Warum?

Anhörungsbogen der Polizei:

Sie sind Beschuldigter einer Körperverletzung. Warum haben Sie Ihre Ehefrau geschlagen? Wollten Sie diese verletzen oder ihr Schmerzen zufügen?

Also, wenn man bei so einer Fragestellung nicht besser gleich zum Anwalt geht, dann weiß ich auch nicht mehr.

Reisepass-Fiasko

Fehler der Passbehörde sind kein Fall höherer Gewalt, wegen dem ein Urlauber vom Reiseveranstalter sein Geld zurückverlangen kann. Es ging um neue Reisepässe, die von der Bundesdruckerei versehentlich als „abhanden gekommen“ gemeldet worden waren. Deswegen durften Urlauber nicht in die USA einreisen.

Da der Reiseveranstalter definitiv nichts für das Malheur konnte, beriefen sich die Reisenden auf § 651j BGB (höhere Gewalt). Doch von dieser kann im vorliegenden Fall keine Rede sein, entschied jetzt der Bundesgerichtshof. Höhere Gewalt liege dann nicht vor, wenn das Problem in der „Risikosphäre“ des Betroffenen angesiedelt sei. Genau so sei es hier, denn ein Reisender sei selbst dafür verantwortlich, dass er einen gültigen Pass besitzt.

Höhere Gewalt könnte dagegen vorliegen, wenn das Einreiseland kurzfristig eine Visapflicht einführt oder ein komplettes Verbot für gewisse Länder ausspricht (Aktenzeichen X ZR 142/15).

Schnell ist relativ

Wer für seine Arbeit zu lange braucht, kriegt Ärger. Dieser Grundsatz sollte vor einigen Jahren auch mal in der Justiz eingeführt werden. In Form einer Regelung, welche einem zu lange hingehaltenen Kläger oder einem mit seinem offenen Verfahren in der Luft hängenden Angeklagten einen Anspruch auf Entschädigung gibt.

Das Gesetz (§ 198 GVG, § 199 GVG) kam schließlich zu Stande. Aber eigentlich auch nur, weil für die deutsche Justiz der Druck von den europäischen Institutionen zu groß wurde, namentlich vom Europäischen Gerichtshof sowie dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Schon die vielen Wenns und Abers in den Paragrafen und die absurd niedrige Entschädigungssumme (1.200 Euro für jedes verlorene Jahr) verraten recht deutlich die wahre Intention: Schlupflöcher soll es genug geben, denn Geld fließen soll am Ende höchstens im homöopathischen Bereich.

Mein Kollege Detlef Burhoff veröffentlicht in seinem Blog jetzt einen Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt, der die Praxis beleuchtet. Da meint das Oberlandesgericht Frankfurt, ein Jahr Inaktivität sei grundsätzlich erst mal völlig unschädlich – und zwar ab dem Zeitpunkt, in dem das Verfahren entscheidungsreif ist. Entscheidungsreif bedeutet: Das Gericht hat – möglicherweise nach eine langen Schriftwechsel der Parteien und einer Beweisaufnahme – alle Informationen zusammen, die es braucht, und es bestehen auch keine sonstigen Hürden, um der einen oder der anderen Seite recht zu geben. Trotzdem lässt das Gericht die Sache bis zu einem Jahr liegen, und das soll dann noch eine „angemessene Verfahrensdauer“ sein?

Immerhin kriegte der Kläger in dem Fall wenigstens noch teilweise recht. Das Gericht bejahte zumindest ein gewisses Eilbedürfnis und billigte eine Entscheidungsfrist von höchstens sechs Monaten zu. Aber das ändert nichts daran, dass Maßstab eben erst mal ein Jahr Inaktivität (nach Entscheidungsreife) ist. Zu allem Überfluss schreibt das Oberlandesgericht noch, es könne auch Verfahren geben, die gerne noch länger dauern dürfen. Nämlich dann, wenn sie für den Kläger „ohne besondere Bedeutung“ sind. Was man sich unter solchen Verfahren vorstellen darf, dafür bedarf es schon einiger Fantasie.

Blog von Detlef Burhoff

Einverstanden!

Die Polizei war mal wieder in der Wohnung meines Mandanten. Ohne richterlichen Beschluss. Zugegeben, die Beamten haben dort auch auch kleinere Mengen an Betäubungsmitteln gefunden. Jetzt wollte aber auch der Staatsanwalt mal genauer wissen, wieso die wiederholte Durchsuchung erfolgte, ohne dass vorher ein Durchsuchungsbeschluss eingeholt wurde.

Ich zitiere aus der Stellungnahme der Drogenfahnder:

Ein Durchsuchungsbeschluss war nicht erforderlich. Der Beschuldigte wurde von mir befragt, als die Maßnahme in seiner Wohnung lief. Er erklärte: „Ihr habt ja sowieso schon alles gefunden, also bin ich einverstanden.“

Somit war der Beschuldigte ausdrücklich einverstanden und es wurde davon abgesehen, den Eildienst der Staatsanwaltschaft zu kontaktieren.

Es ist ja schon ein Unding, dass Betroffene bei uns auf ihre Grundrechte „verzichten“ können. Damit wird den immer häufiger werdenden Geschichten Tür und Tor geöffnet, wonach der Beschuldigte sich geradezu gefreut hat, dass seine Wohnung durchsucht wird.

Die Begründung in diesem Fall schlägt an Dreistigkeit allerdings so gut wie alles, was ich in solchen Fällen bisher gelesen habe. Der Staatsanwalt sieht es übrigens genau so. Er bejaht ein Verwertungsverbot und stellt das Verfahren mangels Tatverdachts ein.

Schüler klagt wegen Handy-Entzug

Dürfen Lehrer das Handy eines Schülers übers Wochenende einkassieren, wenn der Schüler vorher den Unterricht gestört hat? Diese Frage wollte ein Neuntklässler in Berlin gerichtlich klären lassen.

Die Mutter des Schülers durfte das Handy erst am Montag im Schulsekretariat abholen. Das Verwaltungsgericht Berlin möchte allerdings gar nicht in der Sache entscheiden, ob so eine „Erziehungsmaßnahme“ gerechtfertigt ist. Stattdessen verweisen die Richter darauf, der damals minderjährige Schüler habe mittlerweile die Schule gewechselt. Somit habe er kein juristisches Feststellungsinteresse, weil keine Wiederholungsgefahr bestehe.

Allerdings deutet das Gericht an, die vorübergehende Unerreichbarkeit auf dem Handy sei eher kein schwerwiegender Grundrechtseingriff. Auch das Erziehungsrecht der Eltern sei nicht beeinträchtigt (Aktenzeichen 3 K 797.15).

Vor zwei, drei Monaten

Botschaften aus dem Sekretariat:

Der Anrufer hatte seine eigene Rufnummer nicht parat. Er hat Ihnen aber vor zwei, drei Monaten mal eine Mail geschickt mit einer Anfrage. Darin steht die Rufnummer vermutlich drin. Sie sollen die Nummer nachschauen und sich melden. Seine Mailadresse wollte er nicht nennen, da Sie diese ja schon haben. Es ist eilig.

Es ist immer eilig. Aber zum Glück nicht immer so kompliziert…

Mit der Bitte um Kenntnisnahme

Erst ließ die Anwaltskanzlei Waldorf Frommer jeden Nachmittag die Faxbombe platzen. Dann kamen Briefe eine Zeit lang per Post. Das scheint den Münchner Anwälten aber etwas zu teuer zu werden. Ich vermute, da hat sich mal ein Kollege gewehrt. Plötzlich kommt alles per Mail, wobei der Inhalt der Mail immer gleich ist („anliegendes Schreiben übersenden wir Ihnen mit der Bitte um Kenntnisnahme und ggf. zur weiteren Veranlassung“).

Der Brief zum Fall steckt womöglich in etwas, das sich als PDF-Datei ausgibt. Ich kann das nur vermuten, denn wir werden die Anhänge nicht öffnen. Das steht auch in meiner recht kurzen Antwort, die ich vorsichtshalber schon mal als Textbaustein abgespeichert habe:

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir möchten Sie höflich darum bitten, uns keine Schreiben per Mail zu senden, die in einer angehängten Datei enthalten sind. Gerade im Hinblick auf die aktuelle Bedrohungslage mit Viren und den Umstand, dass in letzter Zeit immer wieder gefälschte Mails von Abmahnkanzleien in Umlauf gerieten und auch uns erreichten, werden wir angehängte Dateien nicht öffnen.

Wir stellen anheim, mit uns auf dem Postweg zu korrespondieren.

Mit freundlichen Grüßen

Udo Vetter
Rechtsanwalt

Kein neuer James Bond

Im Alltag nannte er sich schon länger James Bond, jetzt wollte ein Mann aus Rheinland-Pfalz das auch in seinem Personalausweis dokumentiert sehen. Die Behörden weigerten sich. Auch das Verwaltungsgericht Koblenz sieht keinen Grund, der Welt einen echten „James Bond“ zu bescheren.

Begründet hatte der Mann den Wunsch nach Namensänderung mit ständigem Streit, den er mit seinem Onkel und dessen Familie habe. Außerdem wolle er sein Leben neu ordnen. Sogar eine ärztliches Stellungnahme legte der Kläger vor. Diese befürwortete einen Namenswechsel.

Das Gericht sieht das nicht so. Es sei nicht erkennbar, wie ein neuer Namen Familienstreit beenden könne. Auch mit der geplanten Neuordnung des Lebens haben die Richter Probleme. Denn der Name James Bond sei durch eine britische Romanfigur recht stark vorbelegt und trage deshalb „den Keim neuer Schwierigkeiten“ in sich. Beide Argumente sind, so finde ich, nun wirklich nicht von der Hand zu weisen (Aktenzeichen 1 K 616/16.KO; Link zum Urteil).

„Sie haben das Recht zu schweigen 2.0“

Hier ein kleiner Programmhinweis in eigener Sache: Am Samstag, 20. Mai, bin ich auf der No-Spy-Koferenz in Stuttgart zu Gast. Ab 12 Uhr halte ich den Vortrag „Sie haben das Recht zu schweigen 2.0 – Aktuelle Strategien für den Umgang mit Polizei und Staatsgewalt“.

Wie der Titel schon sagt, handelt es sich um die Neuauflage meines Talks auf dem 23C3 aus dem Jahr 2006. Seitdem hat sich einiges in diesem Bereich getan. Nicht viel Erfreuliches, wie ich ohne Vorgriff auf Einzelheiten konstatieren möchte.

So weit ich weiß, gibt es noch Tickets für die Veranstaltung. Es gibt noch zahlreiche andere interessante Vorträge, unter anderem von meinem Kollegen Carsten Ulbricht („Überwachung & Recht – Wo bleibt der Grundrechtsschutz in Zeiten von NSA & Co?!“) sowie Peter Welchering („Fake News, Propaganda-Bots, Big Data –
digitales politisches Direktmarketing geht nur mit Überwachung“).

IP-Adressen sind personenbezogen

Der Bundesgerichtshof hat sich in der Frage festgelegt, ob die IP-Adresse eines Internetnutzers ein personenbezogenes Datum ist. Das bejaht der Bundesgerichtshof ausdrücklich. Mit dem Urteil ist nun anerkannt, dass die IP-Adresse keine beliebig speicherbare Information ist. Sie unterliegt dem Schutz, der auch ansonsten für personenbezogene Daten gilt.

Eine Speicherung der IP-Adresse ist laut dem Gericht nur in engen Grenzen zulässig. Den Rahmen steckt die einschlägige EU-Richtlinie ab. Diese lässt die Speicherung der IP-Adresse dann zu, wenn die Datenerhebung und -verwendung erforderlich ist, um die generelle Funktionsfähigkeit der Dienste zu gewährleisten. Dabei, so der Bundesgerichtshof, sei eine Abwägung der Datenschutzinteressen des Nutzers und des Sicherheitsinteresses des Anbieters erforderlich.

In dem entschiedenen Fall ging es um den Piraten-Politiker Patrick Breyer. Breyer verklagte den Bund, weil zahlreiche Behörden anlasslos die IP-Adressen der Nutzer über einen längeren Zeitraum protokollieren. Der Bundesgerichtshof sieht sich derzeit außerstande konkret zu prüfen, ob eine Speicherung im Einzelfall zulässig war. Hierzu bedürfe es weiterer Feststellungen, welche die Gerichte der unteren Instanzen nun nachholen müssen. So müsse festgestellt werden, wie hoch das tatsächliche Bedrohungspotenzial der fraglichen Webseiten sei. Ausdrücklich betont das Gericht, bei der Abwägung seien zusätzlich auch „Gesichtspunkte der Generalprävention und der Strafverfolgung gebührend zu berücksichtigen“.

Derzeit lässt sich also nur sagen, dass IP-Adressen jedenfalls als personenbezogen gelten und somit geschützt sind. Das Urteil kann schon mit dieser Grundaussage viele Seitenbetreiber in die Bredouille bringen, die IP-Adressen auch für das lukrative Data Mining abgreifen (Aktenzeichen VI ZR 135/13).

Ein Vorgang, der kein Vorgang werden darf

Vor kurzem habe ich von einer merkwürdigen Vorladung zur Polizei berichtet. Diese lautete wie folgt:

In der Ermittlungssache wegen Vernehmung ist Ihre Vernehmung als Beschuldigter erforderlich. Sie werden daher gebeten, bei der Polizeiinspektion … vorzusprechen.

Mittlerweile konnte ich mit dem Polizeibeamten klären, ob ich eine der hektischen Aktivitäten unseres Bundesjustizministers übersehen habe. Vielleicht gibt es ja wirklich mittlerweile die Straftat Vernehmung. Ausschließen will man ja heute gar nichts mehr.

Allerdings ließ sich der – im übrigen sehr freundliche – Polizeibeamte des Rätsels Lösung entlocken. Diese verbirgt sich in den Tiefen der bayerischen Polizeiverwaltung. Wenn dort eine Dienststelle aus einem anderen Bundesland um Vernehmung eines Zeugen in Bayern bittet, darf der bayerische Beamte auf keinen Fall in den Computer eingeben, um welchen Tatvorwurf es geht. Tippt er zum Beispiel das Delikt ein, Diebstahl etwa, legt die bayerische EDV einen neuen Vorgang an. Und das, obwohl man ja sozusagen nur in Amtshilfe für die auswärtige Polizeibehörde tätig wird. So ein Vorgang ist dann eine ganz schlechte Sache, weil er sich dann im System festbeißt und nach einem Verfahrensabschluss schreit, den aber keiner liefern kann. Auch die Abteilung für Statistik hat wohl schon übel gemeckert.

Angesichts dieser handfesten Sachzwänge habe dem Polizeibeamten gesagt, er und seine Kollegen könnten doch ein, zwei Stichworte auf die Vorladung schreiben. Ganz altmodisch mit der Hand. Hat er sich nach eigenen Angaben auch schon mal überlegt, aber da ist die Behördenleitung wohl strikt dagegen. Es wird also weiter wegen „Vernehmung“ eingeladen – und wegen was ganz anderen vernommen. Aber das natürlich nur, sofern der Empfänger des Briefes der Vorladung auch tatsächlich folgt. Was definitiv ein Fehler ist. Aber dazu habe ich ja schon oft genug war geschrieben.

Retourkutsche

Es gibt einige Bundesländer, in denen die Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren in Teilen nur noch als reine Empfehlung verstanden werden. Empfehlungen überdies, die man als Staatsanwalt, der Hauptadressat der Richtlinien ist, je nach Tagesform getrost ignorieren kann. Jedenfalls so lange es zu Lasten des Angeklagten geht.

Ein Beispiel. Die Richtlinien bestimmen in Nr. 147, dass die Staatsanwaltschaft ein Rechtsmittel wegen einer aus ihrer Sicht zu milden Strafe nur einlegen soll, „wenn die Strafe in einem offensichtlichen Missverhältnis zu der Schwere der Tat steht“. Mit anderen Worten: Sofern das Strafmaß des Urteils nicht jenseits von gut und böse ist und der Angeklagte somit vor Freude auf dem Tisch tanzt, ist die Entscheidung des Richters zu akzeptieren.

In dem betreffenden Fall hat der Richter eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verhängt. Die Staatsanwältin, die auch die Anklage geschrieben hat, hatte in der Hauptverhandlung höchstpersönlich eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten beantragt. Jetzt geht sie wegen der zwei Monate in Berufung. Zur Begründung schreibt sie – ziemlich dreist, wie ich finde – , die Strafe stehe in einem offensichtlichen Missverhältnis zur Tat.

Wer’s glaubt. Tatsächlich hat sie Berufung eingelegt, weil ich für meinen Mandanten Berufung eingelegt habe. Meine Berufung habe ich wohlweislich erst am Nachmittag des Tages ans Gericht gefaxt, an dem die Frist ablief. (Später geht ja nun wirklich kaum, wenn das Gericht weit entfernt ist. Ich will da schon gar nicht mehr das Risiko ausmalen, wenn am Gericht mal das Fax nicht funktioniert.) Keine Ahnung, über welchen Buschfunk die Staatsanwältin noch von meiner Berufung erfahren und anschließend ebenfalls noch ihr Rechtsmittel rausgehauen hat. Obwohl, eine Ahnung habe ich schon. Aber der Richter wird sicher keinen Aktenvermerk geschrieben haben.

Ebenfalls in Nr. 147 der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren steht übrigens folgendes:

Die Tatsache allein, dass ein anderer Beteiligter ein Rechtsmittel eingelegt hat, ist für den Staatsanwalt kein hinreichender Grund, das Urteil ebenfalls anzufechten.

Es soll also keine Retourkutschen geben. Aber wie gesagt, wenn es passt, sind halt auch Vorschriften gerne mal Schall und Rauch. Da hilft auch eine fadenscheinige Begründung nicht, die man als Mäntelchen darüber breitet.

Wird sowieso eingestellt …

Heute nachmittag wollte sich jemand bei mir beschweren. Über die Polizei. Die Anruferin war extrem verärgert über das, was der Polizeibeamte ihr gesagt hat. Dass sie nämlich einfach zu ihm auf die Wache kommen soll, dann nimmt er ein Protokoll auf, alles keine große Sache, das Verfahren werde sowieso wegen Geringfügigkeit eingestellt.

Das hat die Anruferin geglaubt. Das mit der Einstellung ist allerdings nicht passiert. Der zuständige Staatsanwalt, der zum Zeitpunkt der „Zusage“ mutmaßlich noch nicht mal von dem Vorgang wusste, hat doch eiskalt eine Anklageschrift formuliert. Die Anruferin war nun der Meinung, dass es ja so wohl nicht geht. Immerhin hatte sie doch die Quasi-Garantie von dem Polizisten für den Fall, dass sie das tut, was er will – die Karten auf den Tisch legen nämlich.

Die Verärgerung konnte ich der Dame nicht nehmen. Wohl aber das Gefühl, mit diesem Erlebnis ganz allein zu stehen. Genau so passiert es doch tatsächlich Tag für Tag, und zwar in einer Vielzahl von Fällen. Das böse Erwachen kommt erst, wenn der Beschuldigte erfährt, dass der Polizist mit einer Einstellung des Verfahrens rein gar nichts zu tun hat, weil darüber an ganz anderer Stelle entschieden wird. Und dass die betreffenden Entscheidungsträger, Staatsanwälte nämlich, nicht an das gebunden sind, was um Arbeitsvermeidung bemühte Polizisten so von sich geben.

Die Betroffene ist jedenfalls mit den Nerven fertig. Immerhin konnte ich sie vorerst ein klein wenig mit der Staatsgewalt versöhnen. Ich habe nämlich mit dem zuständigen Richter geplaudert. Immerhin will der jetzt mal beim Staatsanwalt dafür werben, dass es doch noch zu einer Einstellung kommt.

Wenn es gelingt, will die Mandantin mein Honorar von der Polizei einklagen. Wäre schön, wenn so was klappen würde.

Rechte, die kaum einer kennt

In Berlin sind Jugendliche wegen versuchten Mordes angeklagt. Sie sollen in einem U-Bahnhof versucht haben, einen schlafenden Obdachlosen anzuzünden. Ich will etwas näher auf eine wichtige Verfahrensfrage eingehen, die es sogar bis in die Zeitungsberichte geschafft hat. Zitat aus der Welt:

Dann macht Richterin Regina Alex noch auf einen entscheidenden Fehler der Ermittler aufmerksam: Vier der Aussagen bei der Mordkommission dürfen nicht verwertet werden, weil die Polizisten die Jugendlichen und ihre gesetzlichen Vormünder nicht darauf aufmerksam gemacht hatten, dass sie ein sogenanntes Elternkonsultationsrecht haben: Jugendliche unter 18 Jahren dürfen ihre Eltern oder einen gesetzlichen Vertreter zu ihrer Aussage hinzuziehen. Dies hatten die Ermittler bei Mohammad, Khaled, Bashar und Eyad jedoch nicht erklärt.

Ein Elternkonsultationsrecht für Beschuldigte unter 18 Jahren. Das gibt es tatsächlich, es steht in § 67 Jugendgerichtsgesetz. Gegen die dort niedergelegten Rechte wird Tag für Tag an vielen Tatorten und auf noch viel mehr Polizeiwachen verstoßen. Einerseits, weil viele Polizeibeamte die Vorschriften in ihrer ganzen Tragweite nicht kennen. Aber auch, weil sie diese missachten, denn so haben sie weniger Arbeit und erzielen sogar noch bessere „Erfolge“.

Aber was ist das Elternkonsultationsrecht genau? Hier die Grundzüge:

-> Die Eltern eines Minderjährigen haben ein eigenes Recht, bei jeder Vernehmung ihres Kindes dabei zu sein. Sie können auch Beweisanträge stellen und dem Kind (sogar ohne dessen Einverständnis) einen Anwalt zur Seite stellen;

-> Die Polizei muss die Eltern von einer beabsichtigten Vernehmung benachrichtigen. Wenn die Eltern nicht bekannt oder greifbar sind, muss die Polizei aktiv daran arbeiten, dass sich dies ändert. Und es muss natürlich abgewartet werden, bis die benachrichtigten Eltern zur Polizei kommen können.

-> Der Jugendliche selbst muss über seine Schweigerechte hinaus auch für ihn verständlich darüber aufgeklärt werden, dass er ein Recht auf Anwesenheit seiner Eltern bei der Vernehmung hat. Aber nicht nur das. Denn seine Rechte gehen noch weiter. Er hat auch das Recht, sich vor einer eventuellen Vernehmung mit seinen Eltern zu beraten. Und zwar ohne Aufsicht durch die Polizei.

Wurde der Jugendliche unter Verstoß gegen diese Vorgaben vernommen, ist seine Aussage unverwertbar. Also das, worauf jetzt auch das Landgericht Berlin hingewiesen hat. Ist der Jugendliche zunächst unter Verstoß gegen die Vorschriften vernommen worden und kommt es deshalb – zum Beispiel durch Anregung eines weitsichtigen Staatsanwalts – zu einer weiteren Vernehmung, muss er vor dieser zweiten Vernehmung ausdrücklich darüber belehrt werden, dass seine erste Vernehmung nicht verwertet werden kann.

Im Ergebnis kann man feststellen, dass Eltern somit ähnliche, teilweise sogar weitergehende Rechte als Strafverteidiger haben. Aus meiner Erfahrung gibt es kaum eine Vernehmung eines Jugendlichen ohne Anwesenheit seiner Eltern, bei der alle vorstehenden Regeln wirklich konsequent beachtet werden.

Vielleicht ist es ganz gut, wenn man gerade als Elternteil schon mal davon gehört hat. Möglicherweise läuft dann einiges ganz anders, wenn sich die Polizei meldet und mitteilt, dass der Nachwuchs gerade zu einem Tatvorwurf vernommen wird und danach auf der Wache abgeholt werden kann.