Obdachlosigkeit ist ein sehr negativ besetzter Begriff. Es ist sogar gut möglich, dass meine Mandanten, ein Ehepaar, mal „obdachlos“ waren. Oder drohten, es zu werden. Das ist jedoch 30 Jahre her, und sie wissen selbst nur noch, dass es mit Migrationshintergrund und Kindern nicht einfach auf dem Wohnungsmarkt war. Trotz Job. Fakt ist, dass die Stadt Düsseldorf ihnen und ihren beiden Kindern damals eine Wohnung in einer „Obdachlosenunterkunft“ am Kuthsweg zur Verfügung stellte.
30 Jahre lebt die Familie nun dort. Sie zahlt sechs Euro Kalt“miete“ pro Quadratmeter, auch wenn die Zahlung mangels Mietvertrag mit der Stadt Benutzungsgebühr heißt. Ein für die Gegend und den Zustand der Häuser durchaus marktgerechter Preis. Man hat sich bürgerlich eingerichtet, Einbauküche inklusive. Die Wohnung ist innen tadellos in Schuss; die nun erwachsenen Söhne haben regelmäßig renoviert. Die Zeit hat allerdings andere Spuren hinterlassen. Die Mandanten sind gesundheitlich schwer angeschlagen. Die Frau kann wegen einer Arthrose nicht einmal mehr Treppen steigen.
Am 7. Juni 2010 erhielten die Betroffenen nun eine „Ordnungsverfügung“ der Stadt Düsseldorf. Darin heißt es, der Familie werde „zur Beseitigung Ihrer Obdachlosigkeit“ – gemeint sein muss die Obdachlosigkeit von vor 30 Jahren – eine andere Wohnung zugewiesen. Sie müsse das bisherige Objekt am 28. Juni 2010 räumen. Dann werde ein Möbelwagen vorfahren. Die Stadt habe sich „kurzfristig“ im Rahmen eines „Abbauprozesses“ entschlossen, die Unterkünfte aufzugeben.
Die Frist beträgt also genau drei Wochen. Drei Wochen nach 30 Jahren. Das Schreiben ist garniert mit folgenden Sätzen:
Sollten Sie meiner Anordnung, zum Verpacken ihrer persönlichen Gegenstände, bis zu dem genannten Zeitpunkt nicht nachkommen, drohe ich Ihnen … die Anwendung der Ersatzvornahme an. Sollten Sie sich weigern, selbst die Unterkunft zu verlassen, drohe ich Ihnen gleichzeitig die Anwendung von unmittelbarem Zwang … an.
Die Anwendung der Zwangsmittel schließt das gewaltsame Eindringen in Ihre bisherige Unterkunft sowie das gewaltsame Fortschaffen der sich darin befindlichen Gegenstände ein.
Die Ordnungsverfügung ist, auch ganz ohne die martialische Wortwahl, für die Betroffenen ein Schlag vor den Kopf. Niemand hat ihnen die Schließung der Häuser im Vorfeld angekündigt. Was womöglich auch daran liegt, dass die zuständige Sozialarbeiterin bei der Stadt seit längerer Zeit erkrankt sein soll. Offenbar ist auch niemand auf die Idee gekommen, in den „Abbauprozess“ mal die Bewohner selbst einzubeziehen. Meine Mandanten sind jedenfalls durchaus bereit, sich nach einer anderen Wohnung umzusehen. Allerdings gibt es sicher keine mit einem Einzugstermin in drei Wochen…
Die Mandanten und ihre Nachbarn haben jetzt natürlich Angst, aus ihren Wohnungen gekehrt zu werden wie Restmüll. Aber sie sind immerhin nicht so verängstigt, dass sie kampflos aufgeben. Sie werden beim Verwaltungsgericht beantragen, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid anzuordnen. Die sofortige Vollziehung begründet die Stadt übrigens lediglich damit, sie müsse mit öffentlichen Mitteln sparsam und wirtschaftlich umgehen. Wieso es überhaupt zu dieser Hauruck-Entscheidung kommen musste, wird dagegen nicht verraten.
Das Verwaltungsgericht wird sicher prüfen, ob eine Räumungsfrist von drei Wochen zu einer Nutzungsfrist von 30 Jahren verhältnismäßig ist. Kleiner Anhaltspunkt: Ein normaler Vermieter müsste eine Kündigungsfrist von neun Monaten gewähren.