„… kann davon ausgegangen werden“

Kurz vor Mitternacht in der Düsseldorfer Innenstadt. Jemand hat gegen eine Haustür getreten. Dabei ging die untere Scheibe zu Bruch.

Die Polizei hat zwei Zeugenaussagen. Der erste Zeuge beschreibt den Täter, den er flüchtig aus dem Küchenfenster gesehen hat:

Männlich, kurze Haare, Brille, bekleidet mit einem dunklen Mantel.

Der Bewohner des Nachbarhauses beschreibt einen Mitbewohner, der ungefähr zu der Tatzeit angeblich aus dem Haus gegangen sein soll und der somit als Täter in Frage kommen könnte:

Kurze Haare, Brille (Typ Harry Potter), bekleidet mit einem Parka.

Schlussfolgerung des ermittelnden Polizeibeamten:

Da die angegebene Beschreibung der Person des Mitbewohners durch den Zeugen A. mit der Beschreibung des Zeugen B. deckungsgleich ist, kann davon ausgegangen werden, dass die Scheibe durch den Tatverdächtigen eingetreten worden ist.

Das ist mal wieder einer der Fälle, in denen ich mich als Anwalt unterfordert fühle. Und so nutzlos. Jeder halbwegs vernünftige Staatsanwalt verdreht hier auch ohne kluge Ausführungen eines Strafverteidigers von selbst die Augen. Dann stellt er das Verfahren mangels Tatverdachts ein.

Strafrecht-Zeitschriften für null Euro

Die Oberflächlichkeit dieses Blogs ist ja legendär, viele Leser sehnen sich bestimmt nach vertiefender Literatur zu strafrechtlichen Themen. Werke und Zeitschriften mit fachlichem Anspruch gibt es natürlich in Hülle und Fülle. Aber meist nur gegen stattliches Geld.

Aber eben nur meist. Ich möchte heute kurz auf zwei Zeitschriftenprojekte hinweisen, die strafrechtliche Themen gratis aufarbeiten.

Da ist zunächst eine relativ junge Zeitschrift, die im Jahr 2016 zum ersten Mal erschien. Sie heißt „confront“. Die Zeitschrift wird von drei Strafverteidigern herausgegeben. Die jüngste Ausgabe, gerade erschienen, lässt sich hier herunterladen. Auf dieser Seite kann man confront gratis abonnieren.

Schon seit vielen Jahren gibt es „HRR-Strafecht.de“. Jeden Monat erscheinen Aufsätze und Urteilsbesprechungen zu strafrechtlichen Themen. Die Publikation „HRRS Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht“ ist absolut professionell gemacht und auch fachlich (mindestens) auf Augenhöhe mit der kommerziellen Konkurrenz.

Wer Interesse hat, kann ja mal reinschauen und die Zeitschriften gegebenenfalls abonnieren. Aber bitte im Anschluss daran nicht dem law blog untreu werden…

Selbstbezichtigung auf die Spitze getrieben

Amphetamine wirken ja meist euphorisierend.

Vielleicht lag es daran, dass sich bei einer Verkehrskontrolle auch der 24-jährige Beifahrer zu Wort meldete. Wie die Alsfelder Allgemeine berichtet, äußerte er sich nicht nur zu einer geringen Menge Amphetamin, die bei ihm gefunden wurde. Vielmehr erzählte er den Beamten bei dieser Gelegenheit auch noch, dass er den Wagen kurz vorher noch selbst gefahren hatte.

Das Bußgeld von 500 Euro und ein dreimonatiges Fahrverbot für Drogen am Steuer hätte er mit etwas mehr Zurückhaltung sparen können. Den jetzt wahrscheinlichen Entzug seiner Fahrerlaubnis auch. Hätte er sich nämlich nicht als Fahrer geoutet, hätte bei ihm kein Grund für eine Blutprobe vorgelegen.

Seufz.

Rechtsberatung von der Gegenseite

Das Rechtsamt einer nordrhein-westfälischen Stadt schreibt an einen Bürger:

Um Ihrerseits die Beauftragung eines Rechtsanwalts oder gar einer Klageerhebung vorzubeugen und dadurch weitere Kosten für Sie entstehen zu lassen, möchte ich im Weiteren kurz darstellen, warum Ihnen keinerlei Forderungen mehr zustehen.

Rechtsberatung von der Gegenseite. Das ist ja mal eine extrem fürsorgliche Einstellung der öffentlichen Hand. In Wirklichkeit sorgt sich der Absender natürlich nur, dass der Bürger sich tatsächlich an einen Anwalt wendet. Der wird das seitenlange juristisches Geschwurbel, welches dem freundlichen Einleitungssatz folgt, nämlich sofort durchschauen.

Ups, schon geschehen.

Zwei Seiten einer Medaille

Das nenne ich unterschiedliche Wahrnehmung.

Ich zitiere aus einem Durchsuchungsbericht der Polizei:

Die Beamten geben sich als Polizeibeamte zu erkennen, daraufhin begibt sich der Beschuldigte desinteressiert zurück in seine Wohnung. Die Beamten folgten ihm in die von ihm bewohnte Wohnung.

Dem Beschuldigten wird im Rahmen seiner Belehrung erklärt, dass er keine Aussage tätigen muss. … Herr J. zeigt sich weiterhin sehr desinteressiert und wenig kooperativ. … Auch auf Nachfrage möchte er den Aufenthaltsort von Frau B. nicht bekanntgeben..

Herr J. zeigte sich insgesamt mit den polizeilichen Maßnahmen nicht einverstanden und fiel durch deutliches Desinteresse und eine Gleichgültigkeit an den gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren auf. Eine Erläuterung der Durchsuchungsbeschlüsse und des Ermittlungsverfahrens lehnte er ab.

Der Mandant erinnert die Sache so:

Ich habe den Beamten gesagt, dass ich das Recht zu schweigen habe. Und dass ich davon Gebrauch mache.

Die Beamten haben dann zwei Stunden lang immer wieder versucht, mit mir ins Gespräch zu kommen und was zu den Vorwürfen zu erfahren. Ich habe das aber konsequent abgeblockt.

„Desinteresse“, ja klar. Der Mandant ist nur nicht auf den alten Trick der Polizei reingefallen, dem Beschuldigten schon bei der Durchsuchung Informationen zu entlocken. Indem man den Betroffenen schön langsam in ein Gespräch zieht (Motto: „Wir wollen ja nur Ihr Bestes“). Es ist gar nicht leicht, dem zu widerstehen. Immerhin handelt es sich nur für die Beamten um Routine. Der Beschuldigte befindet sich dagegen regelmäßig in einer Ausnahmesituation.

Eigentlich hat der Mandant alles richtig gemacht. Dass die Polizisten sein Verhalten dann gleich als „Desinteresse“ auslegen und wortreich beklagen, zeigt nur eins: Sie sind üblicherweise anderes gewöhnt, weil viele Menschen entweder ihre Rechte nicht kennen. Oder sie kennen sie, lassen sich aber weichklopfen.

Die Rechnung, bitte

Soll er juristisch was machen? Oder nicht? Seine Anfrage beendete der Mandant mit dem Hinweis, dass ihm ein kurzes ja oder nein erst mal reichen würde.

Kleines Problem: Es geht, wie so oft, um einen komplizierten Sachverhalt. Mit einer offensichtlich langen Geschichte. Ohne mir zumindest die wichtigsten Unterlagen anzusehen, würde ich so arbeiten wie ein Arzt, der am Telefon schon weiß, was die roten Punkte auf dem Arm seines neuen Patienten zu bedeuten haben und der das Rezept gleich mit der Post schickt.

Also schrieb ich dem Mandanten, wie viel Arbeit eine belastbare Auskunft voraussichtlich macht. Und was das kostet. Er antwortete, dass er ja noch etwas Zeit hat, weil noch eine Antwort der Behörde aussteht. Bis dahin will er es sich durch den Kopf gehen lassen, ob er die Beratung in Anspruch nimmt.

Ich soll ihm aber auf jeden Fall die Kosten berechnen, die jetzt schon angefallen sind, weil ich seine lange E-Mail gelesen habe. So eine Bitte ist natürlich nicht selbstverständlich. Auch wenn es mir ein bisschen widerstrebt hat, eine Rechnung zu schicken, die ich eigentlich gar nicht gestellt hätte, habe ich dann doch eine klitzekleine, jedoch angemessene Rechnung diktiert.

Wenn ich wider Erwarten damit etwas falsch gemacht haben sollte, kann der Mandant ja einfach nicht zahlen…

Bargeld dabei?

Bei einer Verkehrskontrolle ertappte die Polizei meinen Mandanten mit Drogen. Teilweise hatte er den Stoff im Blut. Den Rest in der Jackentasche, in Form von einem knappen Gramm Amphetamin.

Reicht das für eine Hausdurchsuchung? An sich nicht.

Aber das war ja noch nicht alles, was mein Mandant bei sich führte. Da gab es noch knapp 1.000 Euro Bargeld, die er im Geldbeutel hatte. Offensichtlich ist das ein irre verdächtiger Betrag. Jedenfalls für die Polizei. Und leider auch für einen Eilstaatsanwalt, der den Wunsch nach einer Hausdurchsuchung prompt erfüllte. Wegen des „dringenden Verdachts auf den Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge“, wie es in der Anordnung so schön hieß.

Wir sind bei Hausdurchsuchungen also runter auf ein Gramm Amphetamin – an sich eine klares Indiz für Eigenbedarf – und tausend Euro. Ich warte auf den Tag, an dem die tausend Euro alleine reichen. Vermutlich morgen.

„Ohne jedweden, erklärbaren Grund“

In seiner Strafanzeige legt Hauptkommissar Pingel von einer Autobahnwache an der A3 sehr nachvollziehbar dar, wie er den Autofahrer N. bei einer allgemeinen Verkehrskontrolle etwas reizte.

Erst hielt er Herrn N. an, weil dieser mit einem sehr schnellen Auto auf der rechten Fahrspur der Autobahn nur 80 bis 100 km/h fuhr. Nachdem Herr N. dieses höchst merkwürdige und verdächtige Verhalten sowie die von ihm – im Winter! – getragene dunkle Brille nicht erklären wollte, fragte der Polizist nach Warndreieck und Verbandkasten. Das alles wurde ihm präsentiert. Worauf die Frage nach der Warnweste kam. Auch diese war vorhanden, sogar im Innenraum des Wagens.

Schließlich kam Herr Pingel mangels schnellen Anfangserfolgs zu einem anderen Thema. Er wollte, dass Herr N. irgendwelche Fingerübungen macht. Und in die Augen leuchten wollte er Herrn N. auch. Aber alles lehnte Herr N. ab, ebenso den ihm freundlicherweise angebotenen Drogenschnelltest MAHSAN, bei dem er auf der Autobahnraststätte unter Aufsicht der Beamten doch nur mal ganz schnell in ein Plastikbecherchen hätte pinkeln müssen.

Daraufhin habe er, schreibt der Polizeibeamte, Herrn N. nachdrücklich klargemacht, die Überprüfung der Fahrtüchtigkeit sei Gegenstand „jeder allgemeinen Verkehrskontrolle und die Überprüfung zu dulden“. Keine Ahnung, woher Herr N. sein defätistisches Wissen hat, aber er gab dem Beamten Kontra. So stellte er sich dreisterweise auf den Standpunkt, das sei so ziemlich alles falsch, was ihm Pingel zu den Rechten und Pflichten auftische. Ihn träfen bei einer Verkehrskontrolle überhaupt keine Duldungs- und schon gar keine Mitwirkungspflichten. Außer bei einer Blutprobe, und die werde er notfalls über sich ergehen lassen.

So viel bürgerlicher Ungehorsam war dem Beamten offenkundig zu viel. Seine messerscharfe Schlussfolgerung: Mit seinem „Gesamtverhalten“ stelle Herr N. alle polizeilichen Maßnahmen in Frage – und das „ohne jedweden, erklärbaren Grund“.

Herr N. wurde im Funkstreifenwagen zur Dienststelle befördert. Dabei ließ es sich Pingel aber nicht nehmen, Herrn N. für die Fahrt nicht gerade kurze Fahrt zur Wache Handschellen anzulegen. Seine knappe Begründung für diese Maßnahme: Das „nicht einschätzbare, rebellische Verhalten“ von Herrn N. deute auf ein „begründbares Gewaltpotenzial hin“.

Gut möglich, dass Kommissar Pingel für die Handfesseln tatsächlich noch mal eine detailliertere Begründung geben muss. Die Sache wird nämlich voraussichtlich ein gerichtliches Nachspiel haben.

Die Blutprobe verlief übrigens negativ.

Ruhige Tage

Ab morgen regieren hier in Düsseldorf die Narren, wie man so schön sagt.

Ich persönlich nutze diesen Ausnahmezustand für ein paar ruhige Tage in der Sonne.

Hier im law blog geht es ab dem 6. März weiter. Bis dahin wünsche ich allen Lesern viel Spaß, bei was auch immer.

Zu viel Benzin im Blut

„Intensivtäter im Bereich der Straßenverkehrsdelikte“. So charakterisieren die Richter am Verwaltungsgericht Köln einen 18-Jährigen. Dieser hatte sich juristisch gegen die Sicherstellung seiner beiden Autos gewehrt. Der junge Mann raste wohl seit seit geraumer Zeit hemmungslos durch Köln – ohne Führerschein.

Seit September 2014 ist der Betroffene mindestens 20 Mal ohne Führerschein gefahren. Das dürften die Fälle sein, in denen er erwischt wurde. Bei Polizeikontrollen floh er laut Gericht mitunter, was zu gefährlichen Situationen führte. Die Polizei ermittelt wegen Tempo- und Rotlichtverstößen, Gefährdung des Straßenverkehrs, Nötigung etc.pp.

Die Polizei hat den 18-Jährigen nach eigenen Angaben mehrfach ins Gebet genommen. Doch der ist wohl nicht bereit oder in der Lage, sein Verhalten zu ändern. Deshalb entschied sich die Polizei zur Beschlagnahme seiner Autos. Ein BMW Z4 und ein Nissan Z350 fanden darauf ihren Platz auf dem amtlich gesicherten Abstellplatz.

Dagegen zog der Autofahrer vors Verwaltungsgericht, doch ohne Erfolg. Die Sicherstellung sei erforderlich, so die Richter in einem Eilbeschluss, „um eine erhebliche gegenwärtige Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer abzuwenden“. Bei so einer Prognose ist es womöglich nur eine Frage der Zeit, bevor die Strafjustiz auch mal einen Abstellplatz für ihn schafft.

„Verkaufen“

Jemand fragt an, ob ich Informationen über einen bestimmten Richter habe und diese Informationen „verkaufen“ möchte. Das Wort verkaufen ist für eine Anfrage per E-Mail beim Anwalt jetzt vielleicht etwas unglücklich gewählt. Wer schreibt, der bleibt.

Man könnte so was eventuell besser eine Beratung nennen, damit kennen wir Anwälte uns besser aus. Aber ich komme gar nicht in Versuchung. Wie sich herausstellt, handelt es sich um einen jungen Zivilrichter an einem Amtsgericht.

Von dem habe ich noch nie gehört.

Populismus rettet nicht vor Populismus

Ich begegne berufsbedingt häufig Mitarbeitern der Justiz und der Polizei. Neulich habe ich auch mal einen neuen Reisepass beantragt, da war ich im großen Dienstleistungszentrum der Stadt Düsseldorf. Dort arbeiten hunderte von Leuten. Das mit dem Pass hat übrigens wunderbar unanstrengend geklappt. Was mir bei all meinen Behördenkontakten, gerade als Anwalt, in weitaus mehr als 20 Jahren noch nie, nie begegnet ist, macht die Bundesregierung jetzt zum Gegenstand eines sehr ambitionierten, aus meiner Sicht aber ebenso nutzlosen Gesetzentwurfes. Beamte sollen bei der Arbeit ihr Gesicht künftig nicht mehr verhüllen dürfen.

Der Gesetzentwurf (hier abrufbar als PDF) erwähnt es zwar an keiner Stelle. Aber offenkundig hat jemand in der Regierung, federführend ist der Innenminister, ein Staatsgefährdungspotenzial durch muslimische Beamtinnen ausgemacht, die auf der Arbeit Schleier, Burka, Taschador oder ähnliche Kleidungsstücke tragen und ihr Gesicht zumindest teilweise verhüllen.

Dazu postuliert der Gesetzentwurf folgendes:

Für die Funktionsfähigkeit der Verwaltung und für das Selbstverständnis des demokratischen Rechtsstaats ist eine vertrauensvolle Kommunikation der staatlichen Funktionsträger mit den Bürgerinnen und Bürgern, aber auch mit Vorgesetzten, Kolleginnen und Kollegen sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unabdingbar.

Daher ist von staatlichen Funktionsträgern zu verlangen, dass sie bei Ausübung ihres Dienstes oder bei Tätigkeiten mit unmittelbarem Dienstbezug ihr Gesicht nicht verhüllen.

Eine nähere Begründung für diese bemerkenswerte Auffassung?

Keine.

Gut, im Text folgt ein sehr bemühter, formelhafter und wenig überzeugender Hinweis auf die Neutralitätspflicht des Staates. Die unzähligen Kreuze in deutschen Amtsstuben und Gerichtssälen sowie eine beachtliche Schar Nonnen im öffentlichen Dienst lassen herzlich grüßen.

Deshalb frage ich mich: Ist es für eine vertrauensvolle Kommunikation mit der Dame, die meinen Reisepass-Antrag bearbeitet, wirklich unabdingbar, dass ich ihr unverhülltes Gesicht sehe? Wenn ich auf einer Justiz-Geschäftsstelle eine Akte abhole, macht es dann einen Unterschied, ob mir eine verhüllte oder unverhüllte Mitarbeiterin die Akte in die Hand drückt? Wird das Protokoll einer Gerichtsverhandlung dadurch schlechter, dass es eine verhüllte Mitarbeiterin in den Computer schreibt?

Es gibt so viele Tätigkeiten der öffentlichen Verwaltung, bei denen sich die „Vertrauensfrage“ in den Mitarbeiter gar nicht stellen dürfte. (Anders sicherlich bei unabhängigen Richtern.) Und wenn doch, würde es dann nicht reichen, ein Widerspruchsrecht gegen eine verhüllte Mitarbeiterin einzuführen? Wer seinen Pass oder Angelschein nicht bei einer Burka-Trägerin beantragen möchte, sagt Bescheid und wird an einen anderen Schalter gebeten.

Das Weisungsrecht der Behördenleiter würde das problemlos hergeben. Man bräuchte im Zweifel kein Gesetz, sondern eine Verwaltungsanweisung würde reichen. Zumal die Quote von Beamtinnnen, die verhüllt oder teilverhüllt ihrer Tätigkeit nachgehen möchten, ohnehin kaum messsbar sein dürfte. Falls jemand schon mal einer verhüllten Staatsbediensteten mit muslimischen Hintergrund begegnet ist, kann er das ja gerne in die Kommentare schreiben. Wer wie ich nicht, natürlich auch.

Ohnehin ist abzusehen, dass die staatliche Kraftprobe mit verhüllten Behördenmitarbeitern in einem juristischen Desaster endet. Die Religionsfreiheit gilt auch für den öffentlichen Dienst. Das Grundrecht kann nur eingeschränkt werden, wenn es tatsächlich notwendig ist. Das ist ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

Die Richter werden also einen konkreten Grund verlangen, warum eine Sachbearbeiterin ihr Gesicht nicht verhüllen darf. Ein pauschales Verbot ist mit der geltenden Verfassung nicht zu machen. Das sagt, neben vielen anderen, zum Beispiel auch der Verfassungsrechtler Christian Kirchberg.

Letztlich ist der Gesetzentwurf nichts weiter als der Versuch, vor der Bundestagswahl dem Populismus mit Populismus zu begegnen. Das könnte sich rächen.

Post-it mit Grüßen von der Polizei

Das ist natürlich eine Schrecksekunde, wenn man von der Arbeit nach Hause kommt und an der Wohnungstür ein Post-it klebt mit schönen Grüßen von der Polizei.

„Wir haben auf Bitten des Nachbarn Ihre Wohnung geöffnet“, stand auf dem Zettel. „Der Wecker wurde ausgeschaltet. Schönen Tag noch. PHMin Nolte.“

Ich kam ins Spiel, weil der Mandant fürchtete, dass die Polizeibeamten sich bei der Gelegenheit etwas näher in der Wohnung umgesehen haben. Womöglich machte dem Mandanten irgendwas Sorge. Denken wir zum Beispiel – natürlich rein hypothetisch und äußerst spekulativ – an eine krümelartige Substanz in der Nachttisch-Schublade.

Ich habe den Mandanten beruhigt. Wenn in so einem Fall die Beweismittel nicht unübersehbar rum- oder olfaktorisch in der Luft liegen, werden wohl 99 % der Polizisten nicht in seinen privaten Sachen kramen. Die Gefahr, dass da noch was nachkommt, scheint mir deshalb sehr gering. Was der Mandant daraus für Konsequenzen zieht, ist natürlich seine Sache.

Auf jeden Fall holt er sich jetzt aber einen Wecker, der nur drei Minuten klingelt.

Polizei Bochum: Ein paar Schlückchen nach dem Dienst

Der Konsum von Alkohol ist verboten. Die Aufbewahrung von Alkohol in den Diensträumen auch. Da hat die Bochumer Polizei klare Regeln. Doch so richtig durchgedrungen scheint die Dienstanweisung auf Bochumer Polizeiwachen nicht. Auf mehreren Dienststellen fanden sich bei einer unangemeldeten Kontrolle Bier und Schnaps in den Kühlschränken oder Lagerräumen.

Auslöser für die Überprüfung war ein anonymes Schreiben, berichtet der WDR. In dem Brief gab ein mutmaßlicher Insider an, auf einer Wache werde (nach dem Dienst) schon mal gerne einer, zwei oder auch mehr gehoben. Anschließend würden Beamte ganz normal mit dem Auto nach Hause fahren.

Ein Einzelfall scheint das alles nicht zu sein. Die Bochumer Polizei kontrollierte nach eigenen Angaben acht Wachen. Auf allen Wachen fand sich Alkohol. Die Staatsanwaltschaft soll jetzt entscheiden, ob und wie mutmaßlichen Verkehrssünder unter den Beamten ermittelt werden.

Erst mal plappern lassen

Einen Pflichtverteidiger gibt es erst, wenn mindestens ein Jahr Freiheitsstrafe zu erwarten ist. Mehr als ein Orientierungssatz ist das aber nicht. Das Gesetz kennt andere Konstellationen, in denen man an einen Pflichtverteidiger kommen kann – dann kommt es nicht auf die Höhe der zu erwartenden Strafe an. Ein ganz wichtiger ist die „Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage“.

Im Blog meines Kollegen RA Detlef Burhoff wird ein interessanter Fall beschrieben, der sich genau um diese Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage dreht. Es ging um Fahrerflucht. Die Halterin des Pkw erzählte auf der Polizeiwache munter drauflos, der Polizist hörte ihr freundlich zu. Erst nachdem sich die Frau um Kopf und Kragen geredet hatte, belehrte der Beamte die Frau über ihr Schweigerecht. Obwohl im schon lange vorher hätte klar sein müssen, dass die Frau Beschuldigte ist.

Genau so läuft es Tag für Tag an Unfallstellen und auf deutschen Polizeiwachen. Nicht nur in Verkehrssachen. Aber schon diese alltägliche Konstellation, nämlich den Beschuldigten erst mal plappern zu lassen und ihn nicht rechtzeitig über seine Rechte zu informieren, macht die spätere Beiordnung eines Verteidigers notwendig. So zumindest das Landgericht Hannover in einem aktuellen Beschluss (Aktenzeichen 70 Qs 6/17). Das Gericht fasst die Gründe für die Beiordnung so zusammen:

Die Angeklagte, die über keine juristische Vorbildung verfügt, wird die sich vorliegend mit der Einführung und Verwertung von Beweismitteln stellenden Rechtsfragen nicht beantworten können.

Zur Ausrichtung der Verteidigungsstrategie ist eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob ein Berufen auf ein Beweisverwertungsverbot verfahrenstaktisch sinnvoll ist, unerlässlich und nur nach Rücksprache mit einem Rechtsanwalt zu beantworten.

Fernerhin können die insofern relevanten Rechtsfragen regelmäßig nur nach vollständiger Aktenkenntnis geprüft werden. Unter Zugrundelegung dieses Beurteilungsmaßstabs ist nach Gesamtwürdigung der Sach- und Rechtslage eine Pflichtverteidigung vorliegend geboten, weil die Annahme eines Beweisverwertungsverbots jedenfalls ernsthaft in Betracht kommt.“

Insgesamt eine gute Nachricht für Betroffene, die nicht das nötige Kleingeld für einen Anwalt haben.

Nachtrag: Ein ähnlicher Fall, diesmal zu Blutproben