Berliner Schöffen sollen Angeklagten fürchten

Am Amtsgericht Tiergarten in Berlin soll letzte Woche ein Prozessauftakt geplatzt sein, weil das Gericht keine Schöffen fand. Wie die B.Z. berichtet, soll es keine Schöffen gegeben haben, die im Prozess gegen den Angeklagten Mohamed „Momo“ A. tätig werden wollten.

Mohamed A. soll eine große Nummer auf dem örtlichen Straßenstrich sein. Ihm wird vorgeworfen, auf der Bülowstraße in Schöneberg von Prostituierten ein wöchentliches „Standgeld“ von 120,00 Euro erpresst zu haben. Die Anklage spricht davon, A. habe eine „milieuspezifische Drohkulisse“ aufgebaut. Er gelte als „Herr der Straße“.

Angesichts der bekannten Situation in Berlin ist es schon nachvollziehbar, dass Schöffen, die ja meist selbst in der Gegend wohnen, eher nur ungern über Mohamed A. urteilen wollen. In der Tat sieht das Gerichtsverfassungsgesetz sogar vor, dass Schöffen ihren Dienst verweigern dürfen, wenn ihnen das Richteramt nicht zugemutet werden kann (§ 54 GVG). Die große Frage ist halt nur, wie weit das abstrakte Risiko reicht, welches ehrenamtliche Richter notgedrungen auf sich nehmen müssen. Wenn man einem Schöffen erlaubt, sich wegen möglicher Gefährlichkeit des Angeklagten wegzuducken, wird man das anderen auch nicht verwehren können. Womit das System dann schnell gesprengt wäre.

Sofern der Bericht zutrifft, werden die Verteidiger Mohamed A.s jedenfalls dankbar auf den Zug aufspringen. Das System zur Schöffenwahl ist schon kompliziert genug, auch bei der konkreten Auswahl der ehrenamtlichen Richter für die einzelnen Sitzungstage werden gerne Fehler gemacht. Wenn jetzt noch munter der Stab wegen fehlenden Mutes an sich zuständiger Schöffen weitergereicht wird und das Gericht dies duldet, dürfte allein das ausreichend Stoff für einige Verhandlungstage und die nächsten Instanzen bieten.

Vom Bild, das die Berliner Justiz abgibt, gar nicht zu reden.

„Kommen Sie ein paar Minuten früher“

Da ist beim Gericht einiges schiefgelaufen.

Erst mal wurde ich als Verteidiger des Angeklagten nicht korrekt geladen. Die Ladung zum Hauptverhandlungstermin am Donnerstag dieser Woche erhielt ich erst heute, also weit außerhalb der Wochenfrist nach § 217 StPO. Und das, obwohl ich mich schon vor rund vier Wochen schriftlich beim Gericht gemeldet hatte.

Ebenso alt war mein Akteneinsichtsgesuch. Ohne Kenntnis der Ermittlungsakte kann ich meine Arbeit nicht machen. Deswegen war ich auch so frei, zwischendurch daran zu erinnern, dass man mir doch bitte die Akte mal zusendet. Ist nicht passiert.

Blöd, aber ebenso ist es verständlich, wenn Richter ihre einmal festgesetzten Termine retten wollen. Da hört man etwa folgendes: „Kein Problem, Sie kommen einfach ein paar Minuten früher ins Gericht. Dann gucken Sie halt mal in die Akte rein.“ So geht das aber keinesfalls, denn so lässt sich – zumindest bei kleineren Sachen – der Akteninhalt vielleicht gerade noch mit dem Mandanten besprechen. Aber nicht eine Verteidigungsstrategie ausarbeiten.

Ich griff heute morgen also zum Telefonhörer, um mit der Richterin über die Probleme zu sprechen. Da ich die Dame nicht kannte, rechnete ich natürlich damit, dass wir uns die Wolle bekommen. Sachlich natürlich, nicht im Ton. Doch ganz das Gegenteil war der Fall. „So macht eine Verhandlung keinen Sinn“, sagte die Richterin ohne großartiges Hin und Her. „Schauen wir mal, ob wir einen Termin im August finden.“

Das gelang uns dann auch. Insgesamt eine sehr angenehme Erfahrung. Bleibt nur zu hoffen, dass insbesondere die Akteneinsicht diesmal etwas schneller geht.

Nur die Polizei darf Polizei heißen

Wo Polizei drauf steht, muss auch Polizei drin sein. Deshalb darf ein Anbieter von Anti-Gewalt- und Opferschutz-Seminaren nicht länger Domains mit den Begriffen „Polizei-Jugendschutz“ verwenden. Der Begriff Polizei sei exklusiv für den Bund und die Länder geschützt, urteilt das Oberlandesgericht Hamm.

Mit der Verwendung des Begriffs „Polizei“ erwecke der Seminaranbieter den falschen Eindruck, sein Angebot stehe im Zusammenhang mit der Arbeit der echten Polizei. Die Polizei NRW betreibt selbst ein Portal mit dem Namen „Jugendschutz – Polizei Nordrhein-Westfalen“.

Am umfassenden Namensschutz für das Wort Polizei hat das Oberlandesgericht keinen Zweifel. Der Begriff Polizei stehe für eine Behörde, die öffentliche Polizeigewalt ausübe. Wer das nicht tue, dürfe den Begriff auch nicht ohne Genehmigung verwenden. Der Seminaranbieter muss sein Angebot umbenennen. Außerdem muss er alle seine Domains rausgeben, in denen das Wort Polizei vorkommt (Aktenzeichen 12 U 126/15).

2 x Post im Verwaltungsrecht

In der Tagespost meines Büros waren heute Schreiben in zwei völlig verschiedenen Angelegenheiten, die zum Verwaltungsrecht gehören. Was beide Briefe gemeinsam haben? Sie sind schon auf den ersten Blick voller rechtlicher Fehler. Diese Fehler stechen sogar mir ins Auge, obwohl ich als Strafverteidiger nicht unbedingt jeden Tag tief ins Verwaltungsverfahrensrecht eintauche.

Im ersten Brief geht es um darum, dass sich ein städtisches Amt nicht mehr an eine Zusage halten will. Die Leistung war wirksam bewilligt, und zwar durch einen förmlichen Bescheid. Das nennt man einen begünstigenden Verwaltungsakt. Anscheinend gab es dann behördenintern irgendwelche Probleme. Mein Mandant erhielt einen Anruf, dass er nicht mit der Leistung rechnen kann. Als er sich damit nicht zufrieden gab und telefonisch nachhakte, meldete sich jemand von der Bezirksregierung, also der Aufsichtsbehörde, per Mail und teilte mit, es seien leider keine „finanziellen Kapazitäten“ mehr da.

Auf unseren freundlichen Hinweis, dass man einen begünstigenden Verwaltungsakt nur unter den Voraussetzungen der §§ 48, 49 VwVfG zurücknehmen kann und das auch durch die zuständige Behörde geschehen muss, kam ein nichtssagendes Schreiben. Immerhin vom zuständigen Amt. Darin wird behauptet, der Antrag sei „zu spät“ gestellt worden. Was aber jedenfalls nichts daran ändert, dass der Antrag positiv beschieden wurde. Mit keinem Wort wird erklärt, was für Fristen überhaupt versäumt worden sein sollen. Aber anscheinend handelt es sich sowieso nur um behördeninterne Vorgaben, die den Bürger sowieso nicht interessieren müssen.

Der Brief ist noch nicht mal als Rücknahme tituliert, eine Rechtsbehelfsbelehrung fehlt auch. Nicht jedoch eine Floskel, man betrachte die Angelegenheit nun als „erledigt“ und wünsche dem Antragsteller alles Gute. Ich glaube, den Gefallen wird unser Mandant der Behörde nicht machen.

Der zweite Brief kommt von einem Polizeipräsidium. Es geht darum, dass Datenträger „nach Polizeirecht“ sichergestellt werden, weil diese möglicherweise strafbare Inhalte enthalten. Interessant, denn das Ermittlungsverfahren gegen den Betroffenen wurde eingestellt. Und zwar mangels Tatverdachts. Die Datenträger sind nämlich verschlüsselt. Sie konnten nicht geknackt werden. Es ist also völlig offen, was drauf ist.

Dennoch meint die Polizei jetzt, sie dürfe die Datenträger behalten, weil es als „möglich“ erscheint, dass halt doch strafbare Inhalte auf den Festplatten sind. Weil das nicht „ausschließbar“ sei, müssten die Datenträger nicht zurückgegeben werden, weil sie ja ansonsten sofort wieder beschlagnahmt werden könnten. Dummerweise wird in dem Bescheid mit keinem Wort begründet, aufgrund welcher Tatsachen der Polizeibeamte meint, die Datenträger könnten illegale Daten enthalten. Nicht mal die kriminalistische Erfahrung wird bemüht, die sich ja sonst als Notanker bewährt.

Abgesehen von der fehlenden Begründung schafft es der Hauptkommissar auch nicht, die sofortige Vollziehbarkeit anzuordnen. Den Satz hat er schlicht vergessen, obwohl er ihn anscheinend schreiben wollte, wie man mit etwas gutem Willen zwischen den Zeilen rauslesen kann.

Ach ja, auch hier fehlt die Rechtsbehelfsbelehrung.

Und ich denke immer, die Sitten verrohen nur an den Strafgerichten.

Rechenfehler des Gerichts: Mordprozess muss wiederholt werden

Das Landgericht Köln muss einen umfangreichen Mordprozess komplett neu aufrollen. Wegen Schludrigkeit. Oder eines peinlichen Rechenfehlers. Jedenfalls haben die Richter die Frist nicht eingehalten, innerhalb der sie das Urteil zu Papier bringen müssen.

Wie lange sich ein Gericht nach der Urteilsverkündung mit dem schriftlichen Urteil Zeit lassen darf, ist in § 275 StPO geregelt. Die Vorschrift hat ihre Tücken, wie der aktuelle Fall zeigt. Das Urteil wurde am 25. August 2015 nach 30 Hauptverhandlungstagen verkündet. An diesem Tag begann die sogenannte Urteilsabsetzungsfrist. Diese verlängert sich in Abschnitten, je länger die Verhandlung gedauert hat.

Fertig war das Urteil am 23. November 2015. Allerdings endete die Frist bereits am 10. November 2015. Vermutlich haben die Richter das Gesetz falsch gelesen. Dort heißt es nämlich, die Frist verlängert sich bei längeren Prozessen „für jeden begonnenen Abschnitt von zehn Hauptverhandlungstagen“ um weitere zwei Wochen. Bei 30 Hauptverhandlungstagen hat allerdings der Abschnitt noch nicht begonnen, der weitere zwei Wochen einbringt. Das wäre erst der Fall gewesen, wenn die Verhandlung 31 Tage gedauert hätte (Aktenzeichen 2 StR 157/16).

Lebenslang für versuchten Mord?

Lebenslang. Das fordert der Generalbundesanwalt für das Messer-Attentat auf die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Die Politikerin hat den Angriff mit viel Glück knapp überlebt. Somit ist der Angreifer lediglich wegen versuchten Mordes angeklagt. Ihn trotzdem mit der Höchststrafe zu belegen, geht das überhaupt?

Gut, die Antwort ergibt sich schon aus dem Umstand, dass die oberste Anklagebehörde Deutschlands so eine Bestrafung ernsthaft in öffentlicher Hauptverhandlung fordert. Alles andere wäre ja nur peinlich. Ich will aber trotzdem kurz erläutern, wieso versuchter Mord bestraft werden kann wie vollendeter Mord.

Wichtigster Grund: Das Strafgesetzbuch ist – für manchen sicher überraschend – keineswegs so formuliert, dass der Versuch einer Straftat immer milder zu bestrafen ist als eine vollendete Tat.

Der maßgebliche Paragraf (§ 23 StGB) spricht nur davon, dass der Versuch milder bestraft werden kann. So viel steht also fest: Ein Muss ist ein Strafrabatt keinesfalls. Allerdings gibt es über diese (zwingende) Wortauslegung des Gesetzes schon keine Wahrheiten mehr. Denn wie das Wörtchen „kann“ in der Praxis auszugestalten ist, darüber gehen die Meinungen seit jeher weit auseinander und füllen ganze Bibliotheken.

Deshalb nur kurz meine persönliche Meinung. Gerade weil es um versuchten Mord geht, halte ich die Forderung der Bundesanwaltschaft für übertrieben ambitioniert. Lebenslang, so wie es im Gesetz steht, ist ja schon bei vollendetem Mord kein lebenslang. Vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass lebenslang nur mit der Maßgabe gelten kann, dass dem Verurteilten doch noch eine realistische Chance auf Entlassung bleibt. Was in der Praxis bedeutet, dass spätestens nach 15 bis 20 Jahren regelmäßig eine Entlassung ernsthaft zu prüfen ist.

Lebenslang ist also schon bei vollendetem Mord eine Straffolge knapp am Rande der Illegalität. Schon von daher wird man mit einem lebenslang extrem vorsichtig sein müssen, wenn es nur bei einem Versuch geblieben ist. Folgerichtig weisen die Bundesanwälte auch vehement darauf hin, dass Reker wohl nur mit extrem viel Glück überlebt hat. Je näher sie die Tat an einen geglückten Mord rücken und je weniger das Verhalten des Täters zum Überleben des Opfers beigetragen hat, desto plausibler könnte es sein, den Angeklagten faktisch so zu behandeln, als sei sein Opfer gestorben.

Mir klingt das allerdings zu einseitig und viel zu hypothetisch. Henriette Reker hat glücklicherweise überlebt, also hat sich nun mal tatsächlich zum Glück ein weit geringeres Unrecht verwirklicht. Diese Umstände zu Lasten des Angeklagten völlig auszublenden, halte ich für mehr als fragwürdig.

Immerhin muss man auch mal sehen, wohin sich der Strafrahmen verschieben würde, wenn man den Versuch, wie vom Gesetz ausdrücklich zugelassen, milder bestraft. Dann stünde (§ 49 StGB) nicht mehr lebenslang zur Debatte, sondern eine Freiheitsstrafe von 3 bis 15 Jahren. Das ist nicht unbedingt ein Spielraum, der es Richtern schwer machen sollte, auch im Fall Reker eine angemessene Strafe zu finden.

„Aufhebung des Termins“

Schreiben eines Landgerichts, das mich heute erreicht:

… brauchen Sie zum Hauptverhandlungstermin am Montag, 20. Juni 2016, nicht zu erscheinen. Grund: Aufhebung des Termins.

Positiv ist aus Sicht eines Verteidigers ist schon mal, dass man vom Gericht über den geplatzten Termin informiert wird. Oft genug kommt es vor, dass solche Mitteilungen vergessen werden. Oder erst nach dem eigentlichen Termin ankommen, weil weder Richter noch Gerichtsmitarbeiter an die hausinternen Bearbeitungszeiten denken. Auch hier war es knapp: Das Schreiben datiert vom 10. Juni, frankiert wurde es aber erst am 15. Juni. Morgen ist Freitag. Es hätte also auch nicht viel gefehlt, damit ich ahnungslos geblieben werden.

Das ist übrigens auch ein Grund, warum ich zumindest bei auswärtigen Verhandlungen mittlerweile oft noch mal am Tag vorher beim Gericht anrufe und frage, ob es wirklich beim Termin bleibt. Die meisten Geschäftsstellen kennen das Problem und reagieren freundlich. Und wenn’s mal eine pampige Antwort gibt mit dem Inhalt, so lange wir nichts hören würden, bleibe es selbstverständlich beim Termin, muss ich halt damit leben.

Aber zurück zum Brief des Gerichts. Eine kurze Begründung für eine Absage, noch dazu für eine so kurzfristige, ist nirgends vorgeschrieben. Als Akt der Höflichkeit würde ich es aber schon empfinden zu erfahren, warum am kommenden Montag denn jetzt nicht verhandelt wird. Für einen Satz hätte die Zeit ja sicher gereicht. Siehe die Nonsense-Begründung „Aufhebung des Termins“.

Aber gut, dann frage ich halt telefonisch nach und gehe einer – mutmaßlich – unschuldigen Justizmitarbeiterin auf den Keks. Sie haben es ja nicht anders gewollt.

Merkwürdiges Hobby

Ab und zu begegne ich Staatsanwälten mit einem merkwürdigen Hobby. Zugegeben, es werden immer weniger. Aber es gibt sie noch immer. Diese Staatsanwälte reagieren auf Akteneinsichtsgesuche von Verteidigern nicht mit Akteneinsicht oder einer sonst sinnvollen Mitteilung. Sondern mit der Anforderung einer schriftlichen Vollmacht.

Hier mal so ein typischer Briefwechsel, gerade wieder mit einem Strafverfolger in Tübingen geführt.

Ich: … melde ich mich als Verteidiger von Herrn A. … Ich beantrage Akteneinsicht.

Staatsanwalt: … bitte ich zunächst um Vorlage einer schriftlichen Vollmacht.

Ich: … bitte ich höflich um Mitteilung, auf welcher rechtlichen Grundlage und aus welchem sachlichen Grund Sie von mir eine schriftliche Vollmacht haben möchten, gleichwohl ich meine Bevollmächtigung anwaltlich versichert habe. Wegen der Rechtslage verweise ich beispielsweise auf die nachfolgend zitierten Gerichtsentscheidungen …

Ich: … komme ich zurück auf mein letztes Schreiben, auf das ich zu meiner Überraschung bisher ohne Antwort geblieben bin. Und leider auch ohne Akteneinsicht. Sollte Akteneinsicht auch weiterhin nicht gewährt werden, bitte ich um Mitteilung der Hinderungsgründe. Sollte ich das Schweigen der Staatsanwaltschaft so verstehen müssen, dass mir ohne Vorlage einer schriftlichen Vollmacht keine Akteneinsicht gewährt wird, bitte ich darum, mir dies ebenfalls schriftlich zu bestätigen. Ich werde dann gerne prüfen, wie ich hierauf zu reagieren habe.

Staatsanwalt: … erhalten Sie in der Anlage die Ermittlungsakte zur Einsicht.

Die vorsichtige Andeutung, man könnte ja mal die Vorgesetzten einschalten, hilft eigentlich immer. Wobei am Ende nichts bleibt, von unnötigem Aufwand und Zeitverlust abgesehen.

Die Polizei prüft…

Die Polizei beklagt ja gerne Überlastung. Ein ganz klein wenig kann es aber womöglich auch daran liegen, dass die Prioriäten nicht immer richtig gesetzt werden. Als Beispiel dieses Ereignis aus dem Sächsischen Polizeibericht:

Plötzlich stand ein Mitschüler (12) neben dem Mädchen (11) und verdrehte ihr den Arm. Er zog ihren Rucksack vom Rücken und stopfte ihn in einen Mülleimer. Dazu grinste er provozierend und rief immer wieder schadenfroh den Namen der Fünftklässlerin. Dann eskalierte die Situation.

Der 12-Jährige, der Freude dabei empfand, das Mädchen zu ärgern, steigerte sich in das Geschehen hinein. Er entleerte den Inhalt des Rucksacks in den Müll, nahm ihr Portmonee weg, warf das Telefon zu Boden. Auf die Bitten der 11-Jährigen, die Sachen zurückzugeben, ging er nicht ein. Im Gegenteil. Letztlich zerrte er sie zu Boden, trat und schlug so heftig nach ihr, bis die Nase zu bluten begann und sie Prellungen erlitt.

In besonders erniedrigender Weise spuckte er das Mädchen an. Dann erst „trollte“ er sich und verschwand mit ihrer Essenkarte und einigen Cent-Münzen. Die Polizei prüft den Sachverhalt wegen Körperverletzung, Diebstahl und Beleidigung.

Statt groß zu „prüfen“ und den Aktenumfang schwellen zu lassen, sollten die zuständigen Polizeibeamten lieber den Staatsanwalt anrufen. Oder ihm gleich die Unterlagen faxen. Denn dem Staatsanwalt, dem „Herrn des Verfahrens“, dem die Polizei zuarbeitet, bleibt bei so einem Sachverhalt nur eine Entscheidung. Er muss das Verfahren „mangels Tatverdachts“ einstellen. Und zwar sofort, ohne wenn und aber.

Das liegt ganz einfach daran, dass 12-Jährige nicht strafmündig sind (§ 19 StGB). Es liegt also ein sogenanntes Verfahrenshindernis vor, welches zwingend zu einer Einstellung des Verfahrens mangels Tatverdachts führt (§ 170 StPO). Dieses Verfahrenshindernis muss in jedem Stadium berücksichtigt werden.

Da eine Bestrafung des Jungen ausscheidet, bleiben nur Maßnahmen des Jugendamtes oder des Familiengerichts. Aber damit hat die Polizei dann nichts mehr zu tun. Sie könnte sich somit anderen Dingen widmen.

Der Richter wählt die Formulierungen

Aus dem Protokoll einer Zeugenvernehmung:

Die Vernehmungsniederschrift ist in meinem Beisein laut diktiert worden. Ich bin mit den seitens des mich vernehmenden Richters gewählten Formulierungen meiner Aussage einverstanden. Inhaltlich ist alles zutreffend diktiert.

Offensichtlich ist es zu viel verlangt, dass der Richter einfach das ins Protokoll diktiert, was der Zeuge wirklich gesagt hat. So ganz ohne eigene „Formulierungen“.

Besser wird das Ganze auch nicht dadurch, dass hier nicht irgendein Richter arbeitete. Sondern der Ermittlungsrichter in Strafsachen. Der sollte ja eigentlich besonders darauf achten, ein authentisches Protokoll zu erstellen. (Und, ganz abgesehen davon, auch wissen, dass er weder dem Zeugen noch dem Verfahren insgesamt einen Gefallen mit dem Eindruck tut, dass da gar nicht der Zeuge gesprochen hat.)

Ich sehne wirklich den Tag herbei, an dem Ton- und vielleicht sogar Bildaufnahmen Pflicht werden.

Weitgehende Machtlosigkeit

Die Polizei in Münster hat es offensichtlich mit einer Frau zu tun, die ihre Rechte kennt. Jedenfalls weigerte sich die Betroffene standhaft, ihre Personalien anzugeben. Bei der erkennungsdienstlichen Behandlung machte sie unermüdlich Faxen, so dass etwas ungewöhnliche Fotos für die „Verbrecherkartei“ entstanden. Nach zwölf Stunden musste die Frau entlassen werden, weil die gesetzlich zulässige Höchstgrenze erreicht war. Wer die Frau ist, weiß die Polizei immer noch nicht.

Ähnlich wie beim Fall der Frau ohne Namen, die sogar ihre Fingerkuppen anritzte, um keine Fingerabdrücke abgeben zu müssen, scheint die Betroffen in Münster jedenfalls ziemlich gut die Grenzen zu kennen, innerhalb derer die Ermittlungsbehörden agieren.

Zunächst mal ist es nicht strafbar, der Polizei den eigenen Namen oder die Adresse zu verschweigen. Wird man darauf hin festgehalten, tickt die Uhr für die Behörden. Länger als 12 Stunden darf im Regelfall niemand auf einer Wache festgehalten werden, wenn es nur um seine Personalien geht. Untersuchungshaft ist nur möglich, wenn ein dringender Tatverdacht besteht und ein Haftgrund vorliegt. Den dringenden Tatverdacht verneinte die Staatsanwaltschaft jedoch, so dass der Haftgrund der Flucht- oder Verdunkelungsgefahr nicht zum Zuge kommen konnte.

Allerdings kann es ein Bußgeld kosten, wenn man gegenüber Behörden den eigenen Namen verschweigt (§ 111 OWiG). Bis zu 1.000 Euro sind dann fällig. Genau diesen Weg geht man jetzt im Fall der Widerspenstigen aus Münster. Ihre Polizeifotos wurden für eine „Öffentlichkeitsfahndung“ freigegeben.

Ob das verhältnismäßig ist, ist die eine Frage. Die andere Frage lautet, ob es wirklich im Sinne der Behörden ist, wenn ihre weitgehende Machtlosigkeit bei renitenten Personalienverweigerern ein öffentliches Thema wird. Nicht ganz ausgeschlossen, dass das alles am Ende Nachahmer provoziert, die ihre zwölf Stunden einfach absitzen. So richtig bekannt dürfte die Rechtslage bislang jedenfalls den Wenigsten sein.

Berichte in den Westfälischen Nachrichten: (1) (2)

Manchmal geht es schnell

Im Gericht kulminierte eine längere Auseinandersetzung zwischen mir und der Richterin in folgendem Dialog:

Herr Verteidiger, die Sache dauert jetzt schon anderthalb Jahre. Seit anderthalb Jahren höre ich mal dieses und mal jenes von Ihnen. Sie geben nur das zu, was ohnehin nachgewiesen werden kann. Ansonsten hängen Sie die Nase in den Wind und drehen die Sache immer geschickt so, wie es für Ihren Mandanten gerade am günstigsten ist.

Eine schöne Stellenbeschreibung. Das ist genau mein Job, seit 21 Jahren.

Die Reaktion war eher verhalten. Dennoch hatte ich ab dem Punkt das Gefühl, Richterin und Staatsanwalt waren ab sofort an der Fortführung des Verfahrens nicht mehr sonderlich interessiert. Vermutlich, weil ihnen schwante, dass die Sache noch munter eine lange Zeit so weitergehen kann – wenn der blöde Anwalt sich noch nicht mal für seine Arbeit schämt.

Das Verfahren war, auch für mich überraschend, nach drei Minuten eingestellt. Der Mandant ist damit nicht vorbestraft, er muss nur eine erträgliche Geldauflage leisten.

Genau so lautete das intern vorgegebene Ziel.

Im Detail schwierig

Seit Jahren kämpfe ich dagegen, dass einer meiner Mandanten in der Forensik versauert. Heute nachmittag wäre ein Anhörungstermin gewesen. Ein außerplanmäßiger. Denn das Oberlandesgericht hat erstmals auf meine Beschwerde hin den Beschluss des Landgerichts aufgehoben, mit dem dieses die Unterbringung meines Mandanten mal wieder verlängert hatte.

Die Sache, so das Oberlandesgericht, müsse neu verhandelt werden. Nicht nur, aber auch, weil sich das Landgericht mit der Begründung seines Beschlusses monatelang Zeit gelassen hat und dabei übersah, dass mittlerweile ein neues Sachverständigengutachten vorlag. Dieses Gutachten hätte bei der Entscheidung dann noch berücksichtigt werden müssen – was nicht passierte.

Auch aus anderen Gründen ist es höchste Eisenbahn. Schon die letzte Verlängerung der Unterbringung nickte das Oberlandesgericht nur mit Bedenken ab und wies nachdrücklich darauf hin, langsam stelle sich ernsthaft die Frage, ob eine weitere Unterbringung in der Forensik noch verhältnismäßig ist.

Das Dilemma besteht darin, dass mein Mandant aufgrund seiner Konstitution „draußen“ nicht unbedingt klar kommt. Jedenfalls nicht dauerhaft. Das bedeutet aber im Umkehrschluss nicht, dass er unbedingt in der Gesellschaft von Schwerverbrechern ohne jede Perspektive weggesperrt gehört. Die Suche nach einer geeigneten Wohngruppe oder halboffenen Einrichtung gestaltet sich aber kompliziert, weil es für so eine Klientel wie meinen Mandanten keine Plätze zu geben scheint. Ich bin mir aber auch schon gar nicht mehr sicher, dass jemand in der Klinik ernsthaft nach so einer Alternative sucht oder daran arbeitet, diese zu schaffen.

Im Detail ist alles schwierig, aber letztlich läuft es darauf hinaus, dass mein Mandant von heute auf morgen freigelassen wird. Sobald nämlich ein Gericht eher früher denn später zum Ergebnis kommt, dass eine Unterbringung abseits aller tatsächlichen Probleme juristisch nicht mehr vertretbar ist.

Die Zeit eilt also offensichtlich, aber was passiert?

Gestern, einen Tag vor der Anhörung, erfahre ich, diese kann nicht stattfinden. Das Gericht hat vergessen, den Sachverständigen zu laden. Obwohl ich dies ausdrücklich beantragt hatte. Der Sachverständige ist auch im Urlaub, er kann also nicht kurzfristig kommen.

Aber nicht nur das. Außerdem hat die Klinikleitung keine Stellungnahme zum aktuellen Behandlungsstand vorgelegt. Obwohl das natürlich auch erforderlich ist. Und zwar so rechtzeitig vor dem Anhörungstermin, dass man sich inhaltlich darauf vorbereiten kann.

Nun ja, so gehen nun wieder vier Wochen ins Land, bis es endlich zur Anhörung kommt. Das ist einer der wenigen Fälle, die mich mittlerweile wirklich persönlich traurig machen und in den Schlaf verfolgen. Fragt besser nicht, wie es meinem Mandanten geht.

Vermieter darf alle fünf Jahre in die Wohnung

Vermieter dürfen auch ohne konkreten Grund Mietwohnungen besichtigen – und zwar alle fünf Jahre. Diese Auffassung vertritt das Amtsgericht München in einem heute veröffentlichten Urteil.

Laut der Entscheidung kann ein Vermieter alle fünf Jahre eine Wohnungsbesichtigung verlangen. Dieses Recht sei unabhängig davon, ob es konkrete Befürchtungen gebe, dass irgendwelche Schäden drohen. Ein Vermieter dürfe nicht auf Dauer von seinem Eigentum und der Möglichkeit, den Zustand zu überprüfen, ausgeschlossen werden. Mietverhältnisse dauerten oft über Jahrzehnte, so das Urteil.

Es sei sachgerecht, dem Vermieter mindestens alle fünf Jahre ein Besichtigungsrecht zu geben. Fünf Jahre deshalb, weil dies der übliche Zeitraum sei, in dem Schönheitsreparaturen vorzunehmen sind. Der Mieter werde durch diese langen Intervalle auch nicht über Gebühr beeinträchtigt, heißt es in dem Urteil (Aktenzeichen 461 C 19626/15).

Eine Übersicht zum Besichtigungsrecht gibt es auf den Seiten des Mieterschutzvereins Frankfurt.

Gericht verurteilt Frau ohne Namen

Das Amtsgericht Cottbus hat eine Frau zu einer Haftstrafe von zwei Monaten verurteilt, ohne ihren Namen zu kennen. So berichtet es jedenfalls Spiegel Online.

Die Frau soll sich beharrlich und offenbar bislang erfolgreich weigern, ihre Personalien preiszugeben. So ein Strafurteil gegen eine „unbekannte“ Person ist durchaus denkbar. Aber nur für den Fall, dass die Frau schon in Untersuchungshaft sitzt, wovon man mangels Angaben in dem Bericht wohl ausgehen kann. Ist die Person nämlich konkret bestimmbar, dann bedarf es nicht unbedingt ihres Namens. Das Urteil kann dann auch gegen sie vollstreckt werden, weil sie ja „greifbar“ und damit identifizierbar ist.

Für mich klingt der karge Bericht so, als würde sich die Betroffene selbst keinen großen Gefallen tun. Wahrscheinlich hätte sie mit einer konventionellen Verteidigung noch Bewährung bekommen können. So ließ sie Staatsanwaltschaft und Gericht ja kaum eine andere Wahl als sie ins Gefängnis zu schicken, wenn diese sich nicht selbst blamieren wollten.

Nachtrag: In einem Bericht des RBB stehen nähere Informationen.