnten sie bei ihm nicht mehr durchsuchen. Oder nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen. Ich glaube deshalb nicht, dass sich so ein Haftungsprivileg durchsetzen könnte.

So lange diese Problematik aber nicht geklärt ist, gibt es handfeste Risiken außerhalb der Störerhaftung. Darüber sollten sich alle klar sein, die jetzt daran denken, ihr WLAN zu Hause zu öffnen.