Unter Kollegen

Die Geschichte ist folgende: Ein Autofahrer fährt auf der Autobahn in alkoholisiertem Zustand einen Motorradfahrer tot. Der Unfallverursacher flüchtet zu Fuß und versteckt sich in einem Industriegebiet. Er telefoniert mit zwei anderen Männern. Einer holt ihn mit seinem Auto ab und bringt ihn zunächst bei sich unter. Mit dem anderen Bekannten telefoniert der Unfallfahrer mehrfach. Sein Gesprächspartner verspricht ihm Unterstützung, unter anderem die Abholung nahe des Unfallortes. Die Polizei wurde nicht eingeschaltet.

Die Staatsanwaltschaft wertete das Verhalten der beiden Männer als Beihilfe zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort und als versuchte Strafvereitelung. Das Amtsgericht Freiburg sah das ganz anders. Es sprach die beiden Männer kurzerhand frei. Begründung: Die Unfallflucht sei im Wald bereits beendet gewesen, so dass eine Beihilfe nicht möglich sei. Und für eine Strafvereitelung habe den Angeklagten der Vorsatz gefehlt; sie hätten den Unfallfahrer „ausschließlich psychisch stabilisieren“ wollen.

Sicherlich ein bemerkenswertes Urteil. Aber ich hatte ja oben gesagt, die Polizei wurde nicht eingeschaltet. Das ist nicht ganz richtig. Tatsächlich sind alle drei Männer Polizeibeamte und Arbeitskollegen. Nur hielt sich in dieser Nacht ihr dienstlicher Eifer an der Aufklärung von Straftaten offenkundig in deutlichen Grenzen.

Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat das Urteil nun korrigiert. Ihrem Kollegen am Amtsgericht attestieren die Richter nicht nur eine oberflächliche Beweisaufnahme, sondern auch eine falsche Anwendung des Gesetzes. Eine Unfallflucht sei erst beendet, wenn das Sich-Entfernen von der Unfallstelle erfolgreich gewesen ist. So lange sich der Unfallfahrer im nahen Wald versteckte, hatte sich der Flüchtende aber noch nicht endgültig in Sicherheit gebracht.

Für eine Strafvereitelung, so die Richter, bedürfe es zwar eines Tatvorsatzes. Allerdings reiche es hierfür schon aus, dass der Täter die Folgen seiner Unterstützungshandlung als sicher voraussetzt. Die Polizeibeamten hätten aber sehr gut gewusst, dass es die Aufklärung der Trunkenheit als Unfallursache vereitelt, wenn sie den Kollegen so lange Unterschlupf gewähren, bis der Blutalkoholgehalt zur Tatzeit nicht mehr bestimmt werden kann.

Ein anderer Richter am Amtsgericht Freiburg muss jetzt über den Fall neu entscheiden (Aktenzeichen 2 Rv 10 Ss 581/16).

Foto-Beweis

Ich berichte ja meist von den unerfreulichen Dingen, die Mandanten widerfahren, wenn die Polizei ihre Wohnung durchsucht.

Es geht auch anders.

Zum Beispiel in einem aktuellen Fall. Es war noch recht früh, als Beamte bei meinem Mandanten an der Türe klopften. So früh, dass die Ehefrau meines Mandanten noch im Schlafzimmer ruhte. Das wiederum führte bei den Beamten zu erhöhter Rücksichtnahme.

Die Polizisten erlaubten meinem Mandanten, dass er mit dem Handy leise ins Schlafzimmer geht und einen Schnappschuss vom Raum macht. Wenn auf dem Bild kein Computer zu sehen sei, erklärten sie, könne auf die Durchsuchung des Schlafzimmers verzichtet werden.

Das Foto bewies offensichtlich: keine Desktop-Computer im Schlafzimmer. Die Polizisten haben den Raum dann auch tatsächlich nicht betreten. Die Ehefrau kriegte von der Durchsuchung nichts mit. Ich bin echt auf die Akteneinsicht gespannt, weil ich wissen will, wie sich dieses Vorgehen im Einsatzbericht niedergeschlagen hat. Ich gehe allerdings davon aus, es bleibt schlicht unerwähnt.

Wer sein Autoradio leiser drehen will, muss künftig anhalten

Nach einigen anderen netten Neuregelungen (Staatstrojaner, Regulierung sozialer Netzwerke, Aussagepflicht für Zeugen bei der Polizei, Ausweitung der DNA-Analyse, um nur einige zu nennen) hat die Große Koalition auf der Zielgeraden noch einen echten Knüller im Gepäck. Das Handyverbot am Steuer soll drastisch ausgeweitet werden.

In der Pipeline ist folgende Neufassung des § 23 StVO, die noch vor den Wahlen Gesetz werden soll:

(1a) Wer ein Fahrzeug führt, darf ein elektronisches Gerät, das der Kommunikation, Information oder Organisation dient oder zu dienen bestimmt ist, nur benutzen, wenn hierfür das Gerät nicht aufgenommen und nicht gehalten wird und entweder

a) nur eine Sprachsteuerung und Vorlesefunktion genutzt wird oder

b) zur Bedienung und Nutzung des Gerätes nur eine kurze Blickzuwendung zum Gerät bei gleichzeitiger Blickabwendung vom Verkehrsgeschehen erfolgt oder erforderlich ist, die einen Zeitraum von einer Sekunde nicht überschreitet.

Geräte in Sinne des Satzes 1 sind auch Geräte der Unterhaltungselektronik oder Geräte zur Ortsbestimmung, insbesondere Mobiltelefone oder Autotelefone, Berührungsbildschirme, tragbare Flachrechner, Navigationsgeräte, Fernseher oder Abspielgeräte mit Videofunktion oder Audiorekorder. …

Danach ist künftig jedes elektronische Gerät am Steuer tabu, wenn es in die Hand genommen wird. Das mag man ja noch nachvollziehen können, wenn man partout keinen Unterschied zwischen Handy und Diktiergerät oder Handy und Elektrorasierer sieht. Allerdings kommt eine ganz neue Dimension dazu, die zum Beispiel auch das Autoradio oder das (eingebaute) Navi umfasst. Auch diese Geräte dürfen künftig nicht mehr bedient oder sonstwie benutzt werden, wenn man dabei – kurz gesagt – länger als eine Sekunde auf das Gerät schaut.

Das bedeutet etwa konkret, dass es künftig verboten ist, am Autoradio die Lautstärke zu regulieren oder den Sender zu wechseln. Auch das eingebaute Navi darf nicht mehr eingestellt werden oder gar durch einen Blick auf das Navi-Display „genutzt“ werden. Das alles unter der bemerkenswerten Prämisse, dass die sogenannte „Blickzuwendung“ länger als eine Sekunde dauert.

Über einen solchen Regulierungswahn kann ich nur staunen. Hier wird der Willkür Tür und Tor geöffnet. Wie soll ein Polizeibeamter denn ernsthaft feststellen können, wie lange ein Autofahrer an einem Knöpfchen gedreht oder auf das Navi seine Autos geschaut hat? Das Ganze kann man eigentlich nur ertragen, wenn man Rechtsanwalt ist. Auch die Neuregelung ist halt ein Arbeitsbeschaffungsprogramm nicht nur für die Polizei, sondern auch für meine Branche. Und am Ende wird wieder tränenreich bedauert, dass die Gerichte nichts Wichtiges mehr erledigt bekommen.

Zu dem Thema auch die Blogs von Detlef Burhoff (mit Link zu den Gesetzesvorhaben) und Rechtsanwalt Bischoff.

Nachtrag: Die Bundesregierung hat den Antrag ohne Angaben von Gründen zurückgezogen.

Unverzeihlich

Heute habe ich einen schweren Fehler gemacht.

Ich war pünktlich zum vereinbarten Zeitpunkt an der Justizvollzugsanstalt, um einen Mandanten zu besuchen. Das – zurückhaltend ausgedrückt – komplizierte Einlassprozedere hatte ich gerade hinter mir, als es mir einfiel: Eigentlich hätte ich Kleingeld einstecken sollen. Hatte ich aber nicht, und das sorgte bei meinem Mandanten wirklich für ein sehr langes Gesicht.

Zwar darf ich einem Inhaftierten kein Bargeld übergeben. Aber in den meisten Gefängnissen gibt es in der Besuchsabteilung Waren-, Getränke- und Zigarettenautomaten. Die Automaten darf man als Besucher im Rahmen des Limits (meist um die 20 Euro) mit Münzen füttern. Der Einkauf darf dann mit in den Besprechungsraum, und der Gefangene kann die Sachen auch später mit auf seine Zelle nehmen.

Deshalb habe ich immer eine Plastiktüte mit ausreichend Silbergeld im Handschuhfach. 99 % der Ausgaben mache ich für Zigaretten, dem sicherlich wichtigsten Zeitvertreib im Knast. (Das eine Prozent geht auf einen Mandanten, der lebt von Chio Chips Paprika.) Der heutige Mandant war logischerweise ziemlich am Boden zerstört, als ich ihm meine Schusseligkeit beichtete. Ich fürchte, nicht mal die ansonsten produktive Besprechung und ein Hoffnungsschimmer, der sich am juristischen Horizont abzeichnet, hat das noch rausgerissen.

Immerhin kommen am Donnerstag seine Angehörigen. Hoffentlich denken die etwas weiter als ich.

Scheingeld

Aus einem Durchsuchungsbericht:

Das Geldbündel wurde von einem braunen Gummiband zusammengehalten. Insgesamt handelte es sich um eine Summe von 850 €. Das Scheingeld wurde als Beweismittel sichergestellt. Im Pkw wurde außerdem noch die Scheingeldsumme von 415 € aufgefunden. Das Scheingeld wurde als Beweismittel sichergestellt.

Ich habe etwas gebraucht um zu merken, dass es in dem Fall gar nicht um Falschgeld geht.

Und was ist mit Filesharing?

Freies WLAN? Nach diversen Anläufen könnte es vielleicht doch noch was werden. Der Bundestag beschloss heute ein Gesetz, das in die richtige Richtung zeigt. Das kann man trotz diverser Kritikpunkte festhalten.

Zunächst mal stellt das Gesetz sicher, dass öffentliches WLAN grundsätzlich frei – und anonym – zugänglich sein darf. Behörden dürfen Betreiber nicht verpflichten, Nutzer zu registrieren oder die Eingabe eines Passwortes zu verlangen. Andererseits bleiben WLAN-Anbieter aber berechtigt, ihre Netze mit Passwörtern und Registrierung abzusichern.

Der WLAN-Betreiber muss von sich aus keine eigenen Maßnahmen treffen, um Urheberrechtsverletzungen zu verhindern. Er ist aber verpflichtet, bei Beschwerden von Rechteinhabern Internetseiten zu blockieren, wenn die Seiten illegale Downloads ermöglichen und das WLAN hierzu bereits nachweislich dafür genutzt wurde. Allerdings regelt das Gesetz für diesen Fall, dass der Rechteinhaber dem WLAN-Betreiber keine Kosten in Rechnung stellen darf, zum Beispiel für eine Abmahnung. Selbst für den Fall, dass der Rechteinhaber klagt und gewinnt, muss der WLAN-Betreiber dem Rechteinhaber keine Kosten erstatten.

Interessant finde ich allerdings, dass das neue Gesetz lediglich von einer Verletzung geistigen Eigentums durch die Nutzung eines „Telemediendienstes“ spricht. Nur hierfür gilt die Privilegierung der WLAN-Betreiber – zumindest nach dem Wortlaut. Eine dezentral organisierte Tauschbörse, die wohl wichtigste Plattform für Urheberrechtsverletzungen, ist aber eher kein Telemediendienst.

Dieser Punkt könnte noch sehr interessant werden, kann er sich doch als Schlupfloch für die Abmahnindustrie erweisen. Die Rechteinhaber werden sich auf den Standpunkt stellen, dass die alten Abmahn- und Schadensersatzregeln unverändert weiter gelten, wenn zum Beispiel der Betrieb eines Filesharing-Clients wie eMule nicht unterbunden wurde. Mit dem neuen WLAN-Gesetz ist also keineswegs für absolute Rechtssicherheit gesorgt.

Vergnügungssteuerpflichtig

Vergnügungen sind in Deutschland ja meist steuerpflichtig. Wie aber wird die Steuer bemessen? Nach dem tatsächlichen „Vergnügungsaufwand“, erklärt das Bundesverwaltungsgericht in einem aktuellen Urteil.

Vergnügungsaufwand – dieses schöne Wort war mir bisher unbekannt. Aber abseits davon ging es um eine Sachfrage, die ich gar nicht so uninteressant finde. Die Stadt Dortmund hatte sich entschlossen, von den örtlichen Wettbüros eine Vergnügungssteuer zu erheben. Dabei kam man auf die Idee, die Wettbüros nach ihrer Größe zu besteuern. Jeweils 20 Quadratmeter Lokalfläche sollten 250,00 Euro im Monat kosten.

Das verletzt aber nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts den Grundsatz der „Stuergerechtigkeit“ (habe ich schon mal gehört, aber wie die meisten von uns vermutlich noch nie direkt erlebt). Eine Steuer sei nur dann gerecht, wenn der Maßstab stimme. Bei Vergnügungen dränge es sich aber geradezu auf, die Steuer entsprechend des Ausmaßes des konkreten Vergnügens zu bemessen – also dem Wetteinsatz. Der Wetteinsatz entspreche dem „individuellen, wirklichen Vergnügungsaufwand“.

Die Dortmunder Steuer, die seit 2014 erhoben wird, ist somit rechtswidrig. Die Vorinstanzen hatten das übrigens noch anders gesehen (Aktenzeichen 9 C 8.16 und 9 C 9.16).

Beweise? Eine Hochrechnung tut’s doch auch

Nach weit über 20 Jahren als Strafverteidiger denke ich manchmal, eigentlich müsstest du alles Absurde mindestens einmal erlebt haben. Dann kommt so eine unscheinbare rote Gerichtsakte daher und belehrt dich eines Besseren. Diesmal war es eine Anklageschrift, dich ich mit zunehmendem Staunen studierte.

Es geht um den Besitz strafbarer Bilder. Wie das üblich ist, machte sich die Polizei an die Auswertung der diversen Datenträger, die beim Beschuldigten beschlagnahmt worden waren. Der zuständige Beamte wurde auf den Festplatten auch fündig. So weit, so alltäglich für mich als Anwalt.

Allerdings stellte der Polizeibeamte seine Tätigkeit ein, nachdem er nach eigenen Angaben 50 Prozent der Datenträger „durchsucht“ hatte. Den Rest ließ er unüberprüft links liegen. Warum der Polizist die Arbeit einstellte, bleibt etwas nebulös. Vielleicht fehlte ihm einfach die Zeit. Immerhin hielt er als Ergebnis fest, dass er auf den ausgewerteten Datenträgern exakt 501 Bilder gefunden hat, deren Besitz nach seiner Meinung strafbar sind.

Interessant ist nun, was der Staatsanwalt mit diesen Informationen gemacht hat. Er beschuldigt meinen Mandanten in der Anklageschrift nicht des Besitzes von 501 Bildern. Vielmehr kommt er im Wege einer Hochrechnung dazu, der Beschuldigte habe 1002 Bilder besessen, und in diesem Umfang erhebt er explizit Anklage.

Bemerkenswert finde ich, dass der Staatsanwalt selbst von einer „Hochrechnung“ spricht – und damit offenbar null Probleme hat. Natürlich ist auch das Strafrecht mitunter Hochrechnungen zugänglich. Krasseste Beispiele sind Drogendelikte. Da ist meist kein Fitzelchen des Stoffs mehr vorhanden, der Umfang der Taten ergibt sich aus Zeugenaussagen nach dem Motto: „Ich war einmal in der Woche dort und habe jeweils vier Gramm gekauft, und das zehneinhalb Monate lang.“

Aber eine Hochrechnung, obwohl das Beweismittel auf dem Tisch liegt? Darauf muss man erst mal kommen. Ein Angeklagter kann sich doch nicht wegen Bildern verteidigen, von denen nicht mal festgestellt ist, dass sie überhaupt existieren. Die Anklage empfinde ich aber auch als Zumutung gegenüber dem Richter. Wie kann ein seriöser Richter seine Pflicht, die Wahrheit zu ermitteln, zur Seite schieben und reine Mutmaßungen zur Grundlage seines Urteils machen?

Als Verteidiger wäre es mir natürlich recht, wenn es bei der Auswertung der Hälfte der Datenträger verbleibt. Aber dann dürfte sich der Tatvorwurf eben nur auf die Bilder erstrecken, die bis dahin gefunden wurden. So muss ich mich für meinen Mandanten leider beschweren. Es wird interessant, ob die Staatsanwaltschaft tatsächlich bei der Meinung bleibt, diese Anklageschrift könne als Grundlage für eine Hauptverhandlung dienen.

So viel Ehrlichkeit

Nach einer Hausdurchsuchung, für die es keinen richterlichen Beschluss gab und bei der ersichtlich keine Gefahr im Verzuge vorlag, setzte sich die Kriminaloberkommissarin hin und brachte folgendes zu Papier:

Der Durchsuchung wurde seitens des Beschuldigten nachträglich zugestimmt.

So eine Ehrlichkeit hinsichtlich des Zeitpunkts der Zustimmung kann ich als Strafverteidiger nur loben. Darauf lässt sich juristisch aufbauen.

Drogenscreenings mit Durchfallgarantie

Nicht alle Dinge machen Sinn, wie man heute so gerne sagt. Das gilt mitunter auch für Bewährungsbeschlüsse, die Richter verkünden. So machte ein Amtsgericht meinem Mandanten unter anderem die Auflage, sich innerhalb der dreijährigen Bewährungsfrist regelmäßig auf Drogenkonsum screenen zu lassen, und zwar mit einem negativen Ergebnis. Sonst müsse er damit rechnen, dass die Bewährung widerrufen und seine achtmonatige Haftstrafe vollstreckt wird.

Drogenfrei leben, das ist natürlich ein hehres Ziel. Aber einfach zu erreichen ist es nicht, wenn man Drogen konsumiert. Deshalb habe ich beim Gericht eine Änderung beantragt. Die Begründung lautete so:

Es besteht Anlass, die Weisungen abzuändern.

Der Verurteilte hat sich ausweislich des Urteils unwiderlegt dahin eingelassen, dass er die fraglichen Betäubungsmittel zum Eigenverbrauch angebaut hat. Überdies hat der Verurteilte angegeben, dass er seinen Tag im wesentlichen mit dem Konsum von Marihuana verbringt, und das schon seit Jahren.

Es spricht also viel dafür, den Verurteilten als suchtkrank anzusehen.

Bei einer Abhängigkeit im Sinne einer Sucht besteht nach gängiger Definition das unabweisbare Verlangen nach einem bestimmten Erlebniszustand. Diesem Verlangen werden die Kräfte des Verstandes untergeordnet. Es beeinträchtigt die freie Entfaltung einer Persönlichkeit, zerstört die sozialen Bindungen und die sozialen Chancen eines Individuums.

Bei einer Suchterkrankung hat der Einzelne ohne fachkundige medizinische und therapeutische Hilfe nicht die Möglichkeit, sich selbst aus der Abhängigkeit zu lösen.

Der Verurteilte ist also nach derzeitigem Stand aufgrund einer Abhängigkeit nicht in der Lage, entsprechend der Weisung des Gerichts negative Drogenscreenings beizubringen. Auch wenn bei ihm der Wunsch nach Abstinenz sicher vorhanden ist, wird er ein drogenfreies Leben nicht alleine durch den Druck eines möglichen Bewährungswiderrufs führen können.

In rechtlicher Hinsicht ist darauf hinzuweisen, dass dem Verurteilten keine Weisungen auferlegt werden dürfen, welche unzumutbare Anforderungen an ihn stellen (§ 56 Abs. 1 S. 2 StGB). Vorliegend ist es dem Angeklagten aus den dargelegten faktisch unmöglich, den Weisungen ohne fachkundige medizinische und therapeutische Hilfe entsprechen zu können.

Das Gericht hat so entschieden.

Die Auflage wird dahingehend abgeändert, dass dem Verurteilten auferlegt wird, Kontakt zur Drogenberatung aufzunehmen und dem sich aus den Gesprächen mit der Drogenberatung ergebenden eventuellen Therapiebedarf zu entsprechen. Drogenscreenings entfallen.

Das Ganze hat noch einen weiteren positiven Effekt. Während mein Mandant die Drogenscreenings selbst hätte bezahlen müssen, wird die Krankenkasse die Kostenübernahme für die Suchtbehandlung nun wohl kaum verweigern können. Ob der Mandant seine (neue) Chance nutzt, das liegt ganz in seinen Händen.

Fraktionszwang sollte es eigentlich gar nicht geben

Unter großem medialen Getöse hat Bundeskanzlerin Angela Merkel heute den Fraktionszwang für ihre Partei im Bundestag aufgehoben. In einer Sachfrage. Die Abgeordneten sollen frei entscheiden können, ob sie für oder gegen die Ehe für alle stimmen. Das ist alles sehr nett, hat aber einen Schönheitsfehler. Den Fraktionszwang sollte es nämlich gar nicht geben…

… jedenfalls, wenn es nach dem Grundgesetz geht. Dort ist sehr deutlich festgelegt, nach welchem Maßstab sich die Abgeordneten zu richten haben. Artikel 38 Grundgesetz:

Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

Angela Merkel lässt somit nur geschehen, was nach dem klaren Willen der Verfassung nicht die Ausnahme, sondern die Regel sein sollte. Tatsächlich, und das zeigt die heutige „Freigabe“ der Abstimmung, ist das vom Grundgesetz vorgesehene „freie“ Mandat im Laufe der Jahrzehnte ganz schön unter die Räder bzw. niemals darunter hervorgekommen.

Immerhin ist allerdings auch eines klar. Der im Bundestag tagtäglich praktizierte Fraktionszwang ist ein stumpfes Schwert gegenüber Abgeordneten, die sich ihm partout nicht unterverwerfen wollen. Eine direkte Sanktionsmöglichkeit gegenüber dem Abgeordneten gibt es nicht. Er kann höchstens Schaden an seiner Karriere nehmen sowie im schlimmsten Fall aus der Fraktion ausgeschlossen werden. Das ändert aber nichts daran, dass er Abgeordneter bleibt. Außerhalb des Parlament, zum Beispiel vor Gericht, darf ein Abgeordneter ohnehin nicht für sein Abstimmungsverhalten zur Rechenschaft gezogen werden (Art. 46 GG).

Legitimiert wird der Fraktionszwang gerne mit dem Hinweis, dass die Fraktionen im Bundestag nur handlungsfähig sind, wenn die Abgeordneten nicht kreuz und quer abstimmen. Ich persönlich meine, dass gerade die Möglichkeit, bei wichtigen Sachfragen auch Koalitionen über die Fraktionsgrenzen zu schmieden, der äußeren Wahrnehmung des Bundestages sicher nicht schaden würde.

Letzten Dienstag am Fixierpunkt

Aus einer Ermittlungsakte. Es geht um einen Menschen, der etliche Gläser zu viel getrunken hatte:

(Der Beschuldigte wurde) mittels dienstlicher Handfesseln mit der linken Hand am in der Wand eingelassenen Fixierpunkt gefesselt.

Ein freiwilliger Atemalkoholtest wurde durch den Beschuldigten verweigert. Dies machte der Beschuldigte durch Heben des Mittelfingers der nicht fixierten Hand deutlich.

Der Polizist stellt Strafantrag. Wegen Beleidigung. Ich bin ja schon froh, dass er sich nicht krankschreiben lassen musste…

Wie wird es wirklich gewesen sein?

Manchmal lese ich Ermittlungsakten der Polizei und frage mich, wie es wohl wirklich gewesen ist. Beziehungsweise wer wen komplett falsch verstanden hat. Oder verstehen wollte.

Dabei denke ich etwa an den Fall einer Verkehrskontrolle. Mein Mandant wurde mit seinem Auto angehalten. Den Beamten war wohl schnell klar, dass mein Mandant Betäubungsmittel konsumiert hat. Tatsächlich wurde bei ihm auch etwas Amphetamin gefunden. Aber nur eine klitzekleine Menge, offensichtlich für den Eigengebrauch.

Etwas anderes versetzte die Polizisten allerdings in höchste Aufregung. Mein Mandant hatte die unerhörte Summe von 1.100 Euro bei sich. In bar! Bei dieser Beweislage finden sich leider ab und an willige Staatsanwälte, die ebenso wie die Polizeibeamten gleich Betäubungsmittelhandel rufen. So kam es, dass gegen meinen Mandanten zu nachtschlafener Zeit eine Hausdurchsuchung für unvermeidlich gehalten wurde.

In der Strafanzeige klingt es so, als habe mein Mandant von sich aus die Polizei quasi noch angestachelt. Indem er angeblich was von größeren Drogenmengen in seiner Wohnung erzählte und dass er die Verstecke gerne zeigt, wenn er Strafrabatt kriegt. Dumm nur, dass bei der Wohnungsdurchsuchung nichts gefunden wurde. Außer ein paar Krümel Marihuana. Die dürften nicht mal für einen Joint reichen, also vernachlässigenswert.

Immerhin ergibt sich aus der Akte auch, dass mein Mandant ab dem Zeitpunkt der Kontrolle nicht die Möglichkeit hatte, mit Dritten Kontakt aufzunehmen. Er stand nämlich unter ständiger Beobachtung, sein Handy war einkassiert. Von daher mutet die Theorie der Polizeibeamten, ein großer Unbekannter habe was mitgekriegt und die angeblichen Drogen aus der Wohnung geräumt, doch reichlich gewagt. Aber so ließ sich die „Story“ halt vielleicht doch noch retten, deshalb wurde es dann auch so aufgeschrieben.

Ich habe ja meine eigene Theorie. Der Mandant war dank eines Alkohol-Marihuana-Amphetamin-Mix exakt in dem Zustand, den er sich gewünscht hatte. Vernünftige Aussagen macht man dann allerdings nicht mehr. Er wird also unter dem Druck der Ermittler jede Menge Quatsch erzählt haben, aber nur der interessante Quatsch wurde niedergeschrieben.

War wahrscheinlich einfach sonst nichts los in der Nacht.

(K)ein guter Tag für einen Gerichtstermin

Früher gab es Sprüche darüber, wie angenehm das Leben eines Richters ist. Wenig Arbeit für gutes Geld, hieß es zum Beispiel. Die Zeiten sind mittlerweile vorbei. Die Bezahlung hat jedenfalls mit der Arbeitsbelastung eher nicht Schritt gehalten, so zumindest der Eindruck, den ich aus gelegentlichem Smalltalk mit Richtern gewinne.

Dass der Druck allerdings so groß ist, um unbedingt für Montag, den 30.10.2017, einen ganztägigen Hauptverhandlungstermin am Schöffengericht anberaumen zu müssen, mit zig Zeugen und einem Sachverständigen – das hätte ich nun eher nicht erwartet.

Vor dem Montag liegt ja, das kommt jetzt weniger überraschend, ein Wochenende. Aber eben nicht nur. Der 01.11. (Mittwoch) ist ein gesetzlicher Feiertag. Und, Martin Luther sei Dank, der 31. Oktober (Dienstag) in diesem Jahr ausnahmsweise auch. Und dann sind bei uns in Nordrhein-Westfalen auch noch Schulferien, vom 23.10. bis 03.11. Für den Herbst kann man also ausnahmsweise von Brückentagen deluxe sprechen.

Es musste also gute Gründe für die Verhandlung am ominösen Montag geben. Statt lange Briefe zu schreiben, rief ich die Richterin einfach mal an um zu hören, ob sie dieses Termin-Harakiri wirklich riskieren will. Mindestens die Hälfte der Zeugen wird doch ohnehin blau machen. Dass ein gefragter medizinischer Sachverständiger sich aus München an diesem Tag nach NRW bewegt, hielt ich auch für eher unwahrscheinlich.

„OH, MEIN GOTT“, sagte die Richterin. „DEN EXTRA-FEIERTAG HATTE ICH JA GAR NICHT AUF DEM SCHIRM.“

Thema abgehakt. Wir verhandeln im Dezember, aber lange genug vor Weihnachten.