Der 54-jährige Werner W. aus dem sauerländischen Wenden hatte vor fast zwei Jahren das übliche Pech im Straßenverkehr. Er war mit seinem Auto auf der A 3 in Richtung Köln unterwegs – und wurde bei Erkrath erwischt. Ein Polizeibeamter stand mit einer Videokamera samt Stoppuhr auf der Autobahnbrücke. Er stellte fest, dass W. bei einer Geschwindigkeit von 125 km/h den erforderlichen Mindestabstand von 62,5 Meter zum vorausfahrenden Fahrzeug nicht eingehalten hatte.
Deswegen verhängte das Amtsgericht Mettmann eine Geldbuße von 100 Euro und ein einmonatiges Fahrverbot. Dagegen ging W. an – und wurde jetzt vom 3. Senat des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG) freigesprochen. Der rechtskräftige Beschluss nährt einmal mehr die Hoffnung abertausender Autofahrer. Denn er spricht Klartext. Wortwörtlich heisst es: „Bis zu einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage sind Videoüberwachungen zur Feststellung von Verstößen gegen den Mindestsicherheitsabstand und/oder gegen angeordnete Höchstgeschwindigkeiten unzulässig.“
Der Hintergrund ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom August vorigen Jahres. Das höchste deutsche Gericht hatte nach einer Geschwindigkeitsübertretung in Mecklenburg-Vorpommern verboten, einen Videofilm ohne ein Gesetz als Beweismittel zuzulassen.
Auf diesen Beschluss stützt sich auch der Düsseldorfer Strafsenat. So wie bei Erkrath ein Verstoß festgestellt worden ist, gehe es um den „systematisch angelegten Eingriff“ in die Grundrechte beinahe unzähliger Menschen. Eben um „massenhaft durchgeführte Überwachungen im Rahmen von standardisierten Verfahren“. Die erforderliche Rechtsgrundlage dafür fehle.
Zwar beruft sich das NRW-Innenministerium auf eine juristische Basis, deren Schwerpunkt in der Strafprozessordnung steht. Dort heisst es in Paragraf 100 h wörtlich: „Auch ohne Wissen der Betroffenen dürfen außerhalb von Wohnungen … Bildaufnahmen hergestellt werden, wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Beschuldigten auf andere Weise weniger erfolgversprechend oder erschwert wäre.“
Doch genau dieses Argument zerpflückt der OLG-Senat. Diese Vorschrift, so hält der Beschluss fest (AZ IV-3 RBs 8/10), „soll nach ihrem Sinn und Zweck in erster Linie der Bekämpfung von schwer ermittelbarer Kriminalität dienen“. Nicht also zur Verfolgung einer – meist nur fahrlässig – begangenen Ordnungswidrigkeit.
Demnach war der Polizeifilm, zusammengefasst, ein Verstoß gegen das vom Grundgesetz geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht. Gegen das Recht jedes einzelnen Menschen also, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden, und daher grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu bestimmen.
Der 54-jährige Werner W. war dazu vorher nicht gefragt worden. Er war auch nicht einverstanden mit der Brückenfilmerei. Das Fazit: Der Polizeibeamte hinter der Kamera hat illegal gehandelt. Was nun? Auch diese Frage beantwortet der Senatsvorsitzende: „Der zuständige Gesetzgeber ist gefordert, die vom Bundesverfassungsgericht angesprochenen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen zu schaffen.“
Mehr noch! Der Richter lässt zwar offen, ob die Grundsätze nicht auch für Videoüberwachungen und –aufzeichnungen aus fahrenden Überwachungsfahrzeugen und für ortsfeste und mobile Radar- oder Laserüberwachungsmaßnahmen gelten. Dazu bedürfe es für den vom OLG Düsseldorf beurteilten Fall „keiner Entscheidung“, sagt er. Er fügt aber hinzu: „Indessen dürfte die Fragestellung auch in diesem Zusammenhang von entscheidender Bedeutung sein.“ (pbd)