Mit einem Ermittlungsrichter streite ich mich, ob mein Mandant zu einer Vernehmung kommen muss. Er soll „als Zeuge“ gehört werden. Interessanterweise war er schon mal Beschuldigter in der Sache. Vermeintliches Diebesgut wurde in seinem Laden gefunden. Nach Angaben Dritter soll er mit dem angeblichen Dieb gut bekannt sein und am Tattag auch öfters mit ihm telefoniert haben.
Schon die Polizeibeamten, die meinen Mandanten mit einigen Sätzen zitieren, haben ihm nicht geglaubt. Der Aktenvermerk wimmelt von Sätzen wie „nach erneuter Belehrung“ und „Herr M. wurde eindringlich darauf hingewiesen, dass er die Wahrheit sagen muss“.
Es ist unübersehbar, dass sich mein Mandant mit jedem Satz, den er beim Richter „als Zeuge“ von sich gibt, selbst belasten könnte. Das gibt ihm ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 Strafprozessordnung:
Jeder Zeuge kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihm … die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.
Ich stehe auf dem Standpunkt, dass ein Vernehmungstermin wenig Sinn macht, wenn der Zeuge ohnehin nichts sagen muss und schon vorher erklärt, dass er nichts sagen wird. Nun könnte der Richter der Meinung sein, dass der Zeuge trotzdem erscheinen und ihm das persönlich erklären muss.
Das wäre dann ein Problem der Verhältnismäßigkeit. Mein Mandant muss nämlich etliche hundert Kilometer anreisen.
Aber nein, der Richter erwartet tatsächlich, dass mein Mandant aussagt. Er lehnt meinen Terminsaufhebungsantrag mit dem Argument ab, mein Mandant habe kein Auskunftsverweigerungsrecht. Denn die Staatsanwaltschaft habe das Verfahren, soweit er in Verdacht geraten war, nach § 170 Strafprozessordnung eingestellt.
Eine Begründung, die man zur Kenntnis nehmen kann. Es fällt aber schwer, sich nicht für dumm verkauft zu fühlen. Eine Einstellung wegen fehlenden Tatverdachts nach § 170 Strafprozessordnung gehört nämlich nicht zu den Konstellationen, in denen das Auskunftsverweigerungsrecht erlischt. Es erlischt nur, wenn der „Zeuge“ selbst wegen des Sachverhalts nicht mehr verfolgt werden kann, zu dem er befragt werden soll. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn er rechtskräftig verurteilt wurde oder das Verfahren gegen eine Auflage eingestellt wurde.
Bei einer Einstellung wegen (derzeit) fehlenden Tatverdachts kann die Staatsanwaltschaft nämlich jederzeit die Ermittlungen wieder aufnehmen. Zum Beispiel auch aufgrund von Angaben, die der heutige „Zeuge“ bei einem Ermittlungsrichter gemacht hat.
Ich habe gegen die Ladung und die Ablehnung, den Termin aufzuheben, Beschwerde eingelegt. Zumindest erfahren dann andere Richter, mit welch profunden Argumenten eigentlich nachvollziehbare Anliegen abgewürgt werden. Aber ich fürchte, die übergeordneten Richter sind schon abgehärtet.
Ist ja nicht das erste Mal…