Bevor der Staatsanwalt in die Katakomben des Strafjustizgebäudes hinab stieg, um gemeinsam mit den beiden Kriminalbeamten beim Untersuchungshäftling vorstellig zu werden, hatte er ein großes Problem. Und einen Sack voller kleinerer Probleme.
Bei dem Kleinzeug handelte es sich um Entscheidungen seiner Kollegen, die verteilt über die gesamte Republik Ermittlungsverfahren eingestellt hatten. Deutlich mehr als hundert solcher Entscheidungen sagten: Es handelt sich nicht um einen Betrug, wenn jemand seine persönlichen Daten in ein Webformular einträgt, um anschließend eine Checkbox anzuklicken und damit zu bestätigen, daß er die AGB und weiteres zivilistisches Regelwerk gelesen, verstanden und akzeptiert habe. Solange sich auf dieser Seite irgendwo ein Hinweis befand, daß damit ein Vertrag geschlossen wurde, der eine Bezahlpflicht des Anmelders auslöst.
Diese Rechtsansicht wurde dann im März 2009 auch noch gerichtlich bestätigt. Vom Landgericht Frankfurt. Das war das große Problem. Es war die dortige Staatsanwaltschaft, die meinte, es anders sehen zu müssen. Sie hatte Anklage erhoben und den Angeschuldigten vorgeworfen, einen qualifizierten Betrug begangen zu haben. Trotz des Kostenhinweises. Dieser anderen Ansicht der Staatsanwaltschaft schloß sich das LG Frankfurt nicht an, ließ die Anklage nicht zu und löste damit ein Riesengetöse in der Netzgemeinde aus. (Anm.: Dieser Beschluß des LG Frankfurt wurde später aufgehoben.)
Und dann gab es auch noch diverse Gutachten, unter anderem das einer Jura-Professorin, die zum Ergebnis kamen: „A ist nicht strafbar.“
Das war erst einmal die Ausgangssituation. Da kam „unserem“ Staatsanwalt der rettende Gedanke. Vielleicht beim nächtlichen Surfen im Internetz. Es gab und gibt ja reichlich Seiten, auf denen dieses Phänomen ausgiebig … sagen wir mal: besprochen wurde. Es ist Staatsanwälten nicht verboten, sich auch mithilfe solcher Seiten fortzubilden. Ein Threat in einem solchem Besprechungs-Forum fand auszugsweise sogar Eingang in die Ermittlungsakte.
Die Idee war geboren: Wenn der surfende Ermittler „seinen“ Beschuldigten nachweisen könnte, daß in ihren Angeboten der Kostenhinweis (zeitweise) fehlte, weil er von den Betreibern (zeitweise) ausgeblendet wurde, dann könnte er den Sack zumachen. Und die Anklage schreiben. Denn dann gab es diese häßlichen rechtlichen Probleme, die in u.a. Frankfurt diskutiert wurden, nicht mehr: Das Ausblenden des Kostenhinweises ist problemlos eine Täuschung.
Mit diesem Gedanken im Hinterkopf stieg der Staatsanwalt die Kellertreppe hinab in die Untersuchungshaftanstalt und begann die Vernehmung des pürierten Untersuchungshäftlings.
Im weiteren Verlauf dieser Geschichte realisierten sich zwei Risiken. Zum einen das des § 46b StGB – Belohnung des Verrats der Aufklärungshilfe. Zum anderen der wohl einem Erfolgsdruck geschuldeten Griff in die Kiste mit den verbotenen Vernehmungsmethoden.
Der Zermuste erzählte den Ermittlern in epischer Breite, was sie hören wollten. Nämlich, daß sein Mitbeschuldigter (der Festkochende) des nächtens am Computer gesessen habe und per Filezilla den Kostenhinweis aus- und frühmorgens wieder eingeblendet habe. (Daß er dabei auch noch andere Beschuldigte böse in die Pfanne gehauen hat, kann man dann unter dem Stichwort „Kollateralschaden“ abheften. Dazu gibt’s später noch ein Wörtchen.)
Auf einem Rechner, den man bei diesem Aufklärungsgehilfen zuhause gefunden hatte, fand man dann auch zwei, drei Bilder der Angebotsseite, auf denen der Kostenhinweis fehlte. Statt dessen war in der Kosten-Hinweis-Box ein lateinischer Text zu lesen.
Bingo! Das genügte dem Staatsanwalt und er schrieb die Anklageschrift, auf dem Fundament dieser Behauptung des ausgeblendeten Kostenhinweises. Die rechtlichen Probleme traten vor den – behaupteten – Tatsachen zurück.
Auf einen naheliegenden Gedanken kam der Staatsanwalt indes nicht. Vorsichtig, ganz vorsichtig gerechnet, wurde diese Angebotsseite etwa 30.000.000 (30 Millionen) Mal aufgerufen. In der interessierten und stets gut informierten Gemeinde der Internetznutzer (und Lawblog-Leser ;-) ) kam kein weiterer Hinweis auf diesen lateinischen Text. Auch sonst gibt es keine Bilder der Seiten, in denen ein Kostenhinweis auf der Anmeldeseite fehlte.
Kein anderer – außer diesem gekrönten Zeugen – hatte Latein gelesen.
Doch, einen gab es noch: Das war der Grafiker, der die Seiten gesetzt hatte. Und das, obwohl der noch nicht einmal Latein in Schule gelernt hatte.
Aber vielleicht findet sich ja noch in den Archiven des Netzes eine dieser „Hamburger“ Seiten ohne einen Kostenhinweis neben dem Anmeldeformular. Die Adresse der Staatsanwaltschaft Hamburg steht im Telefonbuch …
… verrät der Aushilfsblogger.