Ich hatte schon einige Male über einen Mandanten berichtet, der seine eigene Abschiebung nicht genug gefördert haben soll. Als Konsequenz wird er zu einer Geldstrafe verdonnert.
Ich habe vor der Hauptverhandlung Stellung genommen:
Der Tatvorwurf ist nicht begründet.
Nach §§ 95 Abs. 1 Nr. 1, 48 Abs. 2 AufenthG genügt ein Ausländer seiner Ausweispflicht, wenn er ein Ausweisersatzpapier von der Ausländerbehörde hat. Der Angeklagte, bei dem faktische Abschiebungshindernisse vorliegen, ist im Besitz eines derartigen Papieres. …
Die Frage ist lediglich, ob der Angeklagte einen Pass in zumutbarer Weise nicht erlangt hat (§ 48 Abs. 2 AufenthG).
Der Strafbefehl legt dem Angeklagten eine „Mitwirkungs- und Initiativpflicht“ auf, die so nicht existiert. Sie wurde in diesem Umfang, soweit ersichtlich, bislang auch von keinem Verwaltungsgericht statuiert.
Jedenfalls würde die „Mitwirkung“ ohnehin ins Leere laufen.
Die Ausländerbehörde ist selbst der Überzeugung, der Angeklagte sei kein sierra-leonischer Staatsbürger. Von daher ist es fast schon absurd, vom Angeklagten Anstrengungen zu verlangen, die tatsächlich darauf hinauslaufen sollen, dass der Angeklagte die Feststellungen der sierre-leonischen Botschaft „widerlegt“ und etwas nachweist, woran nicht mal die Ausländerbehörde glaubt.
Diese Anstrengungen wären doch lediglich Symbolhandlungen. Wenn selbst behördenseits davon ausgegangen wird, der Angeklagte sei nicht aus Sierra Leone, die Feststellungen der Botschaft also inhaltlich gar nicht angezweifelt werden, würden vom Angeklagten rechtlich von vornherein völlig aussichtslose Schritte verlangt und das Unterlassen derart aussichtsloser Schritte bestraft.
Rechtlich und tatsächlich unschädliches Unterlassen ist aber nicht straffähig, weil schon nach dem Gesetz nur Anstrengungen strafbar sein können, die auch eine hinreichende Erfolgswahrscheinlichkeit mit sich bringen. Das ergibt sich aus Sinn und Zweck des Tatbestandes, aber auch direkt aus der Formulierung „zumutbar“.
Vom Angeklagten werden also lediglich symbolische Handlungen verlangt, die noch nicht einmal konkretisiert werden. Das Unterlassen von symbolischen, das heißt von vornherein aussichtslosen Anstrengungen, ist aber nicht vom § 48 Abs. 2 AufenthG umfasst.
Der Angeklagte hat überdies alle ihm zumutbaren Mitwirkungshandlungen erbracht. Wie die Ausländerbehörde selbst ausführt, ist die Erteilung von Passersatzpapieren nur von der Feststellung der Staatsangehörigkeit abhängig. Diese Feststellung werde entweder durch Urkunden ermöglicht. Urkunden hat der Angeklagte nicht. Oder durch ein Interview mit Botschaftsmitarbeitern. Dieses Interview hat der Angeklagte unstreitig gemacht, allerdings wurde seine Staatsangehörigkeit – fehlerhaft – von der Botschaft verneint.
Es ist schon von der eigenen Darstellung der Ausländerbehörde überhaupt nicht ersichtlich, was von dem Angeklagten denn noch verlangt werden könnte. Es ist ja schon gar nicht damit zu rechnen, dass der Angeklagte nach dem erfolglosen Interview überhaupt einen Termin in der Botschaft erhielte. Auch die sierra-leonische Botschaft dürfte kaum bereit sein, sich ständig neu mit einem bereits erledigten Fall zu beschäftigen.
Es stellt sich überdies die Frage, wie der Angeklagte seine Überzeugungsarbeit finanzieren sollte. Er erhält wöchentlich 1,91 € Taschengeld. Hiervon kann er keine Korrespondenz finanzieren, ebenso wenig Reisekosten. …
Die Staatsanwaltschaft sollte die Anklage zurücknehmen.