Mal nicht das volle Programm

Wo wir heute schon mal bei Drogen sind (siehe den letzten Beitrag), findet sich in der nächsten Ermittlungsakte auf meinem Schreibtisch der Beweis. Der Beweis dafür, dass die Polizei nicht unbedingt jedem immer gleich was Böses will.

Mein Mandant war von einer Polizeistreife in einem Kneipenviertel angehalten worden. Die Beamten durchsuchten ihn und fanden folgendes:

63,9 g Marihuana
24,7 g MDMA (Tabletten „Domino“ lila)
11,3 g Kokain
7,9 g Amphetamin
740 Euro in kleinen und mittleren Banknoten

Aus beruflicher Erfahrung weiß ich eigentlich, wie es in solchen Fällen weiter geht. Mit einer Hausdurchsuchung. Je nach Ergebnis würde sich dann wohl auch bei einem bislang nicht vorbestraften Mandanten die Frage stellen, ob das Ganze zu einer Haftsache wird.

Aber wie war es hier? Es passierte nichts dergleichen. Keine Hausdurchsuchung, kein Anruf beim Staatsanwalt. Es wurde nur eine Anzeige aufgenommen, dann durfte mein Mandant nach Hause gehen.

Es ist jetzt natürlich reine Spekulation, warum die Sache so zurückhaltend behandelt wurde wie ein Auffahrunfall. Möglicherweise liegt es daran, dass mein Mandant um 5.50 Uhr morgens angehalten wurde. Um 6.45 Uhr ist in dem betreffenden Revier Schichtwechsel. Aber wie gesagt, ein Zusammenhang ist reine Spekulation. Ich tendiere eher dazu, dass die beteiligten Beamten einfach immer so zurückhaltend agieren, um gängige Vorurteile zu widerlegen.

Herr A will sein Geld zurück

Aus einem Polizeibericht, es geht um ein kleines Drogengeschäft vor einer Diskothek:

Der Beschuldigte A äußerte sich sinngemäß wie folgt:

Er habe vom Beschuldigten B zwei Steine MDMA kaufen wollen. Dafür habe er ihm 50 Euro gegeben. Dann sei der Beschuldigte B von den Türstehern angesprochen und überwältigt worden. Der Zeuge A habe seine Drogen also gar nicht erhalten.

Er wolle nun sein Geld zurück.

Zu seiner Überraschung musste Herr A allerdings feststellen, dass die Polizeibeamten sich rein gar nicht für seine – denkbaren, aber nicht sehr wahrscheinlichen – zivilrechtlichen Ansprüche auf Rückgabe des Kaufpreises interessierten. Stattdessen leiteten sie Ermittlungsverfahren ein, und zwar gegen den Verkäufer und seinen Kunden gleichermaßen.

Die 50 Euro dürften also die kleinste Sorge beider sein.

Nicht hinnehmbares Gefühl des Überwachtwerdens

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) warnt vor dem Einsatz von Gesichtserkennungssystemen an öffentlichen Plätzen und bezweifelt, dass dies den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entspricht. Nach Ansicht des DAV-Präsidenten Ulrich Schellenberg gibt es keine Rechtsgrundlage für diese Maßnahme. Anlass für die Kritik ist der Start eines Pilotprojekts zur Gesichtserkennung am Bahnhof Südkreuz in Berlin.

“Wenn massenhaft Gesichter von unbescholtenen Bürgerinnen und Bürgern an Bahnhöfen gescannt werden, dann greift der Staat schwerwiegend in Grundrechte ein“, sagte DAV-Präsident Ulrich Schellenberg zum Start des Gesichtserkennungsprojekts am 01.08.2017 in Berlin. “Dieses Scannen führt zu einem nicht hinnehmbaren Gefühl des Überwachtwerdens und der Einschüchterung“. Das Bundesverfassungsgericht habe in mehreren Entscheidungen ausdrücklich vor derartigen Effekten gewarnt. So beispielsweise in dem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung oder im Urteil zum automatisierten Erfassen von Kfz-Kennzeichen.

An dem Testlauf sind das Bundesinnenministerium, die Deutsche Bahn, die Bundespolizei und das Bundeskriminalamt beteiligt. Die rechtlichen Bedenken des DAV richten sich nicht gegen den sechsmonatigen Testbetrieb, jedoch gegen den späteren Einsatz der Gesichtserkennung im Echt-Betrieb. “Die Gesichtserkennung und die jüngsten Sicherheitsgesetze stellen eine verfassungsrechtlich brisante Kombination dar“, sagte Schellenberg. So sollen nach dem neuen Pass- und Personalausweisgesetz künftig Polizeibehörden, das Bundesamt für Verfassungsschutz, die Landesämter für Verfassungsschutz, der Militärische Abschirmdienst und der Bundesnachrichtendienst im automatisierten Verfahren biometrische Passbilder abrufen dürfen.

“Dieses Zusammenspiel aus technischen und rechtlichen Neuerungen stellt den Schutz der Freiheitsrechte vor neue Gefahren“, betonte der DAV-Präsident. Nach Ansicht des DAV gibt es derzeit keine Rechtsgrundlage, die eine Gesichtserkennung an öffentlichen Orten rechtfertigt. “Angesichts dieser neuen technischen und rechtlichen Möglichkeiten stellt sich die Frage, auf welcher rechtlichen Grundlage das massenhafte Scannen von Gesichtern gerechtfertigt wird“, so der DAV-Präsident.

“Eine wasserdichte Norm, die diesen Angriff auf die informationelle Selbstbestimmung rechtfertigen kann, gibt es nicht.“ Darüber hinaus gibt es nach Ansicht des DAV zahlreiche offene Fragen: Wann soll das System anschlagen? Bei zur Fahndung ausgeschrieben Personen, bei Fußball-Ultras auf dem Weg zum Auswärtsspiel, bei sogenannten Gefährdern?

Bevor sich die Gefängnistüren öffnen…

Die gute Nachricht war: Ich konnte mich mit dem Staatsanwalt darauf verständigen, dass mein Mandant gegen Auflagen aus der Untersuchungshaft entlassen wird. Die schlechte: Bevor sich die Gefängnistore öffneten, durfte ich einigen Papierkram und Lauferei erledigen.

Das sah so aus:

Abends bereitete ich das Formular für die Kaution vor. Die Kaution muss auf der Hinterlegungsstelle des Gerichts deponiert werden. Glücklicherweise kann man die Formulare heutzutage auf der Seite der Amtsgerichte runterladen. Morgens fuhr ich zunächst bei der Schwester meines Mandanten vorbei. Diese drückte mir den Pass und den Personalausweis des Inhaftierten in die Hand. Die Papiere müssen hinterlegt werden, zur Verminderung des Fluchtanreizes. Außerdem kriegte ich einen Briefumschlag mit reichlich Bargeld, die Strafkaution.

Den Pass und den Personalausweis brachte ich zur Staatsanwaltschaft. Dort kriege ich eine Quittung, die ich später beim Gericht vorlegen konnte. Weiter ging es zum Amtsgericht, Hinterlegungsstelle. Dort klappte eine Mitarbeiterin das Hinterlegungsbuch auf, ein echt dicker Wälzer. Dort wird alles noch handschriftlich vermerkt. Die Mitarbeiterin prüfte die Formulare (dauert), dann belohnte sie mich mit einigen Unterschriften und noch mehr Stempeln.

Mit den abgestempelten Formularen musste ich eine Mitarbeiterin beim Grundbuchamt aufsuchen (fragt mich nicht, warum). Die Dame prüfte alle Formulare noch mal Buchstabe für Buchstabe (dauerte superlang). Dann musste ich noch mal fünf Minuten draußen warten, weil sie sich wegen eines Details wohl nicht ganz sicher war. Immerhin sah sie sich in der Lage, die Formulare nach ihren eigenen Vorstellungen zu ändern. Schließlich kriegte ich noch mal Unterschriften und Stempel.

Mit diesen Papieren stellte ich mich in die Schlange der Gerichtskasse. Die Mitarbeiterin dort gab alle Daten in den Computer ein. Das dauert, was wenig überraschend sein dürfte. Doch schließlich tauschte sie das Bargeld gegen die ersehnte Hinterlegungsqittung.

Den Hinterlegungsbeschluss, die Einzahlungsquittung und die Bestätigung der Staatsanwaltschaft über Pass und Personalausweis brachte ich zum Büro des Ermittlungsrichters. Die Mitarbeiterin dort prüfte alle Dokumente noch mal (dauert naturgemäß). Aber es war alles da, und so konnte der Richter, der glücklicherweise auch anwesend war, die Entlassungsanordnung für meinen Mandanten unterschreiben. Diese Anordnung faxt das Gericht an die Justizvollzugsanstalt, und deren Türen öffnen sich für den Mandanten. Dessen Freude, der Vorhölle erst mal entkommen zu sein, entschädigt für den Aufwand. Abgesehen natürlich vom Honorar.

Insgesamt war es mal wieder eine kleine Odyssee durch die Untiefen unserer Bürokratie. Aber alle Beteiligten waren sehr zuvorkommend und hilfsbereit, was ja nicht unbedingt zwingend ist. Ich bin trotzdem froh, dass Kautionsgeschichten sich in meiner Praxis doch eher in Grenzen halten. Ein oder zweimal im Monat reicht.

Jemand hat ein Nachschlüsselchen verwendet

Zu einem fast epischen Vergehen soll es vor kurzem an einem „Fernverkehrsknoten der Deutschen Bahn“ gekommen sein. Ich greife nur den Sprachgebrauch der zuständigen Bundespolizei auf. Die Beamten ermitteln, welche unbefugte Person Plakate in einige der zahlreichen Schaukästen eines großen Werbeaufstellers „eingebracht“ hat.

Kaputt gegangen ist dabei wohl nichts, vielmehr dürfte jemand ein Nachschlüsselchen verwendet haben, um die Plakate in die Schaukästen zu hängen. Die Bundespolizei ermittelt jetzt wegen „Sachbeschädigung“ (§ 303 StGB), und das könnte wirklich interessant werden. Immerhin reicht es seit einer Gesetzesnovelle aus dem Jahr 2005 für eine Sachbeschädigung, wenn jemand das Erscheinungsbild einer fremden Sache „nicht nur unerheblich“ beeinträchtigt.

Schon damals hat man beklagt, dies sei ja wohl jetzt die Sachbeschädigung ohne Sachbeschädigung. Also ein Gesetz von fast lustiger Maaslosigkeit, aber damals war man noch nicht so recht gegen derartige Entgleisungen abgestumpft. So schimpften die Kritiker also halb ernst, halb scherzhaft, künftig mache man sich also schon strafbar, wenn man am falschen Ort Wäsche aufhängt (vom Wortlaut her kann das durchaus strafbar sein). Auch sachlichere Bedenken blieben unerhört, aber auch das ist ja insoweit nichts Neues.

Womit wir dann also bei den zweckentfremdeten Schaukästen im Bahnhof wären. Das Gesetz passt, aber immerhin soll laut Strafrechtskommentar eine Sachbeschädigung dann nicht vorliegen, wenn die Veränderung nur „von kurzer Dauer“ ist. Zum Beispiel bei „Anbringung leicht ablösbarer Überklebungen, leicht entfernbarer Verhüllungen oder leicht abwaschbarer Farbbemalungen“.

Wenn ich das lese, schöpfe ich etwas Hoffnung für alle in Frage kommenden Verdächtigen. Und wenn alle Stricke reißen, bleibt am Ende noch die Kunstfreiheit. Schöner und aussagekräftiger als Zigarettenwerbung waren die Plakate nämlich allemal.

Der Trick mit der Kurve

Auf dem Rückweg von einem Gerichtstermin im Ruhrgebiet sollte ich heute zur Kasse gebeten werden. 30 Euro wollten zwei Zivilpolizisten von mir. Angeblich war ich „deutlich“ zu schnell gefahren. Das hatten sie nach eigenen Angaben festgestellt, indem sie mir hinterher fuhren.

Die Situation an der Stelle ist folgende: Auf der Durchgangsstraße gilt in diesem Bereich weitgehend Tempo 80. Vor einer recht engen Kurve wird das Tempo aber in Kombination mit dem Warnzeichen Kurve auf 60 km/h reduziert. Angeblich, so die Beamten, bin ich nach der Kurve dann mindestens 750 Meter rund 85 km/h schnell gefahren. Nach dieser Strecke kommt dann wieder ein Schild, das Tempo 80 anordnet.

Offensichtlich sind die Polizisten im Alltag eher keine Widerworte gewöhnt. Der Wortführer sagte mir, die Sache solle ja „nur“ 30 Euro kosten. Einen Punkt würde ich ja nicht kriegen. Mit anderen Worten: Stellen Sie sich nicht so an, zahlen sie, dann sind wir zufrieden und Sie glimpflich davon gekommen.

Ich erlaubte mir aber meine eigene Meinung zu dem Sachverhalt. Es stimmt nämlich nicht, dass nach der Kurve weiter Tempo 60 gilt. Das Tempolimit von 60 km/h war gemeinsam mit dem Warnzeichen „Kurve“ (Übersicht der Gefahrzeichen nach der StVO) angeordnet. Was schlicht und einfach bedeutet, das Tempolimit gilt nur für die Länge der Gefahrstrecke. Ist die Gefahr erkennbar vorüber, gilt die Beschränkung nicht mehr. Eine ausdrückliche Aufhebung des Tempolimits in Verbindung mit dem Gefahrzeichen ist nicht erforderlich (so zum Beispiel OLG Düsseldorf, Aktenzeichen IV-2 RBs 140/16).

Nach kurzer Diskussion durfte ich weiterfahren. Ohne Verwarnungsgeld. Komischerweise hatte ich nicht das Gefühl, dass ich in irgendeiner Form erfolgreiche Überzeugungsarbeit geleistet hatte. Sondern dass schon bei nächster Gelegenheit wieder Autofahrer rausgewunken werden, die sich mit Hinweis auf das Kurvenschild bereitwilliger als ich in den Geldbeutel greifen lassen.

Keylogger am Arbeitsplatz sind verboten

Arbeitnehmer, die am Computer arbeiten, dürfen nicht mit Keyloggern überwacht werden. Dies hat das Bundesarbeitsgericht entschieden. Keylogger sind auch dann nicht erlaubt, wenn der Arbeitgeber den Mitarbeiter über den Einsatz informiert.

Eine Firma hatte ihre Mitarbeiter darüber informiert, dass der gesamte „Internet-Traffic“ und die Benutzung der Systeme „mitgeloggt“ werde. Dies geschah mit einer Software, die sämtliche Tastatureingaben protokollierte und regelmäßig Screenshots machte.

Mit den so gewonnenen Daten wollte die Firma dann später einem Mitarbeiter kündigen. Dieser stritt auch gar nicht, zumindest teilweise private Dinge auf seinem Dienstrechner erledigt zu haben. Das Bundesarbeitsgericht hält die Beweise für das Fehlverhalten des Mannes nicht für verwertbar; ebenso haben schon die Vorinstanzen entschieden.

Die Richter verweisen darauf, dass auch Arbeitnehmer am Arbeitsplatz ein Recht auf informationelle Selbstbestimmung haben. Eine derart engmaschige Überwachung verstoße gegen dieses Recht. Keylogger seien nach dem Bundesdatenschutzgesetz höchstens zulässig, wenn es einen konkreten Verdacht auf eine Straftat oder eine schwerwiegende Pflichtverletzung gebe. „Ins Blaue hinein“ dürften Keylogger nicht eingesetzt werden. So eine Maßnahme sei unverhältnismäßig (2 AZR 681/16). .

Paragrafen-Picking

Hauptaufgabe von Staatsanwälten ist das Paragrafen-Picking. Sie müssen einen Lebenssachverhalt dahingehend bewerten, ob er unter ein Strafgesetz fällt. Dabei kann man auch mal daneben greifen – und schlicht die falsche Tat anklagen. Genau das habe ich in einem Verfahren gerügt.

Meinem Mandanten wird eine Geiselnahme vorgeworfen (§ 239b StGB). Das ist keine Bagatelle, die Mindeststrafe sind fünf Jahre Gefängnis. Der Mandant soll mit anderen Personen seine Tochter mit Zwang ins Ausland gebracht haben und dort knapp 14 Tage festgehalten haben.

Die Anklageschrift ist für so einen schweren Vorwurf extrem, ach was sage ich, geradezu obszön dürftig. Tatsächlich benennen die wenigen Zeilen nur ein Motiv meines Mandanten: Mit der „Entführung“ sollte die Tochter gezwungen werden, künftig ein Leben zu führen, das der moralischen Weltanschauung des Vaters entspricht.

Das mag alles – sofern der Vorwurf tatsächlich zutrifft – nicht nett gewesen sein. Aber ist es auch eine Geiselnahme, die zu so einer exorbitanten Strafdrohung führt? Die Geiselnahme setzt jedenfalls einiges voraus. Das kann man zum Beispiel schon dem Standardkommentar Schönke/Schröder zum Strafgesetzbuch entnehmen:

Zwischen der Beherrschungssituation und der Nötigung muss ein zeitlicher und funktionaler Zusammenhang dergestalt bestehen, dass die erstrebte Handlung des Opfers noch während der Zwangslage vorgenommen werden soll.

Hier ging es aber schon nach der Anklage um das Leben, welches das mutmaßliche Opfer später führen sollte, also zum Beispiel brav zur Schule gehen, den Gottesdienst besuchen und, vor allem, Kontakt mit einem bestimmten Jungen zu meiden. Dieses Leben wäre aber ohnehin erst möglich gewesen, wenn die Zwangslage aufgehoben war. Da passt also der zeitliche Zusammenhang nicht. Auch der funktionale Zusammenhang liegt ja kaum vor, es sei denn, man betrachtet es als „Handlung“, wenn die Tochter so was wie „Ok, ich höre künftig auf dich, Papa“ sagt.

Ich habe das im sogenannten Zwischenverfahren erläutert, in dem das Gericht über die Zulassung der Anklage zu entscheiden hat. Was mich wirklich überraschte, war die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft. Die zuständige Abteilungsleiterin ließ das Gericht höchstpersönlich wissen, zu den Ausführungen von Rechtsanwalt Vetter solle keine Stellungnahme abgegeben werden.

Das kann ich jetzt unterschiedlich interpretieren. Entweder ich schreibe kompletten Blödsinn, der einer juristischen Gegenrede einfach nicht würdig ist. Oder da hat jemand selbst gemerkt, dass hier ein gewaltiger Bock geschossen wurde. Ich hoffe ganz bescheiden auf Letzteres.

Eine Extra-Vollmacht für die Polizei

Aus der Mail eines Kriminalkommissars:

Nach meinen Unterlagen haben Sie die rechtliche Vertretung des Herrn N. übernommen. Das Verfahren wurde durch unsere Dienststelle übernommen.

Ich möchte Sie daher um Zusendung einer entsprechenden Vollmacht an unsere Dienststelle bitten.

Leider konnte ich den Beamten bislang nicht telefonisch erreichen.

Ich würde – neben anderen Themen, die ohnehin anliegen – gern mit ihm besprechen, woher dieses Interesse an einer schriftlichen Vollmacht kommt. Schon vor dem Hintergrund, dass wir Rechtsanwälte in der Regel keine schriftliche Vollmacht vorlegen müssen. Es genügt, wenn wir versichern, entsprechend bevollmächtigt zu sein (wobei die Vollmacht auch mündlich erteilt sein kann). Diese Versicherung habe ich schon in meinem ersten Schreiben an die Staatsanwaltschaft abgegeben.

In diesem Fall wird die Anfrage noch etwas bizarrer durch den Umstand, dass mir der Staatsanwalt schon Akteneinsicht gewährt hat – und durchaus auch mal mit mir telefoniert. Der Staatsanwalt ist Herr des Verfahrens, wenn er keine schriftliche Vollmacht benötigt, warum sollte es die Polizei dann?

Nun ja, zu allem Überfluss hat mich der Ermittlungsrichter in dieser Angelegenheit sogar als Pflichtverteidiger beigeordnet. Meine Legitimation als Verteidiger ergibt sich also auch aus diesem Beschluss. Fast überflüssig zu erwähnen, dass der Beiordnungsbeschluss sich an prominenter Stelle in der Ermittlungsakte findet: gleich hinter dem Haftbefehl.

Ich denke, wir können dieses Thema schnell abhaken. Sofern der Beamte nicht das Gespräch mit mir verweigert, weil er meint, eine schriftliche Vollmacht zu benötigen. Dann mache ich es halt auch schriftlich. Ich rufe ihn gleich noch mal an.

Kalt erwischt

Beschuldigter in einem Strafverfahren – das ist schon unerfreulich genug. Besonders blöd ist es aber, wenn man hiervon erst aus der Boulevardpresse erfährt. So ging es einem meiner Mandanten. Dieser durfte dem Express entnehmen, dass die Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl gegen ihn beantragt hat.

Aber nicht nur das. Die Staatsanwaltschaft hatte die Presse auch gleich noch umfassend über die Gründe informiert, die sie zum Strafbefehlsantrag bewogen haben. In den Berichten stand also ganz detailliert, was für ein schlimmer Finger mein Mandant sein soll. Er selbst wusste bis zu diesem Zeitpunkt nur, dass gegen ihn ermittelt wird.

Für die Pressearbeit von Staatsanwaltschaften gibt es nur wenige Regeln. Eine ist allerdings recht eindeutig: Von Anklagen, Strafbefehlen und sonstigen wichtigen Schritten muss der Beschuldigte wissen, bevor offizielle Informationen an die Medien gehen. An sich ist das ja auch eine Selbstverständlichkeit. Rechtsstaat und so.

Die Staatsanwaltschaft hätte dieser Verpflichtung leicht genügen können. Es ist ihr nicht untersagt, dem Beschuldigten oder seinem Anwalt eine Kopie des Strafbefehlsantrags zu schicken. Womöglich verbunden mit der höflichen Info, dass in ein, zwei oder drei Tagen eine Presseinformation rausgeht.

Das geschah jedoch nicht. Vielmehr baute der Pressestaatsanwalt einen Zeitpuffer ein. Er verließ sich darauf, das Amtsgericht werde meinen Mandanten den Strafbefehl zeitnah zustellen. Er rechnete mit etwa zehn Tagen, was wohl seine Erfahrung mit dem örtlichen Amtsgericht ist.

Da ist auch was dran. Die meisten Richter schaffen es in dieser Zeit wirklich, einen Strafbefehl (mehr oder weniger) inhaltlich zu prüfen, zu unterschreiben und ihn zustellen zu lassen. Hier war es aber anders. Zum Zeitpunkt der Presseinformation lag der Strafbefehlsantrag noch auf dem Tisch der Richterin. Sie brauchte halt ein paar Tage länger für die Bearbeitung – was ihr ja auch nicht verwehrt ist. Für den Mandanten war das Vertrauen des Staatsanwalts, es werde zeitlich schon so ungefähr hinhauen, ziemlich irrelevant. Der Mandant wurde von den Presseberichten kalt erwischt.

Positiv an der Geschichte ist allerdings die Reaktion der Staatsanwaltschaft. Nach einem längeren Telefonat schrieb der zuständige Staatsanwalt eine Mail. Er bedauerte den Ablauf und entschuldigte sich. Überdies habe ich die Mail so verstanden, dass man die Abläufe in solchen Fällen mal überdenkt und sie verbessern wird. Das ist schon was. Vor allem wenn man berücksichtigt, wie entschieden die Justiz sonst gerne jede Verantwortung für Fehler von sich weist

Lasermessung kann auch mal falsch sein

Geschwindigkeitsmessungen mit der Laserpistole sind heute gang und gäbe. Die weitaus meisten Gerichte betrachten die Kontrolle als Standardmaßnahme. Das heißt, im Zweifel gilt die Messung als richtig – wenn der betroffene Fahrer nicht nachvollziehbare Zweifel weckt. Manchmal hilft da schon ein Blick in die Bedienungsanleitung des Geräts, wie ein Fall aus Dortmund zeigt.

Ein Autofahrer überholte einen anderen Wagen, was die Polizei mit dem Gerät Riegl LR90-235/P beobachtete. 101 km/h soll der Wagen gefahren sein; erlaubt waren 70 km/h. Laut Messprotokoll waren die beiden Autos im Zeitpunkt der Messung 302 Meter entfernt.

In der Bedienungsanleitung des Messgeräts steht folgendes:

Die zu mes­sen­den Fahrzeuge sind mög­lichst mit­tig an­zu­vi­sie­ren. Dadurch ist bei der Messung mehr­spu­ri­ger Fahrzeuge bis zu ei­ner Entfernung von 300 m auf­grund der en­gen Bündelung des Laserstrahls die Zuordnungssicherheit ge­währ­leis­tet. Da ab Entfernungen von 300 m ei­ne Zielerfassung au­ßer­halb der Breite von PKW nicht aus­ge­schlos­sen wer­den kann, ist der von Fahrzeugen der glei­chen Fahrtrichtung frei­zu­hal­ten­de Zielerfassungsbereich auf ei­nen Durchmesser von ins­ge­samt 2 PKW-Breiten (ca. 3,50 m) zu er­wei­tern, d.h. es ist rechts und links je ei­ne hal­be Fahrzeugbreite zu­zu­ge­ben.

Die Messung lag außerhalb der 300-Meter-Grenze. Da es sich um einen Überholvorgang handelte, war natürlich auch ein anderes Auto im Spiel. Der Polizeibeamte konnte nicht mehr sagen, wie groß der Abstand zwischen beiden Fahrzeugen war. (Eine halbe Fahrzeugbreite wird es ohnehin kaum gewesen sein.)

Interessant ist, dass der Polizist angab, er habe sich keinerlei Gedanken gemacht, ob eine Messung jenseits von 300 Metern problematisch sein könnte. Nun ja, das war immerhin ehrlich. Der Autofahrer konnte sich freuen. Seine berechtigte Kritik stieß beim Gericht auf offene Ohren. Er wurde freigesprochen.

Beitrag im Verkehrsrecht Blog, dort ist auch der Beschluss abgedruckt

Reißverschlussverfahren gilt nicht an Autobahnauffahrten

An der Rettungsgasse (§ 11 StVO) übt der deutsche Autofahrer noch, an das Reißverschlussverfahren (§ 7 StVO) hat er sich jedoch schon ganz gut gewöhnt. So zumindest meine persönliche Beobachtung auf deutschen Straßen.

Allerdings gilt das Reißverschlussverfahren nicht überall, wie das Amtsgericht Essen in einem aktuellen Urteil feststellt. Das Gericht musste die Frage beantworten, ob auch auf einer Autobahnauffahrt die einbiegenden Autos per Reißverschluss in den Verkehr integriert werden müssen – zumindest wenn Stop-and-go-Verkehr herrscht.

Nein, sagt das Amtsgericht Essen und verweist auf die Regelung des § 18 Abs. 3 StVO. Danach hat auf Autobahnen und Kraftfahrtstraßen immer der durchgehende Vorrang. Diesen Vorrang hatte eine Autofahrerin, die sich bei Stop-and-go-Verkehr auf die A 52 einfädeln wollte, missachtet. Sie war nach Zeugenaussagen in eine Lücke gehuscht. Ein Lkw, der von hinten kam, fuhr auf ihren Wagen auf. Die Frau bekommt von der Lkw-Versicherung jetzt keinen Schadensersatz, den sie anteilig eingeklagt hatte (Aktenzeichen 14 C 188/16).

Oh, ein erregter Zeuge

Hoch her gegangen zu sein scheint es bei einer Verhandlung vor dem Amtsgericht Meppen. Jedenfalls kassierte ein Mann, der als Zeuge aussagte bzw. aussagen musste, ein Ordnungsgeld von 200 Euro. Ihm wurde „Ungebühr“ zur Last gelegt, weil er dem Staatsanwalt ins Wort gefallen ist.

Aus der Pressemitteilung des Oberlandesgerichts Oldenburg:

Als sich der Staatsanwalt äußern wollte, wurde der Zeuge laut und aggressiv und erwiderte dem Staatsanwalt, er habe sich nicht einzumischen, die Richterin würde die Fragen stellen. Auf Anregung des Staatsanwalts verhängte die Richterin gegen den Zeugen ein Ordnungsgeld in Höhe von 200 Euro.

Hiergegen rief der Mann das Oberlandesgericht an, das jetzt die Entscheidung aus Meppen bestätigt hat. Eine Ungebühr des Mannes stehe völlig außer Frage. Unter dem Begriff „Ungebühr“ verstehe das Gesetz einen erheblichen Angriff auf die Ordnung in der Sitzung, auf den „Gerichtsfrieden“ und damit auf die Ehre und die Würde des Gerichts.

Selbst wenn der Zeuge nachvollziehbar sehr erregt gewesen sei, sei es für ein Gericht nicht hinnehmbar, wenn ein Zeuge in aggressiver Weise versuche, den Staatsanwalt zu maßregeln. Dies stelle zugleich eine Missachtung des Gerichts dar.

Aber wer weiß, vielleicht ist es gar nicht so hoch her gegangen. Möglicherweise tendierte die Kombi Staatsanwalt / Richterin auch nur ein wenig ins Mimosenhafte. Souverän sieht in der Regel jedenfalls anders aus, und die weitaus meisten Richter kriegen solche banalen Situationen deshalb auch ohne Holzhammer in den Griff (Aktenzeichen 1 Ws 245/17).

Dateien löschen – das kann die Polizei doch nicht

In einem Ermittlungsverfahren möchte mein Mandant seinen PC zurück. Das Verfahren wurde mangels Tatverdachts eingestellt. Allerdings befinden sich auf dem Rechner einige wenige zweifelhafte Dateien.

Das zuständige Landeskriminalamt sah sich zwar in der Lage, den PC dreieinhalb Jahre zu „untersuchen“. Für die Löschung der Daten soll mein Mandant allerdings ein „zertifiziertes Unternehmen“ beauftragen. Dessen Kosten würden den Restwert des PC aber um ein Vielfaches übersteigen.

Mein Mandant wäre auch mit einem Ausbau der Festplatte einverstanden. Aber auch das soll plötzlich nicht mehr gehen. Wobei ich mich frage, wie die Festplatten denn ohne Ausbau gespiegelt wurden. Genau das sollte ja forensischer Standard sein, und kein wildes Rumgestöbere auf den Originaldatenträgern.

Wegen der angeblich so schwierigen Löschung habe ich jetzt mal folgendes geschrieben:

Für die Löschung bedarf es deshalb auch keiner Spezialfirma. Vielmehr ist eine effektive Löschung selbst für Laien ohne großen Aufwand möglich, da ja nur eine einfache Software gestartet werden muss.

Die fragliche Software arbeitet zuverlässig, zumal die Intensität der Löschung problemlos eingestellt werden kann. Die Intensität reicht regelmäßig von normalem (einfachen) Löschen bis zu einem Überschreiben der Daten mit einem vielfachen Faktor. Das dauert nur etwas länger, aber mit dem Ergebnis wäre dann auch das Militär zufrieden.

Die Software ist problemlos und gratis zu beschaffen. So gibt es zum Beispiel folgende Programme, die tadellos funktionieren und die kostenlos erhältlich sind:

– ArchiCrypt (Download-Link Chip.de: http://www.chip.de/downloads/ArchiCrypt-Shredder_13003548.html)

– FileShredder (Download-Link Chip.de: http://www.chip.de/downloads/File-Shredder_13003625.html)

Schon aus den Beschreibungen der Chip.de-Tester ergibt sich, dass beide Programme nicht nur gratis sind. Sie funktionieren auch tadellos.

Da die Programm auch nur auf dem fraglichen PC installiert werden müssen, hat das LKA auch keine Kompromittierung seiner eigenen Systeme zu befürchten.

Na ja, und wenn sich jetzt plötzlich keiner mehr traut, die Festplatte auszubauen, dann würde mein Mandant das auch selbst machen. Er bringt sogar seinen eigenen Schraubenzieher mit.