Es steht nicht im beliebigen Ermessen der Staatsgewalt, sich einen Richter passend zum jeweiligen Strafprozeß auszusuchen. Die Regeln, welcher Richter wann und wofür zuständig ist, sind zwar kleinteilig gestaltet, aber gleichwohl recht knackig. Urteilt ein „falscher“ Richter, wird das Urteil problemlos aufgehoben. Die Prüfung der Besetzung eines Gerichts gehört daher zu den wesentlichen Standardaufgaben eines Strafverteidigers.
Anfang August bin ich nach Hamburg gefahren, um mich dort bei den Richtern der 8. Großen Strafkammer (Wirtschaftsstrafkammer) des Landgerichts persönlich vorzustellen. Es war absehbar, daß wir etwas länger zusammen arbeiten werden. Bereits vorher hatte ich mehrfach mit dem Gericht telefoniert, um den Verfahrensgang abzusprechen. Die Richter waren insbesondere daran interessiert, mit mir über den Inhalt der Anklageschrift zu sprechen.
Der Vorsitzende Richter Dr. T. und B., der Berichterstatter der Kammer, empfingen mich freundlich. Wir haben uns ausführlich über den angeklagten Sachverhalt und die rechtlichen Probleme ausgetauscht und einen vorläufigen Terminplan abgesprochen.
Ich hatte eine Verteidigungsschrift angekündigt. Das erleichterte dem Gericht die Planung. Ein paar der Informationen aus dem Gespräch konnte ich in meiner Arbeit berücksichtigen bzw. verarbeiten. Im September lag die Verteidigungsschrift im eMail-Postfach des Berichterstatters.
Im Oktober wurde mir die Besetzung des Gerichts mitgeteilt. Die Richter Dr. T. und B. waren jedoch nicht auf dem Spielplan. Drei andere Richter sollten nun über meinen Mandanten urteilen. Das wollte ich mir dann einmal genauer anschauen.
Ich hatte nicht den Eindruck, daß das Gericht besonders routiniert auf meinem Antrag auf Einsicht in die Besetzungsunterlagen reagierte. Erst im zweiten Anlauf hatte ich mit diesem Antrag Erfolg. Es nützt niemandem, wenn sich durch so etwas der Spielbeginn um eine Woche verzögert. Ärgerlich, daß genau das dann passierte.
Was sich mir bei der genaueren Ansicht des Geschäfts(verteilungs)plans, der Präsidiumsbeschlüsse und Aktenvermerke dann darbot, erinnerte mich an ein Kirmeskarussell.
Ich fand eine Basis mit drei Richtern, zwei davon hatte ich kennen gelernt; dies war der Stand des Geschäftsplans vom 1. Juni.
Am 1. September rückte ein vierter Richter, noch auf Probe, in die Kammer nach. Mit einer Eilverfügung vom 9. September wurde die stellvertretende Vorsitzende dieser Kammer von der „Richterin am Amtsgericht“ zur „Richterin am Landgericht“ ernannt.
Am 28. September wurde der bisherige Berichterstatter B. zum Oberlandesgericht befördert. Die Kammer war wieder zu dritt. Das waren aber immer noch nicht die Richter, die in der Besetzungsmitteilung genannt waren.
Der Vorsitzende Richter Dr. T. war nicht mit von der Party Partie. Aus der Akte ging hervor, daß er kurzfristig Urlaub beantragt und erhalten hatte. Die stellvertetende Vorsitzende und der Richter auf Probe rückten auf. Auf den dann freigewordenen Platz zog dann eine Richterin nach, aus der Vertretung der Vertretungskammer.
Die eigentliche Vertretung war wegen Terminsüberschneidungen verhindert. Die Vertreterkammer hatte ihre Sitzungstermine teilweise an den Tagen, an denen die Kammer verhandelte, die sie vertreten sollte.
Kann man mir bis hierher noch folgen? Nein? Das kann ich verstehen! Ich habe auch ein paar Tage gebraucht, bis ich das nachvollziehen konnte. Aber es geht noch weiter.
Den Eröffnungsbeschluß, mit dem die Anklage zugelassen wurde, trägt die Unterschrift eines weiteren, bisher noch nicht „aufgetauchten“ Richters. Gar nicht so einfach, dessen Zuständigkeit aus dem Wust von drei Großen Strafkammern zu filtern, deren Besetzung ihrerseits ständig wechselte.
Vom Eingang der Anklage bis zum Beginn der Hauptverhandlung waren also insgesamt sechs Richter aktiv an dem Verfahren beteiligt; eine weitere Richterin spielte (intern) noch eine Rolle bei der Frage, wer den Eröffnungsbeschluß unterzeichnen sollte.
Es sei aber alles in Ordnung, hat dann das Gericht auf meine Besetzungsrüge beschlossen. Nachdem das Karussell zum Stillstand gekommen war. Das mag sein.
Ich frage mich nur, welchen Wert die vorbereitenden Gespräche zwischen Gericht und Verteidigung noch haben. Für den Besuch einer Kirmes wäre ich nicht von Berlin nach Hamburg gefahren. Vertrauensbildung geht anders …
… meint der Aushilfsblogger